Entscheidungsstichwort (Thema)
Rentenversicherung. Versicherungspflicht. Beschäftigungsverhältnis. Gefangener. Untersuchungshaft. Strafhaft. Ausbildung. Ausbildungsvertrag. Lehre. Beitragspflicht. Beitragszahlung. Arbeitnehmer. Arbeitgeber. Feststellungsklage. Leistungsklage. Zulässigkeit. Einzugsstelle
Leitsatz (amtlich)
Macht ein Gefangener, der nach Abschluß eines Ausbildungsvertrages während der Untersuchungs- und Strafhaft eine Berufsausbildung absolviert hat, geltend, er sei aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses rentenversicherungspflichtig gewesen und das Land habe Beiträge zu entrichten, so hat hierüber zunächst die Einzugsstelle zu entscheiden. Eine vorher gegen das Land als Arbeitgeber gerichtete Klage ist unzulässig (Anschluß an BSG, Urteil vom 11.9.1995 – 12 RK 31/93, zur Veröffentlichung bestimmt).
Normenkette
RVO § 1227 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 1399 Abs. 1, 3; SGB IV §§ 7, 28h Abs. 1-2; SGG § 55
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 29.10.1993; Aktenzeichen L 4 Kr 1453/92) |
SG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 26.05.1992; Aktenzeichen S 10 Kr 527/90) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 29. Oktober 1993 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darum, ob Beiträge zur Rentenversicherung zu entrichten sind.
Der 1957 geborene Kläger wurde durch Urteil eines Landgerichts vom 11. Mai 1983 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Wegen der ihm zur Last gelegten Straftat befand er sich seit dem 4. Dezember 1981 in Untersuchungshaft und nach Rechtskraft des Urteils vom 6. Januar 1984 an in Strafhaft. Bis zu diesem Zeitpunkt bezog er als Angehöriger der Bundeswehr Soldatenbesoldung, schied dann jedoch aus der Bundeswehr aus und wurde in der gesetzlichen Rentenversicherung nachversichert.
In der Zeit vom 1. September 1983 bis 31. August 1986 absolvierte der Kläger in der Schreinerei der Justizvollzugsanstalt eine Ausbildung zum Tischler, die er mit der Gesellenprüfung erfolgreich abschloß. Da Zulassungsvoraussetzung für die Prüfung eine Eintragung des Auszubildenden in die Lehrlingsrolle der Handwerkskammer war, diese die Eintragung damals aber nur nach Abschluß eines schriftlichen Ausbildungsvertrages vornahm, schloß der Kläger am 1. September 1983 mit der Justizvollzugsanstalt einen Ausbildungsvertrag für die Ausbildung zum Tischler ab. Daraufhin wurde er in die Lehrlingsrolle der Handwerkskammer eingetragen. In dem Berufsausbildungsvertrag hieß es ua, die Beiträge für die Sozialversicherung trügen die Vertragsschließenden nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen.
Im Oktober 1986 beantragte der Kläger bei der Justizvollzugsanstalt die Nachentrichtung von Beiträgen zur Krankenversicherung und zur Rentenversicherung. Dieser Antrag wurde von der Justizvollzugsanstalt und später vom Justizministerium des Landes abgelehnt, weil die Vorschriften des Strafvollzugsgesetzes (StVollzG) über die Versicherungspflicht in den genannten Versicherungszweigen nicht in Kraft gesetzt worden seien. Den Antrag auf gerichtliche Entscheidung wies die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts durch Beschluß vom 17. März 1987 als unzulässig zurück. Der Streitgegenstand betreffe ein Beschäftigungsverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, für das der Rechtsweg zu den Sozialgerichten (SG) gegeben sei.
Der Kläger hat im März 1990 Klage beim SG erhoben und beantragt, das beklagte Land zur Nachzahlung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung für die Zeit von Juli 1983 bis August 1986 zu verurteilen. Mit Urteil vom 26. Mai 1992 hat das SG das beklagte Land unter Aufhebung seiner Bescheide verurteilt, Beiträge zur Rentenversicherung für die Zeit von September 1983 bis August 1986 zu entrichten, und im übrigen die Klage abgewiesen.
In dem vom beklagten Land angestrengten Berufungsverfahren hat das Landessozialgericht (LSG) die Landesversicherungsanstalt (Beigeladene zu 1) und die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) Freiburg beigeladen. Das Land hat beantragt, das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen. Das LSG hat mit Urteil vom 29. Oktober 1993 das Urteil des SG geändert und die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Die Berufung des beklagten Landes sei begründet. Die Aufhebung der Bescheide durch das SG sei schon deswegen fehlerhaft, weil deren Aufhebung vom Kläger nicht beantragt worden sei und die Bescheide im übrigen bindend seien. Die Klage sei nicht als verbundene Anfechtungs- und Feststellungsklage, sondern als reine Feststellungsklage anzusehen und als solche zulässig. Dem stehe nicht entgegen, daß ein Verfahren bei der Einzugsstelle nicht stattgefunden habe. Die Feststellungsklage und eine etwa anzunehmende allgemeine Leistungsklage seien jedoch unbegründet. Während der Haft habe ein rentenversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis trotz des Ausbildungsvertrages nicht bestanden.
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 1227 der Reichsversicherungsordnung (RVO) und des § 7 des Sozialgesetzbuchs – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV). Er macht im wesentlichen geltend, er sei während der Untersuchungshaft ein freies Ausbildungsverhältnis eingegangen, das in der Rentenversicherung als versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis behandelt werden müsse.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG vom 29. Oktober 1993 aufzuheben und das beklagte Land unter Wiederherstellung des Urteils des SG Freiburg vom 26. Mai 1992 zu verurteilen, für die Dauer der Ausbildung zum Tischler vom 1. September 1983 bis zum 31. August 1986 Beiträge zur Rentenversicherung an die Beigeladene zu 1) zu entrichten.
Das beklagte Land beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Es hält Versicherungspflicht in der Rentenversicherung nicht für gegeben.
Die Beigeladene zu 1) hat sich nicht geäußert. An die Stelle der beigeladenen AOK Freiburg ist inzwischen durch Rechtsnachfolge die AOK Baden-Württemberg (Beigeladene zu 2) getreten. Auch diese hat sich nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das LSG hat mit Recht der Berufung des beklagten Landes stattgegeben und die Klage unter Änderung des erstinstanzlichen Urteils in vollem Umfang abgewiesen.
Das LSG hat das erstinstanzliche Urteil aufgehoben, soweit das SG seinerseits Bescheide der Justizvollzugsanstalt und des Justizministeriums aufgehoben hatte. Zur Begründung hat das LSG angeführt, der Kläger habe vor dem SG eine Aufhebung der Bescheide nicht beantragt, und im übrigen seien die Bescheide bindend gewesen. Beides trifft zu. Die Revision hat hiergegen nichts vorgebracht.
Im übrigen hat das LSG angenommen, der Kläger habe als angeblicher Arbeitnehmer gegen das beklagte Land als angeblichen Arbeitgeber eine Feststellungsklage erhoben. Folgt man dem, so hat diese Klage, wie das LSG im Ergebnis zutreffend erkannt hat, keinen Erfolg. Sie ist jedoch entgegen der Ansicht des LSG nicht unbegründet, sondern unzulässig.
Das Bundessozialgericht (BSG) hat mit Urteil vom 22. Juni 1966 – 3 RK 103/63 (USK 6642) entschieden, daß die von einem nach seinem Vorbringen als Arbeitnehmer Versicherten gegen seinen angeblichen Arbeitgeber erhobene Klage auf Feststellung der Versicherungspflicht unzulässig ist, weil zunächst ein Bescheid der Einzugsstelle ergehen müsse. Hieran wird festgehalten (ebenso Urteil vom 11. September 1995 – 12 RK 31/93, zur Veröffentlichung bestimmt).
Der Kläger begründet die Versicherungspflicht in der Rentenversicherung und die entsprechende Beitragsentrichtungspflicht damit, daß er während der Ausbildung zum Tischler von September 1983 bis August 1986 zum beklagten Land in einem versicherungs- und beitragspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden habe (Versicherungspflicht nach § 1227 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RVO; vgl. heute § 1 Satz 1 Nr. 1 des Sozialgesetzbuchs – Gesetzliche Rentenversicherung ≪SGB VI≫). Damals galt in der Rentenversicherung der Arbeiter noch § 1399 Abs. 3 RVO. Nach Halbs 1 dieser Vorschrift entschied die Einzugsstelle über die Versicherungspflicht, die Beitragspflicht und die Beitragshöhe, Sie erließ nach Halbs 2 unbeschadet des Abs. 4 den erforderlichen Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid. In Verfahren vor den SG war sie nach Halbs 3 „Partei”, soweit ihr Verwaltungsakt angefochten wurde. Seit 1989 bestimmt § 28h Abs. 2 Satz 1 SGB IV, daß die Einzugsstelle ua über die Versicherungspflicht und die Beitragshöhe in der Rentenversicherung entscheidet und auch den Widerspruchsbescheid erläßt. Einzugsstellen sind die Krankenkassen (vgl. früher § 1399 Abs. 1 RVO; heute § 28h Abs. 1 Satz 1 SGB IV).
Damit ist der Weg zur Klärung von Streitigkeiten über die Versicherungs- und Beitragspflicht aufgrund von Beschäftigungsverhältnissen vorgeschrieben: Bei Zweifeln oder bei Streit hat eine Entscheidung (Verwaltungsakt) der Einzugsstelle zu ergehen, die auch einen Widerspruchsbescheid zu erlassen hat. Der Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides ist mit der gegen die Einzugsstelle zu richtenden Anfechtungsklage angreifbar.
Die Regelung zur Klärung der Versicherungs- und Beitragspflicht aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses ist zwingend und abschließend. Sie führt in einem Verwaltungsverfahren der Einzugsstelle, das auch durch einen Antrag des „Arbeitnehmers” eingeleitet werden kann, zu einer Verwaltungsentscheidung über die Versicherungspflicht, die Beitragspflicht und die Beitragshöhe in allen betroffenen Versicherungszweigen. Kommt es danach zu einem Vorverfahren und später zu einem Rechtsstreit gegen die Einzugsstelle, so können darin nach den notwendigen Beiladungen die versicherungs- und beitragsrechtlichen Verhältnisse umfassend geklärt werden. Eine gegen den Arbeitgeber gerichtete Feststellungsklage ist hierzu demgegenüber nicht geeignet. Das gilt auch, wenn die Einzugsstelle beigeladen wird. Denn der Arbeitgeber kann die öffentlich-rechtliche Versicherungs- und Beitragspflicht sowie die Beitragszahlungspflicht nicht – etwa durch ein Anerkenntnis des Klageanspruchs – mit Wirkung für oder gegen die Einzugsstelle regeln. Ihm sind trotz seiner Indienstnahme für die Belange der Sozialversicherung nicht die Aufgaben der Einzugsstelle übertragen (vgl. BSGE 41, 297 = SozR 2200 § 1399 Nr. 4). Schließlich würde eine Entscheidung der Gerichte zur Versicherungs- und Beitragspflicht sowie zur Beitragszahlungspflicht allein auf eine Feststellungsklage zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber hin das gesetzlich vorgeschriebene Verwaltungsverfahren vor der Einzugsstelle umgehen. Unter diesen Umständen ist für eine Klage des angeblichen Arbeitnehmers gegen seinen „Arbeitgeber” auf Feststellung ein berechtigtes Interesse iS des § 55 Abs. 1, 2 SGG nicht gegeben. Der Auffassung des LSG, die Feststellungsklage unter den Beteiligten des angeblichen Beschäftigungsverhältnisses sei eine gleichrangige Alternative zum Einzugsstellen-Verfahren mit anschließender Anfechtungsklage, vermag der Senat nicht zu folgen.
Soweit die auf Verurteilung des beklagten Landes zur Entrichtung von Rentenversicherungsbeiträgen gerichtete Klage als Leistungsklage aufzufassen ist, hat das LSG sie ebenfalls im Ergebnis zutreffend abgewiesen. Auch diese Klage ist jedoch nicht unbegründet, sondern unzulässig. Ob das beklagte Land als Arbeitgeber des Klägers Rentenversicherungsbeiträge zu entrichten hat, hängt von einer Entscheidung der Einzugsstelle über die Versicherungspflicht und die Beitragspflicht ab. Dazu gehören auch Entscheidungen über die Beitragstragungspflicht, die Beitragszahlungspflicht und die Geltendmachung der Beiträge (vgl. § 28h Abs. 1 Satz 2 SGB IV). Jedenfalls solange bei Streit um die Versicherungs- und Beitragspflicht zur Rentenversicherung eine positive Entscheidung der Einzugsstelle nicht vorliegt, fehlt für eine gegen den angeblichen Arbeitgeber gerichtete Klage auf Beitragsentrichtung das Rechtsschutzinteresse, und zwar aus den gleichen Gründen, die zur Unzulässigkeit der Feststellungsklage führen.
Da die Klage demnach aus verfahrensrechtlichen Gründen erfolglos bleiben mußte, war dem Senat eine Entscheidung über einen gegen den Arbeitgeber gerichteten Anspruch in der Sache verwehrt. Bei einer solchen Entscheidung wäre fraglich, ob ein Arbeitnehmer selbst bei Bestehen eines versicherungs- und beitragspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses einen sachlich-rechtlichen und einklagbaren Anspruch auf Zahlung von Rentenversicherungsbeiträgen gegen seinen Arbeitgeber hätte; möglicherweise könnte er nur von der Einzugsstelle verlangen, daß diese die Beiträge festsetzt, geltend macht und erforderlichenfalls beitreibt. Der mit der Revision verfolgte Antrag, das beklagte Land zur Beitragsentrichtung an die Beigeladene zu 1) als Rentenversicherungsträger zu verurteilen, wäre jedenfalls auch deswegen unbegründet, weil der Arbeitgeber Rentenversicherungsbeiträge, die zum Gesamtsozialversicherungsbeitrag gehören, nicht an den Rentenversicherungsträger, sondern an die Krankenkasse als Einzugsstelle zu zahlen hat (früher § 1399 Abs. 1 RVO; nunmehr § 28h Abs. 1 Satz 1 SGB IV).
Sofern der Kläger nach Abschluß des vorliegenden Rechtsstreits eine Entscheidung der Einzugsstelle beantragt, wird diese im Rahmen ihrer Zuständigkeit durch rechtsmittelfähigen Bescheid über die Versicherungs- und Beitragspflicht sowie über die Zahlungspflicht des Arbeitgebers zu entscheiden haben. Auch insofern konnte der Senat nicht in der Sache darüber entscheiden, ob während der Ausbildung des Klägers zum Tischler Versicherungs- und Beitragspflicht aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses bestanden hat und vom beklagten Land Beiträge verlangt werden können.
Hiernach erwies sich die Revision des Klägers als unbegründet; sie war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 946268 |
Breith. 1996, 1 |