Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 31. August 1995 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die im Beitrittsgebiet lebende Klägerin war dreimal verheiratet: ihr erster Ehemann wurde 1944 als Soldat hingerichtet, die zweite, 1948 geschlossene Ehe, wurde 1953 für nichtig erklärt und die 1957 eingegangene dritte Ehe wurde 1958 geschieden. Nach der Wiedervereinigung beantragte die Klägerin Witwenversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Der Beklagte lehnte den Antrag ab, weil der Versorgungsanspruch nur nach Auflösung einer zweiten, nicht aber – wie hier – einer dritten Ehe wiederauflebe (Bescheid vom 21. Juni 1993; Widerspruchsbescheid vom 1. März 1994).
Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 15. September 1994). Die Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg (Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 31. August 1995).
Mit der Revision macht die Klägerin geltend, das LSG habe § 44 Abs 2 BVG verletzt. Eine für nichtig erklärte Ehe sei nicht als „neue Ehe” iS dieser Vorschrift anzusehen. Durch Nichtigerklärung werde eine solche Ehe rückwirkend beseitigt. Jedenfalls bis zur Einführung des § 44 Abs 2 BVG im Jahre 1956 habe dies auch im Versorgungsrecht gegolten. Die davon abweichende Wertung als „neue Ehe” durch das ab 1956 geltende Recht überschreite die Grenzen zulässiger Rückwirkung.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 31. August 1995 sowie das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 15. September 1994 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 21. Juni 1993 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. März 1994 zu verurteilen, der Klägerin ab Mai 1991 Witwenversorgung nach den §§ 38, 44 BVG zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angegriffene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Der Anspruch auf Witwenversorgung nach ihrem 1944 getöteten ersten Ehemann ist durch die 1957 geschlossene dritte Ehe endgültig erloschen.
Nach § 44 Abs 1 BVG erhält die versorgungsberechtigte Witwe bei Wiederheirat anstelle des Anspruchs auf Rente eine Abfindung. Der so erloschene Anspruch auf Witwenversorgung lebt wieder auf, wenn die neue Ehe aufgelöst oder für nichtig erklärt wird (§ 44 Abs 2 BVG). Das gilt allerdings nur für die erste nach dem Tod des versorgungsberechtigten Ehemannes geschlossene Ehe. Das LSG hat zu Recht entschieden, daß die Klägerin diese letztgenannte Voraussetzung nicht erfüllt, weil sie 1957 nach dem Tod ihres 1944 hingerichteten Ehemannes zum zweitenmal wieder geheiratet hat. Das LSG hat mit der bisher ergangenen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sämtliche Rechtsfragen zutreffend beantwortet.
1. Die Auslegung des § 44 Abs 2 BVG dahin, daß als „neue Ehe” nur die durch erste Wiederheirat begründete Ehe gilt, ist in Rechtsprechung (zuletzt: BSG SozR 3-3100 § 44 Nr 3) und Literatur (Förster in Wilke, Soziales Entschädigungsrecht, 7. Aufl 1992, § 44 BVG Rz 3; Rohr/Sträßer, Bundesversorgungsrecht mit Verfahrensrecht, Stand 1990, § 44 BVG Anm 4 und 8) unumstritten (vgl auch Nr 4 der Verwaltungsvorschrift zu § 44 BVG).
2. Die Gleichstellung einer für nichtig erklärten mit einer aus anderen Gründen (Tod, Aufhebung, Scheidung) aufgelösten – neuen – Ehe ist in § 44 Abs 2 BVG angeordnet. Auch diese Frage hat die Rechtsprechung bereits vor langer Zeit geklärt (BSG SozR BVG § 44 Nr 19 und BSG, Urteil vom 27. März 1974 – 10 RV 215/73 – KOV 1975, 28). Die Literatur folgt dem (Förster, aaO Rz 3; Rohr/Sträßer, aaO Anm 8 unter Hinweis auf das Rundschreiben des BMA vom 21. Mai 1970, BVBl 1970, 51).
3. Verfassungsrechtlich unproblematisch ist die rückwirkend geänderte Behandlung nichtiger Ehen im Versorgungsrecht mit Inkrafttreten des Fünften Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des BVG vom 6. Juni 1956 (BGBl I 463). Wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, konnte mit Einführung der Wiederauflebensregelung keine Schlechterstellung von Witwen eintreten, deren Ehen nach – erster – Wiederheirat für nichtig erklärt worden waren. Das vor 1956 geltende Recht traf keine besondere Regelung für diese Fälle. Legt man deshalb bis 1956 die Rechtsprechung des Reichsversorgungsgerichts zu § 39 Reichsversorgungsgesetz zugrunde (wie § 44 BVG idF vom 20. Dezember 1950 ≪BGBl I 791≫: Wegfall der Witwenrente bei Wiederheirat gegen Abfindung), so verlor eine Witwe den Anspruch auf Hinterbliebenenrente nicht, wenn sie eine zweite Ehe einging und diese infolge Anfechtung später für nichtig erklärt wurde. Die Witwe wurde nach dieser Rechtsprechung (RVGE 4, 254) – anknüpfend an die Wirkungen der Nichtigerklärung im bürgerlichen Recht – so behandelt, als hätte sie die neue Ehe überhaupt nicht geschlossen.
Durch die mit Rückwirkung (vgl § 44 Abs 8 BVG idF vom 6. Juni 1956) eingeführte Wiederauflebensregelung in § 44 Abs 2 BVG wurde daran im Hinblick auf einen endgültigen Verlust des Versorgungsanspruchs bei Eingehen einer weiteren Ehe im Anschluß an die für nichtig erklärte Eheschließung nichts geändert. Nach der vor 1956 geltenden Regelung wäre der Verlust endgültig gewesen, weil das Gesetz seinerzeit kein Wiederaufleben der Witwenrente kannte. Nach der ab 1956 geltenden Regelung war der Verlust endgültig, weil die Witwenrente nur nach der (ersten) neuen Ehe wiederaufleben konnte.
Verfassungsrechtliche Bedenken könnten lediglich für den Fall bestehen, daß vor 1956 sowohl die zweite als auch die dritte Ehe für nichtig erklärt worden waren. Nach altem Recht hätte dann wieder Anspruch auf Witwenrente bestanden, nach neuem Recht wäre der Anspruch mit Eingehen der zweiten (nichtigen) Ehe endgültig erloschen. Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor.
4. Der Hinweis der Klägerin auf Besonderheiten des Beitrittsgebiets rechtfertigt keine ihr günstige Entscheidung. In BSG SozR 3-3100 § 44 Nr 3 hat der Senat dieses Problem erörtert und seine Rechtsprechung zu § 44 Abs 2 BVG beibehalten, weil sie durch die Partner des Einigungsvertrages für das Beitrittsgebiet bestätigt worden ist. Die Parallelbestimmungen des Rentenversicherungsrechts (vgl §§ 46 Abs 3, 243 Abs 5 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch ≪SGB VI≫) sind uneingeschränkt auf das Beitrittsgebiet übertragen worden. Daraus ist zu folgern, daß auch § 44 Abs 2 BVG im Beitrittsgebiet uneingeschränkt gelten soll; denn die Frage des einmaligen oder wiederholten Auflebens von Witwenversorgung ist immer in einer Gesamtschau für das Versorgungsrecht und das Sozialversicherungsrecht entschieden worden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1174948 |
SozSi 1998, 78 |