Entscheidungsstichwort (Thema)

Versorgungsausgleich. Versicherungsprinzip. Erhöhung einer bereits laufenden Rente

 

Leitsatz (amtlich)

Nach AVG § 83a Abs 4, § 67 Abs 1 (= RVO § 1304a Abs 4, § 1290 Abs 1) erhöht sich bei Durchführung des Versorgungsausgleichs durch Übertragung von Rentenanwartschaften eine laufende Rente des Ausgleichsberechtigten mit Ablauf des Monats, in dem die Entscheidung des Familiengerichts wirksam wird; dies gilt auch dann, wenn der Versicherungsfall schon vor der Ehezeit eingetreten ist.

 

Orientierungssatz

1. Aus den §§ 10 Abs 2 und Abs 2a, 23 Abs 2, 24 Abs 3 Satz 1 Buchst a, 32 Abs 8, 35 Abs 4 und 36 Abs 2 AVG, (= §§ 1233 Abs 2 und Abs 2a, 1246 Abs 2, 1247 Abs 3 S 1 Buchst a, 1255 Abs 8, 1258 Abs 4 und 1259 Abs 2) die Ausdruck des Versicherungsprinzips sind, läßt sich nur allgemein entnehmen, daß für die Leistungen aus einem Versicherungsfall grundsätzlich keine Beiträge und Versicherungszeiten mehr berücksichtigt werden können, die erst nach Eintritt des Versicherungsfalles (beim Altersruhegeld nach dessen bindender Feststellung) entrichtet bzw zurückgelegt werden. Im Versorgungsausgleich durch Anwartschaftsübertragung werden jedoch weder Beiträge noch Versicherungszeiten, sondern Anwartschaften übertragen, was sich im wesentlichen als eine Übertragung von Werteinheiten darstellt.

2. Die Gesetzesmaterialien bieten keinen Anhalt dafür, daß der Gesetzgeber auch beim Versorgungsausgleich durch Anwartschaftsübertragung das Versicherungsprinzip angewandt und die Anwendung im einzelnen der Verwaltung und der Rechtsprechung habe überlassen wollen.

 

Normenkette

BGB § 1587 Fassung: 1976-06-14, § 1587a Fassung: 1976-06-14, § 1587b Fassung: 1976-06-14, § 1587o Fassung: 1976-06-14, § 1587p Fassung: 1976-06-14; AVG § 83a Abs 4 Fassung: 1976-06-14; RVO § 1304a Abs 4 Fassung: 1976-06-14; AVG § 67 Abs 1 Fassung: 1967-12-21; RVO § 1290 Abs 1 Fassung: 1967-12-21; FGG § 53g Fassung: 1976-06-14; ZPO § 629d Fassung: 1976-06-14; AVG § 10 Abs 2 Fassung: 1972-10-16; RVO § 1233 Abs 2 Fassung: 1972-10-16; AVG § 10 Abs 2a Fassung: 1972-10-16; RVO § 1233 Abs 2a Fassung: 1972-10-16; AVG § 23 Abs 2 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1246 Abs 2 Fassung: 1957-02-23; AVG § 24 Abs 3 S 1 Buchst a Fassung: 1975-05-07; RVO § 1247 Abs 3 S 1 Buchst a Fassung: 1975-05-07; AVG § 32 Abs 8 Fassung: 1975-05-07; RVO § 1255 Abs 8 Fassung: 1975-05-07; AVG § 35 Abs 4 Fassung: 1975-05-07; RVO § 1258 Abs 4 Fassung: 1975-05-07; AVG § 36 Abs 2 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1259 Abs 2 Fassung: 1957-02-23; AVG § 83b Abs 1 S 4 Fassung: 1976-06-14; RVO § 1304b Abs 1 S 4 Fassung: 1976-06-14

 

Verfahrensgang

SG München (Entscheidung vom 28.08.1980; Aktenzeichen S 2 An 14/79)

 

Tatbestand

Streitig ist die Erhöhung einer laufenden Rente.

Die Klägerin bezieht seit September 1974 von der Beklagten eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU). Sie hat im Oktober 1975 geheiratet; diese Ehe hat das Amtsgericht A - Familiengericht - mit Urteil vom 6. Juli 1978 rechtskräftig geschieden und gem § 1587b Abs 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zum 31. Oktober 1977 - dem Ende der Ehezeit iS des § 1587 Abs 2 BGB - auf das Beitragskonto der Klägerin eine Rentenanwartschaft in Höhe von monatlich 34,45 DM übertragen. Hierbei ging es davon aus, daß sich diese Übertragung sogleich auf die Höhe der laufenden Rente auswirke. Den Erhöhungsantrag der Klägerin vom 7. August 1978 lehnte die Beklagte jedoch ab, da der EU-Rente ein schon vor Beginn der Ehezeit eingetretener Versicherungsfall zugrundeliege.

Auf die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) München die Beklagte verurteilt, die übertragene Anwartschaft bei der laufenden Rente - wie aus den Gründen hervorgeht: ab dem 1. September 1978 - rentensteigernd zu berücksichtigen (Urteil vom 28. August 1980). Dem stehe trotz des schon eingetretenen Versicherungsfalles § 32 Abs 8 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) nicht entgegen. Die ursprüngliche Absicht, die Übertragung von Rentenanwartschaften bei schon laufenden Renten auszuschließen, sei im Gesetzgebungsverfahren aufgegeben worden. Bestimmungen zu bereits eingetretenen Versicherungsfällen gebe es zwar in § 1587b Abs 3 Satz 1 Halbs 2 BGB und in § 83b Abs 1 Satz 4 AVG; sie beträgen aber die Begründung von Anwartschaften durch Beitragsentrichtung (§ 1587b Abs 3 BGB); hieraus lasse sich nicht entnehmen, daß bei einer Anwartschaftsübertragung die Erhöhung einer laufenden Rente wegen § 32 Abs 8 AVG ausgeschlossen sei; vielmehr sei ein Umkehrschluß zu ziehen. Bei während der Ehe eingetretenen Versicherungsfällen wende auch die Beklagte § 32 Abs 8 AVG nicht an; sie erhöhe dann die Rente, ohne zwischen vor und nach dem Versicherungsfall erworbenen Anwartschaften zu unterscheiden; die dafür gegebene Begründung, daß das Gesetz keine Handhabe für eine solche Differenzierung vorsehe, rechtfertige aber um so mehr den Schluß, daß § 32 Abs 8 AVG durch die im Versorgungsausgleich gewählte Ausgleichsform durchbrochen werde. Dies sei darin begründet, daß der Erwerb der Versorgungsanwartschaften bei bestehender Ehe nicht nur der Alterssicherung des Versicherten, sondern zugleich dem Unterhalt des anderen Ehegatten diene. Die Verweisung des bereits Rente beziehenden Ausgleichsberechtigten auf den privatrechtlichen Ausgleich sei keine Lösung, da dieser Ausgleich unsicher und vom Gesetzgeber nur als Ausnahme vorgesehen sei.

Die Beklagte rügt mit der vom SG zugelassenen Sprungrevision Verletzung der §§ 1587b Abs 1 Satz 2 BGB, 32 Abs 8 und 35 Abs 4 AVG sowie allgemeiner Grundsätze des Rentenversicherungsrechts.

Sie beantragt,

das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das SG hat die Beklagte zu Recht verurteilt, bei der EU-Rente der Klägerin die übertragene Rentenanwartschaft vom 1. September 1978 an - dem Ablauf des Monats, in dem die Entscheidung des Familiengerichts rechtskräftig geworden ist - rentensteigernd zu berücksichtigen.

Das ergibt sich allerdings noch nicht aus den Vorschriften des BGB über den Versorgungsausgleich. Dieses unterscheidet in § 1587b zwischen drei Arten des Versorgungsausgleichs: der Übertragung von Rentenanwartschaften (Abs 1; dem sogenannten Splitting) - darum handelt es sich hier -; der unmittelbaren Begründung von Rentenanwartschaften (Abs 2; dem sogenannten Quasisplitting) und der Beitragsentrichtung durch den Ausgleichspflichtigen zur Anwartschaftsbegründung (Abs 3). Über die Auswirkungen dieser Ausgleichsarten auf laufende Renten sagt das BGB nichts; es läßt in § 1587b Abs 3 Satz 1 Halbs 2 freilich den Versorgungsausgleich durch Beitragsentrichtung überhaupt nur zu, "solange der Berechtigte die Voraussetzungen für ein Altersruhegeld aus einer gesetzlichen Rentenversicherung noch nicht erfüllt", dh solange bei ihm ein Altersruhegeld noch nicht bindend festgestellt ist (BGH, FamRZ 1981, 1051, 1059). Die Frage ist daher ob sich "Näheres" zur hier zu entscheidenden Frage aus den Vorschriften über die gesetzliche Rentenversicherung ergibt, auf die § 1587b BGB bei allen genannten Ausgleichsarten verweist. Das ist zu bejahen.

Heranzuziehen ist insoweit § 83a AVG (= 1304a RVO), der die rentenversicherungsrechtlichen Folgen bei einer nach § 1587b Abs 1 BGB übertragenen Rentenanwartschaft regelt. Er bestimmt in den Absätzen 1 bis 3 die daraus zu ermittelnden Werteinheiten und in Abs 5 die bei der Wartezeit zu berücksichtigende Monatszahl; für die Rentenhöhe ist maßgebend Abs 4. Dort heißt es in Satz 1: "Der Jahresbetrag der Rente (§§ 30, 31) mindert oder erhöht sich um den Betrag, der sich ergibt, wenn die nach den Absätzen 1 bis 3 ermittelten Werteinheiten mit der der Rentenberechnung zugrundeliegenden allgemeinen Bemessungsgrundlage und bei einer Rente nach § 30 Abs 2 ... mit 0,00015 ... vervielfältigt werden". Das gilt bei den anderen Ausgleichsarten des § 1587b BGB entsprechend (vgl § 83b Abs 3 AVG).

§ 83a Abs 4 Satz 1 AVG macht für den Versorgungsausgleich durch Anwartschaftsübertragung keinen Unterschied zwischen laufenden oder künftigen Renten; er bezieht sich seinem Wortlaut nach auf beide. Daraus folgt, daß sich auch bei einer schon laufenden Rente der Jahresbetrag um den in Satz 1 festgelegten Betrag "mindert oder erhöht". Dies wird bestätigt durch die in den anschließenden Sätzen 2 und 3 getroffene, allein für den Ausgleich durch Anwartschaftsübertragung (vgl § 83b Abs 3 AVG) bedeutsame Sonderregelung. Sie wird nämlich mit den Worten eingeleitet: "Besteht bei Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung des Familiengerichts über den Versorgungsausgleich ein Anspruch auf Rente"; damit setzt sie voraus, daß die Grundregel des Satzes 1 diese Fälle miterfaßt. Aber auch im übrigen belegt diese Sonderregelung, daß eine schon laufende Rente des berechtigten zu erhöhen ist; sie bezieht sich zwar unmittelbar auf die Rente des Verpflichteten, wenn sie bestimmt, daß eine Minderung seiner Rente erst erfolgt, wenn a) für ihn eine Rente aus einem späteren Versicherungsfall oder b) aus der Versicherung des Berechtigten eine Rente zu gewähren ist (Satz 2) und daß dem Verpflichteten mindestens der bisherige Rentenzahlbetrag zukommt, solange nicht aus der Versicherung des Berechtigten eine Rente zu gewähren ist (Satz 3). Daraus ergibt sich nämlich, daß eine dem Berechtigten gewährte Rente ohne Verzögerung zur Minderung der dem Verpflichteten gewährten Rente führt; das ist aber nur sinnvoll, wenn sich gleichfalls ohne Verzögerung die Rente des Berechtigten erhöht. Hierfür ist der erste in Betracht kommende Zeitpunkt der in § 83a Abs 4 Satz 2 AVG genannte "Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung des Familiengerichts über den Versorgungsausgleich" und gegebenenfalls ergänzend § 67 Abs 3 iVm Abs 1 AVG (Beginn einer Rentenerhöhung) zu berücksichtigen. Dem entspricht die vom SG zum 1. September 1978 festgestellte Verpflichtung der Beklagten zur Rentenerhöhung.

Der Erhöhung der EU-Rente vom Wirksamwerden des Versorgungsausgleichs an stehen weder andere Vorschriften noch allgemeine Grundsätze des Rentenversicherungsrechts entgegen. Sowohl der schon genannte § 1587b Abs 3 Satz 1 Halbs 2 BGB als auch der auf § 10 abs 2 AVG verweisende § 83b Abs 1 Satz 4 AVG betreffen nur den Versorgungsausgleich, der durch eine Beitragsentrichtung erfolgt; die erste Vorschrift läßt diese Ausgleichsart nicht zu, wenn beim Berechtigten schon ein Altersruhegeld bindend festgestellt ist; nach der zweiten ist die Anrechnung entrichteter Beiträge (auch bei einer Parteivereinbarung iS des § 1587o BGB), wenn der Berechtigte berufsunfähig oder erwerbsunfähig ist, nur für spätere Versicherungsfälle zulässig. Für den Versorgungsausgleich durch Anwartschaftsübertragung gelten beide Vorschriften nicht; für diese Ausgleichsart gibt es auch keine entsprechende Vorschriften. Die Beklagte verweist zu Unrecht auf die §§ 32 Abs 8 und 35 Abs 4 AVG. Sie sind ebenfalls nicht anwendbar. Nach § 32 Abs 8 AVG werden für die Rente wegen EU (ausgenommen den Fall des Satzes 2) nur die vor dem Eintritt der EU entrichteten Beiträge berücksichtigt, nach § 35 Abs 4 AVG nur die vor Eintritt der EU zurückgelegten Versicherungs- und Ausfallzeiten; eine im Versorgungsausgleich übertragene Anwartschaft ist jedoch weder ein Beitrag noch eine Versicherungs- oder eine Ausfallzeit iS dieser Vorschriften.

In Wahrheit will die Beklagte die genannten Vorschriften auch nicht unmittelbar, vielmehr das ihnen zugrundeliegende Versicherungsprinzip für verletzt ansehen, das auch in den § 1587b Abs 3 Satz 1 Halbs 2 BGB und in § 83b Abs 1 Satz 4 AVG verwirklicht sei und beim Versorgungsausgleich durch Anwartschaftsübertragung nicht minder zu gelten habe. Die Beklagte verkennt dabei, daß die Anwendung des Versicherungsprinzips über die genannten Vorschriften hinaus beim Versorgungsausgleich durch Anwartschaftsübertragung (und ferner beim Versorgungsausgleich durch Anwartschaftsbegründung) eine eigene Regelung gefordert hätte. Aus den §§ 10 Abs 2 und Abs 2a, 23 Abs 2, 24 Abs 3 Satz 1 Buchst a, 32 Abs 8, 35 Abs 4 und 36 Abs 2 AVG, die Ausdruck des Versicherungsprinzips sind, läßt sich nur allgemein entnehmen, daß für die Leistungen aus einem Versicherungsfall grundsätzlich keine Beiträge und Versicherungszeiten mehr berücksichtigt werden können, die erst nach Eintritt des Versicherungsfalles (beim Altersruhegeld nach dessen bindender Feststellung) entrichtet bzw zurückgelegt werden. Im Versorgungsausgleich durch Anwartschaftsübertragung werden jedoch weder Beiträge noch Versicherungszeiten, sondern Anwartschaften übertragen, was sich im wesentlichen als eine Übertragung von Werteinheiten darstellt. Im Falle des vor der Ehezeit eingetretenen Versicherungsfalles liegt es dabei zwar auf der Hand, daß der Zuwachs an Werteinheiten erst nach dem Versicherungsfall erfolgt. Schwieriger wird es jedoch bei einem während der Ehe eingetretenen Versicherungsfall. Hier bedürfte es der Klärung, welcher Tatbestand beim Versorgungsausgleich durch Anwartschaftsübertragung der Entrichtung von Beiträgen bzw dem Erwerb von Versicherungszeiten bei der Anwendung des Versicherungsprinzips gleichstehen soll; in Frage kämen dafür der Zeitpunkt, in dem der Verpflichtete seinerseits während der Ehezeit jeweils Anwartschaften (Werteinheiten) erworben hat, das Ende der Ehezeit iS des § 1587 Abs 2 BGB, der Zeitpunkt der Entscheidung des Familiengerichts oder erst der seiner Rechtskraft. Bei in die Ehezeit fallenden Zeitpunkten müßte dann noch eine Aufteilung der erworbenen Werteinheiten erfolgen.

Die Gesetzesmaterialien bieten jedoch keinen Anhalt dafür, daß der Gesetzgeber auch beim Versorgungsausgleich durch Anwartschaftsübertragung das Versicherungsprinzip angewandt und die Anwendung im einzelnen der Verwaltung und der Rechtsprechung habe überlassen wollen. Im ursprünglichen Regierungsentwurf war vorgesehen, daß Splitting und Quasisplitting unterbleiben sollten, wenn einer der Ehegatten im Zeitpunkt der Scheidung eine Versorgung bereits erlangt hat oder der ausgleichsberechtigte Ehegatte die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Alters oder Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit bereits erfüllt (§ 1587b Abs 4 BGB - Entwurf; BT-Drucks 7/650 S 13). Insoweit ging der Entwurf davon aus, bei Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit des Berechtigten würden sich die übertragenen Anwartschaften aus rentenrechtlichen Gründen nicht (sogleich) zu seinen Gunsten auswirken (BT-Drucks aaO S 162). Dabei ist zu beachten, daß der Regierungsentwurf noch keine dem späteren § 83a Abs 4 AVG, auf den sich der Senat entscheidend stützt, vergleichbare Regelung enthielt (vgl die Fassung dieser Vorschrift in Art 12 Nr 2 auf S 42 der oa BT-Drucks). Während der Ausschußberatung wurde jedoch der § 1587b Abs 4 BGB gestrichen (BT-Drucks 7/4361 auf S 100). Die Vorschrift war nach der Ausschußbegründung (BT-Drucks 7/4361 S 42) "unvereinbar mit der Grundentscheidung (vgl oben II 4 b)". Dort (aaO S 18) heißt es, der Versorgungsausgleich werde im Grundsatz in der Weise vorgenommen, daß die Werte der in der Ehezeit von den Eheleuten erworbenen Anwartschaften ausgeglichen würden; damit werde der Gedanke aufgenommen und weiterentwickelt, auf dem der Zugewinnausgleich beruhe. Der Gesetzgeber wollte also die im Regierungsentwurf angenommene Folge, daß bei bestehender Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit des Berechtigten sich die Übertragung der Anwartschaft aus rentenversicherungsrechtlichen Gründen nicht zu seinen Gunsten auswirken könne, nicht in Kauf nehmen. Dies zeigt die erst in der Ausschußberatung beschlossene Einfügung des § 83a AVG = § 1304a RVO, insbesondere dessen Abs 4 (aaO S 19f), dessen Sätze 2 und 3 nach der Begründung als Besitzstandsregelung für Ausgleichspflichtige gedacht war, die im Zeitpunkt der rechtskräftigen Entscheidung bereits Rente beziehen (aaO S 56).

Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich also, daß der Gesetzgeber den Versorgungsausgleich durch Anwartschaftsübertragung nicht ausschließen wollte, wenn beim Berechtigten schon ein Versicherungsfall eingetreten war, daß er vielmehr auch dann eine Begünstigung des Berechtigten durch den Versorgungsausgleich erreichen wollte. Die Beklagte differenziert demgemäß in ihrer Praxis bei einem während der Ehezeit eingetretenen Versicherungsfall nicht danach, wann der Versicherungsfall eingetreten ist. Sie berücksichtigt die übertragenen Anwartschaften bei einer schon laufenden Rente des Berechtigten voll auch dann, wenn der Versicherungsfall etwa schon kurz nach Beginn der Ehezeit eingetreten ist. Dann ist aber nicht einzusehen, warum die Anwendung des Versicherungsprinzips auf die Fälle zu beschränken wäre, in denen der Versicherungsfall bereits vor der Ehezeit eingetreten ist, zumal auch da noch Ausnahmen erwogen werden, wenn beiderseits bereits Altersruhegeld bezogen wurde (vgl Bergner, FamRZ 1979, 1028). Zudem ist das Versicherungsprinzip in der Rentenversicherung zwar anerkannt, aber nicht so wesensbestimmend, daß es nicht für besondere Fälle (hier in § 83a Abs 4 AVG) durchbrochen werden könnte (vgl für die Nachentrichtungsvorschriften des WGSVG BSG SozR 5070 § 10 Nr 12 und für das GAL BSGE 37, 70, 73). Deshalb ist es nicht schlechthin systemwidrig, wenn der Gesetzgeber bei der Durchführung des Versorgungsausgleichs durch Anwartschaftsübertragung von einer strikten Anwendung des Versicherungsprinzips abgesehen hat. Dies mag damit gerechtfertigt sein, daß beim Versorgungsausgleich auch der Gedanke der Teilhabe an der vom anderen Ehegatten während der Ehe erdienten Versorgungsanwartschaft zu berücksichtigen ist.

Der Senat ist nach alledem der Auffassung, daß sich die Rente eines Ausgleichsberechtigten aufgrund der ihm übertragenen Versorgungsanwartschaft mit Ablauf des Monats erhöht, in dem die Entscheidung des Familiengerichts wirksam geworden ist, auch wenn die Rente auf einem vor Beginn der Ehezeit eingetretenen Versicherungsfall beruht. Er folgt damit der in Schrifttum und Rechtsprechung überwiegend vertretenen Ansicht (Diederichsen in Palandt, BGB 41. Aufl, § 1587b Anm 2a; Ronke in Erman, BGB-Handkommentar, 7. Aufl, 1981, § 1587b RdNrn 4 und 12; Ambrock, Ehe und Ehescheidung 1977, S 284; Gernhuber, Lehrbuch des Familienrechts, 3. Aufl 1980, § 28 V 3 auf S 348; Massfeller/Böhmer, Familienrecht, 3. Aufl, Stand März 1980, Band I, § 1587b Anm 3b; Bastian/Roth - Stielow/Schmeiduch, 1. EheRG 1978, BGB § 1587b Anm 28 auf S 362/363; Rolland, 1. EheRG, 1977, Anm 38 auf S 515; Ruland, Versorgungsausgleich und steuerliche Folgen, RdNr 396, 397 und 399; Voskuhl/Pappai/Niemeyer, Versorgungsausgleich in der Praxis, S 114; Eicher/Haase/Rauschenbach, Die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten, 6. Aufl, § 1304a Anm 7; Menke SV 1980, 173, 174 und Maier, Münchener Kommentar § 1587b RdNr 97, 98 und Ergänzungsband § 1587b RdNr 97; OLG Celle FamRZ 1979, 828; OLG Frankfurt, FamRZ 1981, 466; anderer Auffassung: Bergner, DRV 1977, 15 und SGb 1978, 137; Verbandskommentar zur RVO § 1304 RVO RdNr 7; Zweng/Scheerer, Handbuch der Rentenversicherung, 2. Aufl, Bd II § 1304 Anm V; Schusinski-Stiefel NJW 1977, 1264 und Ecker, NJW 1979, 753); dabei konnte offen bleiben, ob die Ansicht des Senats zusätzlich auch mittelbar in den Regelungen der §§ 1587o und p BGB eine Stütze finden könnte.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 78

NJW 1983, 1695

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