Entscheidungsstichwort (Thema)
Epilepsie als Schädigungsfolge. Nachweis der Schädigung. Kernspin-Tomographie
Orientierungssatz
Für die Entscheidung über einen Versorgungsanspruch wegen einer traumatischen Epilepsie kann als mögliche Beweiserhebung eine "Kernspin-Tomographie" geboten sein.
Normenkette
SGG § 103; BVG § 1 Abs 3 S 1
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 24.04.1986; Aktenzeichen L 8 V 299/84) |
SG Hannover (Entscheidung vom 07.08.1984; Aktenzeichen S 17 V 5/83) |
Tatbestand
Die Klägerin beantragte 1978 Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) wegen der Folgen einer Hirnverletzung. Sie führt eine Epilepsie und degenerative Veränderungen im rechten Schultergelenk auf eine bei einem Bombenangriff im Juli 1943 erlittene Schädigung zurück. Der Antrag ist erfolglos geblieben (Bescheid vom 21. August 1980, Widerspruchsbescheid vom 8. Dezember 1982, Urteile des Sozialgerichts -SG- vom 7. August 1984 und des Landessozialgerichts -LSG- vom 24. April 1986). Das LSG hat wohl eine Verletzung durch Brandbombeneinwirkung mit Kopfbeulen als erwiesen angesehen, jedoch nicht eine substantielle Hirnschädigung, die als wahrscheinliche Ursache für eine elf Jahre später in Erscheinung getretene Epilepsie in Betracht käme. Die Klägerin könne, als sie nach dem Bombenangriff aus dem Haus herausgetragen wurde, über der Schulter eines Helfers liegend nicht mit ihrem Kopf auf die Treppenstufen geschlagen sein. Sie sei auch anschließend nur wegen Phosphorverbrennungen stationär behandelt worden, dagegen nicht wegen einer Hirnverletzung. Außerdem sei bisher kein pathologischer Befund erhoben worden, der für eine substantielle Hirnschädigung iS einer Hirnkontusion spräche. Eine weitere, von der Klägerin beantragte Begutachtung hat das LSG abgelehnt, weil sie nicht zur Aufklärung über den schädigenden Vorgang beitragen könne.
Die Klägerin rügt mit der - vom Bundessozialgericht (BSG) zugelassenen - Revision eine Verletzung des § 1 BVG sowie der §§ 62, 103, 109 und 128 Sozialgerichtsgesetz (SGG). In erster Linie hätte das LSG entsprechend ihrer Beweisanregung ein weiteres psychiatrisches Gutachten aufgrund einer Kernspin-Tomographie einholen müssen. Mit Hilfe des neuen Beweismittels könne Genaueres über eine traumatische Hirnschädigung, auch über deren Alter aufgeklärt werden. Das Berufungsgericht, dem die notwendige Sachkunde fehle, hätte nicht von dieser Beweiserhebung unter Hinweis auf andere Beweismittel absehen dürfen. Nur hilfsweise werde der Antrag, ein solches Gutachten nach § 109 SGG einzuholen, aufrecht erhalten.
Die Klägerin beantragt, das Berufungsurteil aufzuheben und den Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen.
Der Beklagte widerspricht einer Zurückverweisung nicht.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin hat insoweit Erfolg, als das angefochtene Urteil, soweit darin Versorgung wegen einer Epilepsie abgelehnt worden ist, aufzuheben und der Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen ist.
Für eine Entscheidung über einen Versorgungsanspruch wegen einer traumatischen Epilepsie (§ 1 Abs 1 und 2 Buchstabe a, Abs 3 Satz 1, § 5 Abs 1 Buchstabe c, §§ 9, 30, 31 BVG) fehlen ausreichende tatsächliche Feststellungen. Das LSG hat die Aufklärungsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft. Vor allem müßte eine gesundheitliche Primärverletzung des Gehirns durch eine Gewalteinwirkung bei der Flucht der phosphorverbrannten Klägerin aus einem bombengeschädigten Haus - über Kopfbeulen hinaus - erwiesen sein. Eine substantielle Hirnschädigung ebenso wie ein schädigender Vorgang, der sie verursacht hätte, müßten mindestens mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein (BSGE 60, 58 f = SozR 3850 § 51 Nr 9; vgl auch SozR 3850 § 51 Nr 10). Nur für den notwendigen Ursachenzusammenhang zwischen einer verletzenden Einwirkung und einer direkten (traumatischen) Hirnschädigung sowie zwischen dieser und einer jetzt bestehenden Epilepsie genügt die Wahrscheinlichkeit (§ 1 Abs 3 Satz 1 BVG), dh ein solcher Grad von Gewißheit, daß wenigstens mehr dafür als dagegen spricht (BSG aaO).
Das LSG hat eine substantielle Hirnschädigung aufgrund einer Würdigung der vorliegenden Gutachten vor allem deshalb nicht als erwiesen in jenem Sinn angesehen, weil in den letzten Jahren keine entsprechenden pathologischen Hirnbefunde erhoben wurden. Gerade die darauf bezogene Beweiserhebung ist aber unzureichend. Im Unterschied zu den bisher vorgenommenen Untersuchungen einschließlich einer Pneumoencephalographie und einer Computertomographie, deren Ergebnisse nicht gegen eine traumatische Hirnsubstanzschädigung sprechen, vermag die von der Klägerin angeregte Kernspin-Tomographie genauer die Hirnverhältnisse auf Kontusionszeichen zu erforschen; das ergibt sich aus der von Dr. F verfaßten und von der Firma S herausgegebenen Informationsschrift (S 18, 24 f, 28, 30, 36). Demnach ist es auch nicht ausgeschlossen, daß eine solche Untersuchungsmethode nähere Hinweise auf ein hohes Alter einer traumatischen Hirnsubstanzschädigung ergibt. Die mögliche und gebotene Beweiserhebung (§ 103 SGG) durfte das LSG nicht deshalb ablehnen, weil ihm die vorgenommenen Untersuchungen, die nicht zu einem anspruchsbegründenden Ergebnis geführt haben, ausreichend erschienen; eine solche Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) vermag die Sachaufklärungspflicht nicht einzuschränken. Das nicht ausgenutzte Beweismittel ist als neuartige Untersuchungsmethode nach dem gegenwärtigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand nicht ungeeignet.
Der Senat sieht die noch ausstehende Beweiserhebung nicht etwa deshalb als geboten an, weil jedem Antrag auf Einholung eines medizinischen Gutachtens stattgegeben werden müßte. Nur wegen der besonderen Umstände dieses Falles, in dem der kriegsbedingte Schädigungsvorgang ebenso wie eine bleibende Hirnschädigung schwierig aufzuklären sind, muß auch ein ungewöhnliches Beweismittel ausgeschöpft werden.
Falls die nachzuholende Sachaufklärung zuverlässige Anzeichen für eine ältere substantielle Hirnschädigung ergibt, ist es nicht ausgeschlossen, daß das Gericht die Unterlagen über die zeitbedingte Krankenhausbehandlung unmittelbar nach der Phosphorverletzung anders würdigt als bisher und aufgrund der außergewöhnlichen Umstände direkt nach dem Bombenangriff eine damit zusammenhängende Verletzung, die das Hirn substantiell schädigen konnte, wenigstens mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als erwiesen und außerdem den erforderlichen Ursachenzusammenhang mit der Epilepsie als wahrscheinlich ansieht. Möglicherweise beeinflußt die Annahme einer traumatischen Hirnsubstanzschädigung die Beweiswürdigung über einen entsprechenden schädigenden Vorgang. Über diesen könnte ergänzend die Zeugin P persönlich zu hören sein. Bei der abschließenden Beweiswürdigung werden die Besonderheiten des kriegerischen Vorgangs zu beachten sein. Solchen schwierigen Beweislagen entspricht auch die Vorschrift des § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung vom 2. Mai 1955 (BGBl I 202)/18. August 1980 (BGBl I 1469, 2218); danach sind die diesbezüglichen Angaben des Antragstellers in Fällen wie dem vorliegenden der Entscheidung zugrunde zu legen, "soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen". Hier stehen darüber hinaus andere Beweismittel zur Verfügung.
Das LSG hat auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden.
Fundstellen