Entscheidungsstichwort (Thema)
Beweiswürdigung. Gutachtenvergleich
Orientierungssatz
Ob eine wesentliche Veränderung im Leidenszustand eingetreten ist, ergibt sich auch aus dem Vergleich älterer mit jüngeren Gutachten. Das Gericht darf sich deshalb nicht damit zufrieden geben festzustellen, daß ein Sachverständiger seine Schätzung der MdE nicht mit einer Verschlimmerung begründet hat, sondern muß das Untersuchungsergebnis mit früheren Befunden vergleichen.
Normenkette
SGG § 128; BVG § 62
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 28.10.1965) |
SG Stuttgart (Entscheidung vom 25.10.1960) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 28. Oktober 1965 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Gründe
Im Juni 1947 beantragte der Kläger die Gewährung von Versorgung wegen beiderseitiger Trommelfellverletzung, Kopfverletzung, kombinierter Schwerhörigkeit beiderseits und Kniegelenkverletzung rechts. In einer ohrenfachärztlichen Stellungnahme vom 22. November 1948 führte Dr. G aus, daß der Kläger Flüstersprache beiderseits am Ohr und Umgangssprache in der Entfernung von 1 bis 1 1/2 m höre. Es handle sich um eine sehr erhebliche Innenohrschwerhörigkeit kombiniert mit einer Mittelohrschwerhörigkeit links. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) durch die Gehörschädigung betrage 33 1/3 v. H. Der Chefarzt der Städtischen Nervenklinik St. G in B Dr. Z kam in seinem Gutachten vom 6. Februar 1949 zu dem Ergebnis, daß neben dem Gehörschaden Folgen einer mittelschweren Contusio cerebri vorlägen. Die Schädelröntgenaufnahmen ließen einen etwa linsengroßen Metallsplitter erkennen, der in der Corticalis stecke. Hierauf beruhten anfallweise verstärkte Kopfschmerzen und eine leichte hirnorganische Wesensänderung, die eine gewisse Einschränkung der Erwerbsfähigkeit darstellten. Die Gesamt-MdE für diese Gesundheitsstörungen und den Gehörschaden müsse mit mindestens 50 v. H. eingeschätzt werden. Mit Bescheid vom 7. November 1950 erkannte das Versorgungsamt (VersorgA) B bei einer MdE um 60 v. H. "Stecksplitter im Kopf, Folgezustand nach Gehirnquetschung, Schwerhörigkeit beiderseits, Mittelohreiterung links, Granatsplitterverletzung am rechten Kniegelenk und rechten Schulterblatt" als Schädigungsfolgen an. Schädigungsfolgen und Grad der MdE wurden ohne ärztliche Untersuchung in den Umanerkennungsbescheid nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) vom 6. April 1951 übernommen.
Im April 1956 stellte der Kläger einen Erhöhungsantrag wegen Verschlimmerung seines Leidenszustandes. Nachdem RegMedRat Dr. L in seinem Gutachten vom 17. September 1956 eine Verschlimmerung der anerkannten Schädigungsfolgen nicht feststellen konnte und der Ohrenfacharzt Dr. H in seinem Gutachten vom 6. März 1957 die MdE für das Ohrenleiden wegen Besserung der Hörfähigkeit nur noch auf 20 v. H. geschätzt hatte, erging der Bescheid vom 26. März 1957, mit dem der Erhöhungsantrag des Klägers abgelehnt wurde.
Am 29. September 1957 stellte der Kläger einen weiteren Antrag auf Anerkennung einer Lähmung der rechten Mundpartie und des Verlustes eines Zahns; er beantragte ferner eine Erhöhung der MdE wegen Verschlimmerung der anerkannten Gesundheitsstörungen. Das VersorgA holte daraufhin ein chirurgisches (Dr. T) und nervenfachärztliches (Prof. Dr. Z) Gutachten vom 9. Januar 1958 ein. In einem urologischen Gutachten vom 28. März 1958 stellte Dr. G eine leichte Prostatitis und einen geringen Harninfekt fest. Er vertrat die Auffassung, daß die chronische Vorsteherdrüsenentzündung als Schädigungsfolge bei einer MdE um 10 v. H. anzuerkennen sei. In dem Neufeststellungsbescheid vom 14. Mai 1958 erkannte die Versorgungsbehörde zusätzlich Verlust des 8. Zahns rechts oben an und setzte die MdE seit dem 1. September 1957 auf 70 v. H. fest, lehnte aber die Anerkennung einer Prostatitis als Schädigungsfolge ab. Dem Widerspruch des Klägers gab das Landesversorgungsamt (LVersorgA) Baden-Württemberg durch Bescheid vom 9. Dezember 1958 teilweise statt, indem es zusätzlich noch "Trommelfellnarbe rechts und Trommelfellperforation links" ohne Änderung der MdE anerkannte.
Mit der Klage hat der Kläger die zusätzliche Anerkennung einer chronischen Vorsteherdrüsenentzündung und die Erhöhung der MdE auf 90 v. H. beantragt. Durch Urteil vom 25. Oktober 1960 hat das Sozialgericht (SG) Stuttgart den Beklagten in Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, dem Kläger ab 1. September 1957 Rente nach einer MdE um 80 v. H. zu gewähren; im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Das SG hat die Erhöhung der MdE auf 80 v. H. damit begründet, daß bei dem schwerhirnverletzten Kläger eine besondere berufliche Betroffenheit als ehemals aktivem Offizier vorliege.
Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg noch weitere Gutachten eingeholt. Der Nervenarzt Prof. Dr. S ist in seinem Gutachten vom 17. Juli 1963 zu der Beurteilung gelangt, daß die geringgradigen körperlichen und erheblichen seelischen Ausfälle infolge Hirnschädigung mit Stecksplitter im Kopf nach Granatsplitterverletzung eine MdE um 70 v. H. bedingten und die Gesamt-MdE unter Einschluß der auf anderen Fachgebieten vorliegenden Gesundheitsstörungen 100 v. H. betrage. Der Ohrenfacharzt Dr. S stellte in seinem Gutachten vom 5. Juli 1963 eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit rechts und eine mittelgradige bis hochgradige Schwerhörigkeit links fest. Der Kläger könne Flüstersprache überhaupt nicht mehr, Umgangssprache rechts an der Ohrmuschel und links höchstens 2 bis 3 m weit hören. Das Hörvermögen sei somit im Gegensatz zu dem Gutachten aus dem Jahre 1957 deutlich herabgesetzt. Die MdE für den Gehörschaden betrage 40 v. H. In einem weiteren ohrenfachärztlichen Gutachten vom 12. März 1965 hat Prof. Dr. B (HNO-Universitätsklinik F) die Beurteilung abgegeben, daß bei dem Kläger eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit rechts und eine linksseitige kombinierte Schwerhörigkeit mittleren Grades, ferner eine Trommelfellperforation links mit Neigung zu Mittelohrentzündung vorlägen. Eine wesentliche Änderung des Befundes sei seit dem Bescheid vom 6. April 1951 nicht eingetreten, die MdE für den Gehörschaden betrage 25 bis 30 v. H. In einem abschließenden Gutachten vom 22. April 1965 ist Prof. Dr. R von der Universitäts-Nervenklinik F zu dem Ergebnis gelangt, daß auf nervenärztlichem Fachgebiet eine MdE um 30 v. H., auf ohrenfachärztlichem Gebiet eine MdE um 25 bis 30 v. H. vorliege. Die Gesamt-MdE betrage 60 v. H., wobei ein besonderes berufliches Betroffensein noch nicht berücksichtigt sei.
Das LSG Baden-Württemberg hat durch Urteil vom 28. Oktober 1965 die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Stuttgart vom 25. Oktober 1960 zurückgewiesen; es hat die Revision nicht zugelassen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, Dr. G und Prof. Dr. S hätten zwar den ursächlichen Zusammenhang der Prostatitis mit dem Wehrdienst bejaht, es fehle jedoch insoweit der Nachweis eines schädigenden Ereignisses. Ebenfalls nicht erwiesen seien Tatsachen, die eine höhere Rente rechtfertigen könnten, weil im Vergleich zu den für die letzte Rentenfeststellung am 6. April 1951 maßgebend gewesenen Verhältnissen eine wesentliche Verschlimmerung der anerkannten Schädigungsfolgen nicht eingetreten sei. Dies gelte sowohl für den otologischen als auch für den chirurgischen und neurologisch-psychiatrischen Befund. Insbesondere habe der Ohrenfacharzt Dr. S in seinem Gutachten vom 5. Juli 1963 die Schätzung der MdE auf 40 v. H. nicht mit einer Verschlimmerung begründet. Eine bloß abweichende ärztliche Beurteilung der bestehenden Schädigungsfolgen rechtfertige jedoch nicht eine Neufeststellung.
Gegen dieses am 15. November 1965 zugestellte Urteil des LSG hat der Kläger mit Schriftsatz vom 26. November 1965, eingegangen beim Bundessozialgericht (BSG) am 14. Dezember 1965, Revision eingelegt und diese gleichzeitig begründet.
Er beantragt,
1. unter Aufhebung des Urteils des SG Stuttgart vom 25. Oktober 1960 und des Urteils des LSG Baden-Württemberg in Stuttgart sowie des Bescheides des VersorgA S vom 14. Mai 1958 idF des Widerspruchsbescheides des LVersorgA vom 9. Dezember 1958 das beklagte Land zu verurteilen, ... "chronische Vorsteherdrüsenentzündung" als noch zusätzliche Schädigungsfolge i. S. der Entstehung gemäß § 1 BVG anzuerkennen und dem Kläger wegen des Eintritts einer wesentlichen Verschlimmerung i. S. des § 62 BVG eine höhere MdE wie 80 v. H. zuzubilligen;
2. dem beklagten Land die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen;
3. hilfsweise Zurückverweisung des Rechtsstreits an die Vorinstanz.
Der Kläger rügt "wesentliche Verfahrensmängel sowie eine Gesetzesverletzung". Er trägt insbesondere vor, daß sich sein Hörvermögen entgegen der früheren versorgungsärztlichen Begutachtung insofern wesentlich verschlimmert habe, als sich auf dem rechten Ohr eine nunmehr an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit bei gleichzeitig bestehender mittel- bis hochgradiger Schwerhörigkeit links eingestellt habe und ferner eine Prostatitis vorliege. Die Verschlimmerung auf ohrenfachärztlichem Gebiet ergebe sich aus dem Gutachten des Dr. S. Zwischen dem Sachverständigen Prof. Dr. S und dem LSG sei es zu einer persönlichen Kontroverse gekommen, so daß das LSG den Antrag, Prof. Dr. S und Dr. S ergänzend zu hören, nicht stattgegeben habe, sondern ihn vielmehr in F habe erneut untersuchen lassen. Das Gutachten der F Universitätsklinik sei in Wirklichkeit von dem Assistenzarzt Dr. A erstellt worden, der von ihm - dem Kläger - als Gutachter abgelehnt worden sei. Prof. Dr. R habe das Gutachten lediglich nach einer Untersuchung von 10 Minuten unterschrieben. Das otologische Gutachten der Universitätsklinik F sei von Prof. Dr. B erstattet worden, der ihn weder untersucht noch gesehen habe. Des weiteren rügt der Kläger eine Verletzung des § 62 BVG. Im übrigen wird auf die Revisionsbegründung vom 26. November 1965 Bezug genommen.
Der Beklagte beantragt die Verwerfung der Revision als unzulässig; er hält die vom Kläger erhobenen Rügen nicht für gerechtfertigt.
Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet worden (§§ 164, 166 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Da das LSG die Revision nicht nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG zugelassen hat, ist sie nur statthaft, wenn ein wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt wird und vorliegt (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG; BSG 1, 150) oder wenn bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung oder des Todes mit einer Schädigung i. S. des BVG das Gesetz verletzt ist (§ 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG). In seiner Revisionsbegründung rügt der Kläger wesentliche Mängel im Verfahren des LSG und eine Gesetzesverletzung bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs i. S. des § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG; hierbei genügt es für die Statthaftigkeit der Revision, wenn eine der von dem Kläger erhobenen Rügen durchgreift. In einem solchen Falle braucht auf weitere Rügen, welche die Revision ebenfalls nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 oder 3 SGG statthaft machen könnten, nicht mehr eingegangen zu werden (vgl. BSG in SozR SGG § 162 Nr. 122).
Im vorliegenden Falle hat das LSG - wie der Kläger zu treffend rügt - § 128 SGG verletzt. Nach dieser Vorschrift entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In seinem Urteil hat es die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Ein Mangel des Verfahrens in bezug auf die Beweiswürdigung liegt insbesondere dann vor, wenn das Gericht die gesetzlichen Grenzen seines Rechts zur freien richterlichen Beweiswürdigung überschritten hat. Hierbei ist allerdings nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (BSG 1, 91) für eine hinreichende Würdigung der Sach- und Rechtslage in dem Urteil des Berufungsgerichts ein ausführliches Eingehen auf jedes einzelne Vorbringen eines Beteiligten und eine ausdrückliche Auseinandersetzung damit nicht notwendig, sofern sich aus dem Urteil ergibt, daß das LSG alle für seine Entscheidung maßgebenden Umstände sachentsprechend gewürdigt hat. Das ist aber dann nicht der Fall, wenn das Gutachten eines Sachverständigen oder sonstige ärztliche Stellungnahmen in einem für die Entscheidung des Rechtsstreits wesentlichen Punkt in den Urteilsgründen übergangen worden sind und das Urteil deshalb nicht erkennen läßt, daß sich das Gericht seine Überzeugung aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gebildet hat (vgl. BSG in SozR SGG § 128 Nr. 10). Diese Grundsätze für eine ordnungsgemäße Beweiswürdigung hat das LSG in dem angefochtenen Urteil nicht hinreichend beachtet.
Der Kläger, der wegen einer Reihe von Schädigungsfolgen durch das SG eine Versorgungsrente nach einer MdE um 80 v. H. zugesprochen erhalten hat, begehrt weiterhin die zusätzliche Anerkennung einer chronischen Vorsteherdrüsenentzündung als Schädigungsfolge i. S. der Entstehung und Rente nach einer Gesamt-MdE um 100 v. H. seit 1. September 1957. Das LSG hat in dem angefochtenen Urteil zunächst die Anerkennung der Prostataschädigung abgelehnt, weil schon ein schädigendes Ereignis hinsichtlich der Prostatitis nicht hinreichend nachgewiesen sei. Wegen der vom Kläger begehrten Erhöhung der Rente von 80 auf 100 v. H. hat das LSG ausgeführt, daß eine Neufeststellung der Rente nach § 62 BVG nur dann erfolgen könnte, wenn im Vergleich zu den für die letzte Rentenfeststellung am 6. April 1951 maßgebend gewesenen Verhältnissen eine wesentliche Verschlimmerung der anerkannten Schädigungsfolgen erweislich wäre; dies sei jedoch nicht der Fall. Hinsichtlich des anerkannten Ohrenleidens hat das LSG auf Seite 13 der Urteilsausfertigung lediglich ausgeführt: "Ohrenfacharzt Dr. S, der die MdE auf otologischem Gebiet am 5. Juli 1963 auf 40 v. H. geschätzt hat, hat diese Schätzung ebenfalls nicht mit einer Verschlimmerung begründet. Eine bloße abweichende ärztliche Beurteilung der bestehenden Schädigungsfolgen rechtfertigt jedoch keine Neufeststellung." In der Revisionsbegründung vom 26. November 1965 wendet sich der Kläger ua gegen die Feststellung des LSG, daß sich das anerkannte Ohrenleiden seit dem Jahre 1951 nicht verschlimmert hat und daß Dr. S die MdE für dieses Leiden auf 40 v. H. geschätzt hat, ohne dies mit einer Verschlimmerung des Leidens zu begründen. Der Kläger trägt hierzu insbesondere auf Seite 5 der Revisionsbegründung vor, die MdE auf otologischem Gebiet sei 1948 mit 33 1/3 v. H. und durch den zwischenzeitlichen Eintritt einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit rechts durch Dr. S mit 40 v. H. bewertet worden. Selbst das Gutachten der HNO-Universitätsklinik F habe diese von Dr. S festgestellte an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit, die eine wesentliche Verschlimmerung des anerkannten Leidens darstelle, bestätigen müssen. Es sei daher abwegig, die MdE auf otologischem Fachgebiet nur noch mit 25 bis 30 v. H. zu bewerten. Diese Rüge, für die der Kläger allerdings eine verletzte Verfahrensvorschrift nicht angegeben hat, die aber dem Sinne nach als die Rüge einer Verletzung des § 128 SGG anzusehen ist, greift durch.
Das LSG ist nach seiner materiell-rechtlichen Auffassung in dem angefochtenen Urteil davon ausgegangen, daß die Frage einer Verschlimmerung durch Gegenüberstellung der Befunde, die der letzten (positiven) Feststellung im Bescheid vom 6. April 1951 zugrunde lagen, mit den heute vorliegenden Befunden zu beurteilen ist. Bei Zugrundelegung dieser Rechtsauffassung des LSG, die auch das BSG bei der Prüfung der Statthaftigkeit der Revision zu berücksichtigen hat, liegt eine Überschreitung der Grenzen des Rechts der freien Beweiswürdigung insoweit vor, als das Berufungsgericht die vorliegenden ohrenfachärztlichen Gutachten hinsichtlich einer Änderung der Befunde nicht sachentsprechend gewürdigt hat.
Dem Umanerkennungsbescheid vom 6. April 1951 lag die ohrenfachärztliche Stellungnahme des Dr. G vom 22. November 1948 zugrunde, der folgenden Befund erhoben hat: Flüstersprache wurde beiderseits am Ohr gehört, Umgangssprache in 1 bis 1 1/2 m. Als Diagnose gab Dr. G eine sehr erhebliche Innenohrschwerhörigkeit links an. Auf einen Erhöhungsantrag wurde der Kläger ohrenfachärztlich durch den Versorgungsarzt Dr. H untersucht (Gutachten vom 6. März 1957). Dieser Arzt kam zu der Beurteilung, es habe bei seiner funktionellen Untersuchung einwandfrei festgestellt werden können, daß auf dem rechten Ohr Umgangssprache 6 m und links 4 m gehört wurde; es sei demnach eine erhebliche Besserung der Hörfähigkeit eingetreten und die MdE betrage für das beiderseitige Ohrenleiden höchstens noch 20 v. H. Der nach § 109 SGG im Berufungsverfahren gehörte Ohrenfacharzt Dr. S führte in seinem Gutachten vom 5. Juli 1963 aus, daß der Kläger Flüstersprache überhaupt nicht mehr, Umgangssprache rechts an der Ohrmuschel und links höchstens 2 bis 3 m höre. Es bestehe demnach jetzt eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit rechts und eine mittelgradige bis hochgradige Schwerhörigkeit links. Die MdE für das Ohrenleiden betrage 40 v. H. In einem weiteren von Amts wegen eingeholten ohrenfachärztlichen Gutachten des Prof. Dr. B (HNO-Universitätsklinik F) vom 12. März 1965 ist dieser Sachverständige in seiner Zusammenfassung zu der Beurteilung gekommen, daß bei dem Kläger eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit rechts und eine linksseitige kombinierte Schwerhörigkeit mittleren Grades bestehe; außerdem liege eine Trommelfellperforation links mit Neigung zu Mittelohrentzündung vor. Die Frage des LSG, ob eine wesentliche Änderung des Befundes seit dem Bescheid vom 6. April 1951 eingetreten ist, müsse mit "nein" beantwortet werden. Die MdE für das Ohrenleiden sei auf 25 bis 30 v. H. zu schätzen.
Es fällt zunächst auf, daß das LSG in seinem Beweisbeschluß vom 30. Mai 1963 dem Ohrenfacharzt Dr. S die Frage gestellt hat: "Ist auf hals-nasen-ohrenärztlichem Gebiet seit der letzten otologischen Untersuchung vom 6. März 1957 eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten und wie hoch ist die schädigungsbedingte MdE auf diesem Gebiet seit 1. September 1957?" Dementsprechend hat Dr. S in seinem Gutachten vom 5. Juli 1963 eine Gegenüberstellung seiner jetzigen Befunde mit den Befunden in dem Gutachten vom 6. März 1957 vorgenommen und ist hierbei zu dem Ergebnis gelangt, daß das Hörvermögen des Klägers seit 1957 deutlich herabgesetzt ist. Mit Beweisbeschluß vom 3. April 1964 hat das LSG an den Ohrenfacharzt die Frage gestellt, ob seit dem Bescheid vom 6. April 1951 bzw. der ihm zugrunde liegenden Untersuchung vom 22. November 1948 eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten ist. Diese verschiedene Fragestellung gegenüber den Sachverständigen Dres. S und B erschwert naturgemäß die vom LSG vorgenommene Beweiswürdigung. Unabhängig davon hätte jedoch das LSG die von diesen beiden Sachverständigen erhobenen Befunde dem in dem Gutachten des Dr. G vom 22. November 1948 erhobenen Befund gegenüberstellen und würdigen müssen. Dies hat es jedoch in dem angefochtenen Urteil nicht getan; es hat sich vielmehr damit begnügt festzustellen, Dr. S habe seine Schätzung der MdE auf 40 v. H. nicht mit einer Verschlimmerung begründet. Der Vergleich der Befunde aus dem Jahre 1948 mit den von den Sachverständigen Dr. S und Prof. Dr. B erhobenen Befunden zeigt jedoch, daß jedenfalls eine Änderung der Verhältnisse i. S. einer Verschlimmerung bei dem Ohrenleiden des Klägers eingetreten ist. Im Jahre 1948 konnte der Kläger nach dem Gutachten des Dr. G Flüstersprache noch an beiden Ohren hören, die Umgangssprache allerdings nur auf 1 bis 1 1/2 m Entfernung. Dr. G stellte eine sehr erhebliche Innenohrschwerhörigkeit, kombiniert mit einer Mittelohrschwerhörigkeit links fest. Demgegenüber konnte der Kläger nach den von Dr. S in seinem Gutachten vom 5. Juli 1963 erhobenen Befunden Flüstersprache überhaupt nicht mehr, Umgangssprache rechts nur an der Ohrmuschel und links in einer Entfernung von höchstens 2 bis 3 m verstehen. Während Dr. G lediglich eine sehr erhebliche Innenohrschwerhörigkeit feststellte, bestand nach dem Gutachten des Dr. S rechts eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit und links eine mittelgradige bis hochgradige Schwerhörigkeit. Dieser Befund wird letztlich auch durch Prof. Dr. B in seinem Gutachten vom 12. März 1965 bestätigt. Auch er hat rechts eine hochgradige, an Taubheit grenzende Innenohrschwerhörigkeit und eine linksseitige kombinierte Schwerhörigkeit mittleren Grades diagnostiziert. Auf Grund der Gutachten des Dr. S und des Prof. Dr. B hätte daher das LSG bei sachgemäßer Gegenüberstellung der erhobenen Befunde dieser Sachverständigen mit den im Jahre 1948 erhobenen Befunden zumindest eine Verschlimmerung des Ohrenleidens annehmen müssen. Insbesondere trifft die Feststellung des LSG (Seite 13 der Urteilsausfertigung) nicht zu, daß Dr. S keine Verschlimmerung des Ohrenleidens gefunden habe und seine Schätzung der MdE auf 40 v. H. lediglich auf einer abweichenden ärztlichen Beurteilung der bestehenden Schädigungsfolgen beruhe. Insoweit liegt daher eine Verletzung des § 128 SGG vor. Ob das LSG allerdings auch bei fehlerfreier Beweiswürdigung zu der Überzeugung hätte gelangen können, daß die sowohl von Dr. S als auch von Prof. Dr. B - jedenfalls hinsichtlich einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit rechts - bezeugte Änderung der Befunde seit 1948 zwar eine gewisse Verschlimmerung darstelle, die aber nicht wesentlich wäre oder nicht zu einer Erhöhung der MdE wegen des Ohrenleidens führen könnte, kann dahinstehen. Dies kann nicht vom Revisionsgericht beurteilt werden, weil ihm eine eigene Beweiswürdigung verwehrt ist, die das Tatsachengericht vornehmen muß. Die Revision des Klägers ist somit wegen Verletzung des § 128 SGG statthaft, weil das LSG die Grenzen seines Rechts zur freien Beweiswürdigung bei der Gegenüberstellung und Beurteilung der Befunde hinsichtlich des Ohrenleidens im Jahre 1948 und in den Jahren 1963, 1965 überschritten bzw. seine Überzeugung nicht aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen hat.
Die Revision des Klägers ist auch begründet, weil das angefochtene Urteil auf dem mit Erfolg gerügten Verfahrensmangel beruht. Es besteht die Möglichkeit, daß das LSG anders entschieden hätte, wenn es eine fehlerfreie Beweiswürdigung im oben angeführten Sinne durchgeführt hätte (BSG 2, 197). Da es wegen der fehlerhaften Beweiswürdigung an hinreichenden Feststellungen des LSG fehlt, mußte das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).
Fundstellen