Entscheidungsstichwort (Thema)

Ersatzzeiten. Anrechnung

 

Orientierungssatz

1. Die Ersatzzeitenregelung in § 28 AVG (= § 1251 RVO) gilt nur die Rentenansprüche aus Versicherungsfällen, die seit dem Inkrafttreten des AnVNG (= ArVNG) eingetreten sind.

2. § 26 AVG (= § 1249 RVO) der nach Art 2 § 8 S 1 AnVNG (= Art 2 § 8 S 1 ArVNG) auch für Versicherungsfälle gilt, die in der Zeit vom 1.4.1945 bis 31.12.1956 eingetreten sind, führt für diese Versicherungsfälle nicht - über § 27 AVG (= § 1250 RVO) die Ersatzzeiten des § 28 AVG (= § 1251 RVO) ein (vgl BSG 1959-01-28 1 RA 139/58 = BSGE 9, 92).

 

Normenkette

AVG § 28 Fassung: 1957-02-23, § 26 Fassung: 1957-02-23, § 27 Fassung: 1957-02-23; AnVNG Art. 2 § 8 S. 1 Fassung: 1957-02-23; ArVNG Art. 2 § 8 S. 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1249 Fassung: 1957-02-23, § 1250 Fassung: 1957-02-23, § 1251 Fassung: 1957-02-23

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 01.03.1961)

SG Düsseldorf (Entscheidung vom 19.01.1959)

 

Tenor

1. Die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 1. März 1961 und des Sozialgerichts Düsseldorf vom 19. Januar 1959 werden aufgehoben.

2. Die Klage wird abgewiesen.

3. Kosten sind im Rechtsstreit nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Kläger begehrt Rente wegen Berufsunfähigkeit. Er ist im Dezember 1956 berufsunfähig geworden. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger die Wartezeit von 60 Monaten für die Rente erfüllt hat. Hierzu reicht die von März 1946 bis zum Eintritt des Versicherungsfalls zurückgelegte Beitragszeit von 44 Monaten nicht aus. Ein Tatbestand, nach dem die Wartezeit als erfüllt gilt, liegt nicht vor. Es kommt daher darauf an, ob der Kriegsdienst des Klägers von Juli 1943 bis August 1945 (26 Monate) als Ersatzzeit auf die Wartezeit angerechnet werden kann. Das hängt davon ab, welches Ersatzzeitenrecht anzuwenden ist. Nach den §§ 31 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG), 1263 Reichsversicherungsordnung (RVO) in der im Dezember 1956 geltenden Fassung ist der Kriegsdienst eine Ersatzzeit nur, wenn die Versicherung schon vorher bestanden hat; nach § 28 AVG nF kann er dagegen auch dann als Ersatzzeit angerechnet werden, wenn innerhalb von zwei Jahren danach eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen worden ist.

Die Beklagte wandte noch das alte Ersatzzeitenrecht an und lehnte daher den im Mai 1957 gestellten Rentenantrag ab. Das Sozialgericht verurteilte die Beklagte zur Gewährung der Rente von Januar 1957 an. Ihre Berufung wies das Landessozialgericht (LSG) zurück. In Abweichung von BSG 9, 92 vertrat es die Ansicht, daß Art. 2 § 8 Satz 1 Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz (AnVNG) die Vorschrift des § 28 AVG auch für die nach März 1945 bis zum 31. Dezember 1956 eingetretenen Versicherungsfälle gelten lasse.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision beantragte die Beklagte die Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile und die Abweisung der Klage.

Sie rügt die Anwendung des § 28 AVG.

Der Kläger beantragte die Zurückweisung der Revision.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

II

Die Revision ist zulässig (§ 162 Abs. 1 Nr. 1, § 164 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) und auch begründet.

Das LSG hat zu Unrecht § 28 AVG angewandt. Die Vorschrift gilt nicht für Versicherungsfälle, die vor dem 1. Januar 1957 (Inkrafttreten des AnVNG) eingetreten sind. Ihre Anwendbarkeit auf alte, nach März 1945 eingetretene Versicherungsfälle läßt sich nicht aus Art. 2 § 8 Satz 1 AnVNG herleiten. Diese Übergangsvorschrift verweist nicht über die §§ 26, 27 AVG auf § 28 AVG, wie das LSG angenommen hat. Sie verweist allein auf § 26 AVG. Wie § 26 regelt Art. 2 § 8 AnVNG lediglich die Frage, aus welchen Zeiträumen Versicherungszeiten anzurechnen sind. Welche Zeiten Versicherungszeiten (Beitrags- und Ersatzzeiten) sind, bestimmt Art. 2 § 8 AnVNG dagegen nicht. Insoweit ist für Versicherungsfälle vor dem 1. Januar 1957 noch das alte Recht maßgebend (Art. 2 § 6 AnVNG). Diese Auslegung der genannten und der gleichlautenden Vorschriften der Arbeiterrentenversicherung hat das Bundessozialgericht (BSG) in ständiger Rechtsprechung vertreten und wiederholt eingehend begründet (Urteile des 1. Senats vom 28. Januar 1959, BSG 9, 92; 28.4.1959 - 1 RA 183/57 -, 21. Juli 1959 - 1 RA 18 u. 27/59; des 4. Senats vom 8. Juli 1959, BSG 10, 151, 155; 15. Dezember 1961, BSG 16, 38, 41; des 12. Senats vom 30. Mai 1962 - 12/3 RJ 60/59 -). Dabei hat sich das BSG auch mit den vom LSG gegen das Urteil vom 28. Januar 1959 erhobenen Einwänden auseinandergesetzt (BSG 16 aaO). Der erkennende Senat sieht keinen Anlaß, von der bisherigen Rechtsprechung des BSG abzuweichen; er schließt sich nach Prüfung der Rechtslage der übereinstimmenden Auffassung der anderen Rentenversicherungssenate an.

Da somit noch das alte Ersatzzeitenrecht anzuwenden ist, nach diesem die Kriegszeit jedoch mangels vorheriger Versicherung nicht als Ersatzzeit auf die Wartezeit angerechnet werden kann, ist die Wartezeit für die begehrte Rente wegen Berufsunfähigkeit nicht erfüllt. Die Revision der Beklagten ist daher begründet; die vorinstanzlichen Urteile sind aufzuheben, die Klage ist abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2325917

Dieser Inhalt ist unter anderem im SGB Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge