Leitsatz (amtlich)
Ist das Krankenversicherungsverhältnis bei Beginn einer Erwerbsunfähigkeitsrente bereits beendet, so geht der Anspruch auf die Rente auch dann auf die KK über (RVO § 183 Abs 3 S 2), wenn sie das Krankengeld von dem gleichen Zeitpunkt an gezahlt hat, an dem die Rente beginnt (Ergänzung zu BSG 1967-11-24 3 RK 70/64= SozR Nr 29 zu § 183 RVO).
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein mit Krankengeldberechtigung verbundenes Versicherungsverhältnis bleibt gemäß RVO § 183 Abs 6 nur erhalten, wenn und solange der Versicherte während des Bezuges von Übergangsgeld arbeitsunfähig ist und insoweit ein an sich gegebener Krankengeldanspruch entfällt.
2. Die Anwendung des RVO § 183 Abs 4 setzt voraus, daß der Rentenempfänger bei Beginn der Erwerbsunfähigkeitsrente oder des Altersruhegeldes in einem mit Anspruch auf Krankengeld ausgestatteten Versicherungsverhältnis steht oder später in ein solches eintritt; ein nach dem Ende eines derartigen Versicherungsverhältnisses entstandener Krankengeldanspruch fällt deshalb bei rückwirkender Zubilligung von Erwerbsunfähigkeitsrente oder Altersruhegeld von seinem Beginn an weg mit der Folge, daß die Rente für die gesamte Krankengeldbezugszeit auf die KK nach RVO § 183 Abs 3 übergeht.
Normenkette
RVO § 183 Abs. 3 S. 2 Fassung: 1961-07-12, Abs. 6 Fassung: 1961-07-12
Tenor
Die Sprungrevision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 10. November 1965 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob eine Erwerbsunfähigkeitsrente, die die beklagte Landesversicherungsanstalt (LVA) dem Kläger rückwirkend zugebilligt hat, für die ersten sechs Wochen der Bezugszeit, in der die beigeladene Betriebskrankenkasse (BKK) dem Kläger zunächst Krankengeld gewährt hatte, auf diese nach § 183 Abs. 3 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) übergegangen oder dem Kläger verblieben ist.
Der Kläger war bis zum 9. August 1962 versicherungspflichtig beschäftigt. Anschließend (vom 10. August bis zum 7. September 1962) machte er eine Kur, die ihm die LVA wegen einer chronischen Emphysembronchitis bewilligt hatte. Während dieser Zeit und auch der folgenden Woche, für die ihn der Kurarzt als arbeitsfähig bezeichnet, jedoch noch Arbeitsruhe angeordnet hatte, erhielt er Übergangsgeld. Am letzten Tag der "Schonwoche" (14. September 1962) wurde er von seinem behandelnden Arzt wegen der Emphysembronchitis arbeitsunfähig geschrieben und bezog vom folgenden Tag an Krankengeld. Vom gleichen Tage an (15. September 1962) bewilligte ihm die beklagte LVA nachträglich eine Versichertenrente, zunächst als Rente wegen Berufsunfähigkeit, später - nachdem der Kläger dagegen Klage erhoben hatte - als Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Die Rentennachzahlung, die auf die streitigen ersten sechs Wochen der Rentenbezugszeit entfiel, überwies die Beklagte der Beigeladenen zum Ausgleich für das von dieser gezahlte höhere Krankengeld.
Nach Ansicht des Klägers steht die Rentennachzahlung für die streitige Zeit nicht der Beigeladenen, sondern ihm zu, weil er während dieser Zeit einen Anspruch auf Krankengeld gehabt habe (§ 183 Abs. 4 RVO), so daß die Beigeladene insoweit nicht auf die Rentennachzahlung habe zurückgreifen können.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen: § 183 Abs.4 RVO sei hier nach Sinn und Zweck nicht anwendbar, weil der Kläger über den Beginn der Erwerbsunfähigkeitsrente hinaus nicht versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei und auch keine Krankenversicherungsbeiträge entrichtet habe. Die genannte Vorschrift begünstige nur solche Versicherte, die nach Beginn der Erwerbsunfähigkeitsrente weiterhin in einer versicherungspflichtigen Beschäftigung ständen und entsprechende Beiträge leisteten (Urteil vom 10. November 1965).
Der Kläger hat gegen dieses Urteil, gegen das die Berufung zugelassen worden ist, mit Zustimmung der Beklagten und der Beigeladenen Sprungrevision eingelegt und beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und ihrer Bescheide vom 25. April 1963 und 14. Februar 1964 zu verurteilen, die ab 15. September 1962 für die Dauer von sechs Wochen einbehaltene Rente wegen Erwerbsunfähigkeit an den Kläger zu zahlen.
Der Kläger hat vorgetragen: Wenn er kein Übergangsgeld erhalten hätte, wäre ihm die Erwerbsunfähigkeitsrente schon ab 1. September 1962 gezahlt worden; bei sinnvoller Auslegung des § 183 Abs. 4 RVO sei also der Krankengeldanspruch "während" des Bezuges einer Leistung des Rentenversicherungsträgers entstanden und stehe ihm deshalb für sechs Wochen neben der Rente zu.
Die Beklagte und die Beigeladene haben beantragt,
die Sprungrevision des Klägers gegen das - ihrer Ansicht nach zutreffende - Urteil des SG als unbegründet zurückzuweisen.
II
Die Sprungrevision ist zulässig. Der Rechtsstreit betrifft nur "Rente für bereits abgelaufene Zeiträume" (§ 146 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -, vgl. SozR Nr. 19 zu § 146 SGG). Die Berufung wäre deshalb ausgeschlossen, wenn das SG sie nicht ausdrücklich zugelassen hätte (§ 150 Nr. 1 SGG). Anstelle der nach § 150 SGG statthaften Berufung konnte gemäß § 161 SGG Sprungrevision eingelegt werden.
Das Rechtsmittel ist unbegründet. Wie das SG zutreffend entschieden hat, steht dem Kläger die Rentennachzahlung für die streitige Zeit nicht zu, weil die beigeladene BKK die Rente - zum Ausgleich für das von ihr gewährte höhere Krankengeld - mit Recht in Anspruch genommen hat (§ 183 Abs. 3 Satz 2 RVO).
Nach Feststellung des SG war der Kläger bis zum 9. August 1962 versicherungspflichtig beschäftigt. Während des anschließenden Bezugs von Übergangsgeld blieb seine Kassenmitgliedschaft nur erhalten, wenn und solange er arbeitsunfähig war; nur insoweit "entfiel" nämlich durch die Zahlung des Übergangsgeldes ein "an sich" gegebener Krankengeldanspruch (§ 183 Abs. 6 RVO und PSG 28, 211). Ob der Kläger während seiner Kur arbeitsunfähig war, ist den Feststellungen des SG nicht mit Sicherheit zu entnehmen; daß während einer zum Zwecke der Rehabilitation durchgeführten Kur nicht notwendig Arbeitsunfähigkeit vorzuliegen braucht, zeigt § 1259 Abs. 1 Nr. 1 RVO. Festgestellt hat das SG lediglich, daß der Kläger bei Beendigung der Kur, am 7. September 1962, arbeitsfähig war (wenn auch der Kurarzt noch eine Woche Arbeitsruhe verordnet hatte). Jedenfalls von diesem Tage an bestand mithin - mangels eines durch Zahlung des Übergangsgeldes entfallenen Krankengeldanspruchs - keine Kassenmitgliedschaft des Klägers mehr.
Daß die beigeladene BKK dem Kläger gleichwohl vom 15. September 1962 an Krankengeld gezahlt hat, beruht offenbar darauf, daß der Versicherungsfall - die behandlungsbedürftige Krankheit (Emphysembronchitis) - schon beim Ausscheiden aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung vorgelegen und während der ganzen Zeit des Übergangsgeldbezuges, in der der Kläger wegen der genannten Krankheit behandelt wurde, bis zum Eintritt der Arbeitsunfähigkeit am 14. September 1962 fortbestanden hat. Daß in Fällen dieser Art, in denen die Arbeitsunfähigkeit noch während des - auf 26 Wochen nach dem Ausscheiden aus der Kassenmitgliedschaft begrenzten (§ 183 Abs. 1 Satz 2 RVO) - Anspruchs auf Krankenpflege eingetreten ist, ein Krankengeldanspruch besteht, hat der Senat schon entschieden (BSG 28, 249, 251). Der Kläger hat somit seit dem 15. September 1962 zunächst mit Recht (vgl. dazu SozR Nr. 37 zu § 183 RVO) Krankengeld erhalten. Indessen ist sein Krankengeldanspruch mit der nachträglichen Bewilligung der Erwerbsunfähigkeitsrente (ebenfalls vom 15. September 1962 an) rückwirkend wieder entfallen (§ 183 Abs. 3 RVO).
Grundsätzlich wird zwar nach § 183 Abs. 3 RVO ein Anspruch auf Krankengeld durch Zubilligung einer Erwerbsunfähigkeitsrente nur betroffen, wenn der Krankengeldanspruch schon vor Beginn der Rente bestanden hat, also früher als der Rentenanspruch entstanden ist (SozR Nr. 17 zu § 183 RVO). Nach der Rechtsprechung des Senats kann jedoch auch ein neuer Krankengeldanspruch vom Tage des Rentenbeginns an nicht mehr entstehen, wenn der Versicherte vor Rentenbeginn als Mitglied der Krankenkasse ausgeschieden ist, ein Versicherungsverhältnis, aus dem ein Krankengeldanspruch erwachsen könnte, bei Rentenbeginn also nicht mehr besteht (SozR Nr. 29 zu § 183 RVO). Wenn nämlich der Beginn einer Erwerbsunfähigkeitsrente sogar einen schon entstandenen Krankengeldanspruch untergehen läßt, so muß der Beginn einer solchen Rente erst recht die - schwächere - Wirkung haben, die Entstehung eines neuen Krankengeldanspruchs aus einem bereits beendeten Versicherungsverhältnis zu hindern. Etwas anderes ist auch § 183 Abs. 4 RVO nicht zu entnehmen, der seinem Wortlaut nach Krankengeldansprüche regelt, die erst "während des Bezugs von Erwerbsunfähigkeitsrente" entstehen, der jedoch, wie das SG zutreffend ausgeführt hat, nach Sinn und Entstehungsgeschichte nur solche Rentner begünstigt, die noch bei Beginn der Rente in einem mit Krankengeldberechtigung verbundenen Versicherungsverhältnis stehen oder danach in ein solches eintreten (SozR aaO).
Im vorliegenden Fall hat das Versicherungsverhältnis des Klägers, auf das sich allein ein Krankengeldanspruch gründen könnte, jedenfalls mit Beendigung der Kur (7. September 1962), also vor Beginn der Erwerbsunfähigkeitsrente (15. September 1962) geendet; daß es nach dem 7. September 1962 durch den Übergangsgeldbezug nicht aufrechterhalten worden ist, ist bereits ausgeführt worden. Aus diesem Versicherungsverhältnis konnte der Kläger deshalb - rückschauend betrachtet - vom Tage des Rentenbeginns an keinen Krankengeldanspruch mehr erwerben, auch nicht nach § 183 Abs. 4 RVO auf die Dauer von höchstens sechs Wochen. Daran ändert auch nichts, daß das Krankengeld hier - nach Feststellung der Arbeitsunfähigkeit des Klägers am 14. September 1962 - zugleich mit der Rente begonnen hatte, und daß nach der Rechtsprechung des Senats zu § 183 Abs. 5 RVO (Zusammentreffen von Krankengeld mit Berufsunfähigkeitsrente) das Krankengeld unverkürzt zu gewähren ist, wenn beide Leistungen, Krankengeld und Berufsunfähigkeitsrente, an demselben Tage beginnen (Urteil des Senats vom 20. März 1969, 3 RK 96/67). § 183 Abs. 5 RVO sieht eine Kürzung des Krankengeldes nur vor, wenn die Berufsunfähigkeitsrente "während des Bezuges von Krankengeld" zugebilligt wird, so daß Fälle, in denen Krankengeld und Rente gleichzeitig beginnen, von der Kürzungsvorschrift nicht erfaßt werden.
Hatte der Kläger somit, rückblickend gesehen, für die streitige Zeit keinen Anspruch auf das von der Beigeladenen seit dem 15. September 1962 gezahlte Krankengeld, so hat diese die Rentennachzahlung insoweit mit Recht für sich in Anspruch genommen. Die Sprungrevision des Klägers ist unbegründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen