Entscheidungsstichwort (Thema)
Unfallversicherungsschutz bei Auslandstätigkeit. Verletzter als Beigeladener
Leitsatz (amtlich)
Ein Beschäftigter, der von einem inländischen Unternehmen für die Dauer von 2 Jahren ins Ausland entsandt ist, unterliegt bei dieser Tätigkeit infolge Ausstrahlung dem Schutz der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung.
Leitsatz (redaktionell)
Ein Unternehmer kann auch dann den Entschädigungsanspruch gegen den Unfallversicherungsträger statt des Verletzten in eigenem Namen geltend machen, wenn dieser als Beigeladener Beteiligter des Rechtsstreits ist und auf Seiten des Unternehmers streitet.
Normenkette
RVO § 539 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1963-04-30, § 762 Abs. 2 Fassung: 1963-04-30, § 639 Fassung: 1963-04-30
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 8. November 1972 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin und dem Beigeladenen die Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Der Beigeladene ist Ingenieur; er war Angestellter der Klägerin. Aufgrund des Auslands-Dienstvertrages vom 28. Juni 1966 entsandte sie ihn am 14. Dezember 1966 nach B im Irak. Der Vertrag wurde für die Dauer von 24 Monaten, beginnend mit dem Tage der Ausreise aus Deutschland, abgeschlossen (§ 3 Nr. 2 des Vertrages). Eine Verlängerung um weitere 6 Monate war möglich (§ 3 Nr. 4 des Vertrages).
Am 16. Dezember 1967 erlitt der Beigeladene auf der Baustelle K während einer Kontrollfahrt mit dem Kraftwagen einen Unfall. Den Auslandsaufenthalt hat der Beigeladene wegen der Folgen des Unfalls nicht unterbrochen; er endete am 7. November 1968. Mit Ablauf des Jahres 1968 ist der Beigeladene bei der Klägerin ausgeschieden.
Mit je einem Bescheid vom 24. Februar 1970 lehnte die Beklagte der Klägerin und dem Beigeladenen gegenüber eine Entschädigungspflicht ab. Der Geltungsbereich der gesetzlichen Unfallversicherung erstrecke sich grundsätzlich nur auf die Bundesrepublik Deutschland. Jedoch werde eine vorübergehende Entsendung eines Arbeitnehmers zu Tätigkeiten in Staaten, mit denen kein Sozialversicherungsabkommen besteht, für längstens 12 Monate als Ausstrahlung des inländischen Unternehmens angesehen und der Arbeitnehmer ebenfalls dem deutschen Unfallversicherungsschutz unterstellt. Bei einer Auslandstätigkeit von mehr als 12 Monaten müsse zur Erhaltung des Versicherungsschutzes vor der Entsendung ins Ausland vom Arbeitgeber eine besondere Formalversicherung beantragt werden. Der Auslandsaufenthalt des Beigeladenen sei für mehr als 12 Monate vorgesehen gewesen. Versicherungsschutz durch "Ausstrahlung" habe daher nicht bestanden. Eine Formalversicherung sei durch den Arbeitgeber nicht abgeschlossen worden. Der Beigeladene sei im Unfallzeitpunkt nicht nach den Vorschriften der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung versichert gewesen. Entschädigungsleistungen seien daher abzulehnen.
Auf die nur von der Klägerin beim Sozialgericht (SG) München erhobene Klage ist die Beklagte verurteilt worden, dem Beigeladenen wegen der Folgen des Unfalls vom 16. Dezember 1967 die gesetzlichen Leistungen zu gewähren (Urteil vom 10. Mai 1971). Die Berufung der Beklagten hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen (Urteil vom 8. November 1972). Das LSG hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet: Die Prozeßführungsbefugnis der Klägerin beruhe auf § 639 RVO, was auch von der Beklagten nicht bestritten werde. Der Schutz der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung erstrecke sich grundsätzlich nur auf Personen, die im Inland beschäftigt sind. Von diesem Territorialprinzip gebe es aber Ausnahmen. Sie könnten kraft Gesetzes, kraft supranationalen Rechts oder aufgrund zwischenstaatlichen Rechts gegeben sein. Wegen des starken Bedürfnisses nach Versicherungsschutz bei Entsendung ins Ausland, habe das Reichsversicherungsamt (RVA) unter bestimmten Voraussetzungen die vorübergehende Beschäftigung im Ausland einer Arbeit im Inland gleichgestellt. Nach dieser Ausstrahlungstheorie, die unbeschadet der Möglichkeit des Abschlusses einer Auslandsunfallversicherung (§ 762 RVO) eine sinnvolle Ergänzung des im Kern weiterhin gültigen Territorialprinzips sei, unterliege ein bei einem deutschen Betrieb beschäftigter Arbeitnehmer der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung, wenn er vorübergehend zu einer bestimmten Tätigkeit ins Ausland entsandt werde, die keine selbständige wirtschaftliche Bedeutung habe, sondern sich als Teil, Zubehör, Fortsetzung oder Ausstrahlung des inländischen Betriebes darstelle. Diese Voraussetzungen habe die Tätigkeit des Beigeladenen zur Unfallzeit erfüllt. Seine Beschäftigung im Irak sei insbesondere eine vorübergehende gewesen. Dies sei dann der Fall, wenn es sich um Arbeiten handele, deren zeitliches Ausmaß überschaubar, zumindest aber abschätzbar sei und nach deren Beendigung die entsandten Arbeitskräfte wieder an den inländischen Arbeitsort zurückkehrten. Eine starre zeitliche Begrenzung, beispielsweise 6 oder 12 Monate, gebe es nicht. Auch bei einer mehrjährigen Beschäftigung im Ausland könne, wenn sie zeitlich begrenzt sei, der Schutz der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung erhalten bleiben. Eine auf 2 Jahre begrenzte Auslandstätigkeit, wie sie beim Beigeladenen vorgelegen habe, sei daher noch als vorübergehend anzusehen. Diese Auffassung werde gestützt durch Vorschriften des Rechts der Europäischen Gemeinschaft (EG) und durch zwischenstaatliche Vereinbarungen der Bundesrepublik Deutschland mit der Türkei, Griechenland, Portugal, Spanien, Jugoslawien, Schweiz und Österreich. Danach gelte bei Arbeitnehmern, die zu vorübergehender Arbeitsleistung in das Land eines Vertragspartners entsandt werden, noch für 24 Monate das Sozialversicherungsrecht des Heimatlandes. Der Beigeladene habe im Zeitpunkt des Unfalls noch unter dem Schutz der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung gestanden; die Beklagte habe ihn daher wegen der Folgen des Unfalls zu entschädigen.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt und wie folgt begründet: Das LSG sei in der Ausdehnung des sog. Ausstrahlungsgrundsatzes viel zu weit gegangen. Eine Auslandstätigkeit könne nicht nur dann als nicht mehr vorübergehend betrachtet werden, wenn sie auf unbestimmte Dauer eingegangen sei, sondern auch dann, wenn sie für eine bestimmte längere Zeit beabsichtigt sei, der Zeitraum des Auslandsaufenthaltes im täglichen Leben aber als nicht mehr vorübergehend angesehen werden. Ein Auslandsaufenthalt, der länger als 1 Jahr dauern soll, sei kein vorübergehender mehr. Die Ausnahme vom Territorialprinzip, welche die Ausstrahlung gebracht habe, könne nur bei rein vorübergehendem Auslandsaufenthalt helfen. Deshalb sei durch das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz (UVNG) die Vorschrift des § 762 Abs. 2 RVO eingefügt worden, welche die Berufsgenossenschaften verpflichte, eine Versicherung gegen Unfälle einzurichten, die Personen im Zusammenhang mit einer Beschäftigung in einem inländischen Unternehmen im Ausland erleiden. Dadurch solle zwar nicht der bereits nach § 537 Nr. 1 RVO aF (jetzt: § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO) auf dem Wege über die Ausstrahlungstheorie schon vor dem Inkrafttreten des UVNG bestehende Versicherungsschutz für Unfälle im Ausland beseitigt werden, jedoch sei im Hinblick auf den jetzt nach § 762 Abs. 2 RVO möglichen Versicherungsschutz für eine Ausdehnung der Ausstrahlungstheorie kein Raum. Es seien gerade die Gedankengänge des Bundessozialgerichts (BSG) im Urteil vom 4. Juli 1962 - 3 RK 53/58 - (BSG 17, 173) gewesen, die den Gesetzgeber zur Einführung der Auslandsunfallversicherung gemäß § 762 Abs. 2 RVO durch das UVNG bewogen hätten. Diese Versicherung gewähre einen gesetzlich geregelten und nicht mehr auf bloße theoretische Erwägungen gegründeten Unfallversicherungsschutz im Ausland; sie beruhe auf dem Territorialprinzip und es scheine, als habe der Gesetzgeber dieses noch einmal deutlich zum Ausdruck gebracht. Der Versicherungsschutz für eine Tätigkeit im Ausland bedeute für die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung ein erhöhtes Risiko. Der Versicherungsträger könne im Ausland nichts für die Unfallverhütung tun und keine Heilbehandlungsmaßnahmen mit Erfolg durchführen.
Die Behandlungskosten seien im Ausland erfahrungsgemäß auch wesentlich höher als im Inland, und die ärztliche Kunst habe nicht überall den gleichen hohen Stand erreicht wie in den modernen Industriestaaten. Das Ergebnis seien eine längere Behandlungsdauer und geringere Heilerfolge. Dieses schwere finanzielle Risiko erfordere es, daß dafür besondere Beiträge an die nach § 762 Abs. 2 RVO geschaffenen Einrichtungen gezahlt werden. Die Rechtsprechung dürfe nicht dazu führen, daß das finanzielle Risiko der Auslandsunfallversicherung doch wieder den Berufsgenossenschaften auferlegt werde.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des SG München vom 10. Mai 1971 und des Bayerischen LSG vom 8. November 1972 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
das Urteil des Bayerischen LSG vom 8. November 1972 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Klägerin und der Beigeladene beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Die Klägerin trägt vor, die beiden vorinstanzlichen Urteile seien zu Recht davon ausgegangen, daß die Ausstrahlungstheorie trotz Einführung des § 762 Abs. 2 RVO infolge der unveränderten Interessenlage in ihrem Kern gültig geblieben sei. Schon der Wortlaut des § 762 Abs. 2 RVO zeige, daß die Auslandsunfallversicherung nur Platz greifen solle, wenn nicht bereits "aufgrund dieses Gesetzes" Versicherungsschutz gegeben sei. Nur ergänzend und soweit nicht bereits Versicherungsschutz durch Ausstrahlung nach § 539 RVO bestehe, könnten Berufsgenossenschaften nach Maßgabe des § 762 Abs. 2 RVO Versicherungsschutz gewähren. Bei der Einführung dieser Vorschrift durch das UVNG sei nicht an den Normalfall der zeitlich beschränkten Beschäftigung eines Arbeitnehmers im Ausland gedacht worden, sondern an die Sonderfälle, die von der Ausstrahlungstheorie nicht erfaßt worden seien, wie etwa Beschäftigungen im Rahmen der Entwicklungshilfe, die längere Zeit in Anspruch nähmen. In der von der Beklagten zitierten Entscheidung des BSG sei ausgeführt worden, daß eine auf 1 Jahr begrenzte Auslandstätigkeit noch als vorübergehend anzusehen sei. Dabei sei zum Ausdruck gebracht worden, daß auch eine über diesen Zeitraum hinausgehende Tätigkeit noch unter die Ausstrahlungstheorie fallen könne, wenn die Tätigkeit nur zeitlich begrenzt sei. Das BSG habe sich auf die damaligen zwischenstaatlichen Verträge bezogen, die in aller Regel eine Weitergeltung der Heimatversicherung nur bis zu einem Zeitraum von 6 Monaten vorgesehen hätten. Zwischenzeitlich sei dieser Zeitraum auf 24 Monate verlängert worden. Mit Recht habe das LSG diese Rechtsentwicklung berücksichtigt. Es habe auch nicht verkannt, daß bei Auslandstätigkeit sich das Versicherungsverhältnis fast gänzlich der Kontrolle des inländischen Versicherungsträgers entziehe und zu Schwierigkeiten der Leistungsgewährung und -abrechnung führe. Gegenüber dem hohen Interesse des Arbeitnehmers auf weitgehenden Schutz im Rahmen der Ausstrahlungstheorie habe es diesen Nachteilen jedoch keine entscheidende Bedeutung beigemessen.
Der Beigeladene schließt sich den Ausführungen der Klägerin an.
Entscheidungsgründe
Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 SGG), da die Beteiligten zugestimmt haben.
Das LSG hat die Prozeßführungsbefugnis der Klägerin, wenn auch ohne Begründung, zu Recht bejaht. Nach § 639 RVO kann der Unternehmer, von dem der Verletzte Schadensersatz fordert, statt des Verletzten den Entschädigungsanspruch gegen den Unfallversicherungsträger im eigenen Namen geltend machen. Aus den vom Berufungsgericht zur Ergänzung des Sachverhalts in Bezug genommenen Verwaltungsakten der Beklagten geht hervor, daß der Beigeladene wegen des Unfalls vom 16. Dezember 1967 gegen die Klägerin eine Schadensersatzforderung erhoben hat. Die Klägerin bestreitet das Verfahren auch statt des verletzten Beigeladenen. Der Verletzte hat den Bescheid vom 24. Februar 1970, mit dem die Beklagte seinen Entschädigungsanspruch abgelehnt hat, nicht angefochten. Zwar ist er als Beigeladener jetzt Beteiligter des Rechtsstreits der Klägerin gegen die Beklagte. Jedoch widerstreitet dies nicht der Voraussetzung des § 639 RVO, daß der Unternehmer zur Prozeßführung nur statt des Verletzten berechtigt ist. Die Klägerin und der Beigeladene sind nämlich notwendige Streitgenossen; das streitige Rechtsverhältnis kann ihnen gegenüber nur einheitlich festgestellt werden (§ 74 SGG, § 62 Abs. 1 ZPO). Der Verletzte war daher gemäß § 75 Abs. 2 SGG zum Verfahren notwendig beizuladen (SozR Nr. 1 zu § 639 RVO; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Auflg. Anm. 5 zu § 639). Unschädlich ist auch, daß der Beigeladene nach seinem im Berufungsverfahren gestellten Antrag auf seiten der Klägerin streitet. In der Regel würde es zwar der Interessenlage des Verletzten, der vom Unternehmer Schadensersatz fordert, eher entsprechen, wenn er als Beigeladener einen Sachantrag stellt, der im Gegensatz zum Antrag des klagenden Unternehmers steht, in dem er also davon ausgeht, daß kein dem Unternehmen zuzurechnender Arbeitsunfall vorgelegen hat. Jedoch kann auch ein vom Antrag des Unternehmers nicht abweichender Sachantrag des Verletzten gerechtfertigt sein, falls der Verletzte den bürgerlich-rechtlichen Schadensersatzanspruch gegen den Unternehmer nicht weiterzuverfolgen beabsichtigt, sofern ihm aufgrund der Klage des Unternehmers Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung in einem angemessenen Umfang zuerkannt werden sollten. Auch in einem solchen Fall betreibt der Unternehmer das Verfahren noch anstatt des Verletzten, zumal da dieser seinen Antrag jederzeit ändern oder fallenlassen könnte (vgl. SozR Nr. 1 zu § 639 RVO). Die Prozeßführungsbefugnis des Unternehmers kann nicht davon abhängen, ob der Verletzte im Laufe des Rechtsstreits wechselnde Sachanträge stellt oder stellen könnte, insbesondere ob er als notwendig Beigeladener gegen oder mit dem Unternehmer streitet. Der im vorliegenden Fall vom Beigeladenen gestellte Antrag, der mit dem der Klägerin übereinstimmt, stellt daher die Prozeßführungsbefugnis des Unternehmers im Grundsatz nicht in Frage.
Zu Recht hat das LSG entschieden, daß der Beigeladene am 16. Dezember 1967 einen von der Beklagten zu entschädigenden Arbeitsunfall erlitten hat.
Der Beigeladene war zur Zeit des Unfalls gemäß § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO aufgrund seines Arbeitsverhältnisses im Unternehmen der Klägerin gegen Arbeitsunfall versichert. Der Vorsicherungsschutz war nicht ausgeschlossen, weil die Tatbestandsmerkmale, die nach innerstaatlichen - deutschen - Vorschriften den Versicherungsschutz begründen, im Ausland verwirklicht worden sind. Es wird zwar daran festgehalten, daß der mit der Sozialversicherungspflicht und dem Versicherungsschutz verbundene Versicherungszwang grundsätzlich auf den Geltungsbereich der deutschen Sozialversicherungsgesetze beschränkt ist - Territorialprinzip - (RVA AN 1885, 345; BSG 33, 280, 285; 35, 70, 71 mit weiteren Nachweisen; ebenso Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 8. Auflg. S. 293, 472 mit Nachweisen - auch kritischen Stimmen - aus dem Schrifttum), jedoch hat die Rechtspraxis in sinnvoller Durchbrechung des Territorialprinzips die bei einem inländischen Arbeitgeber Beschäftigten dem Schutz der deutschen Sozialversicherung auch dann unterstellt, wenn sie im Interesse des Unternehmers zu einer bestimmten Tätigkeit ins Ausland entsandt worden waren, die keine selbständige wirtschaftliche Bedeutung hat - Ausstrahlungstheorie - (BSG 17, 173, 177; 20, 69, 70; 35, 70, 72; Lauterbach aaO Anm. 4 b zu § 539). Dem liegt die Erwägung zugrunde, daß bei einer Entsendung zu nur vorübergehender Tätigkeit ins Ausland die Beziehungen des Arbeitnehmers zum Inland und damit zur inländischen Rechtsordnung in einem Maße aufrechterhalten bleiben, das die Erhaltung des inländischen Sozialversicherungsschutzes erfordert. Abgesehen von Fällen, in denen die Weitergeltung des deutschen innerstaatlichen Sozialversicherungsrechts bei Entsendung von deutschen Arbeitnehmern ins Ausland durch Gesetz, ein- oder mehrseitige zwischenstaatliche Vereinbarungen oder übernationales Recht besonders geregelt ist, haben Rechtsprechung und Schrifttum eine - wenn auch unterschiedlich bemessene - zeitliche Begrenzung der Auslandstätigkeit als Voraussetzung für den Fortbestand des Versicherungsschutzes angesehen.
Nach den insoweit nicht angegriffenen und für das Revisionsgericht bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) hatte die Tätigkeit des Beigeladenen für das Unternehmen der Klägerin in Bagdad keine selbständige wirtschaftliche Bedeutung. Sie kann daher unbedenklich als Fortsetzung oder Ausstrahlung des inländischen Unternehmens der Klägerin angesehen werden, so daß dahingestellt bleiben kann, ob eine selbständige wirtschaftliche Bedeutung heute noch in jedem Fall einer Ausstrahlung entgegenstehen würde (vgl. u.a. Lauterbach aaO). Mit dem LSG ist der Senat ferner der Auffassung, daß die Tätigkeit des Beigeladenen auch als eine nur vorübergehende im Sinne der Ausstrahlungstheorie anzusehen ist. Eine vorübergehende Beschäftigung in diesem Sinn steht im Gegensatz zu einer Auslandstätigkeit auf unbestimmte Dauer, die grundsätzlich unbefristet ist. Ein solches Beschäftigungsverhältnis wäre so stark ins Ausland verlagert, daß es im allgemeinen dem Herrschaftsbereich des deutschen Sozialversicherungsrechts entzogen ist. Eine unselbständige Ausstrahlung des inländischen Unternehmens ins Ausland liegt mithin nur solange vor, als es sich bei der Tätigkeit im Ausland um Arbeiten handelt, deren zeitliches Ausmaß übersehbar, mindestens abschätzbar ist und nach deren Beendigung die entsandten Arbeitskräfte regelmäßig an den inländischen Beschäftigungsort zurückkehren. Abgesehen von dieser, sich aus der Eigenart der "Ausstrahlung" ergebenden Einschränkung, die auch bei einer mehrjährigen Beschäftigung im Ausland Raum für den deutschen Sozialversicherungsschutz lassen würde, sind zwingende Beschränkungen der Dauer des durch Ausstrahlung begründeten Versicherungsschutzes nicht ersichtlich (BSG 17, 173, 179).
Die Auffassung der Revision, daß ein Auslandsaufenthalt, der länger als 1 Jahr dauern soll, im Sinne der Ausstrahlungstheorie kein vorübergehender mehr ist, teilt der Senat daher nicht.
Der Senat verkennt nicht, daß durchaus Gründe gegen eine zu weitgehende Dauer des deutschen Sozialversicherungsschutzes bei Auslandstätigkeit sprechen können (vgl. BSG 17, 173, 180). Die Revision erwähnt selbst das für die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung erhöhte Risiko, weil wirksame Maßnahmen der Unfallverhütung im Ausland nicht durchgeführt werden können. Weniger schwer wiegt daneben der Hinweis auf eine längere Behandlungsdauer der Verletzten und einen geringeren Heilerfolg als Folge des im Ausland nicht überall gleichhohen Standes der ärztlichen Kunst. Falls bei schweren Unfällen (Berufskrankheiten) im Einzelfall die Heilbehandlung im Ausland als nicht ausreichend angesehen wird, bietet sich bei der verkehrsmäßigen Erschließung derjenigen Gebiete, in denen vorübergehend entsandte Arbeitnehmer tätig zu sein pflegen, ein Transport in die Bundesrepublik Deutschland an, der häufig nur wenige Stunden in Anspruch nimmt. Mit dem raschen Anstieg der Behandlungskosten im Inland hat das Argument der Revision, daß die Behandlungskosten im Ausland wesentlich höher seien als im Inland, keine ins Gewicht fallende Bedeutung mehr. Demgegenüber besteht für die Aufrechterhaltung des deutschen Sozialversicherungsschutzes - nicht nur des Unfallversicherungsschutzes - bei vorübergehender Auslandstätigkeit im Hinblick auf die über die Staatsgrenzen hinausgehende wirtschaftliche Verflechtung zunehmend ein starkes Bedürfnis.
Diesem Bedürfnis tragen zahlreiche Vorschriften übernationalen Rechts und zwischenstaatlicher Vereinbarungen Rechnung. Sie sehen in der Regel einen Zeitraum von 12 oder 24 Monaten vor, in dem für einen in das Ausland entsandten Arbeitnehmer die sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften des Entsendestaates im Beschäftigungsstaat fortgelten. Die Möglichkeit einer Verlängerung dieses Zeitraums ist allgemein vorgesehen. Darüberhinaus kann zwischen den zuständigen Behörden des Entsende- und des Beschäftigungsstaates für einzelne oder bestimmte Gruppen von Arbeitnehmern eine Fortgeltung der sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften des Entsendestaates von vornherein für mehrere Jahre vereinbart werden (vgl. z.B. EWG-VO Nr. 3; VO (EWG) Nr. 1408/71 sowie Sozialversicherungsabkommen mit Spanien, Griechenland, Schweiz, Türkei, Portugal, Österreich, Jugoslawien, Polen und Rumänien, abgedruckt in Plöger/Wortmann, Deutsche Sozialversicherungsabkommen mit ausländischen Staaten). Die durch die wirtschaftliche Verflechtung beeinflußte Rechtsentwicklung der vergangenen Jahre zeigt, daß nicht nur eine zeitliche Beschränkung der Ausstrahlung auf 6 Monate als unzulänglich und überholt angesehen wird (BSG 17, 173, 180; a.A. Glasner BG 1970, 70, 73), sondern auch eine Frist von 1 Jahr nicht die oberste Grenze einer vorübergehenden Tätigkeit im Sinne einer unselbständigen Ausstrahlung des inländischen Unternehmens bildet (vgl. auch BSG vom 18. April 1975 - 3 RA 1/75 -; § 4 des Entwurfs eines Sozialgesetzbuches - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - BR - Drucksache 300/75).
Der Senat sieht keinen Grund, bei einer Tätigkeit in Staaten, die nicht zur Europäischen Gemeinschaft gehören und mit denen die Bundesrepublik Deutschland auch keine die Ausstrahlung regelnde Abkommen abgeschlossen haben (Nichtabkommensländer), anders zu verfahren. Dazu bietet auch § 762 Abs. 2 RVO keinen Anlaß. Nach dieser Vorschrift können Personen, die im Zusammenhang mit einer Beschäftigung bei einem inländischen Unternehmen im Ausland tätig sind, bei einer von den Berufsgenossenschaften zu schaffenden besonderen Einrichtung auf Antrag des Unternehmers gegen Arbeitsunfälle versichert werden, soweit ein Versicherungsschutz nicht schon aufgrund der RVO besteht (Auslandsunfallversicherung). Diese durch das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz - UVNG - vom 30. April 1963 (BGBl I 241) in die RVO eingefügte Vorschrift hat, wie sich aus ihrem Wortlaut ergibt, nur subsidiäre Bedeutung. Aufgrund der RVO sind nicht nur diejenigen Personen versichert, deren Versicherungsschutz während der Auslandstätigkeit nach deutschem innerstaatlichen Recht, durch Vorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder durch Sozialversicherungsabkommen mit anderen Staaten ausdrücklich geregelt ist, sondern auch diejenigen in Nichtabkommensländern, deren Versicherungsschutz auf der Ausstrahlung des inländischen Unternehmens ins Ausland beruht. Die Ausstrahlung hat ihre Grundlage in § 539 Abs. 1 RVO und richtet sich inhaltlich völlig nach diesem Gesetz; der Versicherungsschutz ist ein gesetzlicher (Glasner aaO S. 72). In beiden Fällen ist für eine Auslandsunfallversicherung nach § 762 Abs. 2 RVO kein Raum. Mit der Erweiterung der zwischenstaatlichen Vereinbarungen und der danach möglichen Zeiträume, in denen das Sozialversicherungsrecht der Entsendestaaten in den Beschäftigungsstaaten weitergilt, ist das Bedürfnis für eine besondere Auslandsunfallversicherung ohnehin geringer geworden als noch beim Inkrafttreten des UVNG am 1. Juni 1963. Bereits dadurch ist die finanzielle Basis dieser besonderen Einrichtung der Berufsgenossenschaften geschmälert worden; eine Aushöhlung der Auslandsunfallversicherung droht entgegen der Ansicht der Revision nicht durch die Rechtsprechung. Für eine Versicherung nach § 762 Abs. 2 RVO bleiben weiterhin insbesondere jene Auslandsbeschäftigungen, bei denen es sich um keine nur vorübergehende Tätigkeiten handelt, weil sie weder zeitlich bestimmt oder abschätzbar sind und damit so stark ins Ausland verlagert sind, daß sie den Zusammenhang mit dem Herrschaftsbereich des deutschen Sozialversicherungsrechts verloren haben. Die Entwicklungshelfer, an die in der Begründung des § 762 Abs. 2 RVO u.a. als für die Auslandsunfallversicherung in Betracht kommender Personenkreis gedacht war (vgl. BT-Drucksache IV/938 - neu - S. 25) sind nunmehr nach § 539 Abs. 1 Nr. 16 RVO (idF des § 21 Nr. 2 des Entwicklungshelfer-Gesetzes vom 18. Juni 1969 - BGBl I 549) versichert, sofern die Beschäftigung im Ausland für eine begrenzte Zeit erfolgt. Eine restriktive Auslegung des Begriffs der Ausstrahlung mit Rücksicht auf die Auslandsunfallversicherung hält der Senat nicht für angebracht. Ein solcher Zwang ergibt sich auch nicht aus einer Abwägung der Interessen der Versicherten gegenüber den Interessen der in den Berufsgenossenschaften zusammengeschlossenen Unternehmern. Das Interesse der Versicherten nach einem kraft Gesetzes und nicht aufgrund eines erst vom Unternehmer zu stellenden Antrags (§ 762 Abs. 3 Satz 2 RVO) eintretenden Versicherungsschutz verdient den Vorrang.
Nach Auffassung des Senats unterlag die vom Beigeladenen aufgrund des Auslands-Dienstvertrages vom 28. Juni 1969 für eine begrenzte Zeit von 2 Jahren vorgesehene und ausgeübte Tätigkeit in Bagdad - ungeachtet der Verlängerungsmöglichkeit für weitere 6 Monate nach § 3 Abs. 4 des Vertrages - unter Beachtung der in den angeführten übernationalen und zwischenstaatlichen Vorschriften zum Ausdruck kommenden Rechtsentwicklung noch kraft Ausstrahlung dem Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 1 RVO. Der Unfall vom 16. Dezember 1967 war - weil auch die sonstigen Voraussetzungen vorliegen - ein Arbeitsunfall im Sinne des § 548 RVO. Unentschieden bleibt, bis zu welcher Dauer überhaupt der Versicherungsschutz durch Ausstrahlung erhalten bleiben kann. Beachtlich ist immerhin, daß der Versicherungsschutz für Entwicklungshelfer nach § 539 Abs. 1 Nr. 16 RVO lediglich davon abhängt, daß diese für eine begrenzte Zeit im Ausland beschäftigt werden. Da die Verpflichtung zur Leistung des Entwicklungsdienstes in der Regel auf mindestens 2 Jahre erfolgen muß (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 Entwicklungshelfer-Gesetz), sind in diesem gesetzlich normierten Fall einer Durchbrechung des Territorialprinzips 2 Jahre die unterste Grenze für die Erhaltung des Versicherungsschutzes nach den Vorschriften des Entsendestaates; eine obere Grenze gibt es theoretisch nicht.
Die Revision der Beklagten war daher als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen