Entscheidungsstichwort (Thema)
"Aktive Dienstpflicht"
Leitsatz (amtlich)
Unter der aktiven Dienstpflicht ist die Dienstpflicht bei der Wehrmacht aufgrund des WehrG vom 1935-05-21 zu verstehen und nicht die Dienstpflicht vor dem 1. Weltkrieg. An dieser Ansicht hält der Senat fest.
Normenkette
RVO § 1268 Abs. 4 S. 3 Fassung: 1937-12-21; WehrG Fassung: 1935-05-21
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. Dezember 1957 wird einschließlich der Kostenentscheidung aufgehoben, soweit es die Beklagte verpflichtet, die Dienstzeit des Klägers vom 12. Oktober 1900 bis zum 25. September 1902 als Ersatzzeit anzurechnen. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 8. November 1955 wird auch insoweit zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der Kläger wurde im Oktober 1945 65 Jahre alt. Er erhält ein Altersruhegeld, das zunächst von der Sozialversicherungsanstalt Thüringen festgesetzt wurde und ihm seit Februar 1953 von der Landesversicherungsanstalt (LVA.) Württemberg gewährt und jetzt von der Beklagten gezahlt wird. Dem Ruhegeld liegen Beiträge zur Rentenversicherung der Arbeiter (JV.) und seit 1913 Beiträge zur Rentenversicherung der Angestellten (AV.) zugrunde. Der Kläger erstrebt die Erhöhung dieses Ruhegeldes durch Anrechnung der Zeit seiner aktiven Dienstpflicht vom 12. Oktober 1900 bis zum 25. September 1902. Die LVA. und später die Beklagte lehnten den Antrag des Klägers insoweit ab (Bescheid der LVA. vom 11.9.1953 und Bescheid der Beklagten vom 6.10.1954). Das Sozialgericht (SG.) Ulm bestätigte diese Entscheidungen (Urteil vom. 8.11.1955). Das Landessozialgericht (LSG.) Baden-Württemberg verurteilte die Beklagte, "dem Kläger vom 1. Januar 1957 an das Altersruhegeld unter Anrechnung der Ersatzzeit für militärischen Dienst vom 12. Oktober 1900 bis zum 25. September 1902 zu gewähren" und wies die Berufung im übrigen - das heißt den Anspruch des Klägers auf Erhöhung seines Ruhegeldes für die Zeit vom 1. Februar 1953 bis zum 31. Dezember 1956 - zurück. Es stützte seine Entscheidung auf § 1251 Abs. 1 Nr. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) n.F. (Fassung des "Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherung der Arbeiter" vom 23.2.1957 - ArVNG -), wonach jeder nach deutschem Wehrrecht aufgrund gesetzlicher Pflicht geleistete Dienst als Soldat für die Erfüllung der Wartezeit als Ersatzzeit anzurechnen ist, und bezog sich hinsichtlich der Anwendbarkeit dieser Vorschrift auf Art. 2 § 8 ArVNG in Verbindung mit den §§ 1249, 1250 RVO n.F. Es ließ die Revision zu (Urteil vom 16.12.1957).
Die Beklagte legte gegen das ihr am 3. Februar 1958 zugestellte Urteil des LSG. am 24. Februar 1958 Revision ein und begründete sie gleichzeitig. Sie rügte eine Verletzung der genannten Vorschriften und beantragte, das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit sie verurteilt worden sei, und die Berufung in vollem Umfang zurückzuweisen.
Der Kläger war im Verfahren vor dem Bundessozialgericht (BSG.) nicht vertreten. Der Rechtsstreit beschränkt sich, weil der Kläger keine Revision eingelegt hat, nunmehr auf den Anspruch auf Erhöhung des Ruhegelds für die Zeit vom 1. Januar 1957 an.
Die Revision ist zulässig und begründet.
Das Ruhegeld des Klägers ist nach dem Recht, das bis zum Inkrafttreten des "Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherung der Angestellten" vom 23. Februar 1957 - AnVNG - gegolten hat, das heißt nach dem Recht aus der Zeit vor dem 1. Januar 1957 festgestellt worden. Solche Renten sind für die Bezugszeiten vom 1. Januar 1957 an nicht nach den Vorschriften des neuen Rechts zu berechnen, sondern in der Weise "umzustellen", daß der monatliche Gesamtsteigerungsbetrag aus der AV. und JV., der in der bisherigen Rente enthalten ist, mit einem Tabellenwert vervielfältigt wird, der dem Geburtsjahr und dem Jahr des Beginns der Rente des Versicherten entspricht. Der aus dieser Multiplikation errechnete Betrag ergibt die Höhe der monatlichen Rente. Sie gilt bei Rentnern, die - wie der Kläger - vor dem 1. Januar 1892 geboren sind, als Altersruhegeld im Sinne des neuen Rechts (Art. 2 §§ 30, 31, 37 AnVNG). Auf eine Rente in der Höhe, wie sie sich aus der "Umstellung" ergibt, hat der Kläger vom 1. Januar 1957 an Anspruch.
Der Gesamtsteigerungsbetrag in dem bisherigen Ruhegeld des Klägers enthält nun keinen Betrag als Ausgleich für seine aktive Dienstzeit vor dem 1. Weltkrieg. Die Beklagte hat aber mit Recht diese Zeit nicht rentensteigernd angerechnet. Es gibt keine gesetzliche Vorschrift, die dies erlaubt. § 1268 Abs. 4 Satz 3 RVO a.F. sieht zwar die Gewährung von Steigerungsbeträgen für die Zeit der Erfüllung der aktiven Dienstpflicht vor, doch ist unter der aktiven Dienstpflicht in diesem Sinn die Dienstpflicht bei der Wehrmacht aufgrund des Wehrgesetzes vom 21. Mai 1935 zu verstehen und nicht die Dienstpflicht vor dem 1. Weltkrieg. Dies hat der Senat aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift, die erst 1937 nach der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht durch das Wehrgesetz von 1935 im Hinblick auf künftige Wehrdienstzeiten geschaffen worden ist, geschlossen und - in Anlehnung an die Rechtsprechung des Reichsversicherungsamts - bereits früher so entschieden (BSG. SozR. zu § 1268 RVO a.F. Aa Nr. 3). Auch nach einer erneuten Prüfung der Rechtslage hält der Senat diese Ansicht aufrecht. Der Kläger hat also keinen Anspruch auf einen Steigerungsbetrag für die strittige Zeit.
Auf das neue Ersatzzeitenrecht, das für die AV. und JV. übereinstimmend im § 28 AVG n.F. und § 1251 RVO n.F. geregelt ist, kann sich der Kläger nicht mit Erfolg berufen. Diese Ersatzzeitenregelung gilt nur für Rentenansprüche aus Versicherungsfällen, die seit dem Inkrafttreten der Neuregelungsgesetze am 1. Januar 1957 eingetreten sind (Art. 2 § 6 AnVNG, Art. 2 § 5 ArVNG). Auch die Übergangsvorschriften für Versicherungsfälle, die in der Zeit vom 1. April 1945 bis zum 31. Dezember 1956 liegen (Art. 2 §§ 43, 8 AnVNG; Art. 2 §§ 44, 8 ArVNG), führen nicht - wie das Berufungsgericht irrtümlich angenommen hat - die neuen Ersatzzeiten für diese Versicherungsfälle ein. Nach der Rechtsprechung des Senats ergeben der Wortlaut, Zweck und Sinnzusammenhang der genannten Vorschriften, daß Art. 2 § 8 ArVNG nur auf § 1249 RVO n.F. hinweist, nicht auch zugleich über die Klammerzusätze in den §§ 1249, 1250 RVO n.F. auf die Ersatzzeitenregelung in § 1251 RVO n.F. Die zuletzt erwähnte Vorschrift findet deshalb auf Versicherungsfälle, die vor dem 1. Januar 1957 liegen, keine Anwendung (vgl. BSG., Urteil vom 28.1.1959 - 1 RA 139/58 -). Die gegenteilige Meinung des LSG. ist nicht begründet. Sie brächte übrigens, selbst wenn sie richtig wäre, dem Kläger auch nicht den gewünschten Vorteil.
Auf die Revision der Beklagten hin muß daher die Berufung des Klägers gegen das klagabweisende Urteil des SG. in vollem Umfang zurückgewiesen werden (§§ 170, 193 SGG).
Fundstellen