Entscheidungsstichwort (Thema)

Übergangsgeldhöhe

 

Leitsatz (redaktionell)

Bei der Ermittlung des wegen Arbeitsunfähigkeit während einer medizinischen oder berufsfördernden Rehabilitationsmaßnahme entgangenen regelmäßigen Nettoarbeitsentgelts (RVO § 182 Abs 4, RVO § 1241 Abs 1) sind der spätere Lohnsteuerjahresausgleich bzw die spätere Einkommensteuerveranlagung außer acht zu lassen.

 

Normenkette

AVG § 18 Abs. 1 Fassung: 1974-08-07; RVO § 1241 Abs. 1 Fassung: 1974-08-07, § 182 Abs. 4 Fassung: 1974-08-07, Abs. 5 Fassung: 1974-08-07

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 28.07.1976; Aktenzeichen L 8 An 167/75)

SG Köln (Entscheidung vom 27.10.1975; Aktenzeichen S 19 An 39/75)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 28. Juli 1976 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Beklagte bei der Berechnung des dem Kläger gezahlten Übergangsgeldes das "Nettoarbeitsentgelt", auf dessen Höhe das Übergangsgeld begrenzt worden ist, richtig festgesetzt hat.

Durch Bescheid vom 22. November 1974 war das Übergangsgeld für die dem Kläger seit dem 28. Oktober 1974 gewährte berufsfördernde Maßnahme (Ausbildung zum Betriebswirt) auf täglich 61,90 DM angesetzt worden; dabei hatte die Beklagte nach § 18 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) i.V.m. § 182 Abs. 4 und 5 der Reichsversicherungsordnung (RVO) das im September 1974 erzielte Nettoentgelt zugrunde gelegt. Mit seiner Klage berief sich der Kläger darauf, sein Einkommenssteuerbescheid vom 26. Juni 1975 habe für das Jahr 1974 eine Steuerüberzahlung ergeben; sie müsse bei der Berechnung des Nettoentgelts für September 1974 anteilsmäßig berücksichtigt werden.

Während des Verfahrens der Vorinstanzen ergingen weitere Bescheide, zuletzt solche vom 20. Mai 1976, die unter Aufhebung der früheren Bescheide das Übergangsgeld von Anfang an neu berechneten. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Klage gegen die Bescheide vom 20. Mai 1976 abgewiesen. Nach seiner Meinung hat die Beklagte das Übergangsgeld richtig berechnet. Bei Zugrundelegung des Nettoarbeitsentgelts im letzten Lohnabrechnungszeitraum könne es zwar zu Unbilligkeiten kommen; umgekehrt wären aber auch, nämlich bei Steuernachforderung, Vorteile möglich. Der Gesetzgeber habe das in Kauf genommen, weil er vor allem eine praktikable Regelung gewollt habe.

Mit der zugelassenen Revision beantragt der Kläger,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 28. Oktober 1974 ein tägliches Übergangsgeld von 66,66 DM zu zahlen und hiervon ausgehend die Anpassung des Übergangsgeldes vorzunehmen.

Er rügt die Verletzung des § 182 Abs. 4 RVO. "Nettoarbeitsentgelt" i.S. dieser Vorschrift sei das um die gesetzlichen Abzüge verminderte Entgelt. Hierbei komme es nur auf den geschuldeten Steuerbetrag an. Deshalb sei das Nettoarbeitsentgelt für September 1974 um 248,28 DM zu erhöhen. Anderenfalls würden Arbeitnehmer, die Freistellungen von der Steuer erst später erreichten, unter Verletzung des Gleichheitssatzes schlechter gestellt als Arbeitnehmer, die sich Freibeträge im voraus eintragen ließen.

Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision. Dem Einwand des Klägers, daß bei ihrem Standpunkt das Übergangsgeld von Oktober 1974 an täglich 62,10 DM betragen müsse, hat sie durch Bescheid vom 14. Dezember 1976 Rechnung getragen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet; der Kläger hat keinen Anspruch auf ein höheres Übergangsgeld.

Ausgangspunkt für die Berechnung des Übergangsgeldes ist im vorliegenden Fall § 18 Abs. 1 des AVG i.d.F. des Rehabilitations-Angleichungsgesetzes (Reha-AnglG) vom 7. August 1974; der für die Berechnung des Krankengeldes maßgebende § 182 Abs. 4 und 5 RVO gilt danach auch für die Berechnung des Übergangsgeldes. Insoweit bestimmt § 182 Abs. 4 Satz 1 RVO, daß das Krankengeld 80 v.H. des wegen der Arbeitsunfähigkeit entgangenen regelmäßigen Entgelts (Regellohn) beträgt und das entgangene regelmäßige Nettoarbeitsentgelt nicht übersteigen darf.

Zu dem letztgenannten Begriff findet sich keine erläuternde Definition im Gesetz. Soweit ersichtlich, besteht jedoch Einigkeit darüber, daß "Nettoarbeitsentgelt" das um die gesetzlichen Abzüge verminderte Arbeitsentgelt darstellt und daß seiner Ermittlung der gleiche Zeitraum wie der Ermittlung des Regellohns zugrunde zu legen ist (vgl. § 18 f Abs. 1 AVG: "Das vor der Arbeitsunfähigkeit oder der Maßnahme erzielte, um die gesetzlichen Abzüge verminderte Arbeitsentgelt"). Das LSG hat das Übergangsgeld des Klägers nach diesen Grundsätzen richtig berechnet. Insoweit, als der Kläger im Revisionsverfahren gerügt hat, die Beklagte habe auch bei Zugrundelegung dieser Berechnungsweise das Übergangsgeld zu niedrig festgesetzt, hat die Beklagte dem Begehren des Klägers entsprochen.

Der 4. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat bereits mit Urteil vom 23. März 1977 - 4 RJ 177/75 - entschieden, daß bei der Ermittlung des Nettoarbeitsentgelts im zuletzt abgerechneten Lohnabrechnungszeitraum ein später durchgeführter Lohnsteuerjahresausgleich nicht zu berücksichtigen ist. Dem schließt sich der erkennende Senat im Ergebnis an, für eine später durchgeführte Einkommenssteuerveranlagung kann nichts anderes gelten.

Für diese Auslegung spricht insbesondere, daß das Gesetz auf die tatsächlichen Verhältnisse in dem zuletzt abgerechneten Zeitraum abstellt und daß es mit der Gewährung von Kranken- und Übergangsgeld den in dieser Zeit gegebenen wirtschaftlichen Status aufrechterhalten will. Das schließt es aus, spätere (rückwirkende) Veränderungen im Entgelt und in den Abzügen zu berücksichtigen. Das müßte zudem zu Verzögerungen bei der Anweisung des Kranken- und Übergangsgeldes und zu späteren Neuberechnungen führen, was, wie der 4. Senat zu Recht betont, mit der erstrebten schnellen Entscheidung über diese Leistungen nicht vereinbar ist.

Bei Lohnsteuererstattungen im Rahmen des Lohnsteuerjahresausgleichs oder bei der Einkommenssteuerveranlagung treten weitere Bedenken hinzu. Bei diesen Verfahren werden nicht nur die Verhältnisse in dem Bemessungszeitraum des Kranken- bzw. Übergangsgeldes, sondern auch die Verhältnisse in den übrigen Monaten des Jahres, mithin auch erst nach Ende des Bemessungszeitraums eintretende Umstände berücksichtigt; die Erstattung kann dabei u.U. ihren wesentlichen Grund gerade darin haben, daß das nach dem Ablauf des Bemessungszeitraumes gewährte Übergangsgeld lohnsteuerfrei ist. Ferner könnte der Versicherte noch andere Einkünfte als solche aus unselbständiger Arbeit erzielt haben, so daß es schwierig, wenn nicht sogar unmöglich wäre, die Erstattung anteilmäßig auf das Arbeitsentgelt im maßgebenden Bemessungszeitraum zu beziehen. Entgegen der von dem Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Ansicht läßt sich auch nicht darauf abstellen, welche steuerliche Belastung auf den Bemessungszeitraum ohne Rücksicht auf später eintretende Umstände entfallen mußte. Dies scheitert schon daran, daß eine Aufteilung der Steuerschuld auf Teile eines Kalenderjahres dem geltenden Einkommensteuerrecht fremd ist; auch Steuerfreibeträge beziehen sich stets auf ganze Kalenderjahre. Sind die Tatbestände, auf denen sie beruhen, nur in einem Teil eines Jahres erfüllt, so wirkt sich das auf die Höhe des Freibetrages und damit der Steuerschuld für das ganze Jahr aus, ohne daß von einer unterschiedlichen Belastung einzelner Zeiträume gesprochen werden könnte. Eine Berücksichtigung von Freibeträgen, deren Eintragung in die Steuerkarte zur Zeit des Bemessungszeitraumes hätte verlangt werden können, würde damit die Versicherungsträger zur Feststellung fiktiver Steuerschulden nötigen, die sich schwerlich als gesetzliche Abzüge bezeichnen ließen. Dies hätte nicht nur in besonderem Maße Verzögerungen bei der Auszahlung von Krankengeld und Übergangsgeld zur Folge, sondern würde auch das Übergangs- oder Krankengeld, soweit es durch die Höhe des Nettoentgeltes begrenzt wird, zu den tatsächlichen Bezügen und Abzügen des Versicherten im Bemessungszeitraum nicht mehr sinnvoll in Beziehung bringen; so ermittelte Beträge könnten unter keinem Gesichtspunkt noch als Nettoentgelt bezeichnet werden.

Es kann im weiteren auch nicht darauf ankommen, ob in der Zeit zwischen dem Ablauf des Bemessungszeitraumes und der Fälligkeit bzw. Festsetzung des Übergangsgeldes bereits ein Lohnsteuerjahresausgleich durchgeführt worden ist. Zutreffend hat der 4. Senat schließlich keine Verletzung des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -) darin erblickt, daß Arbeitnehmer mit vorher eingetragenen Freibeträgen anders als solche mit später festgesetzten Steuererstattungen behandelt werden; der Gesetzgeber stellt mit guten Gründen nur auf die im Bemessungszeitraum gegebenen Verhältnisse ab; im übrigen hat es jeder Versicherte in der Hand, von der Möglichkeit des vorherigen Eintrags von Freibeträgen Gebrauch zu machen. Hiernach ist ebensowenig ein Verstoß gegen das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 gg) erkennbar.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1651077

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