Leitsatz (amtlich)

Für die Neuberechnung einer Rente nach ArVNG Art 2 § 38 Abs 3 letzter Satz (= AnVNG Art 2 § 37 Abs 3) ist die Erfüllung der großen Wartezeit von 180 Monaten nicht erforderlich.

Bei dieser Neuberechnung sind Zeiten des Bezuges einer Rente von ihrem Beginn bis zur Vollendung des 55. Lebensjahres als Ausfallzeit nach RVO § 1259 Abs 1 Nr 5, Abs 2 - 4 (= AVG § 36) anzurechnen, obwohl die neuberechnete Rente sich unmittelbar an die umgestellte (ArVNG Art 2 § 31) anschließt.

Die Anrechnung einer Zurechnungszeit ist ausgeschlossen.

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Berechnung der Zurechnungszeit richtet sich nicht nach dem Eintritt des Versicherungsfalles sondern ausschließlich nach dem Rentenbeginn. Das gilt auch für eine "Neuberechnung" nach AnVNG Art 2 § 37 Abs 3 S 2, bei der allein nach AVG § 31 Abs 1 zu verfahren ist.

 

Normenkette

ArVNG Art. 2 § 38 Abs. 3 Fassung: 1957-02-23; AnVNG Art. 2 § 37 Abs. 3 S. 2 Fassung: 1957-02-23; ArVNG Art. 2 § 31 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; AnVNG Art. 2 § 30 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1259 Abs. 1 Nr. 5 Fassung: 1957-02-23, Abs. 2 Fassung: 1957-02-23, Abs. 3 Fassung: 1957-02-23, Abs. 4 Fassung: 1957-02-23; AVG § 36 Abs. 1 Nr. 5 Fassung: 1957-02-23, Abs. 2 Fassung: 1957-02-23, Abs. 3 Fassung: 1957-02-23, Abs. 4 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1254 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; AVG § 31 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Hessischen Landessozialgerichts vom 11. März 1965 und des Sozialgerichts Gießen vom 8. Juli 1964 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Der ... 1898 geborene Kläger, der von Beruf Kaufmann ist, beantragte am 15. Juni 1924 ua wegen hochgradiger Schwerhörigkeit Gewährung von Ruhegeld wegen Berufsunfähigkeit aus der Angestelltenversicherung (AnV). Sein Antrag wurde abgelehnt man sah ihn zwar seit Oktober 1923 als berufsunfähig im damaligen Sinne an, die gesetzliche Wartezeit für die begehrte Leistung war jedoch nicht erfüllt (§ 53 AVG idF der Bekanntmachung vom 28. Mai 1924, RGBl I 563).

Aufgrund eines zweiten Antrages vom 20. Januar 1927 bewilligte die Reichsversicherungsanstalt für Angestellte durch Bescheid vom 20. September 1927 Ruhegeld vom 1. September 1927 an. Sie hatte dem Kläger inzwischen nach § 397 AVG damaliger Fassung "zur Vermeidung unbilliger Härten" gestattet, die zur Erfüllung der Wartezeit erforderlichen Beiträge noch nach Eintritt des Versicherungsfalles zu entrichten, wobei sie von ihm für Februar 1924 bis Januar 1925 entrichtete, jedoch nach § 188 AVG aF ungültige Beiträge auf die Zeit bis einschließlich August 1927 verrechnete, so daß die Rente ab 1. September 1927 gezahlt werden konnte.

Mit Wirkung vom 1. Januar 1957 wurde die Rente von der Beklagten nach Art. 2 § 31 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - AnVNG - vom 23. Februar 1957 umgestellt.

Am 21. Januar 1963 beantragte der Kläger, der inzwischen weitere Versicherungszeiten zurückgelegt hat und für den in der Zeit nach dem 1. Januar 1957 noch für mehr als 12 Monate Pflichtbeiträge zur AnV geleistet worden sind, die "Umwandlung" seiner Rente in ein Altersruhegeld. Mit Bescheid vom 21. Mai 1963 bewilligte die Beklagte ihm Altersruhegeld in Höhe von 363,90 DM vom 1. März 1963 an. Dabei hatte sie die Rente gemäß Art. 2 § 37 Abs. 3 Satz 2 AnVNG nach neuem Recht neu berechnet und die gesamte Zeit vom September 1927 bis März 1953 (Vollendung des 55. Lebensjahres) mit 307 Monaten als Zurechnungszeit nach § 37 AVG angerechnet. Mit Bescheid vom 10. April 1964 wurden noch weitere 9 Monate Inflationsbeiträge angerechnet; die monatliche Rente betrug damit nunmehr 387,20 DM.

Gegen den Bescheid vom 21. Mai 1963 hatte der Kläger Klage erhoben. Damit wurde auch der Bescheid vom 10. April 1964 nach § 96 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG - Gegenstand des anhängigen Verfahrens.

Der Kläger begehrt ein höheres Altersruhegeld. Nach seiner Auffassung ist die in den Altersruhegeldbescheiden berücksichtigte Zurechnungszeit zu niedrig. Die Beklagte habe als Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles den 1. September 1927 zugrunde gelegt. Das sei aber der Rentenbeginn, der Versicherungsfall sei bereits am 1. Oktober 1923 eingetreten. Die Beklagte müsse daher nach dem klaren Wortlaut des § 37 AVG auf diesen Tag zurückgehen, abzüglich der während der Zurechnungszeit geleisteten Pflichtbeiträge.

Durch Urteil vom 8. Juli 1964 verurteilte das Sozialgericht (SG) Gießen die Beklagte unter Abänderung ihrer Bescheide vom 21. Mai 1963 und 10. April 1964, dem Kläger Altersruhegeld unter Berücksichtigung einer Zurechnungszeit gemäß § 37 AVG ab 1. Oktober 1923 abzüglich der während der Zurechnungszeit entrichteten Pflichtbeiträge zu zahlen. In den Entscheidungsgründen führte das SG aus, gemäß Art. 2 § 37 Abs. 3 Satz 2 AnVNG (bisheriger Fassung) i.V.m. § 37 AVG sei als Zurechnungszeit bei der Ermittlung der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre die Zeit zwischen dem Eintritt des Versicherungsfalles und der Vollendung des 55. Lebensjahres den zurückgelegten Versicherungs- und Ausfallzeiten hinzuzurechnen. Der Versicherungsfall sei bei dem Kläger am 1. Oktober 1923 eingetreten. Daß hier ausnahmsweise der Versicherungsfall und der Rentenbeginn zeitlich auseinanderfielen, sei unerheblich, da § 37 AVG klar und eindeutig auf den Eintritt des Versicherungsfalles abstelle. Neben den Beiträgen, die während der Zurechnungszeit geleistet worden seien, könne diese allerdings nicht nochmals mitverwertet werden, da sonst gleiche Zeiten zweimal angerechnet würden (vgl. § 35 AVG); der Klageantrag habe dem jedoch bereits Rechnung getragen. Unerheblich sei, ob bei der Umstellung der Rente für Bezugszeiten ab 1. Januar 1957 mit Bescheid vom 13. Juni 1958 die Zurechnungszeit im Umstellungsfaktor Berücksichtigung gefunden habe. Selbst wenn man die dahingehenden Behauptungen der Beklagten als richtig unterstelle, habe zwar bei der Umstellung nur die Zeit ab 1. September 1927 in Ansatz gebracht werden können, da die Tabelle nur das Geburtsjahr und das Jahr des Beginns der Rente kenne, nicht aber das Jahr des Versicherungsfalles. Jetzt müsse jedoch § 37 AVG bei der Neuberechnung des Altersruhegeldes unmittelbar zum Zuge kommen. Die Beklagte könne weder aus der Bestimmung des § 37 AVG noch aus dem Umstellungsrecht für sich beanspruchen, daß die einmal gewährte Zurechnungszeit erhalten bleibe und nicht zu Gunsten des Klägers erweitert werde.

Die hiergegen von der Beklagten eingelegte Berufung hat das Hessische Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 11. März 1965 zurückgewiesen. Zur Erläuterung der damit bestätigten Urteilsformel des SG führt das LSG in den Entscheidungsgründen aus, in der Zeit vom 1. Oktober 1923 bis 16. März 1953 seien für den Kläger 9 Monatsbeiträge zur AnV und 60 Wochenbeiträge zur Arbeiterrentenversicherung nachgewiesen, die, auf Monatsbeiträge umgerechnet, 14 Monate ergäben. Diese 23 Monate verlegten den Zeitpunkt des Beginns der anzurechnenden Zurechnungszeit auf den 1. September 1925. In der Sache ist somit die Beklagte verurteilt worden, das Altersruhegeld neu zu berechnen unter Zugrundelegung einer Zurechnungszeit von insgesamt 331 Monaten (307 bereits bisher angerechnete Monate zuzüglich 24 Monate für die Zeit vom 1. September 1925 bis 31. August 1927).

Zur Begründung dieses Ergebnisses führt das LSG aus, der Auffassung der Beklagten, daß die Zurechnungszeiten neuen Rechts zwangsläufig durch die Beziehung des Umstellungsfaktors zum Rentenbeginn begrenzt seien, könne der Senat ebenfalls nicht folgen. In § 37 AVG sei im übrigen ausdrücklich auf den Eintritt des Versicherungsfalles abgestellt. Diese Vorschrift gelte ferner auch für den Versicherungsfall des Alters, obwohl er nicht unmittelbar angesprochen sei. Die Zurechnungszeit des Klägers sei daher bei Eintritt des Versicherungsfalles des Alters zu erweitern.

Das LSG hat in seinem Urteil die Revision zugelassen. Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel aus den Gründen ihres Schriftsatzes vom 16. Juli 1965 eingelegt mit dem Antrage,

das angefochtene Urteil und das Urteil des SG Gießen vom 8. Juli 1964 aufzuheben und die Klage gegen ihre Bescheide vom 21. Mai 1963 und 10. April 1964 abzuweisen.

Der Kläger bittet um Zurückweisung der Revision, da das angefochtene Urteil richtig sei.

Das zulässige Rechtsmittel ist begründet.

Auf die Revision der Beklagten müssen die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben und die Klage abgewiesen werden, wenn auch aus anderen Gründen als den bisher vorgetragenen.

Nach Art. 2 § 37 Abs. 3 Satz 2 AnVNG in der vor Inkrafttreten des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes (RVÄndG) vom 9. Juni 1965 geltenden Fassung war die nach Art. 2 § 31 AnVNG umgestellte und als Rente wegen Erwerbsunfähigkeit geltende Rente des Klägers nicht auf fünfzehn Dreizehntel zu erhöhen (Satz 1), sondern nach der neuen Rentenformel (§§ 31 bis 39 AVG) "neu zu berechnen".

Durch diese Vorschrift sollen Versicherte wie der Kläger, die unter der Herrschaft des neuen Rechts mehr als 12 Beitragsmonate erworben haben, eine Rente nach der neuen Rentenformel erhalten, wenn sie für sie günstiger ist als die nach altem Recht errechnete, nach den Übergangsvorschriften umgestellte und auf fünfzehn Dreizehntel ihres monatlichen Zahlbetrags erhöhte Rente (Art. 2 § 37 Abs. 3 Satz 2 letzter Halbsatz AnVNG).

Art. 2 § 37 Abs. 3 Satz 2 AnVNG sagt zwar nicht ausdrücklich, welche der dort angeführten Vorschriften des AVG (§§ 31-39) bei der "Neuberechnung" anzuwenden sind und welche nicht. Daß sie nicht alle angewendet werden können, ergibt sich aber schon daraus, daß die §§ 33, 34 AVG sich gar nicht auf die Rentenberechnung im einzelnen Falle beziehen. Im Rahmen des Art. 2 § 37 Abs. 3 Satz 2 AnVNG kann aber auch § 31 Abs. 2 AVG in der hier noch maßgebenden Fassung des AnVNG vom 23. Februar 1957 nicht angewendet werden. Er setzt nämlich voraus, daß der Rentner Empfänger einer nach neuem Recht berechneten Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit ist, die in ein Altersruhegeld nach neuem Recht umzuwandeln ist. Schon diese Voraussetzung ist in den Fällen des Art. 2 § 37 Abs. 3 Satz 2 AnVNG nicht gegeben; die bisherige Rente des Klägers ist nämlich nach der alten Rentenformel errechnet. Außerdem schreibt § 31 Abs. 2 Satz 1 AVG vor, daß die Wartezeit für das Altersruhegeld erfüllt sein muß, eine Forderung, die Art. 2 § 37 Abs. 2 AnVNG jedoch nicht stellt, denn er verweist nur auf die Berechnungsvorschriften des neuen Rechts, nicht aber auf die Vorschriften über die Wartezeit (§ 25 Abs. 4 AVG; BSG 22, 27, 30). Schließlich ist aber auch § 31 Abs. 2 Satz 3 AVG nicht anwendbar, weil Art. 2 § 37 Abs. 3 Satz 2 letzter Halbsatz AnVNG eine selbständige Vorschrift über die Mindesthöhe des Altersruhegeldes enthält. Bei der "Neuberechnung" nach Art. 2 § 37 Abs. 3 Satz 2 AnVNG war daher nicht § 31 Abs. 2 AVG anzuwenden, sondern allein § 31 Abs. 1 AVG, d.h. es war so zu verfahren, als ob der Kläger bei Vollendung seines 65. Lebensjahres keine Rente bezogen hätte.

Daraus ergibt sich, daß seine persönliche Bemessungsgrundlage nach § 32 AVG zu bestimmen und die Zahl der anrechenbaren Versicherungsjahre nach den §§ 35, 36 AVG zu ermitteln war. Der für die Rentenberechnung maßgebende Versicherungsfall - die Vollendung des 65. Lebensjahres - schloß dagegen die Anwendung des § 37 AVG aus, weil das 55. Lebensjahr zehn Jahre früher vollendet worden ist (BSG 22, 142, 143). Damit war allein § 36 AVG maßgebend, und zwar dessen Abs. 1 Nr. 5 AVG. Danach sind ua Ausfallzeiten Zeiten des Bezuges einer Rente, die mit einer angerechneten Zurechnungszeit (§ 37) zusammenfallen, wenn nach Wegfall der Rente erneut Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit oder wenn Altersruhegeld oder Hinterbliebenenrente zu gewähren ist. Einmal ist dem Erfordernis genügt gewesen, daß die Rentenbezugszeit mit einer angerechneten Zurechnungszeit (§ 37 AVG) zusammenfallen muß. Denn der Kläger hatte seit dem 1. Januar 1957 eine nach Art. 2 § 31 AnVNG umgestellte Rente bezogen, und hierbei war, wie auch § 4 der VO über die Anwendung der Ruhensvorschriften der RVO und des AVG auf umzustellende Renten der Rentenversicherungen der Arbeiter und Angestellten vom 9. Juli 1957 (BGBl I 704) bestätigt, in die Faktoren der Tabelle bei Versicherten, deren Versicherungsfall (Rentenbeginn) vor dem 55. Lebensjahr lag, ein Wert für eine Zurechnungszeit mit eingebaut (s. ferner VerbKomm. § 1259 RVO Note 23).

Weiter war aber auch nach Ansicht des Senats die Voraussetzung erfüllt, daß nach Wegfall der bisherigen Rente erneut eine andere zu gewähren ist, obwohl an sich zwischen dem Wegfall der als Rente wegen Erwerbsunfähigkeit geltenden alten Rente und dem Beginn des nach der neuen Rentenformel zu errechnenden Altersruhegeldes kein Zeitraum lag, in dem der Kläger keine Rente bezogen hat. Auf andere Weise ist nämlich kein sinnvoller, dem Zweck des Art. 2 § 37 Abs. 3 Satz 2 AnVNG entsprechender Übergang von der nach der alten Rentenformel berechneten, nach Art. 2 § 31 AnVNG umgestellten Rente auf das nach der neuen Rentenformel zu berechnende Altersruhegeld möglich.

Die Ausfallzeit des § 37 Abs. 1 Nr. 5 AVG ist allerdings nur dann anrechenbar, wenn auch die Voraussetzungen des § 37 Abs. 3 AVG erfüllt sind. Hier hätte zweifelhaft sein können, ob der Kläger diesen Voraussetzungen schon nach der vor dem 1. Juli 1965 geltenden Fassung dieser Vorschrift genügte oder erst der durch das Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetz geänderten (RVÄndG Art. 5 §§ 4 und 6 i.V.m. Art. 1 § 2 Nr. 19 g). Hierauf braucht indes nicht näher eingegangen zu werden. Der Kläger kann nach den obigen Ausführungen jedenfalls nur die Anrechnung von Ausfallzeiten und dies allenfalls für die Zeit vom Rentenbeginn (also vom 1. September 1927) bis zum Monat der Vollendung seines 55. Lebensjahres (März 1953) verlangen. Das aber hat die Beklagte im Ergebnis getan, indem sie diese Zeit als Zurechnungszeit gutgebracht hat, was im Ergebnis indes ohne praktische Bedeutung ist. Insoweit sind jedoch weder die Vorentscheidungen noch die Bescheide der Beklagten angefochten.

Damit konnte und mußte sich der Senat darauf beschränken, unter Aufhebung der Vorentscheidungen die Klage des Klägers gegen die Bescheide vom 21. Mai 1963 und 10. April 1964 als unbegründet abzuweisen, da der Kläger eine höhere Rente, als ihm bisher zugebilligt worden ist, nicht verlangen kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 247

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