Leitsatz (amtlich)
1. Zur Einstufung einer Lehrerin, die von 1946 bis 1960 an einer Hilfsschule in Sachsen unterrichtet hat.
2. Hängt nach dem Berufskatalog die Einordnung eines Berufs in eine bestimmte Leistungsgruppe der Anl 1 zu FRG § 22 (hier: B 2) von einem höheren Lebensalter ("über 45 Jahre") ab, so setzt diese Einordnung voraus, daß der Beruf bis dahin stetig ausgeübt wurde.
Normenkette
FRG § 22 Anl 1 Fassung: 1960-02-25
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts für das Saarland vom 23. Januar 1968 und des Sozialgerichts für das Saarland vom 25. Juli 1967 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen, soweit die Klägerin Einstufung in die Leistungsgruppe B 2 der Anlage 1 zu § 22 des Fremdrentengesetzes begehrt. Soweit die Beklagte zur Berücksichtigung der Zeit vom 1. April 1960 bis 30. September 1960 verurteilt worden ist, wird der Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
Die Beteiligten streiten über die Höhe des Altersruhegeldes der jetzt in der Bundesrepublik Deutschland wohnhaften Klägerin; insbesondere geht es darum, welcher Leistungsgruppe der Anlage 1 zu § 22 des Fremdrentengesetzes (FRG) die Zeit vom 1. Mai 1946 bis 30. September 1960 zuzuordnen ist, während der die Klägerin an der Hilfsschule D in Sachsen (SBZ) als Lehrerin beschäftigt gewesen ist.
Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) ist die im April 1900 geborene Klägerin als Volksschullehrerin ausgebildet, war jedoch vor der streitigen Zeit nur von 1920 bis 1924 und von 1943 bis 1945 als solche tätig. Vom 17. Mai bis 8. Juli 1949 hat sie an einem Lehrgang für Sonderschulpädagogik teilgenommen. Die Beklagte hat bei der Berechnung des der Klägerin aus der AnV bewilligten Alterruhegeldes ihre Beschäftigung in Sachsen vom 1. Mai 1946 bis 31. März 1960 der Leistungsgruppe B 3 zugeordnet (Bescheide vom 2. Juni 1965, 12. Oktober 1965 und 4. April 1967). Die Klägerin dagegen hält im Hinblick auf ihre besonders verantwortliche Tätigkeit als Hilfsschul-Lehrerin die Einstufung in die Leistungsgruppe B 2 für angemessen; im übrigen will sie auch die Zeit vom 1. April bis 30. September 1960 berücksichtigt wissen. Das Sozialgericht (SG) und das LSG entschieden in ihrem Sinne.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision beantragt die Beklagte,
unter Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile die Klage abzuweisen.
Nach ihrer Meinung hat das LSG die Klägerin zu Unrecht der Leistungsgruppe B 2 zugeordnet. Weder die kurze zusätzliche Ausbildung in Sonderschulpädagogik noch die Verantwortung einer Hilfsschullehrerin oder der Schwierigkeitsgrad einer solchen Tätigkeit seien geeignet, eine Einstufung in die Leistungsgruppe B 2 zu rechtfertigen.
Gleichzeitig rügt die Beklagte als Verfahrensverstoß eine Verletzung des § 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SCG). Das LSG habe seiner Entscheidung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde gelegt; es habe außer Acht gelassen, daß die Klägerin vom 1. April bis 30. September 1960 in der SBZ eine Altersrente bezogen habe. Diese Tatsache sei der Rentenakte zu entnehmen gewesen, die dem LSG vorgelegen habe, insbesondere dem dort abgehefteten Rentenbescheid des FDGB (Verwaltung der Sozialversicherung) vom 23. März 1960. Dieser Rentenbezug schließe eine Berücksichtigung der daneben weiterhin ausgeübten Tätigkeit als Versicherungszeit sowohl nach § 15 FRG als auch nach § 16 FRG aus.
Die Klägerin ist vor dem BSG nicht vertreten.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 SGG).
Die Revision ist zulässig und auch begründet; die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht rechtsfehlerhaft; entgegen der Auffassung der Vorinstanzen hält der Senat die Einstufung der Klägerin in die Leistungsgruppe B 2 nach Lage des Falles nicht für gerechtfertigt. Auch die Verfahrensrüge der Beklagten ist begründet.
Das LSG ist im angefochtenen Urteil zutreffend davon ausgegangen, daß bei der Ermittlung der für den Versicherten maßgebenden Rentenbemessungsgrundlage nach § 22 FRG die Zuordnung der ausgeübten Tätigkeiten nach der allgemeinen Definition der Leistungsgruppen den Vorrang vor der Zuordnung nach dem Berufsgruppenkatalog haben muß. Mit Recht hat es ferner hervorgehoben, daß die Klägerin nach der allgemeinen Definition der Leistungsgruppe B 2 nicht die Voraussetzungen für eine Einstufung in diese Leistungsgruppe erfüllt. Dennoch - so meint das LSG - müsse die Klägerin für die streitige Zeit der Leistungsgruppe B 2 zugeordnet werden. Die Bewertung der Lehrerberufe könne zwar grundsätzlich nur nach einer "Gefälleskala" vorgenommen werden, wie sie die Beklagte aufgestellt habe, da der Lehrerberuf wie alle Tätigkeiten im öffentlichen Dienst nicht in den Katalogen der Anlage 1 enthalten sei. Als Hilfsschullehrerin sei die Klägerin aber nicht mit den Lehrern an Volksschulen und Grundschulen in die Leistungsgruppe B 3 einzustufen, sondern wegen ihrer schwierigeren Tätigkeit, ihrer höheren Verantwortung und ihrer größeren, durch zusätzliche Ausbildung erlangten Berufskenntnisse (durch die sie aus dem Kreis der Volksschullehrer herausgehoben werde) dem Leiter einer Grundschule gleichzusetzen, den die Beklagte in ihrer "Gefälleskala" in die Leistungsgruppe B 2 eingeordnet habe. Diese Zuordnung sei auch im Hinblick auf die im Berufskatalog zur Leistungsgruppe B 2 genannten Berufe einer Buchhalterin, Korrespondentin und Bilanzbuchhalterin über 45 Jahre gerechtfertigt, da die Klägerin die Hilfsschullehrertätigkeit im Alter von über 45 Jahren ausgeübt habe.
Dieser Bewertung der Tätigkeit der Klägerin durch das LSG kann der erkennende Senat nicht beitreten. Richtig ist zwar, daß die in den Leistungsgruppen-Definitionen genannten Beschäftigungsmerkmale vorwiegend auf Berufe aus Industrie und Handel abgestellt und jedenfalls für den Lehrerberuf nur sehr eingeschränkt zu gebrauchen sind. Auch bestehen keine rechtlichen Bedenken dagegen, daß die Beklagte im Wege einer Verwaltungsübung bei der Zuordnung der Lehrerberufe zu den einzelnen Leistungsgruppen eine allgemeine Bewertungsskala, eine sogenannte "Gefälleskala" zugrunde legt, bei der Vorbildung und Stellung sowie die Art der Tätigkeit von entscheidender Bedeutung sind. Es widerspricht ferner nicht dem Gesetz, wenn die Beklagte darin die nicht in leitender Stellung tätigen Lehrer an Volksschulen und Grundschulen der Leistungsgruppe B 3 zuordnet. Nach der Meinung des LSG jedoch sind die Lehrer an Hilfs- oder Sonderschulen ganz allgemein von dieser Einordnung auszunehmen und in ihrer beruflichen Stellung dem Leiter einer Volks- oder Grundschule gleichzustellen. Ob diese Auffassung zutreffend ist, kann offen bleiben; denn jedenfalls liegt bei der Klägerin die Voraussetzung für eine solche Gleichstellung und damit zur Einstufung in die Leistungsgruppe B 2 nach der Ansicht des Senats nicht vor.
Zwar ist es richtig, daß in der Bundesrepublik Deutschland der Hilfs- oder Sonderschullehrer in der Regel einkommensmäßig besser gestellt ist als ein Lehrer an der Volks- oder Grundschule und insoweit dem Leiter einer Volksschule nahesteht (vgl. z. B. Hess. Besoldungsgesetz idF vom 11. Oktober 1965 - Gesetz und Verordnungsblatt I Nr. 25 Seite 254). Das LSG verkennt aber, daß diese finanzielle Besserstellung nicht etwa auf der Erkenntnis beruht, die Tätigkeit eines Lehrers an der Hilfs- oder Sonderschule sei besonders schwierig und verantwortungsvoll, sondern vorwiegend darauf, daß diese Tätigkeit eine zusätzliche Ausbildung voraussetzt. Diese baut auf der Volksschullehrerausbildung auf und ist in den einzelnen Bundesländern verschieden geregelt. Die Bewerber nehmen an ein - oder zweijährigen staatlichen Lehrgängen teil, die an heilpädagogischen Instituten oder in Verbindung mit Universitäten oder Pädagogischen Hochschulen veranstaltet werden. Erst die Prüfung für das Lehramt an Sonderschulen befähigt heute zur Einstellung als Sonderschullehrer (vgl. Heckel und Seipp "Schulrechtskunde" 3. Aufl. Seite 148).
An einer derartigen Ausbildung und Prüfung fehlt es aber bei der Klägerin. Zwar hat sie sich während der Zeit, in der sie an der Hilfsschule unterrichtete, einer besonderen Ausbildung unterzogen. Jener Lehrgang für Sonderschulpädagogik dauerte aber nur rund 7 Wochen (17. Mai bis 8. Juli 1949) und wurde auch nicht mit einer besonderen Prüfung abgeschlossen. Diese Kurz-Ausbildung ist der heutigen Ausbildung zum Lehramt an Sonderschulen nicht gleichwertig und hat die schulischen Kenntnisse der Klägerin nicht derartig erhöht, daß sie deswegen aus dem Kreis der Lehrer an Grund- oder Volksschulen herausgehoben wäre.
Der Senat kann auch die Meinung des LSG nicht teilen, daß die Tätigkeit an der Hilfs- oder Sonderschule schlechthin schwieriger und verantwortungsvoller sei als diejenige an einer Grund- oder Volksschule. Jene Tätigkeit mag zwar mit einer stärkeren seelischen Belastung für den Lehrer verbunden sein; sie verlangt auch zweifellos besondere Fähigkeiten des Unterrichtenden, deren Erlangung regelmäßig eine zusätzliche pädagogische Ausbildung voraussetzt. Es ist aber nicht einzusehen, aus welchen Gründen die Erziehung geistig gesunder Kinder weniger verantwortungsvoll sein soll als diejenige geistig zurückgebliebener Kinder. Zum Beispiel könnte auch ein Oberarzt - was seine Verantwortung anbetrifft - nicht deshalb höher eingestuft werden, weil er in einer Landesheilanstalt beschäftigt gewesen ist, mag er auch möglicherweise deswegen höher besoldet gewesen sein als ein sonstiger Krankenhaus-Facharzt.
Auch ein Vergleich mit der im Berufskatalog der Leistungsgruppe B 2 aufgeführten Buchhalterin, Korrespondentin oder Bilanzbuchhalterin über 45 Jahre rechtfertigt nicht die Einstufung der Klägerin in diese Leistungsgruppe. Hierbei muß nämlich beachte werden, daß nicht etwa jede Buchhalterin usw. im Alter von mehr als 45 Jahren der Leistungsgruppe B 2 zuzuordnen ist, sondern nur eine solche, die durch eine stetige Berufsausübung über "besondere Erfahrungen" im Sinne der Leistungsgruppe B 2 verfügt, d. h. solche, die über eine "mehrjährige Berufserfahrung" im Sinne der Leistungsgruppe B 3 hinausgehen und mit einem darauf beruhenden höheren beruflichen Können verbunden sind. Ob auch bei dem Lehrerberuf diese Grundsätze anzuwenden wären, kann dahinstehen. Denn jedenfalls liegt bei der Klägerin die Voraussetzung zu einer Berücksichtigung ihres Lebensalters schon deshalb nicht vor, weil sie in der Zeit von 1924 bis 1942 nicht als Lehrerin tätig war, sie ihren Beruf also nicht ununterbrochen ausgeübt hat. Ob eine kürzere Unterbrechung möglicherweise unbeachtlich wäre, kann offen bleiben.
Entgegen der Auffassung des LSG ist es somit rechtlich nicht zu beanstanden, daß die Beklagte bei der Rentenberechnung die Klägerin der Leistungsgruppe B 3 zugeordnet hat. Insoweit müssen daher die vorinstanzlichen Urteile aufgehoben und die Klage abgewiesen werden.
Soweit die Beklagte durch die Vorinstanzen verurteilt worden ist, über den Inhalt der angefochtenen Bescheide hinaus auch die Zeit vom 1. April bis 30. September 1960 bei der Berechnung der Rente zu berücksichtigen, muß der Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden. Insoweit fehlt es in dem angefochtenen Urteil an jeglicher Begründung, weshalb dem Klageantrag auch für diese Zeit entsprochen worden ist (§ 136 Abs. 1 Nr. 6 SGG). Offenbar haben die Vorinstanzen übersehen, daß die Klägerin in der Zeit vom 1. April bis 30. September 1960 in der SBZ bereits eine Altersrente bezogen hat. Diese Tatsache war aus dem in den Verwaltungsakten der Beklagten befindlichen Rentenbescheid des FDGB (Verwaltung der Sozialversicherung) vom 23. März 1960 zu entnehmen. Diese Akten lagen dem LSG vor und sind von ihm ausdrücklich in Bezug genommen worden. Es hat aber offensichtlich diese Tatsache in seine Erwägungen nicht einbezogen. Darin liegt jedenfalls auch die von der Beklagten gerügte Verletzung von § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG, weil das Berufungsgericht seiner Entscheidung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde gelegt hat. Die Beklagte hat diesen Verfahrensmangel ordnungsgemäß gerügt (§ 164 Abs. 2 SGG). Die Revision ist insoweit auch begründet (vgl. SozR Nr. 3 zu § 19 FRG). Da das Revisionsgericht jedoch jene fehlenden tatsächlichen Feststellungen nicht selbst treffen kann und auch nicht aus den Beiakten entnehmen darf (vgl. SozR Nr. 9 zu § 163 SGG), bleibt nur übrig, den Rechtsstreit insoweit an das LSG zurückzuverweisen, das abschließend auch noch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden haben wird.
Fundstellen