Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeld. Höhe. Verfassungswidrigkeit. Richtervorlage. Dritte. Steuerfreiheit. Existenzminimum. Zinsen. Steuersatz. marginaler Steuersatz. Grenzsteuersatz. Verzinsung
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Gesetz ist nicht bereits dann nach Art. 100 GG dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen, wenn es sich auf bestimmte Betroffene verfassungswidrig auswirkt (hier: zu niedriges Kindergeld bei höheren Steuersätzen), sondern nur, wenn auch der Kläger hierzu zählt.
2. Das zusätzliche Kindergeld nach § 44e BKGG ist nicht erst ab dem Inkrafttreten dieser Neuregelung, sondern bereits ab dem ursprünglichen Leistungszeitraum (1983 bis 1985) zu verzinsen.
Normenkette
BKGG §§ 10, 44e; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1, Art. 100 Abs. 1; SGB I § 44; StÄndG 1991; StÄndG 1992
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 25.03.1994; Aktenzeichen L 6 Kg 4/93) |
SG Trier (Entscheidung vom 10.03.1993; Aktenzeichen S 5 Kg 10/92) |
Tenor
1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 25. März 1994 hinsichtlich des vom Kläger geltend gemachten Zinsanspruchs aufgehoben; insoweit wird der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
2. Im übrigen wird die Revision des Klägers zurückgewiesen.
3. Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.
Tatbestand
I
Der Kläger begehrt ein höheres Kindergeld für die Zeit von Januar bis Juli 1983 sowie die Verzinsung der Nachzahlung nach § 44e Bundeskindergeldgesetz (BKGG).
Das beklagte Land hatte mit Kindergeld-Abrechnungsbescheid vom 17. August 1983 das Kindergeld für die drei Kinder des Klägers ab Januar 1983 neu festgestellt, für das zweite und dritte Kind lediglich in Höhe der Sockelbeträge (in den Monaten Januar bis August 1983 in Höhe von DM 800,– überzahltes Kindergeld sollte von den laufenden Bezügen einbehalten werden). Das Widerspruchsverfahren wurde bis zur verfassungsgerichtlichen Überprüfung der einkommensabhängigen Minderung des Kindergeldes zurückgestellt. Das dritte Kind des Klägers war kindergeldrechtlich bis einschließlich Juli 1983 zu berücksichtigen.
Nach Verkündung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 29. Mai 1990 (BVerfGE 82, 60) und nach Verabschiedung des Steueränderungsgesetzes (StÄndG) 1991 mit Einfügung des § 44e BKGG beantragte der Kläger die Zahlung des ausstehenden Kindergeldes für die Jahre 1983 bis 1985 in Höhe von DM 1.080,–. Nachdem er die Bescheinigung des Finanzamts vom 25. Juli 1991 vorgelegt hatte, daß ihm wegen Bestandskraft der Steuerveranlagungen für die Jahre 1983 bis 1985 keine Kinderfreibeträge nach § 32 Abs. 8 in der Fassung des § 54 Abs. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) 1991 zuständen, bewilligte das beklagte Land mit Bescheid vom 8. Januar 1991 für die Zeit von 1983 bis 1985 eine entsprechende Nachzahlung; eine Verzinsung für Zeiten vor dem Inkrafttreten des StÄndG 1991 komme nicht in Betracht. Der Bescheid vom 8. Oktober 1991 bewilligte dem Kläger Zinsen auf die Nachzahlung des Kindergeldes für die Kalenderjahre 1983 bis 1985 für die Monate August und September 1991 in Höhe von insgesamt DM 7,20. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies das beklagte Land mit Widerspruchsbescheid vom 29. Januar 1992 zurück.
Nach Inkrafttreten des StÄndG 1992 gewährte das beklagte Land mit Bescheid vom 15. April 1992 (und Widerspruchsbescheid vom 8. Mai 1992) für die Zeit von Januar bis Juli 1983 für das dritte Kind des Klägers monatlich DM 200,– an Kindergeld, was zu einem Nachzahlungsbetrag in Höhe von DM 420,– führte. Eine Verzinsung der Nachzahlung lehnte das beklagte Land ab, weil erst mit Inkrafttreten der Neuregelung am 25. Februar 1992 die Nachzahlung für das Drittkindergeld fällig geworden sei.
Das Sozialgericht (SG) hat die Verfahren über die Klagen vom 2. Februar 1992 und 1. Juni 1992 verbunden, mit Urteil vom 10. März 1993 die Klagen abgewiesen und die Berufung zugelassen. Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 25. März 1994 die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Er habe weder Anspruch auf Zahlung eines höheren Kindergeldes für das dritte Kind in der Zeit von Januar bis Juli 1983 noch einen weitergehenden Anspruch auf Verzinsung. Dem Kläger stehe lediglich der Sockelbetrag nach § 44e Abs. 2 BKGG für das dritte Kind zu, da sein maßgebliches Jahreseinkommen den Freibetrag nach § 10 Abs. 2 Satz 3 BKGG (DM 41.320,– für verheiratete Berechtigte mit drei Kindern) um über DM 480,– übersteige. Diese Regelung sei auch nicht verfassungswidrig. Bei einem Grenzsteuersatz von 40 bzw 30 vH ergebe sich in der streitigen Zeit ein fiktiver Steuerfreibetrag (zusammengesetzt aus dem – umgerechneten – Kindergeld für drei Kinder und den Steuerfreibetrag in Höhe von DM 432,–) in Höhe von DM 327,66 bzw DM 421,–/Monat. Mit diesen Beträgen aber sei – jedenfalls bei der gebotenen Beschränkung auf eine Evidenzkontrolle – das Existenzminimum für Kinder erreicht bzw überschritten. Das BVerfG sei in seinem Beschluß vom 29. Mai 1990 für 1982 von Gesamtleistungen der Sozialhilfe in Höhe von monatlich durchschnittlich DM 318,– für ein Kind ausgegangen, woraus sich für das Jahr 1983 unter Berücksichtigung der Steigerung der Lebenshaltungskosten ein durchschnittlicher monatlicher Sozialhilfeaufwand für ein Kind in Höhe von DM 328,50 errechne. Da der individuelle Steuersatz des Klägers noch unter einem Grenzsteuersatz von 30 vH gelegen habe, sei das Existenzminimum seiner Kinder auch im Jahr 1983 steuerfrei gewesen. Unerheblich sei, daß unter Berücksichtigung anderer Berechnungsmethoden für das Existenzminimum die entsprechenden Werte den im Falle des Klägers errechneten Freibetrag überstiegen. Das BVerfG selbst habe bei der Berechnung des Existenzminimums den Leistungen der Sozialhilfe entscheidende Bedeutung beigemessen; deshalb sei es dem Gesetzgeber im Rahmen seines Gestaltungsspielraums gestattet gewesen, einen anhand der Sozialhilfeleistungen errechneten Durchschnittsbetrag zugrunde zu legen, auch wenn andere Lösungsansätze realitätsnäher und wünschenswerter gewesen wären. Ein weitergehender Zinsanspruch stehe dem Kläger nicht zu. Sein Anspruch auf ein höheres Kindergeld sei erst mit dem Inkrafttreten der StÄndG 1991 und 1992 entstanden und fällig geworden. Das BVerfG habe in seinem Beschluß vom 29. Mai 1990 § 10 Abs. 2 BKGG nicht für nichtig, sondern nur für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt. Der Gesetzgeber hätte den verfassungsrechtlichen Anforderungen zB auch durch eine Änderung der Kinderfreibeträge für die Jahre 1983 bis 1985 nachkommen können.
Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers. Er rügt die Verletzung der §§ 10 und 11 BKGG in der im Jahre 1983 geltenden Fassung sowie von § 44e BKGG iVm Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Grundgesetz (GG). Kinderfreibeträge von DM 36,– pro Kind und Monat und das für drei Kinder gezahlte Kindergeld von DM 350,–/Monat ergäben nach Auffassung des Gesetzgebers einen Steuerfreibetrag in Höhe von DM 327,67 pro Kind und Monat. Stelle man diesen Wert dem von LSG errechneten Sozialhilfeaufwand von DM 328,50 gegenüber, sei die Bilanz bereits negativ. Der individuelle Steuersatz habe insoweit außer Ansatz zu bleiben. Außerdem müsse berücksichtigt werden, daß einem Sozialhilfeempfänger für sein Kind im Jahre 1983 mehr als DM 328,50/Monat zur Verfügung gestanden hätten. Außer dem hiervon umfaßten Regelsatz plus anteiliger Miete kämen ihm vielfältige weitere Leistungen zugute, insbesondere einmalige Beihilfen, Mehrbedarfssätze aus verschiedensten Gründen, freie Heilbehandlung und weitere Vergünstigungen. Schon im Jahre 1983 seien daher pro Kind und Monat über DM 500,– anzusetzen gewesen. Schließlich liege eine Verletzung des § 44 des Ersten Buchs – Sozialgesetzbuch – (SGB I) iVm Art. 3 und 6 GG darin, daß ihm die Verzinsung ab 1983 verweigert werde, obwohl damals ein vollständiger Leistungsantrag vorgelegen habe. Bei richtiger Auslegung der Verfassung hätten die Leistungen in den Jahren 1983 bis 1985 gewährt werden müssen. Schon vor dem erneuten Tätigwerden des Gesetzgebers habe ein höherer Anspruch auf Kindergeld oder ein gleichwertiger anderer Anspruch bestanden.
Der Kläger beantragt,
1) das beklagte Land zu verurteilen, ihm für das Kind I. (in der Zeit vom 01.01.1983 bis zum 31.07.1983 3. Kind im Sinne des BKGG) für die Zeit vom 01.01.1983 bis zum 31.07.1983 weitere 20,00 DM monatlich an Kindergeld zu zahlen,
2) die in dem Zeitraum vom 01.01.1983 bis zum 31.07.1983 fällig gewordenen höheren Drittkindergeldbeträge für das Kind I. in Höhe von 80,00 DM monatlich bis zum 31.03.1992 und ab dem 01.04.1992 in Höhe von 20,00 DM monatlich weiter bis zum Monat vor der Zahlung mit 4% p.a. zu verzinsen,
3) die in dem Zeitraum vom 01.01.1983 bis zum 31.12.1985 gezahlten höheren Zweitkindergeldbeträge (bis 31.07.1983 für das Kind P. -P., ab 01.08.1983 für das Kind I.) von monatlich 30,00 DM bis zum 31.07.1991 nach § 44 SGB I mit 4% p.a. zu verzinsen,
4) die den obigen Anträgen entgegenstehenden Entscheidungen aufzuheben.
Das beklagte Land beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision des Klägers ist teilweise begründet.
Die Höhe seines Kindergeldes für die Monate Januar bis Juli 1983 – in der durch § 44e BKGG nachgebesserten Höhe – läßt sich aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht beanstanden (1). Hingegen stehen dem Kläger die begehrten Zinsen nach § 44 SGB I zu; zur Ermittlung der Zinsbeginndaten ist der Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen (2).
(Zu 1) Der Kläger hat – aufgrund des ihm im Jahre 1983 gewährten Kindergeldes iVm den Nachzahlungen der Jahre 1991 und 1992 nach § 44e Abs. 1 idF des StÄndG 1991 vom 24. Juni 1991 (BGBl I 1322) bzw § 44e Abs. 2 idF des StÄndG 1992 vom 25. Februar 1992 (BGBl I 297) – für seine drei Kinder insgesamt DM 350,–/Monat an Kindergeld für Januar bis Juli 1983 erhalten; daneben wurde ihm im Jahre 1983 ein Steuerfreibetrag in Höhe von DM 432.– pro Kind gewährt. Der Zeitraum ab August 1983 ist nicht streitbefangen; beim Kläger waren nur bis Juli 1983 drei Kinder kindergeldrechtlich zu berücksichtigen.
Die Höhe des Kindergeldes hat aufgrund Verfassungsrechts (Art. 3 Abs. 1 iVm Art. 6 Abs. 1 GG) zu gewährleisten, daß das Existenzminimum für die Kinder steuerfrei ist (BVerfG vom 29. Mai 1990, BVerfGE 82, 60; BVerfGE vom 14. Juni 1994 – 1 BvR 1022/88 –, vollständig abgedruckt in EuGRZ 1994, 579). Ob die für 1983 geltenden Kindergeldsätze bei Familien mit zwei Kindern den genannten verfassungsrechtlichen Maßstäben entsprachen, kann im vorliegenden Verfahren dahingestellt bleiben; der Kläger begehrt insoweit höheres Kindergeld lediglich für einen Zeitraum, in dem bei ihm Kindergeld für drei Kinder zustand.
Unter Berücksichtigung der Nachzahlungen nach § 44e Abs. 1 und 2 BKGG betrug für das Jahr 1983 der – auch an den Kläger für den streitigen Zeitraum ausgezahlte – Sockelbetrag an Kindergeld für drei Kinder DM 350,–/Monat, also DM 4.200,–/Jahr, das sind für jedes Kind DM 1.400,–. Hinzu kommt der nach damaligem Recht gewährte steuerliche Kinderfreibetrag in Höhe von DM 432,– je Kind (§ 32 Abs. 6 Satz 2 EStG idF des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 vom 20. Dezember 1982 – BGBl I 1857).
Bereits im Berufungsurteil ist das Kindergeld in fiktive Steuerfreibeträge bei einem Grenzsteuersatz von 40 vH (fiktiver Steuerfreibetrag in Höhe von DM 3.500,–) und bei einem Grenzsteuersatz von 30 vH (fiktiver Steuerfreibetrag in Höhe von DM 4.620,–) umgerechnet worden; unter Berücksichtigung des steuerlichen Kinderfreibetrags ergeben sich Werte von DM 3.932,– (Steuersatz 40 vH) sowie DM 5.052,– (Steuersatz 30 vH). Auf der Grundtage der individuellen Werte des Klägers (1983: zu versteuerndes Einkommen: DM 61.337,–, Steuerschuld; DM 13.552,– nach der Einkommensteuer-Splittingtabelle ≪ Steuerbescheid 1983, auf den das LSG – Bl 9 seines Urteils – verweist≫ Steuersatz also 22,1 vH; Grenzsteuersatz ≪ errechnet nach der Tabelle BGBl 1980 I 1388, 1412 aus der Differenz der Steuerstufen lfd Nrn 489 und 490 ≫ 37,0 vH) ergibt sich ein fiktiver Steuerfreibetrag von DM 3.783,78, zuzüglich des steuerlichen Kinderfreibetrags also DM 4.215,78. Umgerechnet auf Monatswerte folgt hieraus:
Grenzsteuersatz |
(teilweise fiktiver) Steuerfreibetrag |
30 vH |
DM 421,00 |
37 vH (beim Kläger) |
DM 351,32 |
40 vH |
DM 327,67. |
Für diese Berechnungen ist der Grenzsteuersatz (marginaler Steuersatz) maßgebend, also derjenige, der für die Einkommensspitze zu entrichten ist. Denn ein zusätzlicher Steuerfreibetrag würde zu einer Entlastung um die hierauf entfallenden Steuern führen.
Auf dieser Grundlage aber ist jedenfalls im Falle des Klägers die Höhe des durch Kindergeld und steuerlichen Kinderfreibetrag im Jahr 1983 gewährleisteten Familienlastenausgleichs nicht zu beanstanden:
Im Beschluß vom 14. Juni 1994 hat das BVerfG als Maßstab den ihm vom Bundesminister für Familie und Senioren mitgeteilten durchschnittlichen Sozialhilfebedarf für Kinder in der Zeit von 1982 bis 1987 (s die Tabelle EuGRZ 1994, 579, 581 unten) zugrunde gelegt. Dem schließt sich der Senat an. Insoweit ergibt sich (zu den Berechnungen siehe die Angaben aaO) ein durchschnittlicher monatlicher Sozialhilfebedarf je Kind im Jahr 1983 von DM 396,–. Dieser ist entgegen den Ausführungen der Revision nicht um weitere Beträge zu erhöhen. Er umfaßt bereits – pauschal – die Sozialhilfeempfängern zustehenden einmaligen Beihilfen und kann nach der Auffassung des BVerfG auch nur als Richtwert dienen (BVerfG vom 14. Juni 1994, EuGRZ 1994, 579, 585).
Geht man hiervon aus, so genügt der aus dem steuerlichen Kinderfreibetrag und dem Kindergeld zu errechnende (teilweise fiktive) Steuerfreibetrag beim Grenzsteuersatz des Klägers (37 vH) zwar nicht dem verfassungsrechtlichen Erfordernis, das Existenzminimum für Kinder steuerfrei zu halten. Das BVerfG hat allerdings insoweit dem Gesetzgeber bei der Festlegung des Entlastungsbetrages auch einen gewissen Einschätzungsspielraum zugebilligt. Jedenfalls könne bei solchen Richtwerten, wie sie nach der Berechnung des Bundesministers für Familie und Senioren zum Vergleich herangezogen würden, die Verfassungswidrigkeit einer bestehenden Regelung noch nicht festgestellt werden, wenn diese Richtwerte um weniger als 15 vH unterschritten würden. Diese Abweichung sei angesichts der in Rechnung zu stellenden Unsicherheiten der Richtwerte noch hinnehmbar (BVerfG vom 14. Juni 1994, EuGRZ 1994, 579, 585). Auch diesen Erwägungen pflichtet der Senat bei.
Dann aber kann eine Verfassungswidrigkeit des Familienlastenausgleichs für das Jahr 1983 jedenfalls dann nicht festgestellt werden, wenn der Entlastungsbetrag (zusammengesetzt aus dem steuerlichen Kinderfreibetrag und dem in einem Steuerfreibetrag umgerechneten Kindergeld) DM 336,60 (entspricht DM 396,– abzüglich 15 vH) überschreitet. Dies aber war, wie aus der obigen Berechnung ersichtlich, beim Grenzsteuersatz des Klägers (37 vH) der Fall.
Unerheblich für die Entscheidung des Senats bleibt, daß sich bei der soeben erläuterten Berechnungsmethode eine Verfassungswidrigkeit des Familienlastenausgleichs für das Jahr 1983 auch in der durch § 44e BKGG nachgebesserten Form dann ergibt, wenn höhere Grenzsteuersätze (zB von 40 vH) in Frage stehen. Denn nur dann, wenn der Senat die Höhe des Kindergeldes für das Jahr 1983 insoweit für verfassungswidrig hielte, als § 10 Abs. 2 iVm § 44e BKGG im vorliegenden Fall anzuwenden ist, hätte er das Verfahren auszusetzen, um die Entscheidung des BVerfG einzuholen. Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG setzt hierfür voraus, daß es auf die Gültigkeit des vom (Fach-)Gericht für verfassungswidrig gehaltenen Gesetzes bei der Entscheidung ankommt. Dies ist aber dann nicht der Fall, wenn die streitige Vorschrift in ihrer Anwendung auf den Kläger nicht verfassungswidrig ist, sondern lediglich nicht ausgeschlossen werden kann, daß der Gesetzgeber bei Änderung der Vorschrift, soweit sie für andere Betroffene verfassungswidrig ist, auch den Kläger begünstigt (vgl. BVerfG vom 24. Januar 1984, BVerfGE 66, 100; BVerfG vom 18. Juli 1984, BVerfGE 67, 239, wenn auch dort jeweils zu Fallkonstellationen, in denen das vorlegende Gericht eine verfassungswidrige Begünstigung der jeweiligen Kläger im Verhältnis zu anderen Personen gesehen hatte; die gegen diese Entscheidungen in der Literatur geäußerte Kritik – zB Aretz, JZ 1984, 918 sowie NVwZ 1985, 472; Sachs, DVBl 1985, 1106 – trifft deshalb den vorliegenden Fall der verfassungswidrigen, nicht entscheidungserheblichen Teilbedeutung einer Norm nicht).
Nur dann, wenn auch der Kläger selbst aus verfassungsrechtlichen Gründen Anspruch auf höheres als das ihm inzwischen gewährte Kindergeld für 1983 hätte, käme auch eine Aussetzung des vorliegenden Rechtsstreits zur Vorlage an das BVerfG (Art. 100 Abs. 1 GG) in Betracht (vgl. auch das Urteil des Senats vom 29. Oktober 1992 – 10 RKg 19/91). Ansonsten käme man selbst dann zu einer Vorlagepflicht mit der Begründung, im Streitjahr sei die Steuerfreiheit des Existenzminimums der Kinder nicht gewährleistet gewesen, wenn der Betroffene damals gar keine Steuern zu entrichten hatte (s das Urteil des Senats vom 24. Januar 1995 – 10 RKg 4/93): Denn eine vom Gesetzgeber als Reaktion auf die Verfassungswidrigkeit der Kindergeldhöhe für (einen Teil der) Steuerzahler vorgenommene generelle Erhöhung dieser Leistung könnte auch einem nicht Steuerpflichtigen zugute kommen.
Nichts anderes gilt unter Berücksichtigung der Möglichkeit der Aussetzung eines Gerichtsverfahrens zur Vorlage beim BVerfG, wenn der Gesetzgeber einen Gleichheitsverstoß auf verschiedene Weisen heilen kann und eine der Entscheidungsalternativen den Kläger des Ausgangsverfahrens begünstigen kann (hierzu BVerfG vom 27. Juni 1991, BVerfGE 84, 233, 237 mwN). Denn auch dann ist die dem BVerfG zur verfassungsrechtlichen Prüfung vorzulegende Norm auf ihren entscheidungserheblichen Teilinhalt einzugrenzen (s zB BVerfG vom 8. Januar 1977, BVerfGE 56, 1, 11; BVerfG vom 13. Dezember 1983, BVerfGE 66, 1, 17). Entsprechend hat das BVerfG für die Zulässigkeit einer Vorlage zur Höhe des Familienlastenausgleichs in einer neueren Entscheidung ausdrücklich die Feststellung des konkreten Steuersatzes des Klägers des Ausgangsverfahrens verlangt (BVerfG vom 25. September 1992; BVerfGE 87, 153, 168).
Mit der entsprechenden Einschränkung einer – uU wegen Verfassungswidrigkeit vorzulegenden – Norm auf ihren nicht verfassungswidrigen, entscheidungserheblichen Teil vernachlässigt der Senat auch nicht die objektive Funktion der Grundrechte (hierzu zB Sachs, DVBl 1985, 1106, 1111 f) einer- und der Richtervorlage (hierzu zB Aretz, JZ 1984, 918, 921) andererseits. Denn er wendet damit keine Norm an, obwohl er sie für (objektiv) verfassungswidrig hält. Er trägt lediglich dem Umstand Rechnung, daß das Verfahren der Richtervorlage (Art. 100 Abs. 1 GG) das einer konkreten, nicht jedoch abstrakten Normenkontrolle (wie nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG) ist.
Auf dieser Grundlage vermag der Senat seine Vorlagepflicht auch nicht daraus abzuleiten, daß das BVerfG in seinem Beschluß vom 14. Juni 1994 nicht erkennbar auf den individuellen (Grenz-)Steuersatz des Beschwerdeführers abgestellt hat.
(Zu 2) Der Argumentation der Revision ist jedoch insoweit zu folgen, als dem Kläger (weitere) Zinsen auf das ihm durch § 44e Abs. 1 und 2 BKGG nachträglich für die Jahre 1983 bis 1985 gewährte Kindergeld zustehen.
Der Zinsbeginn ist nicht vom Inkrafttreten des § 44e Abs. 1 und 2 BKGG idF der StÄndG 1991 und 1992 abhängig, wie das beklagte Land meint. Denn das von ihm nachgezahlte Kindergeld wurde nicht erst mit Inkrafttreten der genannten Neuregelungen fällig.
Zwar boten diese dem beklagten Land erstmals eine gesetzliche Grundlage zur Auszahlung entsprechender Kindergeldbeträge. Dem Kläger stand jedoch bereits im streitigen Zeitraum 1983 bis 1985 ein höherer Familienlastenausgleich zu. Das BVerfG hat in seinem Beschluß vom 29. Mai 1990 (BVerfGE 82, 60) zwar § 10 Abs. 2 BKGG in seiner damaligen Fassung trotz der festgestellten Verfassungswidrigkeit nicht für (teilweise) nichtig, sondern lediglich als mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt. Dies beruhte jedoch allein darauf, daß das Gericht dem Gesetzgeber überließ, ob er die verfassungswidrige Benachteiligung der betroffenen Steuerpflichtigen für die Jahre 1983 bis 1985 durch eine Streichung des § 10 Abs. 2 BKGG, durch eine Änderung im Steuerrecht oder durch eine anderweitige Ausgleichsregelung vornehmen wollte (BVerfGE 82, 60, 97).
In der Tat hat der Gesetzgeber einer Berichtigung im steuerlichen Bereich den Vorrang gegeben und lediglich für die Fälle die Kindergeld-Lösung gewählt, in denen nicht die nach § 54 EStG idF des StÄndG 1991 erhöhten Kinderfreibeträge abgezogen werden konnten (s § 44e Abs. 1 Satz 4, Abs. 2 Satz 3 BKGG; vgl. BT-Drucks 12/219, S 23, 32 zum StÄndG 1991). Hieraus kann jedoch nicht abgeleitet werden, daß damit ein Zinsbeginn erst mit dem neuerlichen Tätigwerden des Gesetzgebers denkbar ist.
Denn dieser war verfassungsrechtlich verpflichtet, die Benachteiligung für die Jahre 1983 bis 1985 zu beheben. Er hat dies in einer Weise getan, die weder nach den Gesetzgebungsmaterialien noch sonst erkennbar berücksichtigt, daß die in den Jahren 1991 bzw 1992 erfolgende Nachzahlung auf der Grundlage der früheren Werte die zurückliegende verfassungswidrige Benachteiligung allenfalls nominell ausgleichen konnte, nicht jedoch unter Berücksichtigung der seither verstrichenen Zeit. Daß das zusätzliche Kindergeld jedenfalls nicht auch für einen entsprechenden Ausgleich sorgt, wird auch daraus deutlich, daß die Nachbesserungen aufgrund des § 44e Abs. 1 und 2 BKGG noch nicht einmal den – freilich erst im Beschluß des BVerfG vom 14. Juni 1994 präzisierten – verfassungsrechtlichen Maßstäben zur erforderlichen Kindergeldhöhe voll und ganz genügt (s die Ausführungen zu 1 für einen Grenzsteuersatz von 40 vH).
Deshalb sind die zusätzlichen Nachteile der verspäteten Zahlung über die Verzinsung nach § 44 SGB I auszugleichen. Diese seit 1978 einheitlich für alle Sozialleistungen geltende Regelung trägt dem Umstand Rechnung, daß soziale Geldleistungen in der Regel die Lebensgrundlage des Leistungsberechtigten bilden; werden sie verspätet gezahlt, sind oft Kreditaufnahmen, die Auflösung von Ersparnissen oder die Einschränkung der Lebensführung notwendig. Da auf Sozialleistungen beim Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen ein Rechtsanspruch besteht, werden die Nachteile des Leistungsberechtigten durch Verzinsung ausgeglichen (so BT-Drucks 7/868 S 30 zur Regelung des § 44 SGB I).
Diese Grundsätze treffen ebenso auf die nachträgliche Gewährung von verfassungsrechtlich gebotenem Kindergeld zu; dies gilt auch, soweit diese Sozialleistung innerhalb des dualen Systems des Familienlastenausgleichs (hierzu BVerfGE 82, 60, 78f) Wirkungen auf dem Gebiet des Steuerrechts – die Steuerfreiheit des Existenzminimums für Kinder – zeitigen soll. Denn auch diese sollen gewährleisten, daß bestimmte Finanzmittel (zum Kindesunterhalt) dem Steuerpflichtigen unmittelbar zur Verfügung stehen und nicht etwa erst (Jahre) später zur Verfügung gestellt werden. Dies ist auch im Steuerrecht – zB durch die Eintragung von Freibeträgen auf der Lohnsteuerkarte – möglich. Der Gesetzgeber wird seiner Verpflichtung zum Familienlastenausgleich (wie sie das BVerfG herausgearbeitet hat) nicht gerecht, wenn er Leistungen, die von Verfassungs wegen für die Jahre 1983 bis 1985 gefordert sind, erst in den Jahren 1991 und 1992 gewährt, ohne zugleich einen Ausgleich für die seither verstrichene Zeit vorzusehen. Unerheblich ist hier, ob sich aus der Verfassung generell ein Anspruch auf die Verzinsung von Sozialleistungen herleiten läßt (s hierzu BVerfG vom 26. Oktober 1976, BVerfGE 43, 53 mwN): Jedenfalls wäre eine Regelung, die im vorliegenden Zusammenhang ausdrücklich eine Verzinsung ausschlösse, ebenso wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 iVm Art. 6 Abs. 1 GG verfassungswidrig wie eine Regelung, die ein der Höhe nach unzureichendes Kindergeld gewähren würde.
Diese Gesichtspunkte gebieten eine – verfassungskonforme – Auslegung des § 44e BKGG dahingehend, daß die darin geregelten Ansprüche auf zusätzliches Kindergeld gleichzeitig mit den bereits zuvor bestehenden Kindergeldansprüchen fällig (§ 20 Abs. 1, § 45 Abs. 1 Buchst c BKGG) wurden und entsprechend zu verzinsen sind. Dabei kann offenbleiben, inwieweit die durch § 44e Abs. 1 und 2 BKGG nachgebesserten Kindergeldbeträge für die Jahre 1983 und 1985 – ohne Berücksichtigung der Verzinsung – das von Verfassungs wegen erforderliche Mindestmaß überschritten. In diesem Ausmaß, so könnte argumentiert werden, wäre dann ja bereits der verfassungsmäßig gebotene zusätzliche Ausgleich für die seither verstrichene Zeit (Verzinsung) – teilweise – erbracht, so daß allenfalls noch ein diesen überschreitender Fehlbetrag verbliebe. Eine derartige Differenzierung verbietet sich jedoch bereits deshalb, weil im Sozialrecht mit § 44 SGB I eine Regelung zur Verfügung steht, die einen Ausgleich dafür bietet, daß zustehende Leistungen erst mit zeitlicher Verzögerung gewährt werden, und durch deren Anwendung auf die vorliegende Problematik die hier verfassungsrechtlich gebotene Lösung gewährleistet ist.
Der Auffassung des Senats steht nicht entgegen, daß nach den Regelungen des Steuerrechts keine entsprechende Verzinsung für diejenigen möglich erscheint, denen der verfassungsrechtlich gewährleistete Familienlastenausgleich für die Jahre 1983 bis 1985 nach § 54 EStG idF des StÄndG 1991 in Form erhöhter Kinderfreibeträge zusteht. Denn die Verzinsung auch von Steuererstattungen nach § 233a Abgabenordnung (AO) gilt erstmals für die Steuern des Jahres 1989 (Art. 97 § 15 Abs. 4 Einführungsgesetz zur AO; hierzu von Wallis in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Komm zur AO und FGO, § 233a RdNr. 5, Stand: 1989). Verfassungsrechtlich begründete Pflichten bestehen jedoch auch dann, wenn das einfache Gesetz keine Handhabe zu ihrer Verwirklichung bietet. In welcher Form die Verzinsung rückständigen Familienlastenausgleichs im Steuerrecht durchgesetzt werden könnte, hat der Senat nicht zu entscheiden, ebensowenig über die Angemessenheit der Kinderfreibeträge, wie sie sich für die Jahre 1983 bis 1985 aus § 54 EStG ergeben.
Mit den vorstehenden Ausführungen ist der Rechtsstreit jedoch nicht entscheidungsreif. Denn das Kindergeld für 1983 bis 1985 ist grundsätzlich nach § 44 Abs. 1 SGB I zu verzinsen, dh jeweils nach Ablauf eines Kalendermonats nach seiner Fälligkeit (hierzu § 20 Abs. 1, § 45 Abs. 1 Buchst c BKGG). UU könnte jedoch auch – teilweise – ein hiervon abweichender Zinsbeginn nach § 44 Abs. 2 SGB I (frühestens nach Ablauf von sechs Kalendermonaten nach Eingang des vollständigen Leistungsantrags) in Betracht kommen. Zwar dürfte der Kläger das Kindergeld für seine in den Jahren 1957 bis 1962 geborenen Kinder bereits über sechs Kalendermonate vor dem Beginn des streitigen Zeitraums (1983 bis 1985) beantragt haben. Dennoch erscheint nicht ausgeschlossen, daß er dem beklagten Land die erforderlichen Angaben zu den jeweiligen Leistungsvoraussetzungen für die Weiterzahlung eines rechtmäßig befristeten Ausbildungskindergeldes (zB bei Fortsetzung des Studiums) nicht bereits sechs Monate vor Fälligkeit gemacht hat, Entsprechende tatsächliche Feststellungen sind dem BSG als Revisionsinstanz verwehrt; sie sind vom LSG nachzuholen. UU bietet sich insoweit auch eine pauschale Regelung im Wege eines Vergleiches an.
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens hinsichtlich des durch das vorliegende Urteil abgeschlossenen Teils des Rechtsstreits (Kindergeldhöhe Januar bis Juli 1983) zu entscheiden haben.
Fundstellen
SozSi 1997, 77 |
SozSi 1997, 78 |