Leitsatz (amtlich)
Rückerstattungsansprüche nach KOV-VfG § 47 Abs 2 Buchst b, die Versorgungsbezüge betreffen, welche weiter als 4 volle Kalenderjahre vor Erteilung des Rückforderungsbescheides zurückliegen, verwirken nur, wenn der Versorgungsbehörde der Grund für die Überzahlung zu Beginn der für die Verwirkung maßgeblichen "Frist" bekannt war oder bekannt sein mußte (Ergänzung von BSG 1964-04-17 10 RV 1299/61 = BSGE 21, 27 und BSG 1975-03-14 10 RV 341/74; Aufrechterhaltung von BSG 1967-03-21 9 RV 392/64 = KOV 1967, 123). Deshalb ist eine Rückforderung nicht verwirkt, wenn sie wegen einer vom Rentenversicherungsträger gewährten Nachzahlung geltend gemacht wird, der die Rente mit 8 Jahren Rückwirkung erhöht hat.
Leitsatz (redaktionell)
1. Das Recht der Versorgungsverwaltung aus BVG § 71b steht ihr lediglich erfüllungshalber, nicht an Erfüllungs Statt zu. Das Rückforderungsrecht gegenüber dem Versorgungsempfänger besteht also neben diesem Ersatzbefriedigungsrecht (vergleiche auch BSG 1967-02-16 10 RV 957/64 = BSGE 26, 106, 108).
2. Wenn die Summe der aufgelaufenen Nachzahlung (hier: Sozialversicherungsleistungen) den zu erstattenden Betrag erheblich übersteigt, ist insoweit das Erfordernis des KOVVfG § 47 Abs 1 Nr 1 Buchst b verwirklicht. Allerdings muß dieser gesetzliche Tatbestand zu der Zeit erfüllt gewesen sein, in der die letzte Verwaltungsentscheidung ergangen ist. Es ist also wichtig, ob zu dieser Zeit die Nachzahlung die finanzielle Situation des Versorgungsempfängers noch beeinflußt hat.
Normenkette
KOVVfG § 47 Abs. 2 Buchst. b Fassung: 1960-06-27; BVG § 71b; KOVVfG § 47 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 14. November 1974 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Klägerin bezieht die Witwenrente sowohl nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) als auch aus der Angestelltenversicherung (AnV) ihres im Kriege gefallenen Ehemannes. Mit Bescheid vom 16. Februar 1965 stellte die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) die Witwenrente gemäß Art 2 § 30 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) rückwirkend zum 1. Januar 1957 um. Dabei ergab sich zugunsten der Klägerin eine höhere laufende Leistung. Für die Zeit bis zum 31. März 1965 erhielt die Klägerin eine Nachzahlung von 21.370,20 DM. Hierfür verständigte die Klägerin das Versorgungsamt (VersorgA). Dieses stellte daraufhin mit Ende April 1965 die Zahlung der bis dahin gewährten Ausgleichsrente ein und teilte am 19. März 1965 mit, daß die Rückforderung zu Unrecht empfangener Versorgungsbezüge vorbehalten bleibe; eine endgültige Abrechnung erfolge später. Vergeblich versuchte die Versorgungsbehörde, von der BFA gemäß § 71b BVG einen Ausgleich für ihre Überzahlungen zu erhalten. Erst durch Bescheide vom 9. und 11. Dezember 1968 stellte das VersorgA fest, daß der Klägerin infolge nachträglicher Erhöhung der Rente aus der AnV für die Zeit vom 1. Februar 1957 bis zum 30. April 1965 an Ausgleichsrente 5.602,-- DM zuviel gezahlt worden seien. Diesen Betrag forderte das VersorgA zurück; es bewilligte die Tilgung dieser Schuld in monatlichen Raten von 100,-- DM, beginnend mit dem 1. Februar 1969. Der hiergegen von der Klägerin erhobene Widerspruch blieb ohne Erfolg (Bescheid des Landesversorgungsamtes - LVersorgA - vom 8. März 1971). Hierbei ließ sich die Behörde ua davon leiten, daß die Rückforderung wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin (monatliches Renteneinkommen von 778,-- DM; mietfreies Wohnen in einem Einfamilienhaus, das ihr zu fünf Achtel gehört) und wegen der Nachzahlung aus der AnV vertretbar sei (§ 47 Abs 2 Buchst. b des Verwaltungsverfahrensgesetzes - VerwVG -).
Der Klage ist im ersten Rechtszuge stattgegeben (Urteil des Sozialgerichts (SG) Stuttgart vom 13. April 1972), vom Berufungsgericht ist sie dagegen abgewiesen worden (Urteil des Landessozialgerichts - LSG - Baden-Württemberg vom 14. November 1974). Das SG ist von der Verwirkung des Erstattungsanspruchs ausgegangen, weil die Verwaltung bis zur Geltendmachung ihres Anspruchs drei Jahre und neun Monate habe verstreichen lassen. Für das LSG war indessen erheblich, daß die Verwaltung von der Ankündigung bis zur Festsetzung der Rückforderung keine vollen vier Jahre gewartet habe. Von einer Verwirkung sei deshalb nur auszugehen, wenn zum längeren Zeitablauf weitere Umstände hinzugetreten wären, die das Verlangen der Versorgungsbehörde als unzulässige Rechtsausübung erscheinen ließen. Solche Umstände seien indessen nicht zu erkennen. Daß die Überzahlung selbst auf sich einen längeren Zeitraum als vier Jahre beziehe, nämlich ein Zuviel an Ausgleichsrente für die Spanne von Februar 1957 bis März 1965 betreffe, ergebe sich aus dem erst im Februar 1965 erlassenen Bescheid der BfA und falle nicht in den Verantwortungsbereich der Versorgungsbehörde.
Die Klägerin hat die - zugelassene Revision eingelegt. Sie meint, der Rechtsprechung des BSG zur Verwirkung einer Rückforderung für eine Zeit von mehr als vier Jahren dürfe nicht der Charakter einer starren gesetzlichen Fristenregelung beigemessen werden. Im übrigen sei die Rechtsprechung auch nicht einheitlich. Außerdem sei zu prüfen, ob die Rückgewährungspflicht nicht entfallen sei. Dafür sei nicht die Vermögenslage im Februar 1965, sondern die Situation im Dezember 1968, als die Rückforderung ausgesprochen worden sei, maßgebend.
Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen.
Der Beklagte stellt keinen Sachantrag.
Beide Beteiligten sind mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist unbegründet.
Zutreffend hat das LSG die Berechtigung der Versorgungsverwaltung zur Rückforderung der Ausgleichsrente, welche die Klägerin vom 1. Februar 1957 bis 31. März 1965 bezogen hatte, bejaht. Diese vom Einkommen abhängige Leistung (§ 41 Abs 3, § 33 Abs 1 Buchst. a BVG) war rückwirkend neu festzustellen, weil in den Verhältnissen, die für die Leistungsbewilligung maßgebend gewesen waren, infolge nachträglicher Erhöhung der Hinterbliebenenrente aus der AnV eine wesentliche Änderung eingetreten war (§ 62 Abs 1 Satz 1 BVG; BSG 26, 106, 107).
Die Rückforderung ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Kostenträger der Kriegsopferversorgung (KOV) sich unmittelbar an den Träger der Rentenversicherung halten konnte. Soweit der Anspruch gegen die AnV zur Minderung oder zum Wegfall der Versorgungsbezüge führte, unterlag er zwar kraft Gesetzes (§ 71b BVG) dem direkten Zugriff des Versorgungsträgers. Wegen dieses Rechts, mit dem sich der Versorgungsträger Ersatz für seine Überzahlung hätte verschaffen können, ist die Rückzahlungspflicht der Klägerin jedoch nicht erloschen. Vielmehr stand dem Beklagten der Anspruch gegen den Rentenversicherungsträger lediglich erfüllungshalber zu (BSG 26, 106, 108). Daß die Legalzession des § 71b BVG nicht an Erfüllungs Statt gedacht und daß das Bestehen der Rückforderung neben dem Ersatzbefriedigungsrecht gewollt ist, folgt unmittelbar aus der Regelung des § 47 Abs 2 Buchst. b VerwVG. Hiernach ist der Empfänger der nicht gerechtfertigten Versorgungsleistung zur Erstattung ua verpflichtet, soweit dies wegen der Höhe einer ihm von einem Träger der Sozialversicherung gewährten Nachzahlung vertretbar ist. Diese Vorschrift ist nur bei einer Anspruchskonkurrenz der hier angenommenen Art verständlich (BSG 26, 109).
Da die Summe der aufgelaufenen Sozialversicherungsleistungen den zu erstattenden Betrag erheblich überstieg, ist insoweit das Erfordernis des § 47 Abs 2 Buchst. b VerwVG verwirklicht (ebenso BSG, Urteil vom 9. Juli 1968 - 10 RV 36/67 = KOV 1969, 75). Allerdings muß dieser gesetzliche Tatbestand zu der Zeit erfüllt gewesen sein, in welcher die letzte Verwaltungsentscheidung - hier: der Widerspruchsbescheid vom 8. März 1971 - ergangen ist (zum maßgeblichen Zeitpunkt BSG 21, 27, 31). Es war also wichtig, ob zu dieser Zeit die Nachzahlung, welche sechs Jahre vorher vorgenommen worden war, die finanzielle Situation der Klägerin noch beeinflußte. Davon ist das LSG ausgegangen. Es hat sich jedoch nicht darauf beschränkt, seine Beurteilung allein auf das Ausmaß der Nachzahlung abzustellen, sondern es hat - wozu § 47 Abs 2 Buchst. b VerwVG die Handhabe bietet - die wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin in ihrer Gesamtheit berücksichtigt (BSG 21, 27, 31; BSG in KOV 1969, 75). Gegen das Berufungsurteil sind in diesem Zusammenhang rechtlich keine Bedenken zu erheben, und gegen die tatsächlichen Feststellungen sind zulässige und begründete Revisionsrügen nicht erhoben worden.
Dem Berufungsgericht ist ferner darin beizupflichten, daß die Rückforderung des Beklagten nicht verwirkt ist. Unter diesem Gesichtspunkt (vgl hierzu eingehend BSG 35, 91, 94ff mit weiteren Nachweisen) sind in der gegenwärtigen Streitsache zwei Zeitabschnitte gesondert zu beurteilen. Einmal geht es darum, daß die Versorgungsbehörde, nachdem sie den Anlaß für die Überzahlungen erfahren hatte, bis zur Erhebung ihrer Rückforderung die Zeit von März 1965 bis Dezember 1968 verstreichen lier. Zum anderen - und dies sei zunächst behandelt - ist zu erörtern, daß die im März 1965 eingetretene Änderung der Verhältnisse sich auf die März 1965 eingetretene Änderung der Verhältnisse sich auf die BVG-Leistungen für eine 8 Jahre zurückreichende Zeit auswirkte. Das Fehlen des Rechtsgrundes für diese Leistungen trat jedoch erst mit der Umstellung der Renten aus der AnV im Februar 1965 zutage. Vor diesem Datum war eine Überzahlung nicht in Erscheinung getreten; die Versorgungsbehörde hätte, wie das LSG zutreffend dargelegt hat, eine Rückforderung gar nicht geltend machen können. Es fragt sich indessen, ob wegen der langen Rückwirkungszeit für sich allein der Erstattungsanspruch des Beklagten untergegangen sein könnte. Diese Rechtsfolge wird unter der Voraussetzung bejaht, daß die Rückforderung nach § 47 Abs 2 VerwVG für eine Zeit geltend gemacht wird, die mehr als vier Jahre seit Beginn desjenigen Jahres zurückliegt, in dem der diesbezügliche Bescheid ergangen ist (BSG 21, 27, 33f. ; KOV 1967, 123; BSG, Urteil vom 14. März 1975 - 10 RV 341/74 -). Gerechtfertigt wird diese Lösung, von der im vorliegenden Fall der Zeitabschnitt vom 1.1.1964 bis zum 30.4.1965 umfaßt sein würde, aus dem Gedanken der Gleichbehandlung von Sachverhalten gleicher Interessenlagen. So wie dem Versorgungsanspruch des Bürgers entsprechend § 197 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) nach vier Jahren die Einrede der Verjährung entgegengehalten werden können (BSG 19, 88), müsse sich die Behörde nach einem Untätigbleiben von gleicher Dauer regelmäßig den Einwand gefallen lassen, ihre späte Rückforderung verstoße gegen das Gebot der Wahrung von Treu und Glauben. - Mit dieser Erwägung ist das Verlangen des Beklagten, ihm die rechtsgrundlosen Leistungen in den Jahren 1957 bis 1963 zurückzugewähren, nicht abzutun. Von einer Verwirkung der Rückforderung in vier Jahren, zurückgerechnet vom Anfang des Jahres, in dem der Rückforderungsbescheid erteilt wurde, ist ein Fall wie dieser auszunehmen. In den Jahren 1957 bis März 1965 waren die Einkommensverhältnisse der Klägerin so, daß ihr das Recht auf die Ausgleichsrente aus der KOV nicht hätte streitig gemacht werden können. Die rückwirkende Bewilligung von Leistungen aus der AnV für diese Jahre vermochte an der tatsächlichen Lage, die vorher war, faktisch für die Vergangenheit nichts zu ändern. Die Rentenbezugszeit war für die Höhe der Nachzahlung eine bloße rechnerische Größe. Nur in der Vorstellung von dem, wie es gewesen wäre, wenn der Klägerin die Erträge aus der AnV in der maßgeblichen Zeit ab anfangs 1957 zugeflossen wären, konnte sich im nachhinein etwas wandeln. Die Versorgungsverwaltung, die erstmals im Frühjahr 1965 mit dieser Situation befaßt wurde, hätte sich darauf vorher nicht einstellen können und dürfen. Bei dieser Fallgestaltung stellt sich die Frage der Verwirkung einer Rückforderung über vier Jahre hinaus nicht. Das Bundessozialgericht (BSG) hat sich an die erwähnte Richtlinie nur gehalten, wenn der Versorgungsbehörde die Ursache der Überzahlung bekannt war oder hätte bekannt sein müssen, wenn zB die Behörde trotz ihr erteilter Auskünfte oder beizeiten vorgelegter Verdienstnachweise die Anordnung der Rückzahlung verschleppte (so BSG 21, 27; vgl ferner BVBl 1967; 116; KOV 1967, 124; Urteil vom 17. November 1967 - 10 RV 342/65 -; 14. März 1975 - 10 RV 341/74). Dagegen wurde es der Behörde nicht verwehrt, noch nach Ablauf der Vierjahres "frist" den Überzahlungsanspruch durchzusetzen, wenn der Versorgungsberechtigte durch widersprüchliche, unvollständige und verzögerte Angaben die Maßnahme der Behörde vereitelt hatte (BSG Urteil vom 21. März 1969 - § RV 452/67 -) oder wenn die Versorgungsverwaltung auch bei ordnungsgemäßer Sachbearbeitung erst innerhalb des Zeitraumes von vier Jahren den Grund für die Überzahlung der vor dieser Zeit geleisteten Versorgungsbezüge erkennen konnte (BSG, Urteil vom 21. März 1967 - 9 RV 392/64 = KOV 1967, 123, 124 -). Dieser zuletzt angeführten Sachlage entsprechen die hier zu beurteilenden Gegebenheiten. Mithin ist der Inhalt der angefochtenen Verwaltungsakte nicht zu beanstanden.
Auf die Rückforderung des Beklagten wirkt sich aber auch nicht rechtsvernichtend aus, daß die Versorgungsbehörde vom März 1965 an mit der Bescheiderteilung zwar auffallend lange, jedoch nicht mehr als vier Jahre wartete. Die Rechtsausübung des Beklagten wäre unzulässig, wenn zum Zeitablauf noch weitere besondere Umstände hinzukämen, welche das Vorgehen der Behörde als illoyal erscheinen ließen (BSG, Urteil vom 6. Dezember 1966 - 9 RV 568/64 = BVBl 1967, 116; Urteil vom 14. März 1975 - 10 RV 341/74; zu dem Merkmal der Illoyalität und den Kriterien, die den Tatbestand der Verwirkung bilden: BSG 35, 91, 95; Urteil vom 25. Januar 1972 - 9 RV 238/71 BVBl 1972, 73). Die Verwirkung ist ein Anwendungsfall des Rechtsgedankens, daß sich niemand zu seinem früheren Verhalten in Widerspruch setzen darf (entsprechend § 242 BGB). Daraus folgt, daß der andere Beteiligte Anlaß zu der Annahme gehabt haben muß, der Berechtigte werde von seinem Recht keinen Gebrauch mehr machen. Eine solche Erwartung und ein solches Vertrauen waren indessen in der Klägerin nicht geweckt worden. Im Gegenteil, die Behörde hatte sich ihr künftiges, wenn auch reichlich spätes Handeln ausdrücklich vorbehalten (dazu, daß ein solcher Vorbehalt der Rechtsbewahrung dienlich sein kann: BSG Urteil vom 6. Dezember 1966 - 9 RV 568/64 = BVBl 1967, 116 -; Urteil vom 14. März 1975 - 10 RV 341/74 -). Unter diesen Umständen hatte die Minderung in der Rechtsstellung des Beklagten, die mit dem Fortschreiten der Zeit verbunden sein mußte, noch nicht den Grad der Rechtsvernichtung erreicht.
Die angefochtenen Verwaltungsakte sind somit wirksam. Dies hat das Berufungsgericht richtig erkannt.
Fundstellen