Leitsatz (amtlich)

1. Stirbt der Beschädigte an einem Leiden, das nur im Sinne der Verschlimmerung als Schädigungsfolge anerkannt ist, so trifft die Rechtsvermutung der BVG §§ 36 Abs 1 S 3, 38 Abs 1 S 2 nur zu, wenn die Verschlimmerung für den Tod ursächlich geworden ist. Ob dies der Fall ist, ist auch dann zu prüfen, wenn die als Schädigungsfolge anerkannte Verschlimmerung mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 50 vH oder mehr bewertet worden ist.

2. Ist streitig oder zweifelhaft, welchen Inhalt und welche Tragweite Entscheidungen einer Verwaltungsbehörde haben, so ist das Revisionsgericht befugt, zu prüfen, ob diese Entscheidungen vom Berufungsgericht richtig gewürdigt worden sind.

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Versorgungsbehörden können Folgen einer Schädigung auch mit Einschränkungen anerkennen, wenn sie nach Lage der Sache Einschränkungen für geboten erachten.

 

Normenkette

SGG § 162 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03; BVG § 36 Abs. 1 S. 3 Fassung: 1956-06-06, § 38 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1950-12-20

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Schleswig vom 27. Oktober 1955 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I.

Der Ehemann der Klägerin bezog nach dem Bescheid der Landesversicherungsanstalt Schleswig-Holstein, Außenstelle Lübeck, vom 29. Januar 1949 auf Grund früherer versorgungsrechtlicher Vorschriften wegen "Herzkranzgefäßverkalkung im Sinne der Verschlimmerung" eine Herzkranzgefäßverkalkung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE.) um 50 v.H. Mit Bescheid vom 14. Februar 1952 gewährte das Versorgungsamt Lübeck die Rente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) in gleicher Höhe weiter; die Schädigungsfolge bezeichnete es als "Herzkranzgefäßverkalkung im Sinne einer einmalig abgrenzbaren Verschlimmerung." Einen Antrag auf Erhöhung der Rente lehnte das Versorgungsamt mit Bescheid vom 28. März 1952 ab. Die Bescheide vom 14. Februar 1952 und 28. März 1952 blieben unangefochten.

Der Ehemann der Klägerin starb am 19. Mai 1953 im Alter von 67 Jahren. Als Todesursache wurde in die standesamtlichen Unterlagen "Allgemeine Sklerose, Herzschwäche" eingetragen. Den Antrag der Klägerin, ihr Witwenrente und Bestattungsgeld in Höhe von 240,-- DM zu gewähren, lehnte das Versorgungsamt mit Bescheid vom 18. Juli 1953 ab: Der Tod des Ehemanns sei nicht die Folge einer Schädigung im Sinne des § 1 BVG gewesen; er sei an seinem Grundleiden, der allgemeinen Arterienverkalkung, gestorben; die als Schädigungsfolge anerkannte Verschlimmerung durch den Wehrdienst habe sich auf den späteren Verlauf des Leidens nicht ausgewirkt und damit nicht zu dem Tode beigetragen.

Das Landesversorgungsamt wies den Widerspruch mit Bescheid vom 27. Januar 1954 zurück.

Auf die Klage hob das Sozialgericht Lübeck durch Urteil vom 3. März 1955 die angefochtenen Bescheide auf und verurteilte den Beklagten, der Klägerin ab 1. Juni 1953 Hinterbliebenenbezüge und das volle Bestattungsgeld zu gewähren: Die Verschlimmerung der Herzkranzgefäßerkrankung durch den Wehrdienst sei mit einer MdE. von 50 v.H. bewertet worden und damit im Sinne einer richtunggebenden Verschlimmerung anerkannt gewesen; der Ehemann der Klägerin sei danach an dem anerkannten Leiden gestorben, der Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung sei gerechtfertigt.

Auf die Berufung des Beklagten hob das Landessozialgericht (LSG.) Schleswig durch Urteil vom 22. Oktober 1955 das Urteil des Sozialgerichts Lübeck auf und wies die Klage ab: Der Tod des Ehemanns der Klägerin sei auf das schicksalsmäßige Fortschreiten seines anlagebedingten Leidens, der Herzkranzgefäßverkalkung (Coronarsklerose), zurückzuführen; die Auswirkungen der unter dem Einfluß des Wehrdienstes hervorgerufenen Verschlimmerung dieses Leidens seien im Laufe der Jahre abgeklungen gewesen und hätten den späteren Verlauf nicht mehr beeinflußt. Der Tod des Ehemanns der Klägerin sei daher nicht Folge einer Schädigung im Sinne des § 1 BVG gewesen; der Ehemann der Klägerin sei auch nicht an dem anerkannten Leiden, der wehrdienstbedingten Verschlimmerung, gestorben. Der Versorgungsanspruch sei weder nach § 38 Abs. 1 Satz 1 noch nach § 38 Abs. 1 Satz 2 BVG begründet. Das LSG. ließ die Revision zu. Gegen das am 2. Dezember 1955 zugestellte Urteil des LSG. legte die Klägerin am 22. Dezember 1955 Revision ein und beantragte, das Urteil des LSG. aufzuheben und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen. Sie begründete die Revision am 30. Dezember 1955: das LSG. habe die Vorschriften der §§ 36 Abs. 1 Satz 1 und 3 sowie § 38 Abs. 1 Satz 2 BVG unrichtig angewandt. Ihr Ehemann habe bis zu seinem Tode wegen des Leidens, an dem er verstorben sei, eine Rente nach einer MdE. von 50 v.H. bezogen. Das Leiden sei daher im Sinne einer richtunggebenden Verschlimmerung anerkannt gewesen. Bei dieser Anerkennung habe der Beklagte annehmen müssen, daß die wehrdienstbedingte Verschlimmerung den späteren Verlauf des Leidens entscheidend bestimmt und damit den Tod ihres Ehemanns herbeigeführt habe; eine Prüfung, ob die MdE. richtig bewertet worden ist, sei nicht gerechtfertigt gewesen.

Der Beklagte beantragte, die Revision zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist zulässig, sie ist aber nicht begründet.

1.) Die Klägerin hat Anspruch auf Witwenrente und das erhöhte Bestattungsgeld, wenn ihr Ehemann "an den Folgen" einer Schädigung im Sinne des § 1 BVG gestorben ist (§ 36 Abs. 1 Satz 2, § 38 Abs. 1 Satz 1 BVG). Das LSG. hat dies verneint, es hat insoweit den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Tod des Ehemannes der Klägerin und einer Schädigung im Sinne des § 1 BVG beurteilt, es hat dabei aber nicht das Gesetz verletzt.

Das "Gesetz", das bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs anzuwenden ist, ist die für das Gebiet der Kriegsopferversorgung (KOV.) geltende Kausalitätsnorm. Kausalitätsnormen sind in der Regel nicht ausdrücklich in gesetzlichen Vorschriften niedergelegt, sie sind vielmehr als die für das betreffende Rechtsgebiet allgemein gültigen, den ursächlichen Zusammenhang regelnden Rechtssätze von der Rechtslehre und der Rechtsprechung entwickelt worden. Nach der Kausalitätsnorm für das Gebiet der KOV. (vgl. BSG. 1, 72 [76]; 1, 150 [157]; 1 268 [269, 270]) ist nicht jede Bedingung, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne daß der Erfolg entfiele, als ursächlich (ursächlich im naturwissenschaftlichphilosophischen Sinn) anzusehen, sondern nur diejenige, die im Verhältnis zu anderen einzelnen Bedingungen wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat (ursächlich im Rechtssinn). Im vorliegenden Fall ist das LSG. zur Anwendung der Kausalitätsnorm gar nicht gekommen, weil es schon den ursächlichen Zusammenhang im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinn verneint hat; es hat in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, daß die wehrdienstbedingte Verschlimmerung im Laufe der Jahre nach dem Wehrdienst abgeklungen und überhaupt ohne Einfluß auf den späteren Verlauf des Leidens und den Tod gewesen ist. Es hat die Verschlimmerung also nicht als eine Bedingung im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinn angesehen, die an dem Tod des Ehemannes der Klägerin mitgewirkt hat. Damit hat das LSG. auch nicht prüfen können, welche rechtliche Bedeutung diese Verschlimmerung gehabt hat, insbesondere, ob sie etwa eine wesentliche Bedingung und damit die Ursache oder Mitursache im Sinne der Kausalitätsnorm gewesen ist. An die tatsächlichen Feststellungen, die das LSG. auf Grund seiner medizinischen Erörterungen getroffen hat, ist das Bundessozialgericht (BSG.) gebunden, soweit nicht in bezug auf diese Feststellungen zutreffende und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind (§ 163 Sozialgerichtsgesetz -SGG-). Die Klägerin greift aber mit der Revision die tatsächlichen Feststellungen des LSG. und die ihnen zugrunde liegenden medizinischen Erörterungen nicht an; ihr Anspruch auf Witwenrente und das erhöhte Bestattungsgeld kann daher nur begründet sein, wenn die Rechtsvermutung der §§ 36 Abs. 1 Satz 3 und 38 Abs. 1 Satz 2 BVG zutrifft.

2.) Nach diesen Vorschriften gilt der Tod als Folge einer Schädigung im Sinne des § 1 BVG, wenn der Ehemann der Klägerin an einem Leiden gestorben ist, das als Folge einer Schädigung anerkannt war und für das ihm im Zeitpunkt des Todes Rente zuerkannt war. In diesem Fall kommt es also nicht darauf an, ob der Tod tatsächlich die Folge einer Schädigung im Sinne des § 1 BVG ist; diese Anspruchsvoraussetzung "gilt" vielmehr nach unwiderlegbarer Rechtsvermutung als gegeben. Die Prüfung des Anspruchs beschränkt sich insoweit darauf, ob das Leiden, das zum Tode geführt hat, auch das Leiden ist, das für die Zuerkennung der Rente bestimmend gewesen ist. Das LSG. hat festgestellt, daß der Ehemann der Klägerin nicht an dem anerkannten Versorgungsleiden gestorben ist. Es kommt also darauf an, was von der Anerkennung umfaßt wird, welcher Sinngehalt und welche Tragweite ihr beizumessen ist. Insoweit handelt es sich nicht um die Feststellung von Tatsachen, sondern um die rechtliche Würdigung des Inhalts und der Tragweite einer Entscheidung der Verwaltungsbehörde. Ist aber streitig oder zweifelhaft, welchen Inhalt und welche Tragweite solche Entscheidungen haben, so ist das Revisionsgericht befugt, zu prüfen, ob diese Entscheidungen vom Berufungsgericht richtig gewürdigt worden sind (so auch RGZ 102, 1 ff [3] mit weiteren Hinweisen). Im vorliegenden Fall hat das LSG. den Bescheid vom 14. Februar 1952 richtig ausgelegt.

Die Versorgungsbehörden können Folgen einer Schädigung auch mit Einschränkungen anerkennen, wenn sie nach Lage der Sache Einschränkungen für geboten erachten. Eine solche Einschränkung ist namentlich angebracht, wenn zwar eine Schädigungsfolge vorliegt, der Beklagte aber vermeiden muß, daß er künftig in höherem Maße in Anspruch genommen wird, als dies dem materiellen Recht entspricht (RVGer. 4 S. 125, BSG. 3, 45 [48, 49]). So bedeutet die Anerkennung eines Leidens "im Sinne der Verschlimmerung", daß nicht das Grundleiden als solches mit allen seinen Folgen als Schädigungsfolge anerkannt wird, sondern nur der gegenwärtige und künftige Anteil des Leidens, der dem Einfluß des Wehrdienstes auf das Leiden und seinen weiteren Verlauf zuzurechnen ist; bei jeder weiteren Verschlimmerung eines Leidens ist stets zu prüfen, ob und inwieweit diese auch noch eine Schädigungsfolge ist oder ob andere, von wehrdienstlichen Einflüssen unabhängige Umstände ursächlich dafür sind. Auch wenn die als Schädigungsfolge anerkannte Verschlimmerung mit einer MdE. bewertet worden ist, die einem hohen Anteil an dem gesamten Leidenszustand entspricht, so ist damit noch nicht gesagt, daß sich diese Verschlimmerung als bleibend und den weiteren Verlauf des Leidens bestimmend (richtunggebend) erweist; dies gilt auch dann, wenn der Verschlimmerungsanteil mit 50 v.H. oder mehr bewertet worden ist (vgl. hierzu BSG. Urteil vom 30.10.1957 - 8 RV 47/56 - mit weiteren Hinweisen; Sozialrecht Nr. 15 zu § 1 BVG). Ebenso wie in dem Verfahren, in dem es um die Versorgung des Beschädigten selbst geht, die Anerkennung "im Sinne der Verschlimmerung" - mit welcher MdE. sie auch zunächst bewertet worden sein mag - nicht die Prüfung entbehrlich macht, ob eine später auftretende weitere Verschlimmerung noch Schädigungsfolge ist, so ist auch in dem Verfahren, in dem es um die Versorgung der Hinterbliebenen geht, zu prüfen, ob der Tod des Beschädigten noch auf die anerkannte Schädigungsfolge zurückgeht. Die gegenteilige Auffassung (vgl. LSG. Rheinland-Pfalz in "Der Versorgungsbeamte" 1955 S. 143 ff.) kann nicht auf die Rechtsvermutung der §§ 36 Abs. 1 Satz 3, 38 Abs. 1 Satz 2 BVG gestützt werden; die Rechtsvermutung greift nur Platz, wenn der Beschädigte "an" seinem Rentenleiden gestorben ist; sie verbietet also eine Prüfung der Frage, ob ein Leiden zu Recht als Schädigungsfolge anerkannt ist; eine Rechtsvermutung dafür, daß der Tod mit dem anerkannten Leiden ursächlich zusammenhängt, besteht dagegen nicht (RVGer. 10. Band S. 127 Nr. 35, 12. Band S. 260 Nr. 75). Auch dann, wenn die Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit durch die anerkannte Verschlimmerung auf 50 % oder mehr festgesetzt war, ist noch zu prüfen, ob die als Schädigungsfolge anerkannte Verschlimmerung für eine weitere Verschlimmerung und für den Tod ursächlich geworden ist (RVGer. 12. Band S. 260 Nr. 75). Das LSG. hat daher mit Recht geprüft, ob der Ehemann der Klägerin "an" seinem als Schädigungsfolge anerkannten Leiden, d.h. "an" der wehrdienstbedingten Verschlimmerung, gestorben ist. Ob sich im Einzelfall in dem weiteren Verlauf eines seiner Natur nach fortschreitenden Leidens - zu diesen Leiden gehört auch die Herzkranzgefäßverkalkung - der wehrdienstbedingte und als Schädigungsfolge anerkannte Verschlimmerungsanteil und die natürliche Steigerung dieses Leidens trennen lassen und ob und inwieweit beurteilt werden kann, in welchem Ausmaß jeder dieser Faktoren den jeweiligen Leidenszustand bestimmt und letztlich zu dem Tod beiträgt, ist im Zusammenhang mit der Feststellung der rechtserheblichen Tatsachen zu klären (vgl. hierzu BSG. Beschluß vom 18.12.1957, Sozialrecht Nr. 17 zu § 1 BVG). Im vorliegenden Fall hat das LSG. auf Grund der medizinischen Erörterungen festgestellt, daß der Leidenszustand des Ehemannes der Klägerin vor seinem Tode nur noch von dem natürlichen schicksalsmäßigen Fortschreiten des Leidens bestimmt gewesen ist, daß dagegen die wehrdienstbedingte Verschlimmerung für den Verlauf des Leidens nicht mehr von Einfluß gewesen ist. Es ist zutreffend davon ausgegangen, daß es an die Anerkennung der Leidensverschlimmerung gebunden ist; es ist aber dadurch rechtlich nicht gehindert gewesen, anzunehmen, die Bewertung des Verschlimmerungsanteils in dem Bescheid vom 29. Januar 1949 habe sich, wie aus dem weiteren Verlauf des Leidens erkennbar geworden sei, später als zu hoch herausgestellt und die Verschlimmerung sei in der Zeit vor dem Tode des Ehemannes der Klägerin überhaupt nicht mehr ins Gewicht gefallen.

Auch gegen diese tatsächlichen Feststellungen hat die Klägerin zulässige und begründete Revisionsgründe nicht geltend gemacht. Wenn sie eine "nachträgliche kritische" Überprüfung des ärztlichen Gutachtens vom 5. November 1948 durch das LSG. für unzulässig hält, so rügt sie keinen Mangel des Verfahrens in bezug auf die Tatsachenfeststellung, sondern sie wendet sich dagegen, daß das LSG. geprüft habe, ob sich die festgesetzte MdE. später noch als "richtig" und die anerkannte Verschlimmerung als richtunggebend erwiesen haben. Das LSG. hat aber gar nicht in Zweifel gezogen, daß die Bewertung der MdE. mit 50 % bei der Erstanerkennung nach der damaligen Bedeutung des wehrdienstbedingten Einflusses auf das Leiden berechtigt gewesen ist; es hat hieran keine nachträgliche Kritik geübt.

3.) Die rechtlichen Schlußfolgerungen des LSG. sind daher nicht zu beanstanden. Da seine Entscheidung keinen Verstoß gegen das materielle Recht erkennen läßt und wesentliche Verfahrensmängel weder gerügt noch ersichtlich sind, ist die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 53

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