Leitsatz (amtlich)
Wenn die Behandlungskosten des Arztes in einem offensichtlichen Mißverhältnis zu den Durchschnittswerten seiner Fachgruppe stehen, trägt der Arzt die Darlegungs- und Beweislast dafür, daß der Mehraufwand durch einen Minderaufwand in anderen Leistungsbereichen ausgeglichen wird.
Normenkette
RVO § 368n Abs 5
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 22.11.1984; Aktenzeichen L 5 Ka 3/83) |
SG Mainz (Entscheidung vom 17.09.1980; Aktenzeichen S 2 Ka 31/79) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Honorarkürzung im Quartal III/1978.
Die Kläger betreiben als Ärzte für Allgemeinmedizin eine Gemeinschaftspraxis. Im Quartal III/1978 überschritten ihre Punktzahlen die durchschnittlichen Fallwerte der Arztgruppe bei den Besuchen um 149 % und beim Wegegeld um 232 %. Der Prüfungsausschuß kürzte mit Bescheid vom 30. Dezember 1978 die Punktzahlen in beiden Sparten um 25 %. Den Widerspruch wies der Beklagte mit Bescheid vom 8. Juni 1979 zurück.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen. Mit der Berufung hatten die Kläger keinen Erfolg. Der Senat hat das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) vom 25. Mai 1981 - L 6 Ka 28/80 - aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen. In den Gründen hat der Senat ausgeführt, die Kläger lägen bei den Besuchen und den Wegegeldern im Bereich der offensichtlichen Unwirtschaftlichkeit; dagegen beruhe die Feststellung des LSG, bei den Krankenhauseinweisungen seien keine auf der erhöhten Besuchstätigkeit beruhenden Einsparungen nachzuweisen, auf Verfahrensmängeln, die die Kläger gerügt hätten; wenn die weiteren Ermittlungen des LSG ergäben, daß die Kläger entsprechend ihrer Behauptung mit ihren Krankenhauseinweisungen weit unter dem Durchschnitt gelegen haben, werde der ursächliche Zusammenhang zwischen dem Mehraufwand bei den Besuchen und Wegegeldern mit dem Minderaufwand bei den Krankenhauseinweisungen zu prüfen sein.
Das LSG hat mit seiner neuen Entscheidung das Urteil des SG vom 17. September 1980 und die angefochtenen Bescheide aufgehoben und ausgeführt, den Klägern sei es objektiv unmöglich gewesen, den Anscheinsbeweis für die Unwirtschaftlichkeit ihrer Behandlungsweise zu erschüttern. Die vom Beigeladenen vorgelegte Statistik enthalte nicht die hier erforderlichen Zahlen der Krankenhauseinweisungen und lasse einen Vergleich der Krankenhauseinweisungen der Kläger mit dem Durchschnitt der für sie maßgebenden Arztgruppe nicht zu. Statistisch erfaßt seien die Krankenhausfälle nur aufgrund der Entlassungen und der Beendigung der an die Entlassung anschließenden Arbeitsunfähigkeit. Diese Zahlen enthielten aber gegenüber den Einweisungen eine beachtliche Verschiebung, so daß ein einigermaßen sicherer Schluß auf die Zahl der Krankenhauseinweisungen im jeweiligen Quartal nicht möglich sei. Im Rahmen ihrer Mitwirkungs- und Darlegungspflichten hätten der Beklagte und der Beigeladene die für den erforderlichen Vergleich der Krankenhauseinweisungen geeigneten statistischen Zahlen zu liefern. Dazu seien sie nicht imstande. Nach dem rechtsstaatlichen Prinzip der Waffengleichheit oder Gleichwertigkeit der Beteiligten im Prozeß könne sich daher die Vermutung der Unwirtschaftlichkeit nicht zu Lasten der Kläger auswirken. Die objektive Beweislast für die Unwirtschaftlichkeit liege unverändert beim Beklagten. Im wesentlichen hätten sich die Krankenhauseinweisungen der Kläger auf das von ihnen durch ihre Behandlungsweise unabwendbare und damit zwingend notwendige Maß beschränkt.
Der Beklagte und der Beigeladene haben Revision eingelegt. Sie machen geltend, das LSG verstoße mit seinem Urteil gegen allgemeine Beweislastregeln. Da die Kläger den ihnen obliegenden Beweis für den ursächlichen Zusammenhang zwischen der Vielzahl von Besuchen und den angeblich wenigen Krankenhauseinweisungen nicht erbringen könnten, hätte die Berufung zurückgewiesen werden müssen. Das LSG habe im Ergebnis die bloße Darlegung der Möglichkeit einer Kompensation mit dem Nachweis der Kausalität für die Überschreitungen bei Hausbesuchen und Wegegeldern gleichgesetzt. Weder der Beklagte noch der Beigeladene seien verpflichtet, Statistiken dergestalt zu führen, daß allen grundsätzlich zulässigen Einwänden des Arztes nachgegangen werden könne. Es hätte nach dem Revisionsurteil mehr als nahegelegen, eine Überprüfung dahingehend vorzunehmen, ob in den von den Klägern als solche bezeichneten schwersten Fällen nach Diagnose und Therapie vermutet werden könnte, daß sich durch mehr Hausbesuche und höhere Wegegelder Krankenhauseinweisungen vermeiden ließen.
Der Beklagte und der Beigeladene beantragen, das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 22. November 1984 - L 5 Ka 3/83 - abzuändern und die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 17. September 1980 - S 2 Ka 31/79 - zurückzuweisen.
Die Kläger machen geltend, wenn sich der Beklagte und der Beigeladene zum Beweis der unwirtschaftlichen Behandlungsweise auf eigene Statistiken stützten, so dürften sie den Klägern die Statistiken nicht vorenthalten. Das gleiche müsse gelten, wenn der Beigeladene von vornherein nur Statistiken führe, die von ihrer Struktur her ungeeignet seien, zur Widerlegung des Anscheinsbeweises beizutragen. Die Beweisnot der Kläger bestehe hier darin, daß sie die Krankenhauseinweisungen der Vergleichsgruppe nicht nachweisen könnten.
Die Kläger beantragen, die Revisionen zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revisionen sind begründet. Zu Unrecht hat das LSG das klagabweisende Urteil des SG aufgehoben. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig.
Die Prüfungs- und Beschwerdeausschüsse überwachen die Wirtschaftlichkeit der kassenärztlichen Versorgung im einzelnen (§ 368n Abs 5 der Reichsversicherungsordnung -RVO-). Bei Unwirtschaftlichkeit der Behandlungsweise des Arztes entscheiden sie über Honorarkürzungen (§ 34 Abs 1 Buchst c des zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und den Bundesverbänden der Orts-, Betriebs- und Innungskrankenkassen sowie der Landwirtschaftlichen Krankenkassen vereinbarten Bundesmantelvertrages-Ärzte -BMV-Ä- vom 28. August 1978). Die Wirtschaftlichkeit braucht nach der Rechtsprechung des Senats nicht anhand einzelner Behandlungsfälle geprüft zu werden, wenn die Behandlungskosten des geprüften Arztes in einem offensichtlichen Mißverhältnis zu den Durchschnittswerten seiner Fachgruppe stehen. Mit einem solchen Mißverhältnis ist der Nachweis der Unwirtschaftlichkeit erbracht; er wird aber widerlegt, soweit Besonderheiten der Praxis des Arztes einen Mehraufwand rechtfertigen oder der Mehraufwand in einem Leistungsbereich durch einen Minderaufwand in anderen Leistungsbereichen ausgeglichen wird (vgl BSG SozR 2200 § 368n RVO Nr 36 mwN).
Im neuen Urteil geht das LSG von der Feststellung aus, daß die Kläger mit ihren Besuchen und Wegegeldern im Quartal III/1978 im Bereich des offensichtlichen Mißverhältnisses zu den Durchschnittswerten der Fachgruppe liegen. Für das Vorliegen von Praxisbesonderheiten besteht kein Anhaltspunkt. Der Senat hat im zurückverweisenden Urteil hinsichtlich der schweren und schwersten Fälle der Kläger entschieden, sie seien keine Praxisbesonderheiten.
Die Kläger behaupten, der Mehraufwand bei den Besuchen und Wegegeldern werde durch einen Minderaufwand bei den Krankenhauseinweisungen ausgeglichen. Im Fall dieses Ausgleichs wäre der sich aus dem offensichtlichen Mißverhältnis ergebende Nachweis der Unwirtschaftlichkeit widerlegt. Der Ausgleich setzt den Beweis voraus, daß durch den Mehraufwand bei den Besuchen und Wegegeldern Krankenhauskosten erspart worden sind, die ohne den Mehraufwand notwendig gewesen wären. In erster Linie müßten die Kläger weniger Krankenhauseinweisungen bewirkt haben als die Ärzte der Vergleichsgruppe. Dieser Nachweis wurde nicht erbracht. Dazu hat das LSG ausgeführt, den Klägern sei es objektiv unmöglich, die Unwirtschaftlichkeit ihrer Behandlungsweise zu widerlegen, weil die vom Beigeladenen in den Rechtsstreit eingeführte Statistik einen Vergleich der Krankenhauseinweisungen des Klägers mit dem Durchschnitt der für ihn maßgebenden Arztgruppe nicht zulasse. Es kann dahingestellt bleiben, ob kompensationsfähige Ersparnisse auch auf andere Weise und ohne eine Statistik über die Aufwendungen der Fachgruppe in dem anderen Leistungsbereich nachgewiesen werden könnten. Im vorliegenden Fall bestehen für eine solche Möglichkeit jedenfalls keine Anhaltspunkte. Mit Recht hat das LSG allein auf die Zahlen der Krankenhauseinweisungen abgestellt. Aus seinen Feststellungen ergibt sich, daß diese Zahlen nicht aus den - statistisch ermittelten - Zahlen der Entlassungen geschlossen werden können. Die Statistiken beschränken sich im übrigen auf die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) des Regierungsbezirks K, während die Kläger auch Patienten betreuen, die nicht zum Bereich dieser Krankenkassen gehören. Gegen die Feststellungen des LSG sind keine Verfahrensrügen erhoben worden.
Wenn sich die tatsächlich erfolgten Krankenhauseinweisungen der Kläger nach den Feststellungen des LSG im wesentlichen auf das von ihnen durch ihre Behandlungsweise unabwendbare und damit zwingend notwendige Maß beschränkt haben, so ergeben sich daraus keine Einsparungen im Verhältnis zur Fachgruppe. Zumindest fehlt es dafür am Nachweis, daß die Ärzte der Fachgruppe sich im Durchschnitt nicht in gleicher Weise beschränkt haben. Einsparungen bei den Krankenhauseinweisungen ergeben sich auch sonst nicht aus dem Vorbringen der Kläger in der Revisionsinstanz. Dieses Vorbringen ist nur insoweit erheblich, als die Kläger zulässige und begründete Revisionsgründe vorbringen. An die tatsächlichen Feststellungen des LSG ist der Senat gebunden. Die Behauptung neuer Tatsachen kann er nicht berücksichtigen. Deshalb sind insbesondere die Schlußfolgerungen der Kläger aus der Umgestaltung der häuslichen Krankenpflege durch das Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz (KVKG) vom 27. Juni 1977 (BGBl I 1069) als Pflichtleistung und aus den Empfehlungen der konzertierten Aktion im Gesundheitswesen unbeachtlich. Die Kläger meinen, der Gesetzgeber des KVKG habe anerkannt, daß bisher in weitem Umfang nicht notwendige Krankenhauseinweisungen vorgenommen wurden. Die Empfehlungen der konzertierten Aktion seien 1982 und in den folgenden Jahren dahin gegangen, daß Bemühungen um eine Einschränkung der Krankenhauseinweisungen durch verbesserte Möglichkeiten der häuslichen Krankenpflege unterstützt werden sollten. Aus den Empfehlungen folgern die Kläger, die Ärzte wiesen insgesamt durchschnittlich zu viele Patienten ins Krankenhaus ein. Diese Folgerung enthält aber die Behauptung einer Tatsache. Der Senat kann sie nicht berücksichtigen.
Auf neue tatsächliche Behauptungen zielt auch das Vorbringen der Kläger, die Ärzte der Vergleichsgruppe hätten bei Ausschöpfung der möglichen Alternativen zur Krankenhauseinweisung notwendigerweise erheblich mehr Hausbesuche tätigen müssen. Die Kläger greifen damit die Voraussetzung jeden Beweises aus dem Vergleich des geprüften Arztes mit der Fachgruppe an, nämlich die Annahme, daß der Durchschnitt der Ärzte wirtschaftlich handelt. Erheblich könnte dieses Vorbringen nur sein, wenn sich für das dritte Quartal 1978 und die Vergleichsgruppe der Kläger nachweisen ließe, daß die Kassenärzte zu wenig Hausbesuche und dementsprechend zu viel Krankenhauseinweisungen getätigt haben und wenn sich ermitteln ließe, inwieweit sich die Kläger anders verhalten haben als die Ärzte der Vergleichsgruppe. Dies setzt aber tatsächliche Feststellungen voraus.
Auf die weiteren Ausführungen der Kläger ist hier nicht einzugehen. Sie beziehen sich nicht auf ihre Behauptung, sie hätten im Vergleich mit den Ärzten der Fachgruppe weniger Krankenhauseinweisungen bewirkt, sondern auf den zweiten Schritt, nämlich den ursächlichen Zusammenhang von Mehr- und Minderaufwand. Deshalb bedarf es keiner Stellungnahme zu der Meinung des Beigeladenen, um die es den Klägern insoweit geht, nämlich allein schon die Tatsache, daß die Kläger in den streitigen Fällen die Patienten ambulant behandelt haben, spräche gegen die Notwendigkeit einer Krankenhausbehandlung.
Die Darlegungs- und Beweislast dafür, daß die Kläger weniger Krankenhauseinweisungen bewirkt haben als die mit ihnen vergleichbaren Ärzte, tragen die Kläger. Da ihre Honoraranforderungen für Besuche und Wegegelder in einem offensichtlichen Mißverhältnis zu den Durchschnittswerten der Fachgruppe stehen, ist der Nachweis der Unwirtschaftlichkeit erbracht. Ein Ausgleich des Mehraufwands durch einen Minderaufwand bei den Krankenhauseinweisungen ist zwar durch die Prüfinstanz und die Gerichte von Amts wegen zu ermitteln, wobei der Arzt mitzuwirken hat. Aber das Fehlen des Nachweises geht zu Lasten des Arztes (BSG SozR 2200 § 368n RVO Nr 31 S 101 und Nr 36 S 121). Dies folgt aus der allgemeinen Regel, daß jede Partei die Beweislast für das Vorhandensein aller Voraussetzungen derjenigen Normen trägt, ohne deren Anwendung ihr Prozeßbegehren keinen Erfolg haben kann (Rosenberg, Zivilprozeßrecht 11. Aufl § 118 I 2).
Der Annahme des LSG, der Beklagte dürfe sich nicht auf den Nachweis der Unwirtschaftlichkeit berufen, kann der Senat nicht folgen. Richtig ist zwar, daß nur die Krankenkassen und jedenfalls nicht die Kläger, die zum Nachweis der Einsparungen geeignete Statistik über die Einweisungen der Ärzte der Vergleichsgruppe liefern könnten. Eine solche Statistik liegt nicht vor. Daraus allein ergibt sich aber keine Umkehr der Beweislast (vgl dazu Rosenberg aaO S 687; BGH MDR 1978, 735). Der Beigeladene ist zumindest in der hier streitigen Zeit (drittes Quartal 1978) nicht verpflichtet gewesen, eine Statistik über die Krankenhauseinweisungen zu führen. Zu einer solchen Verpflichtung mag es kommen, wenn etwa die Krankenkassen und die Kassenärztliche Vereinigung gezielte Maßnahmen zur Verlagerung vom stationären auf den ambulanten Sektor treffen. Die Notwendigkeit und Pflicht zur Erstellung und Bereithaltung von Statistiken über die Krankenhauseinweisungen mag sich auch allgemein mit zunehmender Verfeinerung der Wirtschaftlichkeitsprüfungen ergeben. Im hier maßgebenden örtlichen Bereich sind für die streitige Zeit aber keine Gründe erkennbar, die die Kassen veranlassen mußten, die fragliche Statistik zu führen. Wenn die Kläger meinten, durch ihre häufigen Besuche Krankenhauseinweisungen zu ersparen, ist der Nachweis von ihnen selbst zu führen.
Die Revision führt aus diesen Gründen zur Bestätigung des Urteils des SG, mit dem die Klage abgewiesen worden ist.
Fundstellen