Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, wann ein Großvater sein Enkelkind, das uneheliche Kind seiner mit ihm zusammenlebenden minderjährigen Tochter, iS des BKGG § 2 Abs 1 Nr 7 in seinen Haushalt aufgenommen hat.
Normenkette
BKGG § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 Fassung: 1964-04-14
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 15. Juni 1966 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten darüber, unter welchen Voraussetzungen ein Enkelkind als in den Haushalt der Großeltern aufgenommen gilt, wenn die Mutter des Kindes noch minderjährig und selbst noch der elterlichen Gewalt unterworfen ist.
Der am 1. April 1917 geborene und seit 1940 verheiratete Kläger beantragte im Mai 1964 beim Arbeitsamt G Kindergeld für sein am 28. August 1962 geborenes Enkelkind M S, das uneheliche Kind der mit ihm zusammenlebenden minderjährigen Tochter B. Der Kläger hat zwei eheliche Kinder, darunter die am 13. September 1944 geborene Tochter B. Er arbeitet bei der M-werke KG in N. Dort ist auch seine Tochter B beschäftigt, die im Jahre 1963 einen Bruttoverdienst von 6.601,62 DM hatte. Das Kind der Tochter B wird tagsüber von der Großmutter betreut. Die Tochter B zahlt für Kost und Unterkunft monatlich 100,- (seit 1965: 120,-), der Vater des Kindes 70,- DM (seit 1965: 105,- DM).
Mit Bescheid vom 24. November 1964 lehnte die Kindergeldkasse G den Antrag mit der Begründung ab, daß ein Pflegekindschaftsverhältnis im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) nicht vorliege. Denn zwischen dem Kläger und seinem Enkelkind bestehe kein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band, da das Erziehungs-, Aufsichts- und Betreuungsrecht in erster Linie von der leiblichen Mutter ausgeübt werde.
Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben, der das Sozialgericht (SG) stattgegeben hat. Die hiergegen eingelegte Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, der Kläger stütze seinen Anspruch auf § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BKGG. Der Kläger habe sein am 28. August 1962 geborenes Enkelkind M nicht überwiegend unterhalten. Deswegen scheide die zweite Alternative der zitierten Vorschrift aus. Es komme deshalb darauf an, ob die Voraussetzungen der ersten Alternative des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 (Aufnahme des Enkelkindes in den Haushalt des Klägers) erfüllt seien. Die bisherige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum Begriff der "Aufnahme des Enkelkindes in den Haushalt der Großeltern" könne nicht der Auslegung des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 - erste Alternative - BKGG zugrunde gelegt werden. Sie sei ausschließlich zu den bisherigen Kindergeldgesetzen und den entsprechenden Vorschriften des Sozialversicherungsrechts ergangen und am Begriff des Pflegekindes entwickelt worden. Nach § 2 Abs. 1 Satz 3 Kindergeldgesetz (KGG) in der Fassung von 1957 seien Enkelkinder unter den dort genannten Voraussetzungen kinderrechtlich als Pflegekinder behandelt worden. Das BKGG habe zwischen den "Pflegekindern" und den Enkeln bzw. Geschwistern eine Trennung vorgenommen. Nunmehr seien in § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 BKGG nur noch die echten Pflegekinder aufgeführt. Die Enkel und Geschwister bildeten dagegen jetzt eine besondere Gruppe in Nr. 7 aaO. Es bestehe daher keine Veranlassung, die bisherige Rechtsprechung des BSG weiterhin auf die Enkel und Geschwister anzuwenden. Dem BSG müsse allerdings insoweit zugestimmt werden, als die Aufnahme in den Haushalt von Großeltern mehr verlange als das rein äußerliche Zusammenleben eines Kindes mit diesen. Im vorliegenden Falle handele es sich keineswegs um eine bloße Wohngemeinschaft zwischen dem Kläger und dem Kind. Die Beweisaufnahme habe ergeben, daß die Versorgung, Betreuung, Erziehung und Beaufsichtigung des Enkelkindes überwiegend in den Händen der - erst 49 Jahre alten - Großmutter liege. Das geschehe aufgrund eines ausdrücklichen Willensentschlusses des Klägers. Dem Kläger stehe somit ein Drittkindergeld gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BKGG zu. Dieses Ergebnis entspreche nicht nur der Billigkeit, sondern auch dem Sinn des Gesetzes. Es sei ein Erfahrungssatz, daß Großeltern, die ein Enkelkind in ihrem Haushalt aufgenommen haben und es betreuen, dadurch - unbeschadet der Unterhaltsleistung von Vater und Mutter - auch gewisse Mehraufwendungen entstehen.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Mit der Revision beantragt die Beklagte,
das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 15. Juni 1966 sowie das Urteil des SG Reutlingen vom 13. Mai 1965 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Sie rügt, das LSG habe § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BKGG verkannt. Nach der Rechtsprechung des BSG sei ein Kind, das im gemeinsamen Haushalt seiner Mutter und seiner Großeltern lebe, nicht in den Haushalt der Großeltern aufgenommen. Das gelte auch, wenn die Mutter des Kindes noch minderjährig sei. Werde aber die bisherige Rechtsprechung des BSG zum "Begriff der Aufnahme eines Enkelkindes in den Haushalt der Großeltern" der Auslegung des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 - erste Alternative - BKGG zugrunde gelegt, dann sei im Falle des Klägers die Voraussetzung dieser Vorschrift nicht erfüllt.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
II.
Die zulässige Revision ist insofern begründet, als die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen worden ist.
Der Anspruch des Klägers auf Gewährung von Kindergeld für sein Enkelkind M kann nur dann gegeben sein, wenn die Voraussetzungen der für Enkelkinder geltenden Spezialvorschrift des § 2 Abs. 1 Nr. 7 BKGG nF erfüllt sind. Da der Kläger nach den Feststellungen des LSG sein Enkelkind nicht überwiegend unterhalten hat, hängt sein Anspruch davon ab, ob er es in seinen Haushalt aufgenommen hat. Diese Voraussetzung unterscheidet sich von der der Nr. 6 des § 2 Abs. 1 BKGG aF (Pflegekinder), die bis zur Einfügung der Nr. 7 auch für die Fälle maßgebend war, in denen Großeltern ein Enkelkind aufnahmen. Zu Recht führt das LSG aus, daß wegen dieser veränderten Voraussetzungen die zu Nr. 6 ergangene Rechtsprechung für diese Fälle nicht unbesehen übernommen werden kann, sondern stets zu prüfen ist, ob sie für diese Fälle anwendbar ist. Ein Großvater hat sein Enkelkind, das mit seiner unehelichen Mutter bei ihm lebt, im Sinne der Nr. 7 dieser Vorschrift nur dann in "seinen" Haushalt aufgenommen, wenn es sich bei diesem Haushalt ausschließlich um seinen Haushalt (und den seiner Ehefrau), nicht aber wenn es sich um den gemeinsamen Haushalt von ihm (und seiner Ehefrau) und seiner Tochter oder um den ausschließlich eigenen Haushalt der Tochter handelt. Die Auslegung, daß der gemeinsame Haushalt von Großvater (Großmutter) und Tochter nicht unter § 2 Abs. 1 Nr. 7 BKGG fällt, ergibt sich schon aus dem Wortlaut dieser Vorschrift, die von "seinem" Haushalt spricht, sie wird aber auch bestätigt durch die in § 3 Abs. 2 Satz 2 BKGG enthaltene Regelung, nach welcher bei einem gemeinsamen Haushalt eines leiblichen Elternteils und eines Großelternteils das Kindergeld dem leiblichen Elternteil zusteht. Diese Vorschrift findet zwar auf den vorliegenden Fall keine Anwendung. Abgesehen davon, daß sie erst nach §§ 1, 2 aaO anwendbar ist, und zwar nur dann, wenn nach diesen Vorschriften mehrere Berechtigte vorhanden sind, kann im vorliegenden Fall die Mutter des Kindes nach § 1 aaO keinesfalls anspruchsberechtigt sein, weil sie nur ein Kind hat. § 3 Abs. 2 Satz 2 gilt aber nur für Fälle, in welchen neben anderen auch ein leiblicher Elternteil nach §§ 1 und 2 aaO anspruchsberechtigt ist. Doch bestehen keine Bedenken, den in dieser Vorschrift enthaltenen Grundgedanken zur Auslegung des § 2 Abs. 1 Nr. 7 aaO dahin heranzuziehen, daß die Großeltern nicht anspruchsberechtigt sind, wenn das Enkelkind in einem gemeinsamen Haushalt von Großeltern und Tochter lebt. Da die minderjährige Kindesmutter im vorliegenden Fall wohl kaum einen eigenen Haushalt gehabt haben wird, hängt die Entscheidung davon ab, ob ihr Kind in den ausschließlich dem Großvater (und der Großmutter) zuzurechnenden Haushalt aufgenommen worden ist oder ob es sich bei diesem Haushalt um den gemeinsamen Haushalt von Großeltern und Tochter handelt. Die vom LSG getroffenen Feststellungen reichen nicht aus, um diese Frage schon jetzt beantworten zu können; das LSG wird die fehlenden Feststellungen noch zu treffen haben. Es wird davon auszugehen haben, daß es nicht allein darauf ankommt, wem Eigentum und Besitz an Wohnung und Hausrat zusteht, sondern auch darauf, wer die Kosten des Haushalts trägt. Selbst wenn die Kindesmutter kein Eigentum und keinen Besitz an der Wohnung oder Wohnungsteilen und an dem Hausrat oder Hausratsteilen hat, könnte sie doch immerhin an diesem Haushalt dadurch beteiligt sein, daß sie die Haushaltungskosten zu einem nicht unwesentlichen Teil mitbestreitet. Wenn auch vieles für die Annahme spricht, daß eine minderjährige Tochter, die bei ihren Eltern lebt, in der Regel weder einen eigenen Haushalt noch mit ihren Eltern zusammen einen gemeinsamen Haushalt hat, sondern in dem ausschließlich den Eltern zuzuordnenden Haushalt lebt, so kann dies doch dann anders sein, wenn die minderjährige Kindesmutter eigenes Einkommen hat und damit diesen Haushalt zu einem nicht unwesentlichen Teil mitfinanziert.
Der Verdienst der Tochter belief sich auf etwa 550- DM (brutto) monatlich. Sie gab davon zunächst 100,- DM und seit 1965 120,- DM monatlich ihren Eltern ab. Dies spricht für eine Mitfinanzierung des Haushalts durch die Tochter. Doch fragt sich, ob dieser Betrag als wesentlich im Verhältnis zu den Gesamtkosten des Haushalts angesehen werden kann. Es fehlen insoweit Feststellungen darüber, in welchem Verhältnis das Einkommen der Tochter des Klägers zu dessen eigenem Einkommen steht. Dieses Verhältnis muß aber bei der Entscheidung der Frage bekannt sein, ob die Tochter den Haushalt in einem nicht unwesentlichen Maße mitfinanziert hat. Insoweit fehlen noch erforderliche Feststellungen, ohne die der Senat diese Entscheidung nicht treffen kann.
Nur dann, wenn das LSG zu dem Ergebnis käme, daß dieser Haushalt ausschließlich dem Großvater (und der Großmutter) zuzuordnen ist, würde es auch noch darauf ankommen, ob das Kind in dessen Haushalt "aufgenommen" worden ist. Das kann nicht schon dann bejaht werden, wenn das Kind in dem Haushalt des Großvaters lediglich untergebracht worden ist, es muß vielmehr verlangt werden, daß es in diesem Haushalt seine Betreuung gefunden und daß es mit Mitteln dieses Haushalts versorgt worden ist. Auch insoweit mangelt es noch an erforderlichen Feststellungen, die das LSG noch zu treffen haben wird.
Dagegen bedarf es bei der Anwendung der Nr. 7 nicht der gesonderten Feststellung, daß das Kind mit dem Großvater durch ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band verbunden ist. Man muß annehmen, daß der Gesetzgeber dieses Erfordernis in Nr. 7 bewußt nicht aufgestellt hat, weil bei den engen verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen Großvater und Enkel sogar ein echtes Familienband besteht. Aber auch die weitere Voraussetzung der Nr. 6, daß der Berechtigte zu den Unterhaltskosten des Kindes nicht unerheblich beigetragen haben muß, ist in Nr. 7 nicht aufgeführt, offenbar weil man ohne weiteres unterstellen darf, daß der Großvater, der sein Enkelkind in seinen Haushalt aufnimmt, in nicht unerheblichem Umfang zu dessen Unterhaltskosten aus eigenen Mitteln beiträgt.
Falls das LSG zu dem Ergebnis kommt, daß die Anspruchsvoraussetzungen in der Person des Klägers erfüllt sind, gleich zeitig aber auch in der Person seiner Ehefrau, der Großmutter des Kindes, diese Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, wird vor Erlaß des Urteils noch die Entscheidung des Vormundschaftsgerichts nach § 3 Abs. 4 aaO herbeigeführt werden müssen, wem von diesen beiden der Anspruch letztlich zustehen soll.
Der Rechtsstreit wird daher zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen