Entscheidungsstichwort (Thema)
Notwendige Beiladung Bezugsberechtigter
Orientierungssatz
Ist streitig, welcher Kindergeldberechtigte nach § 3 Abs 2 und 3 BKGG vorrangig Anspruch auf Kindergeld hat, so ist der Kindergeldberechtigte, der nach dem konkreten Sachverhalt neben dem bisherigen Prozeßbeteiligten als vorrangig anspruchsberechtigt in Betracht kommt, nach § 75 Abs 2 Alt 1 SGG notwendig beizuladen (vgl BSG vom 11.3.1987 10 RKg 7/86 = SozR 1500 § 75 Nr 64).
Normenkette
SGG § 75 Abs 2 Art 1; BKGG § 3 Abs 2; BKGG § 3 Abs 3
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 06.02.1987; Aktenzeichen L 1 Kg 9/85) |
SG Lübeck (Entscheidung vom 16.08.1985; Aktenzeichen S 4 Kg 4/84) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte die Bewilligung des Kindergeldes rückwirkend aufheben und ob der Kläger an die Beklagte Kindergeld zurückzahlen muß.
Der Kläger ist der Stiefvater des am 24. Juli 1969 geborenen Sven A . Er bezog für dieses Kind auf seinen Antrag vom 8. Juni 1983 monatlich Kindergeld in Höhe von 220,-- DM. Das elterliche Sorgerecht für Sven war seiner Mutter, der Ehefrau des Klägers, allein übertragen. Im Juni 1983 holte der leibliche Vater das Kind in den eigenen Haushalt. In einem Rechtsstreit zwischen der Ehefrau des Klägers und Svens Vater wurde durch Zwischenvergleich vom 7. Juli 1983 festgelegt, daß Sven - solange er dies wünsche - vorläufig für die Dauer von 3 Monaten im Haushalt seines Vaters bleiben solle. Am 29. November 1983 übertrug das Familiengericht Ratzeburg durch Beschluß - der Mutter zugestellt am 9. Dezember 1983 - die elterliche Sorge dem Vater des Kindes.
Nach Anhörung des Klägers hob die Beklagte mit Bescheid vom 6. Februar 1984 die Entscheidung über die Bewilligung des Kindergeldes für den Stiefsohn ab August 1983 auf und forderte die bis einschließlich Dezember 1983 noch gezahlten Leistungen mit der Maßgabe zurück, den Betrag von der laufenden Leistung für die weiteren Kinder einzubehalten. Den hiergegen erhobenen Widerspruch des Klägers wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 29. Februar 1984).
Das Sozialgericht (SG) hat - unter Zulassung der Berufung - die angefochtenen Bescheide geändert, soweit sie den Anspruch auf Kindergeld für die Monate August bis Oktober 1983 betreffen; im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die erstinstanzliche Entscheidung geändert und die angefochtenen Bescheide der Beklagten in vollem Umfang aufgehoben. Der Kläger habe auch für die Monate November und Dezember 1983 Anspruch auf Kindergeld für seinen Stiefsohn Sven. Denn das Kind sei bis zum Wirksamwerden der Sorgerechtsänderung im Haushalt seines Stiefvaters aufgenommen gewesen (§ 2 Abs 1 Nr 5 des Bundeskindergeldgesetzes -BKGG- aF bzw § 2 Abs 1 Nr 1 BKGG nF). Daß der leibliche Vater seinen Sohn schon im Juni 1983 zu sich genommen habe, stehe dem nicht entgegen. Solange die Ehefrau des Klägers sorgeberechtigt gewesen sei, habe der tatsächliche Aufenthalt des Kindes bei seinem Vater noch keine Verbindung von Dauer dargestellt, die die Haushaltsaufnahme des Kindes bei seinem Stiefvater beendet hätte. Die Voraussetzungen für eine Rückforderung des Kindergeldes und für die Aufrechnung mit laufenden Leistungen hätten deshalb nicht vorgelegen.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision macht die Beklagte geltend, die Verhältnisse hätten sich im Juli 1983 im Sinne von § 48 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuchs - Verwaltungsverfahren - (SGB X) wesentlich geändert, da Sven sich jedenfalls von dieser Zeit an bei seinem leiblichen Vater und nicht mehr im Haushalt des Klägers aufgehalten habe. Der Wegfall der Haushaltsaufnahme hänge - entgegen der Auffassung des LSG - nicht von der im November 1983 getroffenen Entscheidung über das Sorgerecht ab. Zwar habe sich Sven aufgrund des Sorgerechts, das der Mutter bis zu dieser Entscheidung zugestanden habe, im Haushalt des Klägers aufgehalten. Doch dadurch, daß das Kind in den Haushalt des leiblichen Vaters geholt worden sei, sei eine gesetzliche Voraussetzung für die Weitergewährung des Kindergeldes an den Kläger - nämlich die Haushaltsaufnahme beim Stiefvater (§ 2 Abs 1 Nr 1 BKGG) - entfallen. Das LSG hätte die leiblichen Eltern nach § 75 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beiladen müssen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 6. Februar 1987 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Lübeck vom 16. August 1985 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs 2 SGG).
Die Revision der Beklagten führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG, weil dessen Verfahren auf einem wesentlichen Mangel beruht. Denn die geschiedene Ehefrau des Klägers - Svens Mutter - und der leibliche Vater des Kindes waren nach § 75 Abs 2 1. Alternative SGG zu dem Verfahren beizuladen. Dieser Verfahrensmangel ist im Revisionsverfahren von Amts wegen zu berücksichtigen (BSG SozR 1500 § 75 Nr 1). Die unterlassene Beiladung kann vom Revisionsgericht auch nicht nachgeholt werden (§ 168 SGG), so daß dem Senat eine abschließende Sachentscheidung nicht möglich ist.
Die Rechtmäßigkeit der Aufhebung der Kindergeldbewilligung richtet sich nach §48 Abs 1 SGB X. Danach setzt die Aufhebung ua voraus, daß in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlaß des Verwaltungsakts vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Diese wesentliche Änderung könnte darin liegen, daß die Voraussetzungen für den Bezug des Kindergeldes durch Beendigung der Haushaltsaufnahme des Kindes entfallen sind.
Das Anfechtungsbegehren des Klägers betrifft einen konkurrierenden Anspruch iS des § 3 BKGG. Der Kläger stützt sein Begehren darauf, daß das Kind auch in der hier strittigen Zeit gemäß § 2 Abs 1 Nr 1 BKGG bei ihm als Stiefkind zu berücksichtigen sei und er als Bezugsberechtigter nach § 3 Abs 2 Nr 2 BKGG Vorrang vor den leiblichen Eltern habe. Ist die Haushaltsaufnahme beim Kläger in dem hier streitigen Zeitraum - wie die Beklagte annimmt - bereits beendet gewesen, so kommt als Bezugsberechtigter gemäß § 1 Abs 1 Nr 1 BKGG entweder die leibliche Mutter oder der leibliche Vater in Betracht. Das hängt nach § 3 Abs3 BKGG davon ab, ob die leiblichen Eltern einen zum Bezugsberechtigten für das Kindergeld bestimmt haben. Solange dies nicht geschehen ist, wird das Kindergeld demjenigen gewährt, der das Kind überwiegend unterhält (§ 3 Abs 3 Satz 2 BKGG). Es wird jedoch der Mutter gewährt, wenn ihr die Sorge für die Person des Kindes allein zusteht. Da die Ehefrau des Klägers bis zu der im Dezember 1983 zugestellten Entscheidung des Familiengerichts sorgeberechtigt war, würde ihr möglicherweise das Kindergeld für Sven zustehen, für den Monat Dezember 1983 könnte unter Berücksichtigung der Regelung des § 9 Abs 1 BKGG aber auch der leibliche Vater bezugsberechtigt sein. Die Eltern des Kindes sind deshalb an dem hier streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt, daß die Entscheidung gegenüber allen - dem Kläger, der Mutter und dem leiblichen Vater- nur einheitlich ergehen kann (§ 75 Abs 2 Alternative 1 SGG - vgl BSG Urteil vom 11. März 1987 - 10 RKg 7/86 - SozR 1500 § 75 Nr 64; BSG Urteil vom 24. Juli 1985 - 10 RKg 17/84 - und Urteil vom 27. Juli 1983 - 10 RKg 14/83 -).
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen