Entscheidungsstichwort (Thema)
Honorarkürzung wegen unwirtschaftlicher ärztlicher Behandlung (hier: Überschreitung der Besuche und Wegegelder bei Einsparungen von Krankenhauseinweisungen). Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise
Orientierungssatz
1. Eine offensichtliche Unwirtschaftlichkeit kann grundsätzlich getrennt nach einzelnen Kassen geprüft werden, soweit der Arzt ihnen gegenüber Behandlungsfälle in einer für einen statistischen Vergleich erforderlichen Anzahl abrechnet.
2. Geht es um die Feststellung der Unwirtschaftlichkeit in einem Quartal, ist ein Quartalsvergleich notwendig.
3. Praxisbesonderheiten können nur solche Umstände sein, die außerhalb des Streuungsbereichs der statistisch erfaßten Fälle liegen, zB Rentneranteil, örtlich bedingtes Auftreten besonderer Krankheiten, Behandlungen auf Überweisungen anderer Ärzte.
Normenkette
RVO §§ 368e, 368n Abs 5 Fassung: 1977-06-27
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 25.05.1981; Aktenzeichen L 6 Ka 28/80) |
SG Mainz (Entscheidung vom 17.09.1980; Aktenzeichen S 2 Ka 31/79) |
Tatbestand
Die Kläger, die als Ärzte für Allgemeinmedizin eine Gemeinschaftspraxis betreiben, wenden sich gegen eine Honorarkürzung.
Ein von der Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) Koblenz errichteter Prüfungsausschuß reduzierte mit Bescheid vom 30. Dezember 1978 auf dem Weg der Schätzung die Punktzahl der Kläger für Besuche und Wegegeld im Quartal III/78 bei den RVO-Kassen um je 25 %. In dem Bescheid wird festgestellt, die Kläger hätten in diesem Quartal 2.517 Fälle von RVO-Kassenpatienten abgerechnet mit einem Durchschnitt pro Fall von 780,3 Punkten gegenüber dem Durchschnitt der Arztgruppe von 520,9 Punkten. Die Überschreitung (49 %) ergäbe sich aus der Besuchstätigkeit der Kläger. Sie rechneten pro Fall für Besuche 367,8 und für Wegegeld 94,5 Punkte ab gegenüber Gruppenfallwerten von 147,4 Punkten (+ 149 %) und 28,4 Punkten (+ 232 %). Die Einzelfallprüfung hätte auf 100 Fälle bezogen bei den Klägern 140 Besuche nach Nr 5 des Bewertungsmaßstabes für kassenärztliche Leistungen 1978 (BMÄ 78) ergeben gegenüber der Vergleichszahl der Arztgruppe von 47 Besuchen. Den Widerspruch wies der Beklagte zurück und führte aus, er habe sich nicht von der Notwendigkeit des Leistungsmehraufwandes der Besuche in Verbindung mit dem Wegegeld überzeugen können, da nach der ausgesprochenen Kürzung die Gemeinschaftspraxis noch 87 % mehr an Honorar erhalte als der Durchschnitt der Kollegen.
Mit der Klage haben die Kläger geltend gemacht, im Quartal III/78 hätten sie nur 27 Patienten von RVO-Kassen ins Krankenhaus eingewiesen, während nach der Statistik des Beigeladenen statt dessen von 79 Einweisungen ausgegangen werde. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen und ist davon ausgegangen, daß die Krankenhauseinweisungen der Kläger in der Norm lägen.
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, die Zulässigkeit der Berufung ergäbe sich aus der Rüge eines wesentlichen Verfahrensmangels, da das SG das Vorbringen der Kläger, die durchschnittliche Zahl ihrer Krankenhauseinweisungen liege bedingt durch die häufigeren Besuche unter dem Fachgruppendurchschnitt, nicht berücksichtigt habe. Der um die von den Klägern selbst gekennzeichneten 73 sogenannten schwersten Fälle bereinigte Punktwert für Besuche und Wegegelder je 100 Fälle liege noch um 65,95 % über dem unbereinigten Fachgruppendurchschnitt. Aus dieser Überschreitung ergäbe sich die Unwirtschaftlichkeit. Praxisbesonderheiten lägen nicht vor. Insbesondere liege der Rentneranteil nicht höher als bei der Vergleichsgruppe. Schwerste Fälle hätten auch die übrigen Ärzte der Vergleichsgruppe in ähnlichem Umfang zu behandeln. Hinsichtlich der Krankenhauseinweisungen seien die Angriffe der Kläger gegen die vom Beigeladenen vorgelegten Statistiken unbegründet. Durch die Vorlage weiterer von den Klägern ausgestellter Einweisungsscheine hätten der Beklagte und der Beigeladene nachgewiesen, daß die Kläger nicht alle Einweisungen erfaßt hätten. Die Statistik des Beigeladenen beschränke sich zwar auf Patienten der Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) des Regierungsbezirks Koblenz. Es komme aber nicht darauf an, wieviele Patienten aus diesem Kreis der einzelne Arzt der Vergleichsgruppe in der streitigen Zeit behandelt habe, entscheidend sei allein, welcher Prozentsatz davon zur stationären Behandlung eingewiesen wurde. Die Kläger hätten im Quartal III/78 einen größeren Prozentsatz von Krankenhausfällen als der Fachgruppendurchschnitt gehabt und lägen auch im Jahresdurchschnitt nur um 4 % darunter. Was die Höhe der Kürzung anlange, sei zu berücksichtigen, daß den Klägern nach der Kürzung von 25 % immer noch 105 Besuche je 100 Fälle gegenüber 47 Besuchen bei der Fachgruppe honoriert würden. Dieser Vergleich zeige eindeutig, daß die Kürzung den Rahmen der festgestellten Unwirtschaftlichkeit nicht voll ausschöpfe.
Die Kläger haben die vom Senat zugelassene Revision eingelegt und machen geltend, das SG hätte den Anteil der schwersten Fälle in den Praxen der Vergleichsgruppe und die Zahl ihrer Krankenhauseinweisungen aufklären müssen. Die "weiteren" Einweisungen, von denen das LSG ausgegangen sei, hätte es darauf prüfen müssen, ob und inwieweit sie dem III. Quartal zuzuordnen seien. Das LSG habe ihrem Vortrag, daß ihr Rentneranteil hinsichtlich der bei den AOK'en des Regierungsbezirks Koblenz Versicherten nicht im Durchschnitt (34,76 zu 35,6 %), sondern bei mehr als 40 % (42 %) liege, nicht berücksichtigt. Bei Berücksichtigung sämtlicher Besuche - nicht nur derjenigen nach Ziffer 5 BMÄ - ergäben sich für die Kläger ohne die schwersten Fälle 82 Besuche auf je 100 Fälle gegenüber 56 Besuche der Vergleichsgruppe, also eine Überschreitung von 47 %. Das LSG hätte schließlich hinsichtlich der Höhe der Kürzung zumindest seine eigene Vergleichsberechnung bei der Feststellung der Unwirtschaftlichkeit zugrunde legen müssen, dh es hätte von einer Überschreitung von 47 % (ohne die schwersten Fälle) ausgehen müssen.
Die Kläger beantragen, das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 25. Mai 1981 und das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 17. September 1980 - S 2 Ka 31/79 - abzuändern und die angefochtenen Bescheide aufzuheben.
Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist im Sinn der Zurückverweisung der Sache an das LSG zu neuer Verhandlung und Entscheidung begründet. An Hand der Feststellungen des LSG kann der Senat nicht abschließend entscheiden, ob das LSG mit Recht die Berufung zurückgewiesen hat oder ob die angefochtenen Bescheide rechtswidrig sind.
Die Berufung ist gemäß § 150 Nr 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig. Beim LSG haben die Kläger mit Erfolg eine Verletzung der §§ 103 und 128 SGG durch das SG gerügt. Sie hatten nach den Feststellungen des LSG beim SG vorgebracht, die Zahl ihrer Krankenhauseinweisungen liege bedingt durch die häufigeren Besuche unter dem Fachgruppendurchschnitt. Diesen Vortrag hat das SG übergangen. Es hätte die Krankenhauseinweisungen der Kläger und der Ärzte der Fachgruppe ermitteln müssen.
Die Berechtigung zur Kürzung der kassenärztlichen Honorare ergibt sich aus den Vorschriften der §§ 368e und 368n Abs 5 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Danach errichten die KÄV'en Prüfungs- und Beschwerdeausschüsse zur Überwachung der Wirtschaftlichkeit der kassenärztlichen Versorgung im einzelnen. Der an der kassenärztlichen Versorgung teilnehmende Arzt darf nach § 368e Satz 2 RVO keine Leistungen bewirken, die für die Erzielung des Heilerfolgs nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind. Die Wirtschaftlichkeit der kassenärztlichen Tätigkeit brauchen die Prüfungs- und Beschwerdeausschüsse nicht an Hand einzelner Behandlungsfälle zu prüfen, wenn die Behandlungskosten des Kassenarztes in einem offensichtlichen Mißverhältnis zu den Durchschnittswerten seiner Fachgruppe stehen. In einem solchen Fall ergibt sich die Unwirtschaftlichkeit in der Regel schon aus einem Vergleich mit den Durchschnittswerten, es sei denn, daß Besonderheiten der jeweiligen Praxis den Mehraufwand ganz oder teilweise rechtfertigen oder der Mehraufwand für einen Minderaufwand in anderen Leistungsbereichen ursächlich gewesen ist (BSGE 46, 136, 137 = SozR 2200 § 368n RVO Nr 14 unter Hinweis auf SozR 2200 § 368n RVO Nr 3 S 9; s. auch BSGE 17, 79, 86). Die offensichtliche Unwirtschaftlichkeit muß sich nicht aus einem Vergleich der Tätigkeit des Arztes insgesamt ergeben, sie kann auch bei einzelnen Leistungsarten bestehen (BSGE 17, 79, 86). Die Kläger liegen bei den Besuchen und den Wegegeldern mit 149 % und 232 % über den Durchschnittswerten der Fachgruppe und damit im Bereich der offensichtlichen Unwirtschaftlichkeit. An Hand der Feststellungen des LSG läßt sich aber nicht abschließend entscheiden, ob die Überschreitungen bei den Besuchen und Wegegeldern durch Einsparungen der Kläger in anderen Bereichen ausgeglichen werden.
Die Feststellung des LSG, bei den Krankenhauseinweisungen seien keine auf der erhöhten Besuchstätigkeit beruhenden Einsparungen nachzuweisen, beruht auf Verfahrensmängeln, die die Kläger mit Recht rügen. Bei dieser Feststellung geht das LSG von einem Vergleich der Krankenhausfälle der Kläger mit denen der Vergleichsgruppe im Quartal III/78 aus. Das LSG stellt zwar auch einen Jahresvergleich an. Dadurch wird aber der Quartalsvergleich nicht überflüssig; er ist auch nach Auffassung des Senats notwendig, da es um die Feststellung der Unwirtschaftlichkeit in diesem Quartal geht. Das LSG stützt sich beim Quartalsvergleich (wie beim Jahresvergleich) auf die Statistik des Beigeladenen, nach der die Kläger im Quartal III/78 bei den AOK'en des Regierungsbezirks Koblenz 50 Krankenhausfälle hatten und damit den Durchschnitt der Vergleichsgruppe je 100 Behandlungsfälle um 36 % überstiegen. Den Einwand der Kläger, sie hätten nur 21 im einzelnen genannte Patienten von diesen Ortskrankenkassen eingewiesen, hat das LSG mit der Feststellung ausgeräumt, der Beklagte und der Beigeladene hätten durch Vorlage weiterer von den Klägern ausgestellte Einweisungsscheine nachgewiesen, daß die Kläger nicht alle Einweisungsfälle erfaßt hätten. Gegen diese Feststellung richtet sich die Rüge der Kläger, das LSG hätte prüfen müssen, ob die weiteren Einweisungen dem Quartal III/78 zuzuordnen seien. Der gerügte Verfahrensmangel liegt vor; es ist den Feststellungen des LSG nicht zu entnehmen, daß die weiteren Einweisungsscheine im Quartal III/78 ausgestellt worden sind.
Wenn die demgemäß erforderlichen Ermittlungen des LSG ergeben, daß die Kläger mit ihren Krankenhauseinweisungen im Quartal III/78, wie sie behaupten, weit unter dem Durchschnitt gelegen haben, wird weiter zu prüfen sein, ob und inwieweit der Mehraufwand bei den Besuchen und Wegegeldern für den Minderaufwand bei den Krankenhauseinweisungen ursächlich gewesen ist. Dafür könnte, wenn die Einweisungen der Kläger wesentlich unter dem Durchschnitt lägen, eine Wahrscheinlichkeit sprechen, die vom LSG noch zu ermitteln wäre. Sie kann aber insbesondere ausgeschlossen sein durch das Gewicht der Gründe, die die Krankenhauseinweisungen bedingen und von der besonderen Art der Behandlungsweise des Arztes unabhängig sind (vgl BSGE 17, 79, 87). Wenn es keine derartige Vermutung gibt, wird es zunächst Sache der Kläger sein, im einzelnen darzulegen (BSGE aaO), welche Patienten sie hätten ins Krankenhaus einweisen müssen, wenn sie sie nicht häufig besucht hätten (zur Mitwirkungspflicht des Arztes siehe BSGE 11, 102, 115).
Nicht zuzustimmen ist der Rechtsmeinung des LSG, es sei ohne Bedeutung, daß sich die Statistik des Beigeladenen auf die Patienten der AOK'en des Regierungsbezirks Koblenz beschränke. Der Prüfungsausschuß hat die Punktzahl der Besuche und des Wegegeldes der Kläger ohne Beschränkung auf diese Kassen gekürzt. Deshalb sind auch die Krankenhauseinweisungen ohne örtliche Beschränkung zu berücksichtigen. Sollte sich beschränkt auf den Bereich einzelner Kassen ergeben, daß eine überdurchschnittliche Zahl von Besuchen ganz oder teilweise für eine unterdurchschnittliche Zahl von Krankenhauseinweisungen ursächlich gewesen ist, so kommt auch eine Aufhebung des Prüfbescheides hinsichtlich dieser Besuche und Wegegelder in Betracht. Die offensichtliche Unwirtschaftlichkeit kann grundsätzlich getrennt nach einzelnen Kassen geprüft werden, soweit der Arzt ihnen gegenüber Behandlungsfälle in einer für einen statistischen Vergleich erforderlichen Anzahl abrechnet.
Die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide ergibt sich nicht bereits aus den weiteren Angriffen der Revision hinsichtlich der schweren und schwersten Fälle. Diese Fälle sind keine Praxisbesonderheit. Ob bei den Ärzten der Vergleichsgruppe solche Fälle in ähnlichem Umfang vorkommen, kann dahingestellt bleiben. Solche Unterschiede im Krankengut werden durch die Offensichtlichkeit des Mißverhältnisses zwischen den Durchschnittswerten des Arztes und der Vergleichsgruppe abgedeckt. Es ist gerade der Sinn dieser Ermittlungsmethode, daß sie die Beurteilung der Behandlungsweise als unwirtschaftlich ohne Rücksicht auf solche Unterschiede nach sich zieht. Die Methode macht eine Ermittlung der Unwirtschaftlichkeit im Einzelfall überflüssig. Deshalb können Praxisbesonderheiten nur solche Umstände sein, die außerhalb des Streuungsbereichs der statistisch erfaßten Fälle liegen, zB Rentneranteil, örtlich bedingtes Auftreten besonderer Krankheiten, Behandlungen auf Überweisungen anderer Ärzte.
Das LSG ist zu dem Ergebnis gekommen, daß nach der Kürzung um 25 % noch 105 Besuche gegenüber den 47 Besuchen bei der Fachgruppe honoriert würden. Dabei geht es offensichtlich nur von den Besuchen nach Ziffer 5 BMÄ aus. Es wird zu beachten haben, daß die im angefochtenen Bescheid festgestellten Überschreitungen von 149 % und 232 % sich auf sämtliche Besuche bezogen haben.
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens entscheiden müssen.
Fundstellen