Leitsatz (amtlich)
1. Durch BVG § 84 Abs 3 ist die Geltungsdauer der SVA 11 Nr 26 nicht über den 1952-12-31 hinaus verlängert worden. (Aufrechterhaltung BSG 1958-07-17 11/9 RV 968/55 = BSGE 8, 11)
2. Für die Frage, ob ein Verwaltungsakt von Anfang an rechtswidrig ist, kommt es nicht darauf an, wie die Behörde die Sach- und Rechtslage bei Erlaß des Verwaltungsakts angesehen hat, sondern darauf, wie sie in Wirklichkeit gewesen ist; dabei sind die Erkenntnisse heranzuziehen, die zur Zeit der gerichtlichen Entscheidung vorliegen.
3. Ein Bescheid, in dem ein Leiden als Schädigungsfolge festgestellt und Rente gewährt worden ist, ist auch dann rechtswidrig, wenn er auf einer ärztlichen Fehldiagnose beruht; es kommt nicht darauf an, ob der Bescheid auf einem offenbaren Irrtum beruht, ob die Unrichtigkeit außer jedem Zweifel oder offenbar bewiesen ist oder ob der Bescheid zweifellos unrichtig ist.
4. Die Frage, ob der Bescheid, der auf einer Fehldiagnose beruht und deshalb rechtswidrig ist, zurückgenommen werden darf, ist mangels einer besonderen Regelung nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts über die Rücknahme fehlerhafter Verwaltungsakte zu entscheiden.
Leitsatz (redaktionell)
In der ehemaligen britischen Besatzungszone hat ein am 1953-01-29 erlassener sachlicher Berichtigungsbescheid weder auf SVAnO 11 Nr 26 noch auf KOVVfG § 41 gestützt werden können; denn die erstgenannte Vorschrift hat damals nicht mehr, die letztgenannte noch nicht gegolten. Unter welchen Voraussetzungen das Versorgungsamt in diesem Zeitpunkt einen Rente bewilligenden Bescheid hat aufheben dürfen, ist vielmehr nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts zu beurteilen gewesen. Danach ist der Berichtigungsbescheid vom 1953-01-29 rechtmäßig, wenn der berichtigte Bescheid rechtswidrig gewesen ist und wenn auch das öffentliche Interesse an der Beseitigung des Bescheids das private Interesse des Klägers am Bestand des Bescheids überwogen hat.
Normenkette
BVG § 84 Abs. 3 Fassung: 1950-12-20; SGG § 54 Fassung: 1953-09-03; SVAnO 11 Nr. 26; KOVVfG § 41 Fassung: 1955-05-02
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 25. September 1957 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Durch Bescheid vom 23. September 1949 gewährte die Landesversicherungsanstalt (LVA) Hansestadt H dem Kläger wegen "Rückenmuskelrheumatismus" Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE.) um 30 v.H. nach der Sozialversicherungsdirektive Nr. 27 (SVD Nr. 27); sie stützte sich dabei auf ein Gutachten ihres ärztlichen Dienstes vom 8. September 1949. Durch Bescheid vom 17. April 1952 - Umanerkennung - gewährte das Versorgungsamt (VersorgA.) H auch nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) vom 1. Oktober 1950 an wegen desselben Leidens die Rente nach demselben Grad der MdE. Am 25. November 1952 wurde der Kläger von der versorgungsärztlichen Untersuchungsstelle H nachuntersucht; die ärztlichen Gutachter kamen zu dem Ergebnis, die jetzigen Beschwerden des Klägers seien durch eine Spondylosis deformans bei deformierter Lendenwirbelsäule bedingt, eine selbständige rheumatische Erkrankung der Rückenmuskulatur liege nicht mehr vor, Folgen des Wehrdienstes beständen nicht mehr. Daraufhin stellte das VersorgA. H mit Bescheid vom 29. Januar 1953 fest, daß Schädigungsfolgen nicht mehr bestehen und entzog die Rente vom 1. April 1953 an. Der Einspruch des Klägers wurde vom Beschwerdeausschuß am 3. August 1953 zurückgewiesen. Die Berufung des Klägers ging mit dem Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als Klage auf das Sozialgericht (SG.) Hamburg über. Durch Urteil vom 4. April 1955 wies das SG. die Klage ab: Der angefochtene Bescheid sei ein Berichtigungsbescheid gewesen, Rechtsgrundlage dieses Bescheids sei die Ziffer 26 der Sozialversicherungsanordnung Nr. 11 (SVA Nr. 11), diese Bestimmung habe nach § 84 Abs. 3 BVG trotz der in ihr enthaltenen Befristung auch über den 31. Dezember 1952 hinaus weitergegolten. Der Kläger legte Berufung ein. Im Berufungsverfahren stützte die Beklagte den angefochtenen Bescheid hilfsweise auf § 41 Verwaltungsverfahrensgesetz (VerwVG), zugleich erhob sie Widerklage mit dem Antrag, festzustellen, daß ein Versorgungsrechtsverhältnis oder ein Versorgungsanspruch nicht mehr bestehe. Das Landessozialgericht (LSG.) Hamburg erhob Beweis durch ein Gutachten von Dr. C vom 12. März 1957, dieser kam zu dem Ergebnis, die Beschwerden, die bis 1952 als Rückenmuskelrheumatismus gedeutet worden seien, hätten sich nicht gebessert, es handle sich lediglich um eine andere Beurteilung der früheren ärztlichen Befunde; das Gutachten von 1949, das zur Anerkennung des Rückenmuskelrheumatismus geführt habe, sei jedoch unzweifelhaft unrichtig gewesen, es handle sich vielmehr um eine konstitutionell bedingte Wirbelsäulenerkrankung mit fortschreitender Tendenz und typischem Verlauf, sonach nicht um eine Folge des Wehrdienstes; der Facharzt für Neurologie Dr. L und der Facharzt für innere Krankheiten Dr. A, die im Termin als Sachverständige gehört wurden, stimmten diesem Gutachten zu. Das LSG. hob durch Urteil vom 25. September 1957 das Urteil des SG. und die Bescheide der Beklagten auf und verurteilte die Beklagte, weiterhin "Rückenmuskelrheumatismus" als Versorgungsleiden anzuerkennen und dem Kläger ab 1. April 1953 die Rente nach einer MdE. um 30 v.H. weiterzugewähren; die Widerklage wies das LSG. ab: Es fehle an einer Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid; die Ziffer 26 der SVA Nr. 11 sei am 31. Dezember 1952 außer Kraft getreten, auch nach § 41 Abs. 1 VerwVG sei eine "Berichtigung" nicht zulässig, die Diagnose im Jahre 1949 und der Bescheid der Beklagten vom 23. September 1949 seien nicht unzweifelhaft unrichtig gewesen, ihre Unrichtigkeit habe sich erst später durch die fortschreitenden Erkenntnisse der ärztlichen Wissenschaft und der Röntgentechnik ergeben, eine solche Änderung der ärztlichen Lehrmeinung rechtfertige aber nicht einen Bescheid nach § 41 Abs. 1 VerwVG. Die Revision ließ das LSG. zu. Das Urteil wurde der Beklagten am 28. Oktober 1957 zugestellt.
Am 11. November 1957 legte die Beklagte Revision ein; sie beantragte,
das Urteil des LSG. Hamburg vom 25. September 1957 aufzuheben.
Nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis 28. Januar 1958 begründete sie die Revision an diesem Tag: Das LSG. habe § 84 Abs. 3 BVG in Verbindung mit Ziffer 26 der SVA Nr. 11 unrichtig ausgelegt; zwar habe die SVA Nr. 11 in Nr. 26 dieser Anordnung ihre Geltungsdauer bis 31. Dezember 1952 befristet, durch § 84 Abs. 3 BVG sei aber die Regelung in Ziffer 26 der SVA Nr. 11 als neues Recht auch über diesen Zeitpunkt hinaus und bis zum Inkrafttreten des Verwaltungsverfahrensgesetzes wieder in Kraft gesetzt worden; der Gesetzgeber habe nicht gewollt, daß es für die britische Besatzungszone, in der die SVA Nr. 11 gegolten habe, im Gegensatz zu den anderen Besatzungszonen in der Zeit vom 1. Januar 1953 bis zum Inkrafttreten des Verwaltungsverfahrensgesetzes (1.April 1955) an einer Möglichkeit zur "Berichtigung" von Bescheiden fehle; nach Ziffer 26 der SVA Nr. 11 komme es nicht darauf an, daß der Bescheid schon bei seinem Erlaß unzweifelhaft unrichtig gewesen sei, es genüge, wenn es bei Erlaß des Bescheids vom 29. Januar 1953 außer Zweifel gewesen sei, daß der Bescheid vom 23. September 1949 damals unrichtig gewesen sei. Hilfsweise trug die Beklagte vor, das LSG. habe gegen die §§ 41, 52 VerwVG verstoßen; § 41 VerwVG sei eine verfahrensrechtliche Vorschrift, nach § 52 VerwVG seien die Vorschriften dieses Gesetzes in den beim Inkrafttreten dieses Gesetzes anhängigen Sachen auch auf das "weitere Verfahren" anzuwenden, hierunter sei auch das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zu verstehen, auch Verwaltungsakte, die vor dem 1. April 1955 erlassen worden seien, müßten deshalb in den anhängigen Verfahren vor den Gerichten nach dem VerwVG behandelt werden; es komme auch nicht auf die Sachlage bei Erlaß des Bescheids vom 23. September 1949, sondern auf die Sachlage bei Erlaß des Bescheids vom 17. April 1952 (Umanerkennung) an, dieser Bescheid habe den Bescheid vom 23. September 1949 aufgehoben; bei Erlaß des Bescheids vom 17. April 1952 sei jedoch nach dem damaligen Stand der ärztlichen Wissenschaft die Anerkennung des Rückenmuskelrheumatismus als Schädigungsfolge unzweifelhaft unrichtig gewesen. Die Beklagte berief sich für ihre Rechtsauffassung auf ein Urteil des LSG. Hamburg vom 17. Januar 1958 - KOBf 299/56 -, sie hielt die Urteile des Bundessozialgerichts (BSG.) vom 24. Mai 1955 (BSG. 1 S. 44 ff.), vom 4. September 1956 (BSG. 3 S.251 ff.) und vom 17. Juli 1958 (BSG. 8 S. 11 ff.) für unrichtig.
Der Kläger beantragte,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II
Die Revision ist zugelassen (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG); sie ist form- und fristgerecht eingelegt worden und sonach zulässig. Die Revision ist jedoch nicht begründet.
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 29. Januar 1953; in diesem Bescheid ist festgestellt, daß ein Versorgungsleiden "nicht mehr" vorliege und daß die Beschwerden, über die der Kläger "jetzt" klage, auf eine angeborene konstitutionell bedingte Erkrankung der Wirbelsäule zurückzuführen seien, dies ergebe sich aus der verbesserten Röntgentechnik und den "in den letzten Jahren gewonnenen Erkenntnissen"; mit Wirkung vom 1. April 1953 ist deshalb die Rente, die die Beklagte in dem Bescheid vom 17. April 1952 (Umanerkennung) bewilligt hat, entzogen worden. Der Bescheid vom 17. April 1952 ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung und ein Verwaltungsakt ausschließlich begünstigender Natur gewesen; er ist deshalb nach den §§ 77 SGG, 24 VerwVG ebenso wie nach allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätzen in dem Zeitpunkt, in dem er dem Kläger zugegangen ist, für die Beklagte in der Sache bindend geworden; die §§ 77 SGG und 24 VerwVG erfassen auch Verwaltungsakte, die vor ihrem Inkrafttreten erlassen worden sind (BSG. 7 S. 8 ff. (11) mit weiteren Hinweisen). Auch in der Kriegsopferversorgung bedeutet jeder Bescheid, der wiederkehrende Leistungen entzieht, rechtlich zugleich, daß die Verwaltung den Bescheid, durch den sie die Leistungen bewilligt hat, von der Wirksamkeit der Entziehung an als rechtswidrig ansieht und deshalb als nunmehr fehlerhaft zurücknimmt (BSG. a.a.O.).
Im vorliegenden Fall hat die Beklagte indes die Rücknahme des Bescheids vom 17. April 1952 nicht - wie sie es getan hat - auf § 62 BVG stützen können. Das LSG. hat festgestellt, daß eine Besserung der Rückenbeschwerden des Klägers seit 1949 nicht eingetreten ist; diese Feststellung hat die Beklagte mit der Revision nicht angegriffen, sie ist daher für das BSG. bindend (§ 163 SGG); es ist deshalb davon auszugehen, daß auch die Verhältnisse, die für die Feststellung der Schädigungsfolgen in dem Bescheid vom 17. April 1952 maßgebend gewesen sind, sich bis zum Erlaß des angefochtenen Bescheids vom 29. Januar 1953 geändert haben. Nach § 86 Abs. 3 BVG ist zwar eine "Neufeststellung" der Rente von einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse nicht abhängig gewesen, weil in dem Bescheid vom 17. April 1952 die Rente nach dem BVG ohne ärztliche Nachuntersuchung unter Beibehaltung des Grades der MdE. aus dem Bescheid vom 23. September 1949 übernommen worden ist. Der Bescheid vom 29. Januar 1953 hat jedoch nicht die Rente neu festgestellt, er hebt vielmehr - wie das LSG. zu Recht ausgeführt hat - darauf ab, daß die Krankheit, an der der Kläger bisher gelitten habe und auch jetzt noch leide, in dem Bescheid vom 17. April 1952 ebenso wie in dem Bescheid vom 23. September 1949 nicht richtig erkannt und deshalb zu Unrecht als Schädigungsfolge anerkannt worden sei. Auch nach Ansicht der Beklagten hat sich das Leiden des Klägers nicht geändert, dieses Leiden ist aber in dem Bescheid vom 29. Januar 1953 unter Hinweis auf die verbesserte Röntgentechnik und auf die in den letzten Jahren gewonnenen Erkenntnisse nicht mehr als "Versorgungsleiden" anerkannt worden. Es handelt sich also, wie das LSG. zu Recht angenommen hat und wie auch die Beklagte nicht bestreitet, um eine "Berichtigung" des Bescheids vom 17. April 1952 und damit um die Rücknahme dieses Bescheids. Es kommt daher darauf an, ob bei Erlaß des Bescheids vom 29. Januar 1953 in der britischen Zone andere Rechtsgrundlagen als die §§ 62 und 86 Abs. 3 BVG vorhanden gewesen sind, auf die die Beklagte die Rücknahme des Bescheids vom 17. April 1952 hat stützen können.
Die Ziffer 26 der SVA Nr. 11 vom 5. Juli 1947 (Amtsbl.f.d.brit. Zone, 1947, S. 234) ist keine geeignete Rechtsgrundlage gewesen. Dies ergibt sich aus den Ausführungen des Senats in dem Urteil BSG. 8 S. 11 ff. (13) (zu vgl. auch BSG. 3 S. 251 ff. (258), 7 S. 51 ff. (52) und Urteil des 10. Senats vom 4.9.1956 - 10 RV 395/55); die Einwendungen der Beklagten geben dem erkennenden Senat zu einer Änderung seiner Rechtsauffassung keinen Anlaß. Wie in dem angeführten Urteil dargelegt ist, wird der Inhalt der "bisherigen Vorschriften", die nach § 84 Abs. 3 BVG bis zu einer anderweitigen gesetzlichen Regelung aufrechterhalten geblieben sind, durch § 84 Abs. 3 BVG nicht berührt; dem § 84 Abs. 3 BVG kann nicht entnommen werden, daß die Ziffer 26 der SVA Nr. 11, die nur für eine befristete Zeit gegolten hat, hat verlängert werden sollen. Zwar kann die Geltungsdauer eines befristeten Gesetzes verlängert werden; dies kommt dann dem Erlaß eines neuen Gesetzes mit dem Inhalt des befristeten Gesetzes gleich (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 12.11.1958, NJW. 1959, S. 475 ff.); damit kann durch Bundesgesetz auch die Geltungsdauer von Landes- oder zoneneinheitlichem Besatzungsrecht verlängert werden, sofern eine Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers besteht; das Verlängerungsgesetz braucht dabei die Vorschriften des früheren Gesetzes oder der früheren Verordnung nicht zu wiederholen, es kann sich auf die Verlängerung der Geltungsdauer beschränken (BVerfG. a.a.O.), auch in diesem Falle muß aber mindestens zum Ausdruck gebracht sein, daß das neue Gesetz das befristete Gesetz oder die befristete Verordnung hat verlängern wollen. Wenn nun in § 84 Abs. 3 BVG gesagt ist, daß es bei den bisherigen Vorschriften "verbleibt", so kann weder nach dem Wortlaut noch nach dem Sinn dieser Bestimmung angenommen werden, daß diese Vorschriften - sei es auch nur bezüglich einer in ihnen enthaltenen Befristung - geändert werden sollen. Damit ergibt sich nicht - wie die Beklagte meint - eine grundsätzlich andere Rechtslage für die Länder, in denen die SVA Nr. 11 gegolten hat, gegenüber den Ländern, in denen die Rücknahme fehlerhafter Bescheide durch Landesgesetz geregelt gewesen ist. Zwar ist es richtig, daß für diese Länder bis zum Inkrafttreten des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung vom 2. Mai 1955 (BGBl. I S. 202) am 1. April 1955 die bisherigen Vorschriften über das Verwaltungsverfahren (Art. 30 Abs. 4 der KB-Leistungsgesetze für Bayern, Bremen, Württemberg-Baden, Hessen; § 45 Abs. 4 KBLG für Württemberg-Hohenzollern) fortgegolten haben und daß nach diesen Gesetzen auch Bescheide, die für die Beklagte bindend geworden sind, haben zurückgenommen werden dürfen, wenn sie unzutreffend gewesen sind; es ist auch daran festzuhalten, daß § 41 VerwVG auf Bescheide, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes erlassen worden sind, nicht anzuwenden ist (vgl. BSG. 8 S. 11 ff. (13) mit weiteren Hinweisen). Das bedeutet aber nicht, daß in den Ländern der ehemaligen britischen Besatzungszone Bescheide mit Dauerwirkung, die in dem Zeitpunkt, in dem sie erlassen worden sind, rechtswidrig gewesen oder später rechtswidrig geworden sind, in der Zeit zwischen dem 31. Dezember 1952 (Außerkrafttreten der Ziff.26 der SVA Nr. 11) und dem 1. April 1955 (Inkrafttreten des Verwaltungsverfahrensgesetzes) überhaupt nicht haben zurückgenommen werden können; der erkennende Senat hat wiederholt ausgeführt (vgl. BSG. 8 S. 14 mit weiteren Hinweisen), daß die Frage, ob rechtswidrige Bescheide zurückgenommen werden können, beim Fehlen einer gesetzlichen Regelung nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts zu beurteilen ist. Nach diesen Grundsätzen ist die Rücknahme eines rechtswidrigen Bescheids rechtmäßig, wenn das öffentliche Interesse an der gleichmäßigen Gewährleistung eines dem Gesetz entsprechenden Zustandes das Interesse des Begünstigten an dem Schutz seines Vertrauens auf den Bestand behördlicher Verfügungen überwiegt (vgl. die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 29.5.1958, ZBR. 1958, S. 247 = DVBl. 1958, S. 652, und vom 24.10.1958, IV C 325.57; Haueisen, NJW. 1958, S. 1661 ff. und DVBl. 1959, S. 228 ff.). Der Bescheid der Beklagten vom 29, Januar 1953 ist hiernach dann rechtmäßig, wenn der Bescheid vom 17. April 1952 rechtswidrig gewesen ist und wenn auch das öffentliche Interesse an der Beseitigung des Bescheids das private Interesse des Klägers am Bestand des Bescheids in dem dargelegten Sinne überwiegt.
Rechtswidrig ist der Bescheid vom 17. April 1952 deshalb gewesen, weil die Beklagte bei Erlaß dieses Bescheids von falschen tatsächlichen Voraussetzungen ausgegangen ist und deshalb auch das Gesetz (§ 1 Abs. 1 BVG) unrichtig angewandt, nämlich zu Unrecht das Leiden des Klägers als Schädigungsfolge im Sinne des BVG festgestellt und ihm Rente gewährt hat. Bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs des Leidens des Klägers mit dem Wehrdienst ist die Beklagte an die Beurteilung in dem Bescheid vom 23. September 1949 gebunden gewesen; insoweit kommt es daher, wie auch das LSG. angenommen hat, für die Beurteilung des angefochtenen Bescheids darauf an, ob der Bescheid vom 23. September 1949 rechtswidrig gewesen ist; dies ist zu bejahen. Für die Frage, ob ein Bescheid rechtswidrig ist, kann es - anders als bei der Entscheidung darüber, ob er deshalb zurückgenommen werden darf - nicht darauf ankommen, ob der Bescheid auf einem "offenbaren Irrtum" beruht hat, ob die "Unrichtigkeit außer jedem Zweifel" oder "offenbar bewiesen" ist, ob der zurückgenommene Bescheid "zweifellos" unrichtig gewesen ist (vgl. BSG. 1 S. 56 ff. (61) mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Reichsversorgungsgerichts. Auch wenn erst, wie es die Beklagte im vorliegenden Falle behauptet, die fortschreitende Entwicklung der ärztlichen Wissenschaft oder die verbesserte Röntgentechnik zu der Erkenntnis geführt hat, daß es sich bei der ärztlichen Beurteilung, die zur Anerkennung des Leidens als Schädigungsfolge geführt hat, um eine Fehldiagnose gehandelt hat, so ändert dies nichts daran, daß die tatsächlichen Voraussetzungen, unter denen der Bescheid vom 23. September 1949 und damit auch der Bescheid vom 17. April 1952 erteilt worden sind, unrichtig beurteilt worden sind und daß deshalb der Bescheid vom 17. April 1952 fehlerhaft und rechtswidrig gewesen ist; es kommt hier - ebenso wie bei der Beurteilung der Frage, ob in den Verhältnissen, die beim Erlaß eines Verwaltungsakts vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung im Sinne von § 62 BVG eingetreten ist, vgl. BSG. 7 S. 8 ff. - nicht darauf an, von welchen Verhältnissen die Versorgungsbehörde beim Erlaß ihres Anerkennungsbescheids ausgegangen ist und ob sie von diesen Verhältnissen hat ausgehen dürfen, also nicht darauf, wie sie "subjektiv" die Sach- und Rechtslage beurteilt hat, sondern nur darauf, wie die Sach- und Rechtslage nach der Überzeugung des Gerichts in Wirklichkeit ("objektiv") gewesen ist (vgl. auch Urteil des BVerwG vom 28.6.1957, NJW. 1958, S.642 ff. mit Anmerkung). Daß das Leiden des Klägers zu Unrecht als "Rückenmuskelrheumatismus" bezeichnet und deshalb als Folge des Wehrdienstes angesehen worden ist, daß es sich vielmehr in Wirklichkeit um eine degenerative, fortschreitende Wirbelsäulenerkrankung handelt, die nicht Folge des Wehrdienstes ist, hat das LSG. in seinem Urteil festgestellt; diese Feststellung ist mit der Revision nicht angegriffen und für das BSG. bindend (§ 163 SGG). Ein Bescheid, in dem ein Leiden als Schädigungsfolge festgestellt und Rente gewährt worden ist, ist sonach auch dann rechtswidrig, wenn er auf einer ärztlichen Fehldiagnose beruht; es kommt nicht darauf an, daß die Fehlerhaftigkeit der Diagnose nach dem damaligen Stand der ärztlichen Wissenschaft nicht hat erkannt werden können, sondern erst durch neuere ärztliche Erkenntnisse oder technische Verbesserungen der Untersuchungsmethoden erkennbar geworden ist; für die Entscheidung, ob die Behörde die Sach- und Rechtslage bei Erlaß ihres Bescheids richtig, also entsprechend den Verhältnissen, wie sie wirklich gewesen sind, beurteilt hat, hat das Gericht sowohl in tatsächlicher wie in rechtlicher Hinsicht die Erkenntnisse heranzuziehen, die im Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen; für die Feststellung und Bewertung des Sachverhalts gilt insoweit nichts anderes wie für die Auslegung und Anwendung des Gesetzes.
Ist hiernach davon auszugehen, daß der Bescheid vom 17. April 1952 rechtswidrig gewesen ist, so fragt es sich weiter, ob - dies ist die zweite Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Rücknahme - das öffentliche Interesse an der Beseitigung dieses Bescheids das private Interesse des Klägers an seinem Bestand überwiegt. Im Falle der Bewilligung einer Rente überwiegt in der Regel das öffentliche Interesse jedenfalls insoweit, als es dahin geht, Bezüge ohne Rechtsgrundlage für die Zukunft zu verhindern, nur in Ausnahmefällen ist anzunehmen, daß das öffentliche Interesse auch insoweit nicht überwiegt und deshalb der Verwaltung auch die Rücknahme des rechtswidrigen Bescheids mit Wirkung in die Zukunft verwehrt ist (vgl. die Urteile des OVG. Berlin vom 14.11.1956, DVBl. 1957 S. 503 ff. sowie des BVerwG. vom 28.6.1957, NJW. 1958 S. 154, 642, vom 25.10.1957, NJW. 1958 S. 888, vom 23.1.1958, MDR. 1958 S. 710, vom 29.5.1958, DVBl. 1958 S. 652 und vom 24.10.1958 IV C 325.27 und des BSG. vom 12.2.1958, NJW. 1958 S. 925, und vom 17.7.1958 NJW. 1958 S. 1700 und dazu Haueisen, DVBl. 1959 S. 228 ff.). Um einen Ausnahmefall handelt es sich auch hier. Der umstrittene Rücknahmebescheid vom 29. Januar 1953 "entzieht" die Rente mit Wirkung vom 1. April 1953, also nur mit Wirkung "in die Zukunft"; trotzdem ist er wie der zurückgenommene Bescheid vom 17. April 1952 auch seinerseits rechtswidrig. Es überwiegt hier das Interesse des Klägers an dem Schutz seines Vertrauens auf den Fortbestand des Bescheids vom 17. April 1952 das allgemeine öffentliche Interesse, fehlerhafte Bescheide über wiederkehrende Leistungen jedenfalls für die Zukunft zu beseitigen. Die LVA. Hamburg ist beim Erlaß des Bescheids vom 17. April 1952 ebenso wie schon bei dem Bescheid vom 23. September 1949 von dem ärztlichen Gutachten vom 8. September 1949 ausgegangen; in diesem Gutachten ist das Leiden des Klägers als Rückenmuskelrheumatismus diagnostiziert und als Schädigungsfolge anerkannt worden. Wenn die LVA. sich diese ärztliche Diagnose zu eigen gemacht und den Bescheid auf dieses Gutachten gestützt hat, so ist dies eine Entscheidung gewesen, die im vorliegenden Falle in ihren "Verantwortungsbereich" fällt (vgl. BVerwGE. 6 S. 1 ff. (5,6) = NJW. 1958 S.642). Als Versorgungsbehörde bedient sich die LVA. der ärztlichen Gutachter, um die Tatsachen aufzuklären, die für ihre Entscheidung erheblich sind; wenn diese Gutachter zu Fehlschlüssen kommen, so muß die Versorgungsbehörde sich - von besonders gelagerten Fällen abgesehen - diese Fehlerhaftigkeit zurechnen lassen. Daß die Fehldiagnose hier nicht in den "Verantwortungsbereich" des Klägers fällt, ist außer Streit; das LSG. hat nicht festgestellt, daß der Kläger Tatsachen behauptet oder verschwiegen habe, die für die Beurteilung seines Leidens und den ursächlichen Zusammenhang erheblich gewesen wären. Es kommt hinzu, daß der Kläger auf den Fortbestand des Bescheids vom 17. April 1952 jedenfalls insoweit hat vertrauen dürfen, als darin der ursächliche Zusammenhang seines Leidens mit dem Wehrdienst festgestellt worden ist; der ursächliche Zusammenhang ist darin ebenso bejaht worden wie schon vorher in dem Bescheid vom 23. September 1949. Die Feststellung vom 23. September 1949 hat die Beklagte nach § 85 BVG dem Bescheid vom 17. April 1952 zugrunde legen müssen; in dem Zeitpunkt, in dem sie diesen Bescheid zurückgenommen hat, hat die "Anerkennung" des Leidens also fast dreieinhalb Jahre lang bestanden gehabt (vgl. hierzu das zitierte Urteil des BVerwG. vom 29.5.1958 und das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Stuttgart vom 31.3.1958 ZBR. 1958, S. 144); man kann auch nicht sagen, daß im vorliegenden Falle, in dem der ursächliche Zusammenhang zunächst medizinisch immerhin zweifelhaft gewesen ist, durch die "Anerkennung" des Leidens als Schädigungsfolge etwa das öffentliche Interesse an der gleichmäßigen Gewährleistung eines dem Gesetz entsprechenden Zustandes verletzt werde, es handelt sich nicht um einen Fall, in dem der Kläger durch die Anerkennung und die Gewährung der Rente gegenüber vergleichbaren Fällen über ein für die Verwaltung tragbares Maß hinaus begünstigt wird. Das LSG. hat daher im Ergebnis zu Recht angenommen, daß die Rücknahme des Bescheids vom 17. April 1952 durch die Verfügung vom 29. Januar 1953 nicht rechtmäßig gewesen ist und es hat zu Recht deshalb auch das Urteil des SG. vom 4. April 1955 und die Bescheide der Beklagten vom 29. Januar 1953 und vom 3. August 1953 aufgehoben. Die Revision der Beklagten ist unbegründet und zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 2 SGG). Damit ist die Beklagte an den Bescheid vom 17. April 1952 weiterhin gebunden (§ 77 SGG, § 24 Abs. 1 VerwVG); das LSG. hat die Widerklage, mit der die Beklagte begehrt hat, festzustellen, daß "ein Versorgungsrechtsverhältnis oder ein Versorgungsanspruch des Klägers nicht bestehe", zu Recht zurückgewiesen, die Revision der Beklagten ist auch insoweit unbegründet und zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen