Leitsatz (amtlich)
1. Der Anspruch eines Versicherten gegen eine KK auf Ersatz der Kosten für Krankenhauspflege ist vererblich. Setzt der Erbe einen darüber schwebenden Streit fort, so ist er auch zur Fortsetzung eines für die Leistungsverpflichtung vorgreiflichen Streits über nicht vererbliche Rechte (Beginn und Modalitäten der Mitgliedschaft) des Versicherten berechtigt.
2. RVO § 207 - wonach die Satzung bestimmen kann, daß der Anspruch Versicherungsberechtigter, die der Kasse freiwillig beigetreten sind, erst nach einer Wartezeit von höchstens sechs Wochen entsteht - gilt uneingeschränkt auch für versicherungsberechtigte Rentner (RVO § 176 Abs 1 Nr 4).
Normenkette
RVO § 184 Fassung: 1911-07-19, § 207 Fassung: 1911-07-19, § 310 Fassung: 1911-07-19
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 21. August 1963 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Ehemann der Klägerin hatte vom 1. März 1961 an Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bezogen. Er erfüllte nicht die Voraussetzung (Vorversicherungszeit) für die Pflichtkrankenversicherung als Rentenbezieher. Auf seinen Antrag hin nahm ihn die beklagte Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) vom Tag der Antragstellung - 20. Juni 1961 - an als freiwilliges Mitglied mit der Einschränkung auf, daß der Anspruch auf Kassenleistungen erst nach Ablauf von sechs Wochen seit Beginn der Versicherung entstehe und für Erkrankungen, die beim Beitritt zur Kasse bestanden haben oder innerhalb der Wartezeit von sechs Wochen eintreten, kein Leistungsanspruch bestehe (Bescheid vom 12. Juli 1961).
Am 31. Juli 1961 war der Ehemann der Klägerin wegen akuter Bauch-Perforation in das Krankenhaus V. eingeliefert worden. Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 10. August 1961 die Übernahme der Krankenhauskosten ab, weil für freiwillige Mitglieder ein Anspruch auf Regelleistungen nach §§ 206, 207 der Reichsversicherungsordnung (RVO) i. V. m. § 20 der Kassensatzung erst nach einer Wartezeit von sechs Wochen bestehe. Diese Wartezeit habe der Erkrankte nicht erfüllt. Hiergegen erhob die Klägerin namens ihres Ehemannes Widerspruch. Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 29. September 1961 zurück.
Dagegen erhob die Klägerin, die ihren am 15. September 1961 verstorbenen Mann allein beerbt hat, Klage. Im Verhandlungstermin vor dem Sozialgericht (SG) am 17. April 1962 erhob sie zur Niederschrift des Gerichts auch gegen den Bescheid vom 12. Juli 1961 Widerspruch. In der schriftlichen Begründung vom 23. Mai 1962 erklärte sie, daß sie mit der Festsetzung des Beginns der Mitgliedschaft ihres Mannes nicht einverstanden sei. Außerdem machte sie geltend, daß die Bestimmung einer Wartezeit von sechs Wochen für Rentner nicht zulässig sei. Nach Zurückweisung dieses Widerspruchs durch Widerspruchsbescheid vom 30. Mai 1962 erhob die Klägerin mit Schriftsatz vom 3. Juli 1962 auch gegen den Bescheid vom 12. Juli 1961 Klage mit der Begründung, daß sie ihren Mann schon am 12. Juni 1961 als freiwilliges Mitglied habe aufnehmen lassen wollen. Die schwere Erkrankung ihres Mannes habe ärztliche Betreuung und später sogar noch Krankenhauspflege erforderlich gemacht.
Das SG hat beide Streitsachen zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbunden und wie folgt entschieden:
I. Der Bescheid der Beklagten vom 12.7.1961 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.5.1962 wird dahingehend abgeändert, daß die Wartezeit von 6 Wochen entfällt.
II. Der Bescheid der Beklagten vom 10.8.1961 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29.9.1961 wird aufgehoben; die Beklagte wird verurteilt, die anläßlich der stationären Behandlung des Ehemannes der Klägerin ab 31.7.1961 im Kreiskrankenhaus V. angefallenen Kosten zu übernehmen.
III. Der Klägerin sind die entstandenen Kosten zu erstatten.
IV. Das Rechtsmittel der Berufung wird - soweit nicht ohnehin zulässig - zugelassen.
Die Kammer stützte ihre Entscheidung im wesentlichen auf die Ausführungen im Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 11. März 1960 (BSG 12, 47), wonach es der Sinn des Gesetzes sei, den versicherungsberechtigten Rentnern das Recht zum Erwerb der Kassenmitgliedschaft frei von den Einschränkungen zu gewähren, denen es bei den übrigen Gruppen der Versicherungsberechtigten unterliege.
Auf die Berufung der beklagten AOK hin hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Klage gegen die angefochtenen Bescheide der beklagten AOK abgewiesen; die Revision wurde zugelassen (Urteil vom 21. August 1963). Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Den Bescheid der beklagten AOK vom 12. Juli 1961 über die Aufnahme des Ehemannes der Klägerin habe diese mit der Klage vom 3. Juli 1962 nicht mehr anfechten können, weil er ausschließlich das Mitgliedschaftsrecht ihres bereits im September 1961 gestorbenen Ehemannes betreffe. Dieses Recht habe wegen seiner höchstpersönlichen Natur nicht auf sie übergehen können. Demnach sei der Aufnahmebescheid vom 12. Juli 1961 mit seinem im einzelnen festgelegten Inhalt - Aufnahme zum 20. Juni 1961 und Wartezeit von sechs Wochen - für die Klägerin bindend geworden. - Selbst wenn man aber Widerspruch und Klage gegen den Bescheid vom 10. August 1961 als auch gegen den Bescheid vom 12. Juli 1961 gerichtet ansehe, sei die Klage nicht begründet. Die Klägerin habe für ihren Ehemann den Beitritt zur beklagten AOK erst am 20. Juni 1961 erklärt. Der im Aufnahmebescheid enthaltene Hinweis auf die in § 20 der Satzung der beklagten AOK vorgesehene Beschränkung für den Beitritt Versicherungsberechtigter, daß Ansprüche gegen die Kasse erst nach einer Wartezeit von sechs Wochen entstünden, sei Rechtens. Die Satzungsbestimmung sei durch § 207 RVO gedeckt. Sie gelte uneingeschränkt auch für versicherungsberechtigte Rentner. Die Entscheidung des BSG vom 11. März 1960 (BSG 12, 47) beziehe sich nur auf § 310 RVO und sei auf § 207 RVO nicht übertragbar.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Revision eingelegt mit dem Antrag,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der beklagten AOK gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Zur Begründung hat sie im wesentlichen vorgetragen: Zu Unrecht habe das LSG angenommen, die Klägerin habe den Aufnahmebescheid der beklagten AOK vom 12. Juli 1961 erst nach dem Tode ihres Ehemannes angefochten. Vielmehr habe dieser selbst noch - durch seine bevollmächtigte Ehefrau - den Bescheid mit dem Widerspruch vom 18. August 1961 angefochten. Da der Bescheid vom 12. Juli 1961 keine Rechtsbehelfsbelehrung enthalten habe, sei dieser Widerspruch rechtzeitig erhoben (§ 66 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Das hierdurch eingeleitete Verwaltungsverfahren habe die Klägerin als Rechtsnachfolgerin ihres Ehemannes fortsetzen können. - Auch die Hilfserwägung des LSG sei unzutreffend. Die beklagte AOK dürfe § 20 ihrer Satzung - Wartezeit von sechs Wochen für freiwillig beigetretene Mitglieder - nicht auf versicherungsberechtigte Rentner anwenden. Wenn man wie die Entscheidung in BSG 12, 47 davon ausgehe, daß bei versicherungsberechtigten Rentnern bestehende Erkrankungen in bestimmtem Umfange vom Leistungsausschluß nach § 310 Abs. 2 Satz 1 RVO nicht betroffen seien, so wäre es unverständlich, wenn innerhalb der Wartezeit eingetretene Erkrankungen bei diesem Personenkreis keine Leistungsansprüche begründeten.
Die beklagte AOK hat um Zurückweisung der Revision gebeten.
Sie verweist auf die Entscheidung des erkennenden Senats vom 29. Juli 1965 (BSG 23, 202), in der auf § 207 RVO als einer in engster Verbindung mit § 310 Abs. 2 Satz 2 RVO stehenden Vorschrift Bezug genommen sei. Beide Vorschriften erstreckten sich auch auf versicherungsberechtigte Rentner.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
II
Die Revision ist nicht begründet. Im Ergebnis zutreffend hat das LSG die angefochtenen Bescheide der beklagten AOK - den Aufnahmebescheid vom 12. Juli 1961 und den Ablehnungsbescheid vom 10. August 1961, jeweils in der Fassung der Widerspruchsbescheide - für rechtmäßig angesehen.
Allerdings kann dem LSG nicht in seiner in erster Linie gegebenen Begründung beigetreten werden, der Aufnahmebescheid sei schon deshalb mit seinem ganzen Inhalt für die Klägerin bindend geworden, weil diese den Bescheid nach dem Tode ihres Ehemannes wegen der höchstpersönlichen Natur des Mitgliedschaftsrechts nicht mehr mit der - erst am 3. Juli 1962 erhobenen - Klage habe anfechten können. Mit Recht hält die Revision dem entgegen, daß die Klägerin bereits mit dem für ihren damals noch lebenden Ehemann erhobenen Widerspruch vom 18. August 1961 mit Antrag und eingehender Begründung klar zum Ausdruck gebracht hat, daß der Beginn der Mitgliedschaft spätestens auf den 12. Juni 1961 festgesetzt werden solle. Es bedurfte daher gar nicht eines erneuten Widerspruchs, wie ihn die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 17. April 1962 erhoben hat. Allenfalls wurde dadurch zum Ausdruck gebracht, daß die Klägerin das Widerspruchsverfahren fortgesetzt wissen wolle.
Dazu war die Klägerin berechtigt. Zwar schloß die höchstpersönliche Natur der Mitgliedschaft eine Rechtsnachfolge der Klägerin in die mitgliedschaftsrechtliche Stellung ihres Ehemannes aus. Doch wäre ein etwaiger Anspruch ihres Ehemannes auf Ersatz der Kosten für die Krankenhauspflege auf sie als alleinige Erbin ihres Ehemannes übergegangen. Das Recht der Krankenversicherung enthält - abgesehen von den hier nicht einschlägigen Spezialvorschriften: § 195 a Abs. 6 (Wochenhilfe), § 205 a Abs. 5 (Familienwochenhilfe), § 203 RVO (Sterbegeld) - keine dem § 630 RVO (Unfallversicherung), § 1288 (Arbeiterrentenversicherung) oder § 65 AVG (Angestelltenversicherung) entsprechende allgemeine Regelung über die Bezugsberechtigung beim Tode des ursprünglich Berechtigten. Daraus kann aber mit dem Reichsversicherungsamt - RVA - (Grunds. Entsch. Nr. 2086; AN 1915, 664) nur der Schluß gezogen werden, daß zu Lebzeiten des Versicherten nicht erfüllte Ansprüche des Versicherten nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts vererbt werden, sofern sie nicht mit dem Tode des Versicherten erlöschen, weil die Leistungen ihrer Natur nach nur bei Lebzeiten des Versicherten erbracht werden können ("Sachleistungen"). So wäre auch der ursprüngliche - behauptete - Anspruch des Ehemannes der Klägerin auf Krankenhauspflege nicht vererblich gewesen.
Indessen kann die Verpflichtung der Krankenkasse zur Gewährung von Krankenpflege, wie das RVA in der genannten Entscheidung (aaO S. 665) mit Recht ausgeführt hat, unter Umständen auch Ansprüche auf Barleistungen begründen. Ist die primär zu gewährende Sachleistung der Krankenhauspflege von der Krankenkasse nicht erbracht worden, so hat der Versicherte Anspruch auf Kostenersatz. Müßten die Erben des Versicherten die Kosten aus eigenen Mitteln bestreiten, so würden ihnen Verpflichtungen auferlegt, die an sich der Krankenkasse obliegen. "Eine solche Bereicherung der Kasse auf Kosten der Erben kann der Gesetzgeber nicht gewollt haben" (RVA, aaO S. 666). Ist aber davon auszugehen, daß der Anspruch auf Ersatz der Kosten für zu Unrecht nicht gewährte Krankenhauspflege vererblich ist, so muß der Erbe auch berechtigt sein, den für den Leistungsstreit präjudiziellen Streit um Beginn und Modalitäten der Mitgliedschaft des Erblassers jedenfalls dann zu Ende zu führen, wenn dieser selbst - wie im vorliegenden Fall - den Aufnahmebescheid noch angefochten hat.
Deshalb ist der Aufnahmebescheid der beklagten AOK vom 12. Juli 1961, soweit er angefochten ist, auf seine Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen. Die Klägerin hat ihre Anfechtungsklage auf die Einschränkung des Aufnahmebescheids begrenzt, daß der Anspruch auf Kassenleistungen erst nach Ablauf von sechs Wochen nach Beginn der Versicherung - 20. Juni 1961 - beginnt. Diese Feststellung ist jedoch Rechtens, wie auch das LSG in seiner Hilfsbegründung angenommen hat. Sie wird gestützt durch § 20 der Satzung der beklagten AOK, der wiederum auf der Ermächtigung des § 207 RVO beruht. Die Regelung gilt für alle Versicherungsberechtigten, die der Kasse freiwillig beigetreten sind.
Zu Unrecht meint die Revision, daß versicherungsberechtigte Rentner von ihr ausgenommen sind. Wie der Senat in seinem Urteil vom 29. Juli 1965 (BSG 23, 202, 204 f.; vgl. auch SozR RVO § 310 Nr. 2) - unter Aufgabe der in BSG 12, 47 beiläufig geäußerten Auffassung - näher ausgeführt hat, ist den Rentnern ohne entsprechende Vorversicherungszeit (vgl. § 165 Abs. 1 Nr. 3 und 4 i. V. m. § 176 Abs. 1 Nr. 4 RVO) vom Gesetzgeber bewußt nur eine Versicherungsberechtigung mit den gleichen Einschränkungen eingeräumt worden, wie sie auch für andere Versicherungsberechtigte der betreffenden Krankenkasse gelten. Sie läßt dem versicherungsberechtigten Rentner die Freiheit, darüber zu entscheiden, ob und wann er von der Versicherungsberechtigung Gebrauch machen will, ohne daß ihm insoweit der Einwand der Manipulation oder des Mißbrauchs seiner Berechtigung entgegengehalten werden kann. Dem steht als einziges Gegengewicht gegen eine allein im Interesse des Versicherten ausgeübte Beitrittsberechtigung der Leistungsausschluß für Versicherungsfälle gegenüber, die beim Beitritt bereits eingetreten sind (§ 310 Abs. 2 Satz 1 RVO) oder während der Wartezeit noch eintreten (§ 207 RVO i. V. m. der Kassensatzung).
Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß auch kein innerer Grund dafür besteht, versicherungsberechtigte Rentner von der Wartezeit-Beschränkung beim Beitritt auszunehmen, wenn die sich während der Wartezeit einstellende Erkrankung nicht zum Komplex der Leiden gehört, die zur Gewährung der Rente geführt haben. Das scheint aber beim Ehemann der Klägerin der Fall gewesen zu sein. Er wurde am 31. Juli 1961 wegen einer akuten Bauch-Perforation im Zusammenhang mit einer Cholezystitis ins Krankenhaus eingeliefert, während bei der Rentengewährung andere Leiden (ausgeprägtes Lungenemphysem) im Vordergrund standen.
Demnach ist der Aufnahmebescheid der beklagten AOK mit der in ihm enthaltenen Wartezeit-Beschränkung rechtmäßig. Da die Erkrankung vom 31. Juli 1961 innerhalb der Wartezeit eingetreten ist, hat die beklagte AOK zu Recht den Kostenersatz für die Krankenhauspflege abgelehnt.
Demnach war die Revision der Klägerin als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG.
Fundstellen