Leitsatz (amtlich)
Ist streitig, ob das Kindergeld dem Pflegevater oder dem leiblichen Vater zusteht, so ist die Mutter beizuladen.
Normenkette
SGG § 75 Abs 2 Alt 1; BKGG § 3 Abs 3 S 2 Halbs 2; BKGG § 3 Abs 2 S 1 Nr 1
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 22.11.1985; Aktenzeichen L 1 Kg 40/84) |
SG Lüneburg (Entscheidung vom 24.09.1984; Aktenzeichen S 5 Kg 10/84) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob das vom Beklagten für die Beigeladene zu 3. in der Zeit ab April 1983 zu zahlende Kindergeld dem Kläger oder dem Beigeladenen zu 1. zugestanden hat.
Die am 18. Februar 1963 geborene Beigeladene zu 3. ist die eheliche Tochter des Klägers und seiner früheren Ehefrau Renate. Diese Ehe ist 1968 geschieden worden. Das Sorgerecht für die Beigeladene zu 3. ist der geschiedenen Ehefrau übertragen worden. Diese hat später die Ehe mit ihrem in Hann.-Münden wohnhaften zweiten Ehemann Oe. geschlossen. Nach der Scheidung dieser Ehe im Jahre 1978 ist die Mutter der Beigeladenen zu 3. nach Berlin verzogen, die Beigeladene zu 3. selbst war zunächst bei ihrem Stiefvater Oe. verblieben. Im Februar 1980 wurde die Beigeladene zu 3. vom Jugendamt der Stadt Hann.Münden nach Maßgabe des Jugendwohlfahrtsgesetzes in der Familie des Beigeladenen zu 1. untergebracht. Von April 1983 an hat der Beigeladene zu 1. bis Ende September 1986 - zeitweilig neben Pflegegeld - das Kindergeld für die Beigeladene zu 3. bezogen, während J. L. beim Kläger nur als sog Zählkind berücksichtigt worden ist.
Nach Ablegung des Abiturs war die Beigeladene zu 3. vorübergehend als diakonische Helferin tätig. Außerdem hatte sie eine Ausbildung zur Krankenschwester begonnen. Ab Mai 1983 studiert sie Humanmedizin in Würzburg.
Der Kläger hat beim Beklagten beantragt, ihm ab 1. April 1983 das Kindergeld für die Beigeladene zu 3. zu zahlen. Er ist der Ansicht, daß jedenfalls von diesem Zeitpunkt an ein Pflegekindverhältnis zwischen dem Beigeladenen zu 1. und der Beigeladenen zu 3. nicht mehr vorgelegen habe. Da er der Beigeladenen zu 3. Unterhalt zu zahlen habe, stehe ihm das Kindergeld auch von da an zu.
Der Beklagte hat den Antrag des Klägers durch Bescheid vom 3. Juni 1983 abgelehnt. Das Sozialgericht (SG) Lüneburg hat die Klage durch Urteil vom 24. September 1984 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen hat die Berufung zurückgewiesen. Der Beklagte und beide Vorinstanzen haben den Beigeladenen zu 1. als vorrangig kindergeldberechtigt angesehen, weil zwischen ihm und der Beigeladenen zu 3. ein Pflegekindverhältnis iS des § 2 Abs 1 Nr 6 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) auch über den Monat März 1983 hinaus bestanden habe.
Der Kläger greift mit seiner - vom erkennenden Senat zugelassenen - Revision die Beurteilung durch den Beklagten und die Vorinstanzen an.
Er beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts vom 22. November 1985 und das Urteil des Sozialgerichts vom 24. September 1984, den Widerspruchsbescheid vom 23. Januar 1984 sowie den Bescheid des Beklagten vom 3. Juni 1983 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ab 1. April 1983 Kindergeld für die Beigeladene zu 3. an den Kläger zu zahlen, hilfsweise, das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 22. November 1985 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil in der Sache selbst für zutreffend, meint aber in erster Linie, daß der Rechtsstreit wegen der fehlenden Beiladung der Mutter der Beigeladenen zu 3. an die Tatsacheninstanz zurückverwiesen werden müsse.
Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte gemäß § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten sich übereinstimmend damit einverstanden erklärt haben.
Die Revision des Klägers führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG, weil dessen Verfahren auf einem Mangel beruht. Denn die geschiedene Ehefrau des Klägers - die Mutter der Beigeladenen zu 3. - war nach § 75 Abs 2, erste Alternative, SGG zu dem Verfahren beizuladen. Dieser Verfahrensmangel ist im Revisionsverfahren von Amts wegen zu berücksichtigen (BSG SozR 1500 § 75 Nr 1; ständige Rechtsprechung). Die unterlassene Beiladung kann vom Revisionsgericht auch nicht nachgeholt werden (§ 168 SGG), so daß dem Senat eine abschließende Sachentscheidung nicht möglich ist.
Das Anfechtungs- und Leistungsbegehren des Klägers betrifft einen konkurrierenden Anspruch iS des § 3 BKGG. Der Kläger stützt nämlich sein Begehren auf § 1 Abs 1 Nr 1 BKGG und § 2 Abs 1 Nr 1 iVm Abs 2 Nr 1 BKGG, während die übrigen Beteiligten davon ausgehen, daß der Beigeladene zu 1. gemäß § 1 Abs 1 Nr 1, § 2 Abs 1 Nr 6 BKGG anspruchsberechtigt ist. Da das Kindergeld für jedes Kind jedoch nur einer Person gewährt wird (§ 3 Abs 1 BKGG), hängt die Entscheidung über den vom Kläger erhobenen Anspruch in erster Linie - soweit hier von Bedeutung - davon ab, ob die Beigeladene zu 3. als Kind bei ihren Eltern (§ 2 Abs 1 Nr 1 BKGG) oder als Pflegekind beim Beigeladenen zu 1. (§ 2 Abs 1 Nr 6 BKGG) zu berücksichtigen ist. Zu beachten ist aber darüber hinaus, daß für die Anspruchsberechtigung der Eltern eine weitere Rangfolge besteht. Erfüllen beide Elternteile die Anspruchsvoraussetzungen, so ist nach § 3 Abs 3 BKGG zu entscheiden, ob der Vater - hier also der Kläger - oder die Mutter bezugsberechtigt ist. Dem Vater - hier also dem Kläger - steht das Kindergeld erst dann zu, wenn weder der Pflegevater (§ 3 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BKGG) noch - im Range nach diesem - die Mutter (§ 3 Abs 3 Satz 2 letzter Halbsatz BKGG) vorrangig bezugsberechtigt sind. Demgemäß hängt der vom Kläger geltend gemachte Anspruch nicht nur davon ab, daß der Beigeladene zu 1. als Stiefvater keinen vorrangigen Anspruch hat, sondern auch davon, daß die Mutter nicht vorrangig vor dem Kläger berechtigt ist. Wie der erkennende Senat bereits in dem Urteil vom 24. Juli 1985 - 10 RKg 17/84 - (nicht veröffentlicht) entschieden hat, sind an dem hier streitigen Rechtsverhältnis - dem Kindergeldanspruch des Klägers für die Beigeladene zu 3. - nicht nur der Beigeladene zu 1., sondern auch die Mutter der Beigeladenen zu 3. derart beteiligt, daß die Entscheidung gegenüber allen an dem Konkurrenzverhältnis iS des § 3 BKGG Beteiligten nur einheitlich ergehen kann (§ 75 Abs 2 erste Alternative SGG).
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen