Leitsatz (amtlich)
Auf die Bezugsdauer von 78 Wochen (RVO § 183 Abs 2) wird eine Zeit nicht angerechnet, in der die Krankenkasse zwar Krankengeld gezahlt, dieses aber in vollem Umfange auf Grund des Übergangs des Anspruchs auf ein nachträglich bewilligtes Übergangsgeld vom Rentenversicherungsträger ersetzt erhalten hat.
Normenkette
RVO § 183 Abs. 2 Fassung: 1961-07-12
Tenor
Die Sprungrevision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 8. Juli 1970 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Der bei der beklagten Innungskrankenkasse pflichtversicherte Kläger war vom 2. März 1967 an arbeitsunfähig krank. Die Beklagte gewährte ihm Krankengeld nur bis zum 3. Oktober 1968, weil nach ihrer Auffassung mit diesem Zeitpunkt die 78 Wochen Bezugsdauer nach § 183 Abs. 2 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) abgelaufen waren. Nicht eingerechnet hat sie die Zeit vom 7. Dezember 1967 bis 4. Januar 1968, während der der Kläger zu Lasten der zuständigen Landesversicherungsanstalt (LVA) eine Kur durchgemacht hat, ferner die Zeit vom 5. Januar bis 11. Januar 1968, während der der Kläger im Anschluß an die Kur noch arbeitsunfähig war. Dagegen hat die Beklagte die Zeit vom 1. Oktober 1967 bis 6. Dezember 1967, für welche dem Kläger nachträglich Übergangsgeld gewährt worden war, auf die 78-Wochen-Frist angerechnet. Für diese Zeit hatte die Beklagte 1.587,90 DM an Krankengeld gezahlt, aber aus der Übergangsgeldforderung (1.929,60 DM) vollen Ersatz erhalten.
Der Kläger, der seit dem 12. Januar 1968 Rente wegen Berufsunfähigkeit bezieht, ist der Auffassung, daß die genannte Zeit nicht auf die Bezugsdauer angerechnet werden dürfe, weil die Beklagte für diese Zeit vollen Ersatz des Krankengeldes erhalten habe. Er hat Klage erhoben mit dem Ziel, die Beklagte zu verurteilen, ihm auch für die Zeit vom 4. Oktober 1968 bis 9. Dezember 1968 Krankengeld zu gewähren. Das Sozialgericht (SG) hat der Klage mit der Maßgabe stattgegeben, daß die Berufsunfähigkeitsrente anzurechnen sei. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Nach § 183 Abs. 6 RVO entfalle der Anspruch auf Krankengeld, solange von einem Träger der Rentenversicherung Übergangsgeld gewährt werde. Aus § 1241 Abs. 1 Satz 2 RVO könne nicht der Schluß gezogen werden, daß die Regelung des § 183 Abs. 6 RVO für dieses Übergangsgeld keine Geltung habe. Ohne Bedeutung sei es auch, daß das Übergangsgeld nachträglich für einen Zeitraum bewilligt worden sei, für den bereits Krankengeld gezahlt worden sei. Da die Beklagte im vorliegenden Falle aus der Übergangsgeldforderung den vollen Betrag des Krankengeldes empfangen habe, sei die Rechtslage genau so zu beurteilen, als ob sie kein Krankengeld gezahlt habe. Die Zeit des Übergangsgeldbezugs müsse daher bei der Berechnung der 78 Wochen außer Betracht bleiben. Das SG hat die Berufung zugelassen.
Die Beklagte hat gegen das Urteil mit Einwilligung des Klägers Sprungrevision eingelegt.
Sie trägt vor: Wenn der Rentenversicherungsträger nachträglich Übergangsgeld für eine Zeit gewähre, für die bereits Krankengeld gezahlt worden sei, so gehe der Anspruch auf das Übergangsgeld in entsprechender Anwendung des § 183 Abs. 3 Satz 2 und 3 RVO auf die Krankenkasse über. Das nach § 1241 Abs. 1 Satz 2 RVO anstelle einer an sich zu zahlenden Rente zugebilligte Übergangsgeld sei anstelle eines Rentenanspruchs gewährt worden; es könne daher nicht anders angesehen werden als eine rückwirkend bewilligte Rente, § 183 Abs. 6 RVO sei daher nicht anzuwenden. § 183 Abs. 2 RVO gelte auch für den Fall, wenn nach Übergang des Anspruchs auf Übergangsgeld ein Spitzbetrag im Sinne des § 183 Abs. 3 Satz 3 RVO der Krankenkasse nicht verbleibe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des SG Hamburg vom 8. Juli 1970 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
II
Die Sprungrevision ist nicht begründet.
Nach § 183 Abs. 6 RVO entfällt der Anspruch auf Krankengeld, solange von einem Träger der Rentenversicherung Übergangsgeld gewährt wird. Eine derartige Zeit ist nicht auf die Bezugsdauer anzurechnen (vgl. Urteil des Senats vom 15. Oktober 1965 - SozR RVO § 183 Nr. 34 zur Frage der Anrechnung auf die Bezugsdauer von 6 Wochen nach § 183 Abs. 4 RVO). Ist aber - wie hier - für eine Zeit bereits Krankengeld gezahlt worden, für die nachträglich ein Übergangsgeld gewährt worden ist, so ist § 183 Abs. 3 Satz 2 RVO entsprechend anzuwenden (Urteil des Senats vom 27. April 1966 - SozR RVO § 183 Nr. 14). Das hat zur Folge, daß der Anspruch auf Übergangsgeld auf die Krankenkasse übergeht, der Kläger aber das Krankengeld behalten kann.
Im vorliegenden Fall ist die Krankenkasse aus dem Übergangsgeld voll befriedigt worden, sie ist also für ihre Aufwendungen an Krankengeld in der Zeit vom 1. Oktober bis 6. Dezember 1967 voll entschädigt worden. Zweck des § 183 Abs. 2 RVO ist es, die Leistungen der Krankenkasse auf äußerst 78 Wochen innerhalb von je 3 Jahren zu beschränken. Dabei sind aber als Bezugsdauer nur solche Zeiten anzusehen, für die die Krankenkasse Krankengeld im Endergebnis auch tatsächlich wirtschaftlich erbracht hat. Demgemäß hat der Senat in seinem Urteil vom 11. Juli 1967 (SozR § 183 Nr. 23) u. a. ausgesprochen, daß zur Bezugszeit i. S. des § 183 Abs. 2 RVO auch solche Zeiten rechneten, für die der Versicherte vor Zubilligung der Erwerbsunfähigkeitsrente Krankengeld bezogen hat, dafür aber der Anspruch auf die niedrigere Rente voll auf die Krankenkasse übergegangen ist. Denn auch hier hat die Krankenkasse Leistungen aus eigenen Mitteln erbracht. Andererseits hat der Senat in seinem Urteil vom 11. März 1970 (SozR RVO § 183 Nr. 48) entschieden, daß die Krankenkasse in vollem Umfange Krankengeld nach § 183 Abs. 2 Satz 1 RVO zu gewähren habe, wenn ein Krankenversicherter wegen einer auf einem Arbeitsunfall beruhenden Erkrankung Verletztengeld bezogen habe und wenn zu dieser Erkrankung eine nicht unfallbedingte hinzutrete; die Bezugsdauer des Verletztengeldes dürfe nicht angerechnet werden. Auch hier war für den Senat die Erwägung entscheidend, daß als Krankengeldzahlungen (abgesehen vom Ruhen) auf die Bezugsdauer nur solche Zeiten angerechnet werden sollen, für die die Krankenkasse auch tatsächlich Leistungen an Krankengeld erbracht hat, nicht aber solche Zeiten, für die sie keine Aufwendungen gehabt hat.
Da die Beklagte im vorliegenden Fall in der Zeit vom 1. Oktober bis 6. Dezember 1967 im Endergebnis keine Krankengeldaufwendungen hatte, weil ihr das gezahlte Krankengeld in vollem Umfang und nicht teilweise aus dem Übergangsgeld nach § 1241 Abs. 1 Satz 2 RVO erstattet worden ist, darf diese Zeit nicht in die Bezugsdauer des § 183 Abs. 2 RVO eingerechnet werden. Dementsprechend war die Bezugsdauer mit dem 3. Oktober 1968 noch nicht erschöpft, sie verlängert sich vielmehr um weitere 67 Tage. Der Kläger hat also noch Anspruch auf Krankengeld für die Zeit vom 4. Oktober bis 9. Dezember 1968 mit der sich aus § 183 Abs. 5 RVO ergebenden Beschränkung wie es das SG ausgesprochen hat.
Die Sprungrevision der Beklagten muß daher mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückgewiesen werden.
Fundstellen