Entscheidungsstichwort (Thema)
Zusammenhangsbegutachtung. Sachaufklärungspflicht
Orientierungssatz
Das Gericht verletzt die Sachaufklärungspflicht, wenn es bei der Beurteilung des Zusammenhangs einer Hirnverletzung mit einem Kriegsereignis kein Luftencephalogramm zur Klärung des Sachverhalts erhoben hat und auch nicht eine eindeutige Äußerung eines Sachverständigen darüber herbeigeführt hat, ob die Vornahme einer Luftencephalographie zur restlosen Klärung des Sachverhalts angezeigt war.
Normenkette
SGG §§ 103, 162 Abs. 1 Nr. 2; BVG § 1
Verfahrensgang
LSG Berlin (Entscheidung vom 12.12.1961) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 12. Dezember 1961 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Im September 1950 beantragte der Kläger wegen "Nerven- und Gleichgewichtsstörungen, Blutandrang zum Kopf, chronischer Kopfschmerzen, Herzmuskelschaden und Atembeschwerden" Versorgung. Er gab an, im März 1945 durch Granatsplitter im Kopf und Rücken verwundet worden zu sein. Er sei bis 22. April 1945 im Feldlazarett Wünsdorf und anschließend bis Mitte September 1945 im Lazarett des Kriegsgefangenenlagers " Munsterlager " in Behandlung gewesen. Eine Untersuchung für die Versicherungsanstalt Berlin durch Dr. W am 7. November 1949 ergab einen Zustand nach Schußfraktur im Bereich des rechten Scheitelbeins und intracraniellem Geschoßsplitter. Dr. W bejahte das Vorliegen einer Hirnverletzung. Dr. J gelangte in seiner gutachtlichen Stellungnahme vom 8. Oktober 1953 zu der Auffassung, daß als Versorgungsleiden eine geringfügige Narbe und zahlreiche kleine Stecksplitter im Bereich des rechten Scheitelbeins nach Granatsplitterverletzung vorhanden, dagegen nach dem Röntgenbefund keine intracraniellen Splitter nachweisbar seien. Die bei dem Kläger vorliegende Übererregbarkeit des unwillkürlichen Nervensystems sei keine Schädigungsfolge. Der Versorgungsarzt Dr. M diagnostizierte bei der Untersuchung am 17. Februar 1954 ebenfalls eine vegetative Dystonie, die er als anlagebedingt bezeichnete. Auf diese Gesundheitsstörung seien die geringfügigen Kreislaufbeschwerden, für die sich weder klinisch noch röntgenologisch noch im EKG ein krankhafter organischer Befund erheben lasse, zurückzuführen. Durch Bescheid vom 25. Mai 1954 erkannte das Versorgungsamt (VersorgA) II Berlin "geringfügige Narbe und zahlreiche kleine Stecksplitter im Bereich des rechten Scheitelbeins nach Granatsplitterverletzung" als Schädigungsfolgen an, ohne eine Rente zu gewähren. Eine Hirnverletzung liege nicht vor, weil das Röntgenbild lediglich eine Anhäufung von linsengroßen metallischen Fremdkörpern in der Kopfschwarte des rechten Scheitelbeins zeige, jedoch keine Anzeichen für traumatische Knochenveränderungen bestünden. Die Kopfschmerzen und Schwindelgefühle sowie die geringfügigen Kreislaufbeschwerden seien auf eine vegetative Übererregbarkeit zurückzuführen, die anlagebedingt und nicht Folge der Kopfschwartenverletzung sei.
Mit seinem Widerspruch machte der Kläger insbesondere geltend (Schriftsatz vom 20. September 1954), daß er Hirnverletzter sei und die vorgenommenen versorgungsärztlichen Untersuchungen, denen weder eine Elektroencephalogramm noch ein Luftencephalogramm zugrunde gelegen hätten, nicht ausreichten. Er beantrage daher eine weitere Untersuchung unter Anwendung aller bei Kopfverletzungen notwendigen Untersuchungsmethoden. Ein internistisches Gutachten des Versorgungsarztes Dr. H vom 19. März 1956 kam zu dem Ergebnis, daß außer den anerkannten Schädigungsfolgen noch zwei Narben im Rücken und ein sehr kleiner metalldichter Fremdkörper in den Rückenweichteilen in Höhe des 12. Brustwirbelkörpers vorhanden seien. Keine Schädigungsfolgen seien eine geringe Kieferwinkeldrüsenvergrößerung beiderseits und eine geringe Veränderung der Reizleitungsverhältnisse am Herzen nach chronischer Tonsillitis. In einem weiteren nervenärztlichen Gutachten vom 12. Januar 1957 führte die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. B aus, daß die Vorgeschichte über den Hergang bei der Verwundung nicht charakteristisch für ein schweres Kopftrauma sei. Es hätten weder Bewußtseinsverlust noch Erbrechen noch andere Ausfallserscheinungen bestanden. Die Hirnstromableitung habe keine pathologisch verwertbaren Veränderungen ergeben; psychisch mache der Kläger einen frischen, aufgeschlossenen Eindruck, wirke in seiner Stimmungslage ausgeglichen und biete keinen Hinweis für eine Hirnleistungsschwäche oder Wesensveränderung. Zur Durchführung einer Luftfüllung der Hirnkammern habe er sich nicht entschließen können, doch dürfte ein krankhafter Befund dabei auch kaum zu erwarten sein. Es fänden sich Zeichen einer allgemeinen vegetativen Erregbarkeit (Schweißneigung, Hautröte, Kopfschmerzen infolge vasomotorischen Durchblutungsstörungen), die sich unabhängig von der Verletzung entwickelt hätten. In dem Widerspruchsbescheid vom 30. März 1957 erkannte das Landesversorgungsamt (LVersorgA) Berlin zusätzlich zwei Narben im Rücken und einen sehr kleinen metalldichten Fremdkörper in den Rückenweichteilen in Höhe des 12. Brustrippenwirbelkörpers als Schädigungsfolgen an, wies aber im übrigen den Widerspruch zurück.
Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) zunächst versucht, Unterlagen über die Verwundung des Klägers im März 1945 beizuholen. Entsprechende Anfragen bei den Krankenbuchlagern Berlin, Kassel und München sind jedoch ohne Erfolg geblieben. Mit Schriftsatz vom 25. August 1957 hat der Kläger Antrag nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auf Anhörung des Chefarztes Dr. L gestellt und sich mit der Durchführung eines Luftencephalogramms einverstanden erklärt. Nach Einzahlung eines Kostenvorschusses von 100 DM hat der nach § 109 SGG benannte Sachverständige Dr. L dem SG mitgeteilt, daß eine Untersuchung mit psychologischer Testung und Vornahme einer Encephalographie 10 bis 12 Tage dauere und ca. 250 DM kosten werde. Mit Schriftsatz vom 1. November 1958 hat sich der Kläger erneut mit der Durchführung einer Pneumoencephalographie einverstanden erklärt, sich jedoch nicht in der Lage gesehen, einen weiteren Vorschuß von 150 DM zu zahlen. Für den Fall, daß diese Kosten nicht von der Gerichtskasse übernommen würden, hat er den Facharzt für Nervenleiden Dr. D als Sachverständigen benannt. Dr. D hat daraufhin nach § 109 SGG das Gutachten vom 2. Februar 1959 erstattet, in dem er - ohne Erhebung eines Luftencephalogramms - zu dem Ergebnis gekommen ist, daß bei dem Kläger eine Hirnverletzung bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 v. H. vorliege, die durch eine zentrale Regulierungsstörung allgemeiner Art charakterisiert werde. Der Umstand, daß sich der Kläger zunächst beschwerdefrei gefühlt habe und erst am nächsten Tage Beschwerden in Form von Kopfschmerzen und Schwindelsymptomen aufgetreten seien, spreche für das Vorhandensein einer Contusio cerebri bezw. Compressio cerebri. Die erhobenen Röntgenaufnahmen seien zweifelhaft, auch lägen in bezug auf das EEG keine charakteristischen Symptome vor. Es hätten sich aber leichte neurologische Ausfallsymptome gezeigt, die auf irgendeinen Prozeß im Gehirn hindeuteten. Die zweifellos bestehenden zentralen Regulierungsstörungen äußerten sich in einer ausgesprochenen Labilität des Kreislaufs mit starken Blutdruckschwankungen. Zu diesem Gutachten des Dr. D hat sich die Versorgungsärztin Dr. B in einer Stellungnahme vom 20. Mai 1959 in ablehnendem Sinne geäußert. Durch Urteil vom 3. September 1959 hat das SG Berlin die Klage abgewiesen. Es hat sich den gutachtlichen Äußerungen der Versorgungsärzte angeschlossen und die von Dr. D angenommene Hirnquetschung oder -prellung nicht für wahrscheinlich erachtet, zumal sämtliche Metallsplitter nach dem Ergebnis der versorgungsärztlichen Röntgenuntersuchungen im Oktober 1953 im Bereich der Kopfschwarte liegen.
Der Kläger hat Berufung eingelegt und im Hinblick auf die Äußerung der Versorgungsärztin Dr. B vom 20. Mai 1959 eine erneute Anhörung des Dr. D nach § 109 SGG beantragt. Das Landessozialgericht (LSG) hat diesem Antrag entsprochen und ein Ergänzungsgutachten des Dr. D vom 25. Juni 1960 eingeholt. Der Sachverständige ist bei der in seinem Gutachten vom 2. Februar 1959 vertretenen Beurteilung geblieben und hat die Äußerung der Versorgungsärztin Dr. B als unlogisch und unwissenschaftlich bezeichnet. Zur weiteren medizinischen Aufklärung hat das LSG noch von Amts wegen ein Gutachten von dem Oberarzt Dr. Sch (Neurochirurgisch-Neurologische Klinik der Freien Universität Berlin) vom 5. Juli 1961 eingeholt. Dr. Sch ist der Auffassung des Dr. D entgegengetreten mit der Begründung, daß sich allein aus der Angabe des Klägers, es seien erst am Tag nach der Verwundung Kopfschmerzen und Schwindelgefühl aufgetreten, nicht das bedeutsame Symptom des sogenannten "freien Intervalls" herausarbeiten und der Nachweis einer Hirnverletzung erbringen lasse. Geringfügigen neurologischen Abweichungen könne nur bei konstantem Nachweis, der aber im vorliegenden Falle fehle, Bedeutung beigemessen werden. Eine vegetative Labilität liege beim Kläger zweifellos vor. Diese vegetativen Symptome seien aber ausgesprochen vieldeutig und auch ohne irgendein Schädeltrauma in der Vorgeschichte außerordentlich häufig. Bei der Vielschichtigkeit dieser Störungen sei zwar im Falle eines erwiesenen schweren Schädel-Hirn-Traumas die traumatische Ursache zu erwägen, doch könne man nicht umgekehrt allein mit vegetativen Beschwerden ohne andere beweiskräftige Argumente eine fragliche Hirnverletzung wahrscheinlich machen. Das Röntgenbild des Schädels beweise, daß eine Knochenverletzung nicht stattgefunden hat und die Granatsplitter in der Kopfschwarte liegen. Für eine Hirnprellung oder -kompression gebe es keine Anhaltspunkte; auch lägen keine konstant nachweisbaren neurologischen Ausfälle vor. Die geistige Hirnleistungsfähigkeit des Klägers sei in keiner Weise beeinträchtigt und sein beruflicher Aufstieg auch nach der Verwundung kontinuierlich und sehr bemerkenswert. Bei dem Kläger bestehe weder ein Nervenleiden noch eine Hirnschädigung.
Durch Urteil vom 12. Dezember 1961 hat das LSG Berlin die Berufung des Klägers zurückgewiesen; es hat die Revision nicht zugelassen. Nach dem Tatbestand des Urteils hat sich der Kläger in der mündlichen Verhandlung nochmals bereit erklärt, ein Luftencephalogramm an sich vornehmen zu lassen. In den Entscheidungsgründen hat sich das LSG mit den Ausführungen der gehörten Sachverständigen auseinandergesetzt und sich im wesentlichen den Ausführungen des Sachverständigen Dr. Sch und der Versorgungsärztin Dr. B angeschlossen. Nach seiner Ansicht hat es "der Vornahme eines Encephalogramms nicht bedurft, da nach der Grundlage der genannten ärztlichen Gutachten in jedem Falle der Ursachenzusammenhang der bestehenden Gesundheitsstörungen mit dem Wehrdienst als unwahrscheinlich anzusehen ist".
Gegen das am 9. Januar 1962 zugestellte Urteil des LSG hat der Kläger mit Schriftsatz vom 5. Februar 1962 - eingegangen beim Bundessozialgericht (BSG) am 8. Februar 1962 - Revision eingelegt und beantragt,
in Abänderung des Urteils des LSG Berlin vom 12. Dezember 1961 das Urteil des SG Berlin vom 3. September 1959 abzuändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides des VersorgA II Berlin vom 25. Mai 1954 in der Fassung des Widerspruchsbescheids des LVersorgA Berlin vom 30. März 1957 zu verurteilen, als weitere Schädigungsfolge anzuerkennen: "Hirnverletzung mit vegetativ-zentralen Regulierungsstörungen" und dem Kläger ab 1. Juli 1950 eine Versorgungsrente nach einem Grad der MdE um 30 v. H. zu gewähren";
hilfsweise,
das Urteil des LSG Berlin vom 12. Dezember 1961 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG Berlin zurückzuverweisen.
Nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis zum 9. April 1962 hat der Kläger mit Schriftsatz vom 3. April 1962 - eingegangen beim BSG am 9. April 1962 - die Revision begründet und eine Verletzung der §§ 103, 106, 128 SGG sowie eine Gesetzesverletzung bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs i. S. des § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG gerügt. Zu seiner Rüge mangelnder Sachaufklärung trägt er insbesondere vor, er habe sich zur Vornahme des zum Beweis für das Vorhandensein einer Hirnverletzung unbedingt erforderlichen Luftencephalogramms bereit erklärt. Da das schädigende Ereignis (Schädelverletzung) bereits anerkannt sei, hätte das LSG zur restlosen Aufklärung des Sachverhalts im Hinblick auf die sich widersprechenden Gutachten eine Pneumoencephalographie durchführen lassen müssen. Ferner hätte sich das Berufungsgericht bemühen müssen, die Unterlagen aus der Lazarettbehandlung bei Lüneburg und im Gefangenenlazarett Munsterlager beizuziehen. Auch die Beweiswürdigung des LSG sei fehlerhaft, weil es nicht dem Gutachten des Dr. D gefolgt sei, der als einziger Sachverständiger von dem richtigen Tatbestand ausgegangen sei, daß nach der Verwundung keine Bewußtlosigkeit vorgelegen habe.
Der Beklagte beantragt die Verwerfung der Revision als unzulässig; er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und die gerügten Verfahrensmängel nicht für gegeben.
Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 SGG). Da das LSG die Revision nicht zugelassen hat, ist sie nur statthaft, wenn ein wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt wird (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG; BSG 1, 150), oder wenn bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung oder des Todes mit einer Schädigung i. S. des Bundesversorgungsgesetzes das Gesetz verletzt ist (§ 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG). Der Kläger rügt als wesentliche Verfahrensmängel, daß das LSG gegen die §§ 103, 106, 128 SGG verstoßen habe. Hierbei genügt es für die Statthaftigkeit der Revision, wenn eine von dem Kläger erhobene Rüge durchgreift; in einem solchen Falle braucht auf weitere Rügen, welche die Revision ebenfalls nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft machen könnten, nicht mehr eingegangen zu werden (vgl. BSG in SozR SGG § 162 Bl. Da 36 Nr. 122).
Der Kläger rügt unzureichende Sachaufklärung mit dem substantiierten Vorbringen, daß das LSG die Vornahme einer Pneumoencephalographie, zu der er sich bereit erklärt habe, hätte veranlassen müssen. Nach § 103 SGG hat das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen. Hierbei muß es das tatsächliche Vorbringen der Beteiligten zwar berücksichtigen; es ist jedoch an das Vorbringen und die Beweisanträge nicht gebunden (§ 103 Satz 2 SGG). Zur Feststellung, ob die für das Bestehen oder Nichtbestehen des geltend gemachten Anspruchs erheblichen Tatsachen vorliegen, hat das Gericht alle geeigneten und notwendigen Ermittlungen anzustellen. Uber den Umfang der zur Erforschung der Wahrheit erforderlichen Ermittlungen entscheidet der Tatrichter im Rahmen der ihm obliegenden Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts. Er verletzt seine Aufklärungspflicht, wenn er eine tatsächliche Frage über den gesundheitlichen Zustand eines Versorgungsberechtigten oder über die Ursache einer Gesundheitsstörung entscheidet, die er auch vom Standpunkt eines lebenserfahrenen Richters nicht aus eigener Sachkunde entscheiden kann, oder wenn er seine Feststellung auf ein Gutachten stützt, das in sich widerspruchsvoll oder wegen anderer Mängel zur Erforschung der rechtserheblichen Tatsachen nicht geeignet oder nicht ausreichend ist (vgl. BSG 1, 91). Eine unzureichende Sachaufklärung liegt auch dann vor, wenn das LSG Beweismittel ungenützt ließ, obwohl die bisher erhobenen Beweise zu einer sicheren tatsächlichen Feststellung nicht ausreichten. Diese Voraussetzungen für die Rüge unzureichender Sachaufklärung sind im vorliegenden Falle erfüllt.
Der Kläger hat sich nicht erst in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 12. Dezember 1961 zu der Durchführung eines Luftencephalogramms bereit erklärt. Er hat vielmehr schon im Widerspruchsverfahren mit Schriftsatz vom 20. September 1954 eine gründliche hirnfachärztliche Untersuchung unter Vornahme einer Pneumoencephalographie angeregt und ferner bei seinem Antrag vor dem SG, den Chefarzt Dr. L nach § 109 SGG zu hören, die Durchführung einer Pneumoencephalographie verlangt und sich erneut zu einer solchen Untersuchung bereit erklärt (Schriftsatz vom 25. August 1957). Im gleichen Sinne hat er sich in seinem Schriftsatz vom 1. November 1958 geäußert. Zur Erhebung eines Luftencephalogramms ist es nur deshalb nicht gekommen, weil Dr. L dem SG mitgeteilt hatte, daß sich die Kosten für das Gutachten bei Vornahme einer Luftencephalographie und der psychologischen Testung auf 250 DM belaufen würden. Der Kläger, der nur einen Kostenvorschuß von 100 DM eingezahlt hatte, hat sich jedoch nicht in der Lage gesehen, einen weiteren Kostenvorschuß von 150 DM aufzubringen. Er hat daher mit Schriftsatz vom 1. November 1958 gebeten, das Encephalogramm von Amts wegen einzuholen oder - wenn dies nicht möglich sei - anstatt des Dr. L den Dr. D nach § 109 SGG zu hören. Daraufhin hat das SG diesen Sachverständigen mit der Erstattung des Gutachtens beauftragt, der kein Luftencephalogramm erhoben hat, weil das SG die Kosten nicht übernommen hat. Auf diesem Sachverhalt erklärt sich der Umstand, daß Dr. D und der vom LSG von Amts wegen gehörte Sachverständige Dr. Sch sich nicht zur Notwendigkeit der Einholung eines Luftencephalogramms geäußert haben. Hierzu hat lediglich im Widerspruchsverfahren die Versorgungsärztin Dr. B in ihrem Gutachten vom 12. Januar 1957 ausgeführt: "Zur Luftfüllung der Hirnkammern konnte sich der Antragsteller nicht entschließen, doch dürfte ein krankhafter Befund dabei auch kaum zu erwarten sein." Das LSG hat die Vornahme eines Luftencephalogramms nicht für notwendig gehalten, weil "nach der Grundlage der genannten ärztlichen Gutachten - gemeint sind die Gutachten der Versorgungsärzte und des Dr. Sch - in jedem Falle der Ursachenzusammenhang der bestehenden Gesundheitsstörungen mit dem Wehrdienst als unwahrscheinlich anzusehen ist".
Die von dem LSG für die Nichtvornahme einer Pneumoencephalographie gegebene Begründung ist jedoch bei dem gegebenen Sachverhalt nicht stichhaltig. In dem für die Versicherungsanstalt Berlin erstatteten Gutachten vom 7. November 1949 hat Dr. W ausgeführt, daß ein Zustand nach Schußfraktur im Bereich des rechten Scheitelbeins und intracraniellem Geschoßsplitter vorliege. Dieser Sachverständige hat eine Hirnverletzung bejaht. Zu demselben Ergebnis ist - wenn auch unter anderer Begründung - der nach § 109 SGG gehörte Sachverständige Dr. D in seinen Gutachten vom 2. Februar 1959 und 25. Juni 1960 gekommen, während die Versorgungsärzte und der vom LSG gehörte Oberarzt Dr. Sch von der Neurochirurgisch-Neurologischen Klinik der Freien Universität Berlin in seinem Gutachten vom 5. Juli 1961 das Vorliegen einer Hirnverletzung verneint haben. Bei den sich widersprechenden Gutachten durfte das LSG nicht davon ausgehen, daß die Einholung eines Luftencephalogramms "in jedem Falle" nicht erforderlich sei. Von einer solchen Untersuchung hätte es vielleicht dann absehen können, wenn eindeutige ärztliche Äußerungen mit eingehender Begründung dazu vorlagen, daß im Falle des Klägers die Vornahme eines Luftencephalogramms zu keiner weiteren Sachaufklärung hinsichtlich der streitigen Hirnverletzung führen könnte. Das ist aber nicht der Fall; denn Frau Dr. B hat sich in dem Gutachten vom 12. Januar 1957 sehr vorsichtig dahin geäußert, daß bei der Durchführung einer Luftfüllung der Hirnkammern ein krankhafter Befund auch kaum zu erwarten sei. Dr. L der vom SG zunächst als Sachverständiger nach § 109 SGG gehört werden sollte, hat ferner davon gesprochen, daß gegebenenfalls die Erhebung eines Encephalogramms erforderlich sei und dadurch Kosten für die Gesamtbegutachtung in Höhe von insgesamt 250 DM entstehen würden. Zumindest hätte das LSG zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts bei dem zuletzt gehörten Sachverständigen Dr. Sch anfragen müssen, ob er ein Luftencephalogramm für erforderlich halte und - verneinendenfalls - aus welchen Gründen es für eine restlose Aufklärung der rein medizinischen Frage, ob eine Hirnverletzung des Klägers vorliegt, nicht erforderlich sei. Das LSG hat daher den Sachverhalt insoweit nicht hinreichend aufgeklärt, weil es ein Luftencephalogramm nicht erhoben und auch nicht wenigstens eine eindeutige Äußerung eines Sachverständigen darüber herbeigeführt hat, ob die Vornahme einer Luftencephalographie zur restlosen Klärung des Sachverhalts angezeigt war. Hierbei kann auch die Tatsache nicht unberücksichtigt bleiben, daß der Kläger immerhin unstreitig eine erhebliche Granatsplitterverletzung am Kopf erlitten hat, die einen Lazarettaufenthalt von einem halben Jahr (März bis September 1945) und eine zweimalige Operation erforderlich machte. Die Revision des Klägers ist somit wegen Verletzung des § 103 SGG statthaft.
Die Revision ist auch begründet, da das angefochtene Urteil auf dieser unzureichenden Sachaufklärung beruht; denn es besteht die Möglichkeit, daß das LSG anders entschieden hätte, wenn es die nach den vorstehenden Ausführungen erforderliche Sachaufklärung durchgeführt hätte (vgl. BSG 2, 197). Da der Senat nicht selbst entscheiden kann, weil noch weitere Ermittlungen erforderlich sind, mußte das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das LSG Berlin zurückverwiesen werden (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).
Fundstellen