Leitsatz (amtlich)

Eine Krankenkasse kann die Nachzahlung der Erwerbsunfähigkeitsrente eines Versicherten nach RVO § 183 Abs 3 S 2 beanspruchen, wenn sie ihm aufgrund des RVO § 214 "nachgehendes" Krankengeld solange gewährt hat, bis ihm die Rente rückwirkend von einem nach Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis und vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit liegenden Zeitpunkt an zugebilligt wurde (Anschluß an BSG 1967-11-24 3 RK 70/64 = SozR Nr 29 zu § 183 RVO).

 

Leitsatz (redaktionell)

Anwendung des RVO § 183 Abs 3 und 4 bei Krankengeld nach RVO § 214:

Ein auf der Vorschrift des RVO § 214 beruhender Krankengeldanspruch fällt bei rückwirkender Zubilligung von Erwerbsunfähigkeitsrente oder Altersruhegeld vom Rentenbeginn an weg mit der Folge, daß der Rentenanspruch auf die KK übergeht; RVO § 183 Abs 4 findet in diesen Fällen keine Anwendung.

 

Normenkette

RVO § 183 Abs. 3 S. 2 Fassung: 1961-07-12, § 214 Abs. 1 Fassung: 1930-07-26, § 183 Abs. 4 Fassung: 1961-07-12

 

Tenor

Unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Dortmund vom 6. September 1973 wird die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 889,70 DM zu zahlen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die klagende Allgemeine Ortskrankenkasse beansprucht von der beklagten Landesversicherungsanstalt die Überweisung einer Rentennachzahlung mit der Begründung, der Rentenanspruch des Versicherten G. sei auf sie übergegangen.

Der Versicherte war aufgrund einer versicherungspflichtigen Beschäftigung bis zum 31. August 1971 Mitglied der Klägerin. Er gab wegen Erkrankung seine Beschäftigung an diesem Tage auf. Am 10. September 1971 wurde Arbeitsunfähigkeit des Versicherten seit dem 9. September 1971 ärztlich festgestellt. Vom 11. September 1971 bis 1. März 1972 zahlte die Klägerin ihm aufgrund des § 214 der Reichsversicherungsordnung (RVO) Krankengeld ("nachgehender" Krankenschutz während der Erwerbslosigkeit). Am 13. September 1971 beantragte der Versicherte Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Die Beklagte bewilligte sie ihm mit Bescheid vom 24. Februar 1972 rückwirkend vom 1. September 1971 an. Die Klägerin stellte daraufhin die Zahlung des Krankengeldes zum 1. März 1972 ein.

Die Klägerin erbat von der Beklagten unter Hinweis auf § 183 Abs. 3 RVO die Überweisung der Rentennachzahlung. Die Beklagte erwiderte, ein Ersatzanspruch der Klägerin könne erst für Zeiten vom Ablauf der sechsten Woche des Krankengeldbezuges an entstehen (§ 183 Abs. 4 RVO). Sie behielt deshalb von der Rentennachzahlung dementsprechend einen Betrag von 889,70 DM zurück; insoweit sei der Rentenanspruch beim Versicherten verblieben.

Das Sozialgericht (SG) hat die auf Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 889,70 DM gerichtete Klage abgewiesen: Da die Rente bereits vom 1. September 1971 an bewilligt, Krankengeld aber erst vom 11. September 1971 an gezahlt worden sei, sei Krankengeld "während des Bezugs von Erwerbsunfähigkeitsrente" gewährt worden. Somit lägen die Voraussetzungen des § 184 Abs. 4 RVO vor. - Die Berufung wurde zugelassen (Urteil vom 6. September 1973).

Die Klägerin hat Sprungrevision eingelegt. Sie hat beantragt, das Urteil des SG aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr 889,70 DM zu überweisen.

Die Klägerin meint, das SG verkenne die systematische Stellung und die Bedeutung des § 183 Abs. 4 RVO. Diese Vorschrift müßte in ihrem Gesamtzusammenhang innerhalb des § 183 RVO gesehen werden. In Absatz 3 des § 183 RVO sei der Grundsatz aufgestellt, daß der Anspruch auf Krankengeld mit dem Tage ende, von dem an Rente wegen Erwerbsunfähigkeit oder Altersruhegeld gezahlt werde. Absatz 4 erfasse nur Rentner, die über den Rentenbeginn hinaus eine Beschäftigung ausübten. Diese sollten, da sie auch noch Beiträge zahlten, sechs Wochen lang in den Genuß des Krankengeldes kommen. Dies sei aus dem Wort des Absatzes 4 "während" zu entnehmen; Rente und Krankengeld müßten zur selben Zeit gewährt werden. Der Versicherte dieses Rechtsstreits habe nicht "während" des Laufs der Rente Krankengeld erhalten, sondern er habe "anstelle" der Erwerbsunfähigkeitsrente Krankengeld bezogen. Dieser Fall sei in Absatz 3 geregelt.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Sprungrevision ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat Anspruch gegen die Beklagte auf Überweisung der Rentennachzahlung in der nicht bestrittenen Höhe von 889,70 DM.

Nach § 183 Abs. 3 Satz 2 RVO geht der Anspruch auf Rente bis zur Höhe des gezahlten Krankengeldes auf die Krankenkasse über, wenn die Kasse Krankengeld geleistet, obwohl nach § 183 Abs. 3 Satz 1 RVO der Anspruch auf Krankengeld mit dem Tage, von dem an Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zugebilligt worden ist, geendet hat.

Wie das Bundessozialgericht (BSG) bereits entschieden hat, kann ein Krankenversicherter, der vor Beginn seiner Erwerbsunfähigkeitsrente als Mitglied der Krankenkasse ausgeschieden ist, von dem Tag an, an dem die Rente beginnt, keinen Anspruch auf Krankengeld aus dem früheren Versicherungsverhältnis mehr erwerben, auch nicht auf die Dauer von höchstens sechs Wochen (BSG-Urteil vom 24. November 1967 - 3 RK 70/64 in SozR Nr. 29 zu § 183 RVO). Daraus, daß nach § 183 Abs. 3 Satz 1 RVO ein bereits entstandener Anspruch auf Krankengeld durch den Beginn der Erwerbsunfähigkeitsrente zum Erlöschen gebracht wird, ist in jener Entscheidung gefolgert worden, daß der Beginn der Erwerbsunfähigkeitsrente erst recht die Entstehung eines Krankengeldanspruchs aus einem schon beendeten krankenversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis für eine Zeit seit Beginn der Erwerbsunfähigkeitsrente verhindert. In jenem Fall wie im vorliegenden war die Mitgliedschaft des Versicherten aufgrund versicherungspflichtiger Beschäftigung wegen Aufgabe dieser Beschäftigung schon beendet, als die Erwerbsunfähigkeitsrente begann. Der Anspruch auf Krankengeld war dort wie hier nur ein aufgrund § 214 RVO entstandener "nachgehender" Anspruch. Er war nicht während des Bestehens der krankenversicherungspflichtigen Beschäftigung eines Erwerbsunfähigkeitsrentners entstanden. Der Fall der erwähnten früheren Entscheidung des BSG und der vorliegende unterscheiden sich nur insofern, als dort die Krankenkasse die Zahlung des nach § 214 RVO gewährten Krankengeldes im Hinblick auf die Entstehung der Mitgliedschaft in der Krankenversicherung der Rentner (§§ 165 Abs. 1 Nr. 3, 306 Abs. 2 RVO) eingestellt hatte, als der Versicherte Erwerbsunfähigkeitsrente beantragte, während hier die Klägerin das Krankengeld über diesen Zeitpunkt hinaus weitergewährt hat. Dieser Unterschied berührt jedoch nicht den rechtlich entscheidenden Umstand, daß der Beginn der Erwerbsunfähigkeitsrente die spätere Entstehung eines Krankengeldanspruchs nach § 214 RVO nachträglich verhindert hat (vgl. auch BSG-Urteil vom 24. Juni 1969 - 3 RK 12/67 in SozR Nr. 42 zu § 183 RVO).

Die Begünstigung nach § 183 Abs. 4 RVO durch die gleichzeitige Gewährung von Krankengeld und Erwerbsunfähigkeitsrente für längstens sechs Wochen setzt voraus, wie das BSG schon entschieden hat, daß während der Bezugsdauer der Erwerbsunfähigkeitsrente ein krankenversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis besteht, aus dem die dem Arbeitsverdienst entsprechenden Krankenversicherungsbeiträge entrichtet sind. Der erkennende Senat legt § 183 Abs. 3 und 4 RVO ebenfalls in diesem Sinne aus. Bei einem vor Beginn der Erwerbsunfähigkeitsrente beendeten krankenversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis und einem lediglich aufgrund § 214 RVO entstandenen Krankengeldanspruch besteht kein Grund für die Vergünstigung des § 183 Abs. 4 RVO. Der Wortlaut dieser Vorschrift - Gewährung von Krankengeld "während" des Bezugs von Erwerbsunfähigkeitsrente - kann nicht losgelöst von ihrem Sinn und Zweck und den Voraussetzungen der Gewährung des Krankengeldes für die Auslegung herangezogen werden.

Der Versicherte, der vor dem Beginn seiner Erwerbsunfähigkeitsrente am 1. September 1971, nämlich am 31. August 1971, als Mitglied der Klägerin ausgeschieden war, hat somit am 11. September 1971 keinen Krankengeldanspruch aus dem früheren Krankenversicherungsverhältnis mehr erworben. Zwar hat mit dem Tag, von dem an die Erwerbsunfähigkeitsrente zugebilligt wurde, nicht ein Anspruch des Versicherten auf Krankengeld "geendet", wie in § 183 Abs. 3 Satz 1 RVO vorausgesetzt wird, sondern seine Entstehung nach § 214 RVO ist nachträglich beseitigt worden. Auch in einem solchen Fall ist § 183 Abs. 3 Satz 2 RVO anzuwenden, solange die Krankenkasse bis zum Erlaß des Rentenbescheids mit der rückwirkenden Bewilligung der Rente Krankengeld gezahlt hat. Dies erfordert der Zweck des § 183 Abs. 3 Satz 2 RVO, wonach Doppelleistungen verhindert werden sollen (vgl. auch BSG-Urteil vom 18. März 1966 - 3 RK 98/63 in SozR Nr. 13 zu § 183 RVO).

Das angefochtene Urteil war somit aufzuheben und die Beklagte antragsgemäß zu verurteilen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1648763

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