Beteiligte
Kläger und Revisionskläger |
1) …, 2) …, Beklagte und Revisionsbeklagte, Beigeladene |
Tatbestand
I.
Der im Jahre 1952 geborene Kläger ist österreichischer Staatsangehöriger. Er war Motorenhelfer auf dem früheren deutschen Fahrgastschiff H… Auf dem Rückweg vom Landgang wurde er am 13. März 1972 gegen 23.50 Uhr auf der Long Bay Road in Charlotte Amalie, St. Thomas/Virgin Islands von Unbekannten überfallen und durch mehrere Schüsse so schwer verletzt, daß er seitdem querschnittsgelähmt ist. Im Zeitpunkt des Überfalles war ein - ebenfalls angegriffener - Arbeitskollege des Klägers bei ihm, den er zuvor in einer Bar im Hafenbezirk getroffen hatte und mit dem er gemeinsam an Bord zurückkehren wollte.
Der Kläger erhält von der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter in Österreich eine Invaliditätspension mit Hilflosenzuschuß.
Die Beklagte zu 1) lehnte den Antrag des Klägers auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab, weil der Kläger auch unter Berücksichtigung seiner österreichischen Versicherungszeiten nur über eine Versicherungszeit von insgesamt 56 Kalendermonaten verfüge.
Die Beklagte zu 2) lehnte Entschädigungsleistungen aus der Unfallversicherung ab, da ein Arbeitsunfall im Sinne des § 838 Nr. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht gegeben sei. Überfälle durch bewaffnete Personen gehörten nicht zu den einem Hafen eigentümlichen Gefahren. Der Unfall habe sich auch nicht beim Retten oder Bergen von Menschen oder Sachen zugetragen (s. § 838 Nr. 5 RVO), da er nicht mit dem Schiffsbetrieb in ursächlichem Zusammenhang gestanden habe. Zudem habe die Vernehmung des Arbeitskollegen nicht ergeben, daß der Kläger bei einem Hilfeversuch zu Schaden gekommen sei.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit durch Urteil vom 18. Februar 1974 (Az. 12 AN 790/73) und die Klage auf Entschädigung aus der Unfallversicherung durch Urteil vom 20. September 1976 (Az. 25 U 118/75) abgewiesen.
Die Berufung des Klägers gegen diese Urteile hat das Landessozialgericht (LSG) zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und durch Urteil vom 1. Juni 1977 zurückgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt: Der Überfall auf den Kläger sei kein Unfall, der im Hafengebiet durch die einem Hafen eigentümlichen Gefahren im Sinne des § 838 Nr. 2 RVO eingetreten sei. Die Erstreckung des unfallversicherungsrechtlichen Schutzes auf Unfälle im Hafengebiet solle nach dem Willen des Gesetzgebers den Seemann gegen die Gefahren absichern, die ihm durch die Hafenanlagen, Hafeneinrichtungen und den Hafenbetrieb drohten. Auch ein Arbeitsunfall im Sinne des § 838 Nr. 5 RVO sei nicht gegeben, weil es an dem wesentlichen Zusammenhang mit dem Schiffsdienst fehle, wenn ein Seemann während eines Landganges einen Unfall beim Retten eines Menschen erleide. Der Kläger habe auch nicht gemäß § 539 Abs. 1 Nr. 9 Buchst. a oder c RVO unter Versicherungsschutz gestanden, da nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens nicht feststehe, daß er seinen Kameraden aus einer erheblichen gegenwärtigen Gefahr für Körper oder Gesundheit zu retten unternommen habe. Sie seien beide gleichzeitig angegriffen worden; jeder hätte sich seiner Angreifer erwehrt. Der auf den Kläger verübte Raubüberfall stelle schließlich keinen Wegeunfall im Sinne des § 550 RVO dar. Sofern der Überfall auf den Kläger außerhalb des Hafengebiets stattgefunden habe, sei der Versicherungsschutz ausgeschlossen durch § 839 RVO. Da der Kläger somit keinen Arbeitsunfall erlitten habe, sei auch seine Klage gegen die Ablehnung der Erwerbsunfähigkeitsrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung unbegründet; denn die Wartezeit gelte somit nicht gemäß § 29 Abs. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) als erfüllt.
§ 29 Abs. 2 AVG sei auf Versicherungsfälle vor dem 1. Januar 1973 nicht anwendbar.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Der Kläger hat dieses Rechtsmittel eingelegt.
Er trägt vor: Das LSG sei unvorschriftsmäßig besetzt gewesen. Das Berufungsgericht habe in seiner 12. Sitzung entschieden. Nach dem Zustellungsplan der ehrenamtlichen Richter am LSG für die Zeit vom 1. Januar 1977 bis 31. Dezember 1977 hätten an diesem Tage die ehrenamtlichen Richter Sch… und W… oder als deren Vertreter die ehrenamtlichen Richter N… und S… mitwirken müssen. Keiner dieser ehrenamtlichen Richter habe jedoch an der Entscheidung mitgewirkt.
Das LSG habe auch zu Unrecht als die dem Hafen von St. Thomas eigentümlichen Gefahren nur solche angesehen, die durch Hafenanlagen, Hafeneinrichtungen und dem Hafenbetrieb drohten. Dies möge für europäische Verhältnisse gelten. Bei karibischen Häfen sei dagegen die Gefahr eines Überfalles diesen eigen. Das Berufungsgericht habe auch zu Unrecht § 838 Nr. 2 RVO nicht entsprechend angewandt. Außerdem sei der Unfall auch gemäß § 838 Nr. 5 RVO ein Arbeitsunfall, denn der Zusammenhang mit dem Schiffsdienst sei bei der Hilfe für andere Besatzungsmitglieder gegeben. Die Einschränkung des Versicherungsschutzes nach § 550 RVO durch § 838 Nr. 2 und § 839 RVO sei verfassungswidrig. Schließlich habe das LSG zu Unrecht den Versicherungsschutz gemäß § 539 Abs. 1 Nr. 9 Buchst. a oder c RVO verneint. Zwar habe der Arbeitskollege keine Aussage darüber machen können, daß der Kläger ihm zur Hilfe gekommen sei. Der Kläger habe mit Schriftsatz vom 18. Oktober 1976 insbesondere auf den Seiten 4 bis 6 Einzelheiten vorgetragen und neue Beweisanträge gestellt, die das Berufungsgericht übersehen habe.
Wären diese Beweise erhoben worden, so hätte sich im Zusammenhang mit der ebenfalls antragswidrig unterbliebenen persönlichen Anhörung des Klägers das Bild ergeben, das dem Klagevortrag entspreche. Die Beschränkung des § 29 Abs. 2 AVG auf Versicherungsfälle seit dem 1. Januar 1973 sei verfassungswidrig (Verstoß gegen Art. 20 Abs. 1 und 28 Abs. 1 GG).
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil und die Urteile des SG Hamburg vom 18. Februar 1974 und 20. September 1976 sowie den Bescheid der Beklagten zu 1) vom 7. Juni 1973 und der Beklagten zu 2) vom 25. Februar 1975 aufzuheben,die Beklagte zu 1) zu verurteilen, dem Kläger vom 1. Juli 1972 an Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren,die Beklagte zu 2), hilfsweise an deren Stelle die Beigeladene zu verurteilen, dem Kläger wegen der Folgen seines am 13. März 1972 erlittenen Arbeitsunfalles Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren,hilfsweise, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagten beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beigeladene hat sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
II.
Der Senat hat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden (s. § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Die zulässige Revision ist nicht begründet.
Der Kläger rügt zu Unrecht eine unvorschriftsmäßige Besetzung des Berufungsgerichts. Nach der dienstlichen Äußerung des Vorsitzenden des 3. Senats des LSG fand die letzte Sitzung dieses Senats im Jahre 1976 am 16. Dezember statt. An dieser Sitzung nahmen der ehrenamtliche Richter K… und für die verhinderten ehrenamtlichen Richter S… und T… der ehrenamtliche Richter Sch… teil. Nach dem Zuteilungsplan der ehrenamtlichen Richter vom 13. Dezember 1976 für das Geschäftsjahr 1977 wurde die Reihenfolge der Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter fortgesetzt im Anschluß an den Zuteilungsplan vom 16. August 1976. Im Jahre 1977 war daher zu beginnen mit den ehrenamtlichen Richtern H… und M… Die erste Sitzung des 3. Senats mit diesen ehrenamtlichen Richtern fand am 13. Januar 1977 statt. Danach hielt der 3. Senat des LSG vor dem 1. Juni 1977 noch 10 weitere Sitzungen ab, so daß die Sitzungen am 11. Juni 1977 die 12. Sitzung im Jahre 1977 war. Nach dem Zuteilungsplan für ehrenamtliche Richter hatten an dieser Sitzung die ehrenamtlichen Richter D… und O… mitzuwirken. Der ehrenamtliche Richter O… war nach der dienstlichen Äußerung des Senatsvorsitzenden verhindert. An seiner Stelle hat der ehrenamtliche Richter B… an der Sitzung teilgenommen. Dieser ehrenamtliche Richter ist der im Zuteilungsplan als Vertreter des ehrenamtlichen Richters O… angeführte ehrenamtliche Richter P…. Nach einem Beschluß des Amtsgerichts Hamburg-Harburg vom 30. Dezember 1976 trägt dieser nunmehr den Familiennamen B…
Das LSG hat zutreffend entschieden, daß der Kläger keinen Anspruch auf Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung hat. Dabei hat das LSG nicht verkannt, daß auch die Körperverletzung anläßlich eines Überfalles bei der versicherten Tätigkeit ein Arbeitsunfall sein kann (s. BSGE 6, 164, 167; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. - 8. Aufl. S. 484w; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl. § 548 Anm. 60, 68; Podzun, Der Unfallsachbearbeiter , 3. Aufl., Kennzahl 121, S. 1 - jeweils mit weiteren Nachweisen). Der Kläger hat jedoch im Zeitpunkt des Überfalls nicht unter Versicherungsschutz gestanden.
Nach den von der Revision insoweit nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des LSG wurde der Kläger nicht bei einer versicherten Tätigkeit, sondern bei der Rückkehr von einem Landgang überfallen. Ein Versicherungsschutz nach § 548 Abs. 1 Satz 1 RVO scheidet deshalb aus.
Versicherungsschutz bestand auch nicht gemäß § 550 Abs. 1 RVO, weil diese Vorschrift nicht anwendbar ist, wenn sich - wie beim Kläger - Wohnung und Arbeitsstätte in einem Gebäude - hier einem Schiff - befinden. Außerdem besteht auch nach § 550 Abs. 1 RVO kein Versicherungsschutz auf Wegen nach der Arbeitsstätte, wenn es sich lediglich um den Rückweg von einer privaten Zwecken dienenden Verrichtung handelt (BSGE 1, 171, 173; 32, 38, 41; Brackmann a.a.O. S. 485s - mit weiteren Nachweisen). § 550 Abs. 1 RVO ist dagegen im Rahmen der See-Unfallversicherung u.a. anwendbar, wenn der Versicherte z.B. im Heimathafen außerhalb des Schiffes in seiner Wohnung wohnt und sich während der Liegezeit des Schiffes oder am Ende der Liegezeit zum Schiff begibt, um seiner versicherten Tätigkeit nachzugehen. Entgegen der Auffassung des Klägers und auch des LSG enthält somit § 838 Nr. 2 RVO keine Einschränkung, sondern eine Erweiterung des Versicherungsschutzes nach § 550 RVO, so daß es auf die vom Kläger aufgeworfenen Fragen der Verfassungswidrigkeit einer Einschränkung des Versicherungsschutzes nach § 550 RVO für Seeleute nicht ankommt.
Der Unfall des Klägers gilt auch nicht gemäß § 838 Nr. 2 RVO als Arbeitsunfall; denn der Unfall ist nicht durch die einem Hafen eigentümlichen Gefahren im Sinne dieser Vorschrift eingetreten. Schon der Gesetzeswortlaut spricht dafür, als einem Hafen eigentümliche Gefahren nur solche Gefahren anzusehen, die der Art nach grundsätzlich einem Hafenbetrieb eigentümlich sind. Diese Gefahren sind, wie auch die vom LSG angeführte Entstehungsgeschichte der Vorschrift bestätigt (vgl. BT-Drucks. IV/120, S. 75, zu § 835), die Gefahren, die dem Versicherten durch die Hafenanlagen, die Hafeneinrichtungen und die mit den Arbeiten im Hafen verbundenen Gefahren drohen (ebenso Lauterbach a.a.O. § 838 Anm. 10 Buchst. b; Bereiter-Hahn/Schieke, Unfallversicherung, 4. Aufl. § 838 Anm. 3 Buchst. a). Für diese Auslegung sind auch die übrigen in § 838 RVO getroffenen Regelungen anzuführen.
Ebenso scheidet ein Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 1 Nr. 9 Buchst. a RVO aus. Das LSG ist aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens zu der Überzeugung gelangt, es könne nicht feststellen, daß der Kläger bei der Hilfeleistung für den anderen Besatzungsangehörigen verwundet wurde. Die von der Revision hiergegen erhobenen Verfahrensrügen sind unbegründet. Ein wesentlicher Verfahrensmangel liegt nicht darin, daß das Berufungsgericht im Rahmen seiner freien richterlichen Beweiswürdigung anders als der Kläger aus den in den Schriftsätzen vom 15. Oktober 1976 (von der Revision mit dem Eingangsdatum beim LSG zitiert: 18. Oktober 1976) angeführten Umständen des Überfalles nicht geschlossen hat, der Kläger sei bei der Hilfeleistung für den Arbeitskollegen verunglückt. Das LSG hat seiner Beweiswürdigung auch die Angaben des Klägers zugrunde gelegt. Es hat in seinem Ermessen gestanden, den Kläger zu dessen Angaben persönlich zu hören. Unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles hat das Berufungsgericht dieses Ermessen nicht überschritten, so daß in dem Unterlassen der persönlichen Anhörung des Klägers kein wesentlicher Verfahrensmangel liegt. Inwieweit der Arbeitskollege des Klägers bei einer erneuten Vernehmung durch das LSG gegenüber seiner früheren richterlichen Vernehmung wesentlich neue Tatsachen bekunden sollte, hat die Revision nicht aufgezeigt. Ein wesentlicher Verfahrensmangel liegt demnach auch nicht darin, daß das LSG dem Antrag des Klägers auf erneute Vernehmung dieses Zeugen nicht gefolgt ist. Dies gilt schließlich auch für die Vernehmung des Notars R… und den Zeugen F…, dessen Vernehmung der Kläger entgegen seinen Ausführungen im Revisionsverfahren im Schriftsatz vom 15. Oktober 1976 nicht beantragt hat.
Aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des LSG scheidet auch ein Versicherungsschutz des Klägers gemäß § 838 Nr. 5 RVO aus, da nicht festgestellt ist, daß der Kläger bei der Rettung einer Person verunglückt ist. Zu der vom LSG in Übereinstimmung mit der in Rechtsprechung und Schrifttum dargelegten Auffassung, daß diese Vorschrift nur Rettungshandlungen im Zusammenhang mit dem Betrieb eines Schiffes erfaßt (s. LSG Schleswig, BG 1959, 77; Lauterbach a.a.O. § 838 Anm. 13 Buchst. b; Bereiter-Hahn/Schieke a.a.O. § 838 Anm. 5), nicht aber bei Rettungshandlungen während eines Landganges anwendbar ist (s. Bereiter-Hahn/Schieke a.a.O.), braucht der Senat daher nicht Stellung zu nehmen.
Das LSG hat demnach zu Recht entschieden, daß der Kläger weder gegen die Beklagte zu 2) noch gegen die Beigeladene Anspruch auf Entschädigungsleistungen aus der Unfallversicherung hat.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gegen die Beklagte zu 1); denn er hat die Wartezeit nicht erfüllt. Der Kläger hat auch unter Berücksichtigung seiner österreichischen Versicherungszeiten nur eine Versicherungszeit von insgesamt 56 Kalendermonaten zurückgelegt. Die Wartezeit gilt auch nicht nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AVG erfüllt. Der Kläger ist, wie bereits dargelegt, nicht aufgrund eines Arbeitsunfalles erwerbsunfähig geworden. § 29 Abs. 2 AVG ist, wie das Berufungsgericht ebenfalls zutreffend entschieden hat, auf Versicherungsfälle vor dem 1. Januar 1973 nicht anwendbar. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Beschränkung dieser Vorschrift auf Versicherungsfälle vor dem 1. Januar 1973 bestehen entgegen der Auffassung der Revision nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen