Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 10.04.1974) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 10. April 1974 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte bei der Zahlung von Unterhaltsgeld (Uhg) an den Kläger 1 1/2 Monatsgehälter zu berücksichtigen hat, die der Kläger zusätzlich zu seinem Monatslohn jährlich in seinem bisherigen Arbeitsverhältnis erhalten hatte.
Der 1950 geborene Kläger arbeitete seit 1966 bei der Deutschen Angestellten-Krankenkasse, Bezirksgeschäftsstelle D.-H. Er hatte zuletzt einen Monatslohn von 1.295,– DM. Für ihn galt der Tarifvertrag für die Angestellten der Ersatzkassen (EKT) vom 1. Januar 1966 idF vom 1. Juli 1971. Gemäß § 23 des Tarifvertrages haben die während des ganzen Kalenderjahres voll beschäftigten Angestellten in jedem Kalenderjahr eine Sonderzahlung als Urlaubsgeld in Höhe von 75 v.H. des für den Monat Mai und als Weihnachtsgeld in Höhe von 75 v.H. des für den Monat November maßgeblichen Bruttogehaltes zu bekommen. Der Anspruch auf die Sonderzahlung besteht nur, wenn das Beschäftigungsverhältnis mehr als drei Monate bestanden hat. Die Auszahlung des Urlaubsgeldes erfolgt mit dem Gehalt am 15. Mai und die des Weihnachtsgeldes am 15. November eines jeden Jahres. Für Angestellte, die erst im Laufe des Kalenderjahres in den Dienst der Kasse getreten sind, beträgt die Sonderzahlung so viele Zwölftel des jeweils maßgeblichen Betrages, wie sie Monate in dem betreffenden Jahr beschäftigt waren. Entsprechendes gilt für solche Angestellte, die vor Ende des Kalenderjahres ausscheiden. Der Anspruch auf die Sonderzahlung besteht nicht, wenn das Beschäftigungsverhältnis aus einem von dem Angestellten zu vertretenden Grunde fristlos beendet wurde.
Von April 1972 bis März 1974 besuchte der Kläger einen Ganztagslehrgang zur Ausbildung als Betriebs- und Marktwirt an der Akademie für praktische Betriebswirtschaft in Köln. Die Beklagte zahlte an den Kläger aufgrund des Bescheides vom 31. Mai 1972 Uhg nach dem Monatslohn des Klägers von 1.295,– DM, ohne die 1 1/2 Monatsgehälter zu berücksichtigen, die dem Kläger nach dem EKT zustanden. Der Widerspruch des Klägers blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 26. Oktober 1972). Die Beklagte hielt an ihrer Meinung fest, daß die zweimal gewährten Sonderzahlungen in Höhe von je 75 v.H. eines Monatsgehaltes einmalige Sonderzuwendungen seien, die gemäß § 112 Abs. 2 letzter Satz Arbeitsförderungsgesetz (AFG.) bei der Bemessung des Uhg nicht berücksichtigt werden dürften.
Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 23. Juli 1973 die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, das Uhg des Klägers unter Berücksichtigung von 13 1/2 Monatsgehältern zu bemessen. Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 10. April 1974 die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und ausgeführt: Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) seien die typischen Wesensmerkmale für einmalige Zuwendungen dann gegeben, wenn es sich um Zahlungen in nicht ständiger Wiederholung handele, die in der Regel aus besonderen Anlässen gewährt würden, sowie der Höhe nach nicht von vornherein bestimmt seien und zu einem nicht feststehenden Fälligkeitszeitpunkt erfolgten. Auf die Zahlungen nach § 23 des EKT träfen diese Merkmale nicht zu. Die Sonderzahlungen würden regelmäßig in bestimmten Monaten (Mai und November) eines jeden Kalenderjahres gezahlt. Sie seien nicht an einen besonderen Anlaß geknüpft und der Höhe nach von vornherein bestimmt, Ihre Fälligkeit sei ebenfalls festgelegt. Darüber hinaus seien die Zahlungen tariflich verankert.
Mit der zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung der §§ 44 Abs. 2 Satz 3, 112 Abs. 2 Satz 3 AFG und bringt hierzu insbesondere vor: Die Sonderzahlungen, deren Charakter als wiederkehrende oder als einmalige Leistungen streitig sei, ließen sich nach dem jeweiligen Anlaß (Urlaub, Weihnachten) unterscheiden und kehrten nur in Zeitabschnitten von jeweils einem Jahr wieder. Einen derart gelagerten Fall habe das BSG noch nicht entschieden. Die beitragsrechtliche Behandlung der Sonderzahlung als einmalige Zuwendung im Sinne des § 160 Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) sei kein Einzelfall, sondern entspreche der Auffassung und allgemeinen Übung sämtlicher Ersatzkassen. Sie, die Beklagte, lege aber Wert darauf, daß der Begriff „einmalige Zuwendungen” im Beitragsrecht und im Leistungsrecht auch künftig denselben Inhalt behalte.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil und das Urteil des SG Duisburg vom 23. Juli 1973 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist zulässig, jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das LSG entschieden, daß bei der Bemessung des Uhg des Klägers das diesem nach dem EKT gewährte Urlaubs- und Weihnachtsgeld zu berücksichtigen ist. Gemäß § 44 Abs. 2 Satz 2 und 3 iVm § 112 Abs. 2 und 3 AFG richtet sich das Uhg nach dem Arbeitsentgelt, das der Bildungswillige in dem Bemessungszeitraum erzielt hat. Bemessungszeitraum sind die letzten, am Tage des Ausscheidens des Arbeitnehmers aus dem Beschäftigungsverhältnis abgerechneten insgesamt zwanzig Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt umfassenden Lohnabrechnungszeiträume der letzten die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung vor der Entstehung des Anspruchs. Nach § 112 Abs. 2 Satz 3 AFG bleiben einmalige Zuwendungen außer Betracht. Das Urlaubs- und das Weihnachtsgeld, das der Kläger nach dem EKT erhalten hat, ist jedoch nicht als einmalige Zuwendung zu betrachten, sondern als Arbeitsentgelt, das zwar nicht monatlich ausgezahlt wurde, jedoch zum Jahresentgelt zu rechnen und daher auf die einzelnen Monate zu verteilen ist. Was als „durchschnittlich erzieltes Arbeitsentgelt” im Sinne des § 112 Abs. 2 Satz 1 AFG und was als „einmalige Zuwendung” im Sinne des § 112 Abs. 2 Satz 3 AFG anzusehen ist, ergibt sich aus dem Sinn und Zweck der Bemessungsvorschriften für das Uhg. Die Höhe des Uhg soll im Rahmen der Vorschriften über seine Bemessung an die Höhe des durchschnittlich erzielten Arbeitsentgeltes angelehnt werden, so daß dem Bildungswilligen – wenn auch mit gewissen eigenen Opfern – die Erhaltung seines Lebensstandards während der Bildungsmaßnahme ermöglicht wird. Einmalige Zuwendungen haben deshalb außer Betracht zu bleiben, weil ihre Berücksichtigung den Durchschnittsverdienst verfälschen würde. Die rein zufällige Zahlung solcher Zuwendungen im Bemessungszeitraum, wie z. B. die einmalige Zahlung einer Weihnachtsgratifikation, eines zusätzlichen Urlaubsgeldes oder einer einzelnen zusätzlichen Zahlung, die an die Beschäftigung zu einem bestimmten Stichtag gebunden ist (wie Jubiläumszuwendungen), würde bei ihrer Berücksichtigung zu einer Erhöhung des Uhg führen, obwohl der Bildungswillige, wenn er das Arbeitsverhältnis fortgesetzt hätte, keinen gesicherten Anspruch auf derartige Zuwendungen gehabt hätte. Das aber würde dem Zweck des Gesetzes widersprechen (vgl. Schönefelder, Kranz, Wanka, Kommentar zum AFG, § 112 Anm. 16). Als „einmalige Zuwendungen” nicht zu beachten sind demnach Leistungen, die nach Art und Anlaß bzw. nach ihrem Wesen nicht zu den laufenden, in jedem Lohnabrechnungszeitraum zu erwartenden Bezügen gehören, sondern nur aus besonderem Anlaß gewährt werden (BSGE, 16, 91, 95; 22, 162, 166; 26, 68, 71; 29, 105, 106; SozR Nr. 1 zu § 112 AFG). Der erkennende Senat befindet sich damit im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des BSG zum Begriff der „einmaligen Zuwendung” in den §§ 160 und 182 Abs. 5 Satz 1 RVO. Vertraglich vereinbarte, zusätzliche Leistungen aufgrund Tarifvertrages, Betriebsvereinbarung und Einzelarbeitsvertrages, mögen sie auch als „Sonderzahlung”, als Weihnachtsgratifikation oder als Urlaubsgeld bezeichnet werden, sind dann keine „einmalige Zuwendungen”, wenn der Arbeitnehmer auf sie einen Anspruch hat, wenn Höhe und Fälligkeit von vornherein feststehen und wenn sie in der Weise Bestandteile des festen Jahresgehaltes bilden, daß demjenigen, der im Laufe des Kalenderjahres in den Betrieb eintritt oder demjenigen, der aus dem Betriebe während des Kalenderjahres ausscheidet, ein Anspruch auf anteilige Zahlung des oder der Monatsgehälter zusteht, der Zeit entspricht, die der Betreffende als Arbeitnehmer in Betrieb verbracht hat (BSGE 16, 91, 96; vgl. dazu auch SozR Nr. 4 zu § 90 AVAVG). Hat der Arbeitnehmer nämlich einen Anspruch auf anteilige Zahlung entsprechend der Dauer der Beschäftigung im Betriebe, so kann er mit den weiteren Monatsgehältern pro Jahr ebenso rechnen wie mit den Gehältern, die er in den einzelnen Kalendermonaten bezieht. Die Fälligkeit dieser Leistungen nur zu bestimmten Terminen im Jahr hindert nicht, sie als Bestandteil des Lohnes in den einzelnen Monaten zu betrachten.
Da nach den bindenden Feststellungen des LSG im vorliegenden Fall ein Anspruch des Klägers auf die 13 1/2 Monatsgehälter bestanden hat und da ihm ein anteiliger Betrag der 1 1/2 zusätzlichen Monatsgehälter auch dann gesichert war, wenn er während des Jahres aus seinem Beschäftigungsverhältnis ausschied, können diese Gehälter, die ihm in jedem Jahr zustanden, nicht als eine „einmalige Zuwendung” angesehen werden, sondern sind bei der Bemessung des Uhg mit als durchschnittliches Arbeitsentgelt zu berücksichtigen. Danach ist die Revision der Beklagten unbegründet.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen