Leitsatz (amtlich)

Zum Lauf und zur Bemessung der Teilzahlungsfrist für die Nachentrichtung freiwilliger Beiträge (Art 2 § 51a Abs 3 S 3 ArVNG), wenn die Bekanntgabe des Nachentrichtungsbescheides mit der Teilzahlungsfrist nicht nachweisbar ist, der Nachentrichtungswillige aber aus einem weiteren Bescheid ersehen kann, daß der Versicherungsträger einen Nachentrichtungsbescheid erlassen zu haben glaubt.

 

Normenkette

ArVNG Art 2 § 51a Abs 3 S 3 Fassung: 1972-10-16

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 10.01.1984; Aktenzeichen L 5 J 212/83)

SG Kiel (Entscheidung vom 11.05.1983; Aktenzeichen S 6 J 112/82)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darum, ob der Kläger zur Nachentrichtung von Beiträgen nach Art 2 § 51a Abs 2, 3 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) berechtigt ist.

Der 1920 geborene Kläger stellte im Oktober 1975 auf einem Formular einen konkretisierten Antrag auf Nachentrichtung freiwilliger Beiträge in Höhe von insgesamt 21.168 DM für die Zeit von Januar 1956 bis Dezember 1972. Dabei erklärte er, daß er Teilzahlung wünsche. Die Beklagte sandte am 30. Dezember 1975 mit gewöhnlichem Brief einen Bescheid vom selben Tage ab, in dem sie dem Nachentrichtungsantrag in vollem Umfang entsprach. Weiter hieß es, der Kläger könne von der Möglichkeit Gebrauch machen, den Nachentrichtungsbetrag in Teilbeträgen zu leisten; der Zeitraum für die Teilzahlung, der gesetzlich auf fünf Jahre begrenzt sei, beginne mit der Bekanntgabe dieses Bescheides.

Im August 1976 beantragte der Kläger die Klärung seines Versicherungsverlaufs, die die Beklagte auch vornahm und mit der Erteilung des Bescheides vom 15. März 1977 über den Versicherungsverlauf abschloß. In einem Zusatz "berichtigte" sie den "Nachentrichtungsbescheid vom 30. Dezember 1975" dahin, daß sich der Nachentrichtungszeitraum um einige näher bezeichnete Monate verkürze, weil für sie bereits Pflichtbeiträge vorhanden seien; der Nachentrichtungsbetrag verringere sich dadurch von 21.168 DM um 756 DM auf 20.412 DM.

Im Dezember 1981 wandte sich der Kläger zunächst telefonisch, dann auch schriftlich an die Beklagte und teilte mit: Er habe nur eine Bestätigung des Antragseingangs vom 29. Oktober 1975 und den Zusatz im Versicherungsverlauf vom 15. März 1977, aber keinen Nachentrichtungsbescheid erhalten. Da nach Berichten in der Presse die Frist zur Nachentrichtung endgültig am 31. Dezember 1981 ablaufe, bitte er um Angabe eines Kontos, auf das er den Nachentrichtungsbetrag überweisen könne. Die Beklagte lehnte die Entgegennahme des Nachentrichtungsbetrages mit Bescheid vom 31. Dezember 1981 ab, weil die Nachentrichtung wegen Fristablaufs nicht mehr zulässig sei. Die Angabe des Klägers, er habe den Bescheid vom 30. Dezember 1975 nicht erhalten, sei nicht glaubhaft. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 21. April 1982).

Das Sozialgericht Kiel hat die Klage durch Urteil vom 11. Mai 1983 abgewiesen, das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) die Berufung durch Urteil vom 10. Januar 1984 zurückgewiesen. Das LSG hat zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Es könne nicht festgestellt werden, daß der Bescheid vom 30. Dezember 1975 mit der darin für die Nachentrichtung enthaltenen Fristbestimmung dem Kläger zugegangen sei. Dieses bedeute aber nicht, daß die Nachentrichtung an keine Frist gebunden sei. Ohne eine Fristbestimmung hätte der Kläger die Beiträge nach allgemeinen Vorschriften (§ 1419 Abs 2 und § 1420 Abs 1 Reichsversicherungsordnung -RVO-) in "angemessener Frist" entrichten müssen. Doch sei zu berücksichtigen, daß die Beklagte ihm mit Bescheid vom 30. Dezember 1975 eine fünfjährige Teilzahlungsfrist habe einräumen wollen. Er sei daher so zu stellen, wie wenn ihn der Bescheid am 2. Januar 1976 erreicht hätte. Dann sei die Frist, die eine Ausschlußfrist sei, am 2. Januar 1981 abgelaufen und der Kläger mit seinem Nachentrichtungsbegehren im Dezember 1981 zu spät gekommen.

Gegen das Urteil richtet sich die - vom LSG zugelassene - Revision des Klägers, mit der er im wesentlichen geltend macht: Da er den Bescheid vom 30. Dezember 1975 nicht erhalten habe, müsse er so gestellt werden, wie wenn er von diesem Bescheid erst durch den Zusatz in dem Bescheid vom 15. März 1977 Kenntnis erhalten hätte oder ihm der Bescheid vom 30. Dezember 1975 auf eine entsprechende Rückfrage hin im März 1977 abschriftlich zur Kenntnis gebracht worden wäre. Dann hätte die darin enthaltene Frist von fünf Jahren erst im März 1977 zu laufen begonnen, wäre also erst im März 1982 abgelaufen, so daß der Nachentrichtungsbetrag im Dezember 1981 noch fristgerecht angeboten worden sei. Das LSG habe außer acht gelassen, daß der Beginn der Frist nicht gesetzlich bestimmt sei, daß sie vielmehr erst vom Versicherungsträger nach Bearbeitung des Nachentrichtungsantrags gesetzt werde und entsprechend später ablaufe.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

die Urteile des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 10. Januar 1984 und des Sozialgerichts Kiel vom 11. Mai 1983 aufzuheben sowie die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 31. Dezember 1981 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. April 1982 zu verurteilen, 20.412 DM an Nachentrichtungsbeiträgen nach Maßgabe ihrer Bescheide vom 30. Dezember 1975 und vom 15. März 1977 anzunehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie macht geltend: Der Kläger gehe unzulässigerweise von dem fiktiven Sachverhalt aus, daß ihm der Bescheid vom 30. Dezember 1975 erst im März 1977 zugegangen sei und die Frist von fünf Jahren erst von da an zu laufen begonnen habe.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist begründet, soweit seine Aufhebungsklage in den Vorinstanzen abgewiesen worden ist. Entgegen der Auffassung des LSG und der Beklagten ist der Kläger nicht so zu behandeln, als wenn er den Bescheid vom 30. Dezember 1975 alsbald erhalten und die Teilzahlungsfrist von fünf Jahren daher schon Ende 1975/Anfang 1976 zu laufen begonnen hätte. Der hiervon ausgehende, im vorliegenden Verfahren angefochtene Bescheid vom 31. Dezember 1981 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. April 1982 ist daher rechtswidrig. Andererseits hat der Kläger mit seiner Revision keinen Erfolg, soweit er die Verurteilung der Beklagten zur Annahme nachentrichteter Beiträge beantragt. Dieses Begehren ist derzeit unbegründet, weil noch eine Ermessensentscheidung der Beklagten über die Bemessung der Frist erforderlich ist, in der die Beiträge nachzuentrichten waren.

Der Kläger war zur Nachentrichtung freiwilliger Beiträge nach Art 2 § 51a Abs 2 ArVNG berechtigt. Die Beklagte konnte dafür gemäß Art 2 § 51a Abs 3 Satz 3 ArVNG Teilzahlungen bis zu einem Zeitraum von fünf Jahren zulassen; dieses hatte der Kläger auch beantragt. In ihrem Bescheid vom 30. Dezember 1975 wollte die Beklagte den Kläger zur Nachentrichtung zulassen und ihm gleichzeitig die Möglichkeit eröffnen, die (Teil-)Zahlung innerhalb von fünf Jahren ab Bekanntgabe des Bescheides zu erbringen. Nach den nicht mit Verfahrensrügen angefochtenen und daher für den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen (§ 163 SGG) des LSG ist die Bekanntgabe des Bescheides, dessen Empfang der Kläger bestreitet, nicht nachweisbar. Damit steht nicht fest, daß der Bescheid vom 30. Dezember 1975 wirksam geworden ist. Der Kläger ist Ende 1975/Anfang 1976 noch nicht zur Nachentrichtung der Beiträge zugelassen worden, und ihm ist auch damals noch keine Zahlungsfrist gesetzt worden (vgl jetzt § 26 Abs 2 SGB 10).

Die Zulassung zur Nachentrichtung ergab sich allerdings später aus dem Zusatz in dem Bescheid vom 15. März 1977 über den Versicherungsverlauf. Eine (Teil-)Zahlungsfrist war darin jedoch weiterhin nicht gesetzt, weil die Beklagte davon ausging, dieses sei schon mit dem - jedoch nicht wirksam gewordenen - Bescheid vom 30. Dezember 1975 geschehen. Der Auffassung des LSG, der Kläger sei, weil er sich nach Erhalt des Bescheides vom 15. März 1977 nicht bei der Beklagten gemeldet und auf die fehlende Bekanntgabe des Bescheides vom 30. Dezember 1975 hingewiesen habe, so zu stellen, als sei ihm dieser Bescheid schon Anfang 1976 zugegangen und die Zahlungsfrist daher Anfang 1981 abgelaufen, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Sie ist unvereinbar damit, daß die alsbaldige Bekanntgabe des Bescheides vom 30. Dezember 1975 unerläßliche Voraussetzung für sein Wirksamwerden schon Anfang 1976 war (vgl jetzt § 39 Abs 1 SGB 10). Daß die Frist nicht schon mit dem Zeitpunkt der ursprünglich beabsichtigten Bekanntgabe beginnen konnte, wird zudem deutlich, wenn man annimmt, die Beklagte hätte dem Kläger Ende 1975/Anfang 1976 eine Zahlungsfrist von nur einem Jahr setzen wollen. Dann wäre die Frist, wenn man der hier abgelehnten Ansicht folgt, bereits abgelaufen gewesen, als der Kläger anhand des Bescheides vom 15. März 1977 erstmals von einem früheren Bescheid erfuhr. Ebensowenig wie dieses kann aber mit dem LSG angenommen werden, der Kläger habe - auch ohne eine dahingehende erneute Entscheidung der Beklagten - von der im Bescheid vom 30. Dezember 1975 vorgesehen gewesenen, mit einer fingierten Bekanntgabe Anfang 1976 in Lauf gesetzten fünfjährigen Frist im März 1977 schon etwa 15 Monate verloren gehabt.

Andererseits verlangt der Kläger zu Unrecht, im Wege einer Gerichtsentscheidung so behandelt zu werden, als sei ihm der Bescheid vom 30. Dezember 1975 unverändert, dh mit einer Zahlungsfrist von fünf Jahren im März 1977 bekanntgegeben worden und damit die Zahlungsfrist erst im März 1982 abgelaufen. Denn die Beklagte wäre nicht ohne weiteres verpflichtet gewesen, dem Kläger im Frühjahr 1977 die volle und gesetzlich höchstzulässige Zahlungsfrist von fünf Jahren einzuräumen, wenn der Kläger nach Erhalt des Bescheides vom 15. März 1977 auf das Fehlen des Bescheides vom 30. Dezember 1975 hingewiesen hätte. Denn insofern war auch sie nicht an den nicht wirksam gewordenen Bescheid vom 30. Dezember 1975 gebunden. Sie hätte zwar möglicherweise so verfahren können, aber im Hinblick darauf, daß die Nachentrichtungsverfahren einschließlich der Zahlung der nachzuentrichtenden Beiträge in angemessener Zeit zu Ende geführt werden mußten, auch eine kürzere, im Falle des Klägers möglicherweise nur bis Anfang 1981 laufende Zahlungsfrist setzen können. Auch dann hätten ihm nämlich für die Aufbringung des Nachentrichtungsbetrages, gerechnet vom Ablauf der gesetzlichen Antragsfrist (31. Dezember 1975), fünf Jahre zur Verfügung gestanden.

Hiernach steht eine den Besonderheiten des vorliegenden Falles Rechnung tragende Entscheidung der Beklagten über den Lauf der Zahlungsfrist, insbesondere über deren Ende noch aus. Da sie nach Art 2 § 51a Abs 3 Satz 3 ArVNG im pflichtgemäßen Ermessen der Beklagten steht, kann das Gericht die Zahlungsfrist nicht bestimmen.

Bei ihrer Entscheidung ist die Beklagte nicht verpflichtet, die Zahlungsfrist gemäß § 26 Abs 2 SGB 10 erst ab Bekanntgabe des neuen Bescheides beginnen zu lassen. Sie kann vielmehr berücksichtigen, daß der Kläger selbst dazu beigetragen hat, daß es nicht schon früher zu einer Entscheidung über die Zahlungsfrist gekommen ist, weil er nicht unverzüglich nach Erhalt des Bescheides vom 15. März 1977 geltend gemacht hat, einen Bescheid vom 30. Dezember 1975 nicht bekommen zu haben. Die Beklagte braucht ihn bei der Bemessung der Frist nicht besser zu behandeln, als wenn er sich im Frühjahr 1977 unverzüglich gemeldet hätte. Insoweit können sich möglicherweise aus ihrer bisherigen Verwaltungspraxis bei der Anwendung des Art 2 § 51a Abs 3 Satz 3 ArVNG gewisse Maßstäbe ergeben. Von Bedeutung kann dabei zunächst sein, wie sie in Fällen verfahren ist, in denen der Nachentrichtungsbescheid deswegen erst im Jahre 1977 oder später erteilt worden ist, weil eine etwa noch erforderliche Klärung von Versicherungszeiten oder die noch ausstehende Konkretisierung des Nachentrichtungsbegehrens einer früheren Entscheidung im Wege gestanden hatte. Hat die Beklagte in diesen Fällen den Zeitraum von fünf Jahren nicht mehr ausgeschöpft, sondern Zahlungsfristen etwa generell nur bis Ende 1980/Anfang 1981 eingeräumt, so wird sie auch beim Kläger die Annahme des erst im Dezember 1981 angebotenen Nachentrichtungsbetrages ablehnen können. Wenn die Beklagte dagegen, falls Nachentrichtungsbescheide im Jahre 1977 oder später ergingen oder wenn die Nachentrichtungswilligen bei der Aufbringung des Nachentrichtungsbetrages Schwierigkeiten hatten, Zahlungsfristen eingeräumt hat, die bis Ende 1981 oder sogar darüber hinaus gingen, so wird sie auch beim Kläger nicht engherzig verfahren dürfen.

Hiernach erwies sich die Revision mit dem Aufhebungsbegehren als begründet. Hinsichtlich der erstrebten Verurteilung zur Annahme der Beiträge war sie dagegen zurückzuweisen, jedoch mit der Maßgabe, daß dieses Begehren derzeit unbegründet ist, weil die Beklagte die dargelegte Entscheidung noch treffen muß.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1664501

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