Leitsatz (amtlich)
Versorgung als Kann-Leistung (BVG § 1 Abs 3 S 2) ist dann nicht zu gewähren, wenn infolge allgemeiner Ungewißheit über den Verlauf einer Krankheit nicht annähernd festgelegt werden kann, welche zeitliche Verbindung zwischen schädigenden Einwirkungen iS des BVG § 1 Abs 1 und 2, die als mögliche Krankheitsursachen in Betracht kommen, und ersten Erscheinungen der Erkrankung bestehen müßte, um einen ursächlichen Zusammenhang wenigstens als möglich beurteilen zu können (Ergänzung von BSG 1968-11-26 9 RV 610/66; Bestätigung von BSG 1969-05-06 9 RV 434/67).
Orientierungssatz
Die Ausnahmevorschrift des BVG § 1 Abs 3 S 2 regelt lediglich eines von mehreren Erfordernissen für Leistungen nach dem BVG. Sie ist allein im Zusammenhang mit den übrigen Grundbedingungen zu verstehen. Ebenso wie die Kann-Versorgung die gleichen Leistungen umfaßt wie diejenigen aufgrund eines Rechtsanspruchs (vgl BSG vom 1977-06-22 10 RV 57/76 = SozR 3900 § 41 Nr 4), müssen - mit der einzigen Besonderheit bezüglich der Kausalität gemäß BVG § 1 Abs 3 S 2 - alle Umstände gegeben sein, die sonst einen Anspruch begründen.
Normenkette
BVG § 1 Abs. 3 S. 2 Fassung: 1964-02-21, Abs. 5 S. 2 Fassung: 1964-02-21
Verfahrensgang
LSG Hamburg (Entscheidung vom 10.02.1977; Aktenzeichen VI KOBf 38/75) |
SG Hamburg (Entscheidung vom 03.10.1975; Aktenzeichen 29 KO 135/71) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 10. Februar 1977 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Heinrich R (R), der 1912 geborene Vater der Klägerin, ist 1966 an einer Osteomyelosklerose mit akuter Monozytenleukämie verstorben. Im Juli 1970 beantragte die Klägerin eine Waisenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) mit der Begründung, die Krankheit ihres Vaters sei durch schädigende Einwirkungen seiner sowjetischen Kriegsgefangenschaft von Februar 1945 bis Oktober 1946, insbesondere durch Dystrophie, verursacht worden. - Bei R wurden nach der Entlassung Ödeme infolge Unterernährung in der Gefangenschaft sowie ein Erschöpfungszustand nach Ruhrerkrankung und Rippenfellentzündung festgestellt und anfangs insgesamt mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 50 vH bewertet. 1949 erhielt der Vater der Klägerin eine vorläufige Rente entsprechend einer MdE um 30 vH nach der Sozialversicherungsdirektive Nr 27 wegen abklingenden lipophilen Dystrosphie-Stadiums als Schädigungsfolge (Bescheid vom 23. April 1949, Beschwerdeausschuß-Entscheidung vom 13. September 1949, Bescheid vom 21. Dezember 1949). Ab Mai 1950 wurde die Rente entzogen, weil der Körperschaden nicht mehr durch das Hungerödem, sondern durch eine innersekretorische Drüsenstörung verursacht werde (Bescheid vom 11. März 1950). - Die Versorgungsverwaltung lehnte eine Waisenrente mit der Begründung ab, das Leiden, das zum Tod geführt habe, sei keine Schädigungsfolge iS des BVG und Versorgung könne auch nicht als Ermessensleistung nach § 1 Abs 3 Satz 2 BVG wegen allgemeiner Ungewißheit über die Krankheitsursache gewährt werden, denn die erforderliche zeitliche Verbindung zwischen der Kriegsgefangenschaft und der seit 1964 klinisch erstmalig bedeutsamen, allenfalls 1955 in Erscheinung getretenen Osteomyelosklerose fehle (Bescheid vom 28. Oktober 1970, Widerspruchsbescheid vom 2. Juni 1971).
Das Sozialgericht (SG) hat nach Beweiserhebungen die Beklagte verurteilt, über den Antrag der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden (Urt vom 3. Oktober 1975); es hat die Voraussetzungen für eine Waisenrente als Kann-Leistung nach § 1 Abs 5 iVm Abs 3 Satz 2, § 38 Abs 1 und §§ 45 ff BVG angenommen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Klage abgewiesen (Urt vom 10. Februar 1977): Über die Ursachen der Osteomyelosklerose und der Monozytenleukämie bestehe in der medizinischen Wissenschaft allgemein Ungewißheit. Ungeachtet dessen habe die Beklagte eine Kann-Leistung gem § 1 Abs 3 Satz 2 BVG ohne Ermessensfehler abgelehnt. Im vorliegenden Fall sei der erforderliche Ursachenzusammenhang zwischen schädigenden Einwirkungen der Kriegsgefangenschaft und dem Tod nicht allein wegen der allgemeinen Unkenntnis des Ursprungs der Erkrankungen nicht wahrscheinlich, sondern außerdem wegen der zu langen Zeitspanne zwischen der Gefangenschaft und ersten, 1964/65 aufgetretenen klinischen Erscheinungen der Osteomyelosklerose. Auch als Voraussetzung einer Kann-Leistung nach § 1 Abs 3 Satz 2 BVG genüge nicht die bloße Möglichkeit eines Ursachenzusammenhanges zwischen Schädigungen iS des § 1 BVG und dem Tod. Vielmehr müsse, die Möglichkeit einer Verursachung unterstellt, aufgrund des Leidensverlaufes und des zeitlichen Zusammenhanges mit Schädigungen ein ausreichender Anhalt für einen Ursachenzusammenhang bestehen. Dies komme nur in Betracht, wenn genügend bekannt sei über Ablauf und Entwicklungsdauer einer Krankheit vom möglichen ursächlichen Anstoß bis zum Auftreten eindeutiger Krankheitszeichen. Über die Osteomyelosklerose, die zur Monozytenleukämie und dann zum Tod geführt habe, beständen aber nur allgemeine Erfahrungen von dem Stadium ab, in dem die Krankheit klinisch in Erscheinung trete. Dagegen würden Vorstadien von wenigen Jahren bis zu Jahrzehnten ohne faßbare Abgrenzungsmöglichkeiten spekulativ diskutiert. Unter diesen Umständen sei die Ablehnung einer Leistung nach § 1 Abs 3 Satz 2 BVG nicht ermessenfehlerhaft. Die Hilfsbegründung des SG, ohne die wahrscheinliche Herabsetzung der Immunabwehr durch die Dystrophie hätte R mindestens ein Jahr länger gelebt, könne nur als Maßstab für den ursächlichen Zusammenhang anerkannt werden, falls zZt des Todes eine durch schädigende Einwirkungen iS des BVG entstandene Gesundheitsstörung bestehe, die neben anderen den Tod mit verursacht habe, und wohl auch für den Fall des § 1 Abs 3 Satz 2 BVG, falls ein dieser Vorschrift entsprechendes Leiden den Tod verursacht habe. Dies sei nicht der Fall.
Die Klägerin hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und rügt eine Verletzung des § 1 Abs 3 Satz 2 BVG sowie des § 54 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Das Berufungsgericht habe die Vorschrift über Kann-Leistungen zu eng ausgelegt und unzulässigerweise seine Entscheidung auf eigene Ermessenserwägungen gestützt. Die Beklagte habe ihr Ermessen nicht in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise ausgeübt. Der Ursachenzusammenhang zwischen den anerkannt gewesenen Gefangenschaftsfolgen und der unmittelbaren Todesursache sei allein deshalb nicht wahrscheinlich, weil allgemein in der Wissenschaft die Osteomyelosklerose bisher nicht genügend aufgeklärt sei. Dies reiche als Voraussetzung für die Gewährung einer Kann-Leistung aus. Irgendeinen zeitlichen Zusammenhang zwischen schädigenden Einwirkungen und einer Erkrankung setze das Gesetz nicht voraus: dies sei auch nach dem Willen der Verfasser des 2. Neuordnungsgesetzes (NOG) nicht zu verlangen. Was der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung (BMA) in seinen Verwaltungsvorschriften darüber hinaus zur Selbstbindung fordere, sei im übrigen gegeben: eine zeitliche Verbindung zwischen schädigenden Einwirkungen der Kriegsgefangenschaft und dem anerkannten Versorgungsleiden des R. Außerdem dürfe bei der Ermessensentscheidung nicht zuungunsten der Klägerin berücksichtigt werden, daß sie durch ein pflichtwidriges Verhalten der Beklagten in besondere Beweisschwierigkeiten geraten sei. Die Versorgungsverwaltung habe unter Verletzung ihrer Betreuungs- und Fürsorgepflicht dem Vater der Klägerin die Rente ohne eigentliche medizinische Prüfung entzogen und ihn die noch nicht beseitigten Gefangenschaftsfolgen auf eigene Kosten durch Sachverständige feststellen lassen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide zu verurteilen, der Klägerin über ihren Antrag auf Waisenrente einen neuen Bescheid unter Beachtung der gerichtlichen Rechtsauffassung zu erteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Der BMA als Vertreter der zum Verfahren beigeladenen Bundesrepublik Deutschland hält die Auslegung des § 1 Abs 3 Satz 2 BVG durch das LSG für zutreffend. Eine Kann-Leistung komme allein deshalb nicht in Betracht, weil, unabhängig von der allgemeinen Ungewißheit über die Ursachen der Osteomyelosklerose, mangels gesicherter medizinischer Erfahrungen eine zu fordernde zeitliche Verbindung zwischen Schädigungen iS des § 1 BVG und dem Leidensbeginn unwahrscheinlich sei.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Das LSG hat im Ergebnis mit Recht die Klage abgewiesen.
Streitig ist allein noch die Waisenrente (§§ 45 ff BVG) als Kann-Leistung nach § 1 Abs 5 Satz 2 iVm Abs 3 Satz 2 BVG in der hier anzuwendenden, seit dem 2. NOG vom 21. Februar 1964 (BGBl I 85) und dem 3. NOG vom 28. Dezember 1966/20. Januar 1967 (BGBl 1967 I 141) geltenden Fassung, die später inhaltlich nicht geändert worden ist. Die Versorgungsverwaltung kann gem § 1 Abs 3 Satz 2 BVG - nach ihrem Ermessen - Versorgung in gleicher Weise wie für Schädigungsfolgen (§ 1 Abs 1 und 2, ua durch eine Kriegsgefangenschaft - § 1 Abs 2 Buchst b BVG -) gewähren, wenn die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung erforderliche Wahrscheinlichkeit (§ 1 Abs 3 Satz 1 BVG) nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft - allgemein - Ungewißheit besteht. Dies bezieht sich auf die Beschädigtenversorgung. Entsprechendes wie nach § 1 Abs 3 Satz 2 BVG gilt für die Hinterbliebenenversorgung (§ 1 Abs 5 Satz 2 BVG), wenn die ursächliche Verknüpfung von Schädigung und Tod nicht wahrscheinlich ist und damit die Voraussetzung für einen Rechtsanspruch (§ 1 Abs 5 Satz 1, § 38 Abs 1 Satz 1) fehlt.
Das LSG hat den tragenden Ablehnungsgrund, daß keine hinreichende zeitliche Verbindung zwischen Schädigungen iS des § 1 BVG und der tödlich verlaufenden Krankheit feststehe, dem Ermessensbereich der Verwaltung zugerechnet, den die Gerichte bloß auf Ermessensfehler gem § 54 Abs 2 Satz 2 SGG prüfen dürften. Der Senat kann für den gegenwärtigen Fall dahingestellt sein lassen, ob dies richtig ist oder ob diese Entscheidungsgrundlage zur Rechtsvoraussetzung einer Kann-Leistung gehört, über die die Gerichte uneingeschränkt zu erkennen haben (Urteile des erkennenden Senats vom 26. November 1968 - 9 RV 610/66 - und vom 6. Mai 1969 - 9 RV 434/67 -; ständige Rechtsprechung der Kriegsopferversorgungs-Senate des Bundessozialgerichts - BSG -, zB Urt d. 10. Senats vom 23. Mai 1969 - 10 RV 150/66 - = Kriegsopferversorgung - KOV - 1970, 73; vom 9. Oktober 1969 - 10 RV 480/67 - = KOV 1970, 106, 108; vom 9. Februar 1971 - 10 RV 87/69 -; Urt d. 8. Senats vom 12. Dezember 1969 - 8 RV 469/72 -). Die Versagung einer Kann-Leistung gegenüber der Klägerin ist in jedem Fall nicht rechtswidrig.
Über die Ursachen der Krankheit, woran der Vater der Klägerin verstorben ist, der Osteomyelosklerose mit finaler akuter Monozytenleukämie, besteht allgemein Ungewißheit in der medizinischen Wissenschaft (vgl auch Rückle und Waller, Deutsche Medizinische Wochenschrift - DMW - 1978, 142). Indes ist damit allein nicht ohne weiteres der Weg offen für eine Ermessensentscheidung über die Kann-Versorgung zugunsten der Klägerin. Wie das LSG außerdem rechtsverbindlich für das Revisionsgericht festgestellt hat (§ 163 SGG), ist der Zeitverlauf zwischen der 1946 beendeten Kriegsgefangenschaft und dem Abklingen der anerkannten Schädigungsfolgen bis 1950 einerseits und den ersten, 1964/65 aufgetretenen Erscheinungen des Hauptleidens, das zum Tod geführt hat, andererseits zu groß, um einen Ursachenzusammenhang als wahrscheinlich beurteilen zu können. Dies ist nicht in Unklarheiten über den Krankheitsablauf im konkreten Fall des R begründet, was eine Kann-Versorgung schlechthin ausschließen würde (BSG vom 23. Mai 1969 und 9. Oktober 1969), sondern die Folge der allgemeinen Unkenntnis über die Gesundheitsstörung und namentlich über ihre Entwicklung von ihrem Beginn an. "Stumme" Stadien vor dem Auftreten von klinischen Krankheitszeichen werden in der Spielbreite von wenigen Jahren bis zu Jahrzehnten in der Medizin spekulativ diskutiert; faßbare Abgrenzungsmöglichkeiten fehlen (vgl auch Treske, DMW 1970, 1689). Wegen dieser Sachlage durfte die Beklagte eine Kann-Versorgung ablehnen. Diese Unsicherheit über den Leidensablauf kann zwar die Folge oder ein Teil der allgemeinen Ungewißheit über die Krankheit, namentlich über ihre Ursachen sein. Daher soll nach Ansicht der Klägerin diese Unkenntnis iS des § 1 Abs 3 Satz 2 BVG auf Fälle wie den ihres Vaters auszudehnen sein, in denen allgemein die medizinische Wissenschaft noch nicht genau weiß, wann ursächlich wirkende Umstände spätestens eingetreten sein müssen, um als wahrscheinliche oder - für eine Kann-Versorgung - als mögliche Erkrankungsursachen gewertet werden zu können. Jedoch schließen die allgemeine Ungewißheit über die Krankheitsentwicklung, insbesondere in der "stummen" Zeit, und ihre Folgen, das Fehlen von Beurteilungsmaßstäben für einen notwendigen zeitlichen Zusammenhang zwischen schädigenden Einwirkungen der Kriegsgefangenschaft und dem Beginn der erkennbaren Leidensentwicklung, versorgungsrechtlich gerade den Tatbestand des § 1 Abs 3 Satz 2 BVG aus. Der erforderliche Ursachenzusammenhang ist dann nicht "nur" wegen der allgemeinen Ungewißheit über die Krankheitsursachen nicht wahrscheinlich. Vielmehr ist die Wahrscheinlichkeit der Kausalität aus einem anderen Grund als dem in § 1 Abs 3 Satz 2 BVG genannten nicht gegeben. Jedenfalls rechtfertigt dies eine ablehnende Ermessensentscheidung.
Dementsprechend hat der BMA, von dessen Zustimmung eine Kann-Versorgung nach § 1 Abs 3 Satz 2 BVG abhängt, zutreffend in seinen Richtlinien für solche Leistungen zusätzlich zu der bezeichneten allgemeinen Ungewißheit "eine zeitliche Verbindung zwischen krankhaften Veränderungen und einem nach § 1 BVG als schädigendes Ereignis in Betracht kommenden Tatbestand" gefordert (Verwaltungsvorschrift Nr 9 Satz 2 zu § 1 BVG vom 26. Juni 1969 - Bundesanzeiger Nr 119 vom 4. Juli 1969) und diese Zeitabstände für einzelne Krankheiten jeweils festgelegt (Rundschr v 25. April 1968, Bundesversorgungsblatt - BVBl 1968, 82, ergänzt durch Rundschr v 29. August 1968 - BVBl 1968, 134 Nr 57 - und Rundschr v 16. Juni 1969 - BVBl 1969, 70 -; im Ergebnis auch: Anhaltspunkte für die Ärztliche Gutachtertätigkeit im Versorgungswesen - Anhaltspunkte - herausgegeben vom BMA, Ausgabe 1973, S 10, zu 5, 2, c). Wenn ein solcher Zusatz unter 80 Nr 7 der "Anhaltspunkte" bei der Osteomyelosklerose fehlt (S 125), so gilt offenbar im Zusammenhang mit den zuvor (S 124, 80 Nr 5) behandelten Hämoblastosen, zu denen gelegentlich auch die Osteomyelosklerose gerechnet wird (vgl Müller, DMW 1970, 643, 645 ff; Lennert in: Lehrbuch der Allgem. Pathologie und der Pathologischen Anatomie - Hg Eder/Gedigk - 29. Aufl, S 373), die dort geforderte zeitliche Verbindung.
Diese Gesetzesauslegung schon andeutend, aber nicht im einzelnen näher begründend, hat der erkennende Senat im Urteil vom 26. November 1968 entschieden, daß nicht die - abstrakte oder konkrete - Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhanges genüge, vielmehr sei wegen der unbekannten Ätiologie (= Ursachenlehre; vgl Eder/Gedigk aaO, Einleitung S XXXV) eine Beeinflussung durch eine Schädigung als möglich zu unterstellen und dann zu prüfen, ob aufgrund allgemeiner ärztlicher Erfahrung bei den dadurch begrenzten Erkenntnismöglichkeiten nach Leidensverlauf und zeitlichem Zusammenhang mit der Kriegsbeschädigung ein ausreichender Anhalt bestehe, den Ursachenzusammenhang zu bejahen. Dem hat sich der 10. Senat im Urteil vom 9. Oktober 1969 angeschlossen. Anknüpfend daran hat der 9. Senat im Urteil vom 6. Mai 1969 ua die Ablehnung eines Härteausgleichs in einem Fall als rechtmäßig bestätigt, in dem die Zeitspanne zwischen Kriegsgefangenschaft und Auftreten der zum Tod führenden Krankheit als zu groß beurteilt wurde (ebenso Hess. LSG, Breithaupt 1972, 1020). Der Härteausgleich konnte nach der dem § 1 Abs 3 Satz 2 BVG (nF) vorausgegangenen Vorschrift des § 89 Abs 2 BVG idF des 1. NOG vom 27. Juni 1960 (BGBl I 453) unter gleicher Voraussetzung gewährt werden.
Der Senat hält diese Rechtsprechung für Fälle der vorliegenden Art aus den folgenden Gründen aufrecht.
Der Wortlaut des § 1 Abs 3 Satz 2 BVG läßt für sich allein betrachtet nicht hinreichend erkennen, unter welchen Umständen "nur" die allgemeine Ungewißheit über die Leidensursachen zur Folge hat, daß der rechtserhebliche Ursachenzusammenhang nicht wahrscheinlich ist. Erst eine systemgerechte Gesetzesauslegung führt zu dem hier entscheidenden Ergebnis, eine allgemeine Unkenntnis der Krankheitsherkunft sei nicht die alleinige Ursache für das Fehlen der Wahrscheinlichkeit der Verursachung, falls für eine gebotene zeitliche Verknüpfung zwischen Erkrankung und möglicher Schädigung sich allgemeine Erkenntnisse nicht feststellen lassen. Dieser Grundsatz rechtfertigt jedenfalls eine gesetzeskonforme Ermessensentscheidung zuungunsten des Antragstellers. Die Ausnahmevorschrift des § 1 Abs 3 Satz 2 BVG regelt lediglich eines von mehreren Erfordernissen für Leistungen nach dem BVG. Sie ist allein im Zusammenhang mit den übrigen Grundbedingungen zu verstehen. Ebenso wie die Kann-Versorgung die gleichen Leistungen umfaßt wie diejenige aufgrund eines Rechtsanspruchs (BSG SozR 3900 § 41 Nr 4), müssen - mit der einzigen Besonderheit bezüglich der Kausalität gem § 1 Abs 3 Satz 2 BVG - alle Umstände gegeben sein, die sonst einen Anspruch begründen. Das ergibt schon die Begründung zu § 86 Abs 2 des Entwurfes eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Kriegsopferversorgung (BR-Drucks 192/59; BT-Drucks III/1239). Sie führte den Härteausgleich, der nach jener Vorschrift unter der gleichen Voraussetzung wie neuerdings die Kann-Versorgung gem § 1 Abs 3 Satz 2 BVG (idF seit dem 2. NOG) gewährt werden sollte und dann dementsprechend in § 89 Abs 2 BVG (idF des 1. NOG) geregelt wurde, wegen der Unbilligkeit ein, daß nach altem Recht in den Fällen der allgemeinen Ungewißheit über die Leidensursache Versorgung wegen des Fehlens der Merkmale des Abs 3 - jetzt § 1 Abs 3 Satz 1 - versagt wurde. Wenn nach dieser Bestimmung für die Beschädigtenversorgung eine Gesundheitsstörung, dementsprechend für die Hinterbliebenenversorgung der Tod durch eine schädigende Einwirkung iS des § 1 Abs 1 und 2 BVG als wesentlicher Bedingung (BSGE 1, 72, 76; 1, 268, 269 f) mit Wahrscheinlichkeit verursacht sein muß, so ist in erster Linie regelmäßig eine bestimmte, durch einen äußeren Rahmen begrenzte zeitliche Verbindung erforderlich, wenn auch nicht ausreichend ("Anhaltspunkte", S 8; vgl zu einzelnen Krankheiten; S 67 ff; zu Besonderheiten bei Leberschäden: S 109 ff; Rundschreiben vom 20. August 1970 - BVBl 1970, 98); sie muß nach allgemeiner Erfahrung über beobachtete Regelmäßigkeiten eines Geschehensablaufes (dazu aus medizinischer Sicht: Marx in: H.H. Marx-Hg-, Gutachten-Fibel. Grundlagen und Praxis der medizinischen Begutachtung, 2. Aufl 1969, S 84; Dierkes und Goetz in: Trüb/Daniels - Hg -, Das öffentliche Gesundheitswesen, Bd V, Teil A, 1968, S 622 f; zum statistischen Nachweis der Wirkung von Einflußfaktoren: Koller, Methodik der Information in der Medizin, 1963, Bd 2, H 1, S 1 ff; ders in: Maria Blohmke ua (Hg), Handbuch der Sozialmedizin, Bd I, 1975, S 399 ff; Schaefer, aaO, 363 ff; Schär, aaO, 438 ff, insbes 443 ff) eine Verursachung als wahrscheinlich bewerten lassen (Karl Pesch, Betrachtungen zum Ursachenbegriff in der Sozialversicherung und Kriegsopferversorgung, 1965, S 7 ff, 35 f, 60 ff), dh es muß mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang sprechen (Nr 9 Satz 1 der Verwaltungsvorschriften zu § 1 BVG). Ohne einen entsprechenden zeitlichen Zusammenhang kann eine ursächliche Wirkung der Umstände, die erfahrungsgemäß derart zu wirken pflegen, im allgemeinen nicht angenommen werden (Rauschelbach, KOV 1967, 84 f). Im Fall des § 1 Abs 3 Satz 2 BVG sind nur die Anforderungen an die Kausalverknüpfung in bestimmtem Umfang abgeschwächt (Dierkes und Goetz, aaO, S 615, 628). Wegen der allgemeinen Unsicherheit über die Leidensursachen läßt das Gesetz einen geringeren Überzeugungsgrad als die Wahrscheinlichkeit, die allein wegen dieser allgemeinen Unkenntnis nicht angenommen werden kann, genügen. Dennoch müssen bereits gewonnene Erfahrungen über mögliche Ursachen und über den Ablauf des diagnostisch gesicherten Leidens bei der je gegebenen Sachlage nach wissenschaftlichen Arbeitshypothesen als möglich erscheinen lassen, daß bestimmte schädigende Einwirkungen iS des § 1 Abs 1 und 2 BVG, die nachgewiesen sind, die Krankheit ursächlich beeinflußt haben. Falls - an Stelle der Ungewißheit - eine für möglich gehaltene Verursachung nach allgemeiner Erfahrung gesichert wäre, könnte im Einzelfall der Ursachenzusammenhang als wahrscheinlich beurteilt werden (Rauschelbach, KOV 1962, 195; 1967, 84). Eine bestimmte zeitliche Verknüpfung mit einer Schädigung iS des § 1 Abs 1 und 2 BVG, die dafür vorauszusetzen wäre, bleibt auch für die Fälle des § 1 Abs 3 Satz 2 BVG unerläßlich, lediglich im Rahmen einer weniger gesicherten allgemeinen Kausalerkenntnis (dazu aus medizinischer Sicht: Goetz, KOV 1962, 97, 99; Dierkes und Goetz, aaO, S 628 f; Marx, aaO, S 85). Diese Fälle liegen im Bereich zwischen der Wahrscheinlichkeitsbeurteilung, die sich auf gesicherte allgemeine Kausalitätserfahrungen stützt, und der Unwahrscheinlichkeit oder Unmöglichkeit, die eine Versorgung schlechthin ausschließt. Wenn in diesem Zwischenfeld eine Versorgung gewährt werden kann, sofern der Ursachenzusammenhang sich allein wegen der allgemeinen Ungewißheit über die Kausalität nicht als wahrscheinlich bewerten läßt, so muß er doch aufgrund allgemeiner Erfahrung als möglich erscheinen, und dies setzt eine begrenzbare zeitliche Verbindung mit möglichen Ursachen voraus.
Diese Auslegung des Gesetzes wird durch die Entstehungsgeschichte bestätigt, die nicht allein die bereits dargelegten Gemeinsamkeiten zwischen dieser Sonderregelung und den Voraussetzungen für einen Rechtsanspruch erkennen läßt. Ein zeitlicher Zusammenhang, der erst und überhaupt eine solche - abgeschwächte - Kausalitätsbeurteilung zuläßt, wurde als unverzichtbarer und wesentlicher Begrenzungsmaßstab für Härteausgleichsfälle bei allgemeiner Ungewißheit über Leidensursachen angesehen, als ua das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und soziale Fürsorge sowie die Kriegsopferverbände eine entsprechende Regelung im 1. NOG anstrebten (Pechtel, Amtsbl des Bayer Staatsministeriums 1970, S A 265 = Versorgungsbeamter 1970, 124, 125; Stahr, Versorgungsbeamter 1961, 66; dazu aus medizinischer Sicht: Rauschelbach, KOV 1968, 97). Mit der neuen Regelung hat der Gesetzgeber das System der Kriegsopferversorgung, grundsätzlich die Hauptleistungen nur wegen der Folgen einer Schädigung zu gewähren, nicht preisgegeben. Der Entwurf der FDP (BT-Drucks III/962) mit einem völlig andersartigen Vorschlag wurde nicht zum Gesetz erhoben. Nach diesem sollte anstelle des § 1 Abs 3 zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Schädigungsfolge der zeitliche Zusammenhang ihrer Entstehung oder Verschlimmerung mit den in Abs 1 und 2 genannten Verhältnissen und Ereignissen genügen, es sei denn, daß die Störung wahrscheinlich auch ohne diese Umstände in gleichem Umfang entstanden oder verschlimmert worden wäre. Immerhin sollte damit auch gerade nicht auf den Grundsatz einer zeitlichen Verknüpfung zwischen Schädigung und Gesundheitsstörung verzichtet werden. Der Gesetzgeber hat dann für die leichter zu erlangende Kann-Versorgung das Erfordernis des Ursachenzusammenhangs als einzige Bedingung abgeschwächt, so daß im übrigen auch hierfür eine zeitliche Verbindung als notwendige, aber allein nicht hinreichende Verbindung vorausgesetzt bleibt.
Schließlich bestätigen die praktischen Ergebnisse die Richtigkeit dieser Auslegung. Falls die allgemeine Ungewißheit über Krankheitsursachen ohne die geforderte zeitliche Verknüpfung als ausreichend für eine Kann-Versorgung angesehen würde, müßten, wie der Senat bereits im Urteil vom 6. Mai 1969 aufgezeigt hat, praktisch alle Leiden unbekannter Ursache und regellosen zeitlichen Verlaufs zur Beschädigten- und Hinterbliebenenversorgung führen, sofern der Erkrankte nur irgendwann einmal in seinem Leben irgendeiner Schädigung iS des § 1 Abs 1 und 2 BVG ausgesetzt war. Andererseits führt die entgegenstehende, vom Senat vertretene Auslegung keineswegs zu einer völligen oder weitestgehenden Versagung der Kann-Leistungen in den Fällen, in denen die Leidensursachen allgemein ungewiß sind. Wie die Rundschreiben des BMA (vgl ergänzend zB Urt des erkennenden Senats in SozR 3100 § 1 Nr 13) erkennen lassen, bleiben noch zahlreiche Erkrankungen offen für solche Leistungen. Trotz jener allgemeinen Ungewißheit kann in vielen Fällen aufgrund der Beobachtung von pathologischen Veränderungen eine hinreichend gesicherte Erfahrung über den Krankheitsablauf bestehen und den erforderlichen zeitlichen Zusammenhang beurteilen lassen (von Keitz, KOV 1966, 81).
Die Klägerin kann sich zur Stützung ihrer Ansicht nicht auf die Ausführungen von Medizinern berufen, wonach eine Kann-Versorgung in Betracht kommt, falls außer der Ätiologie auch die Pathogenese allgemein ungewiß sei (Marx, aaO, S 85; Dierkes und Goetz, aaO, S 628). Wenn damit die kausale Pathogenese gemeint ist, gilt rechtlich nichts anderes als für die allgemeine Unsicherheit in der Ätiologie, denn mit jenem Begriff wird die ursächliche Einwirkung auf den Krankheitsvorgang erfaßt (Eder/Gedigk, aaO, S XXXV). Dagegen werden sich jene Mediziner, die selbst eine zeitliche Verbindung für erforderlich halten, nicht auf die formale Pathogenese beziehen, die sich mit den Vorgängen des Krankheitsverlaufs nach Auslösung eines Krankheitsprozesses befaßt (Eder/Gedigk, aaO, S XXXVI). Gesicherte Erfahrungen darüber können auch dann bestehen, wenn die Verursachung nicht vollständig gewiß ist.
Auf den näheren zeitlichen Zusammenhang zwischen Kriegsgefangenschaft und Dystrophiefolgen kommt es hier entgegen der Ansicht der Revision nicht an, weil der Vater der Klägerin nicht unmittelbar an den zeitweilig anerkannten Schädigungsfolgen verstorben ist.
Nicht erkennbar ist, welche rechtliche Bedeutung der Vorwurf, die Versorgungsverwaltung habe pflichtwidrig 1950 dem R die Rente entzogen, bei dieser Sach- und Rechtslage für die Kann-Versorgung haben soll. Die Revision behauptet nicht substantiiert, daß infolge dieses Verhaltens ein hinreichend langes Fortbestehen von Kriegsgefangenschaftsfolgen als möglichen Ursachen der Osteomyelosklerose nicht nachzuweisen sei.
Erwägungen über eine gefangenschaftsbedingte Lebensverkürzung um ein Jahr, die das SG hilfsweise angestellt hat, sind hier fehl am Platz. Sie können wohl einen Beurteilungsmaßstab für eine Verursachung (§ 1 Abs 3 Satz 1 und Abs 5 Satz 1 BVG) durch versorgungsrechtlich erhebliche Umstände bilden (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. bis 8. Aufl 1977, II, S 489 a - 489 g); diese bleibt hier aber außer Betracht.
Nach alledem muß die Revision der Klägerin als unbegründet zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen