Verfahrensgang
LSG Hamburg (Urteil vom 22.01.1987; Aktenzeichen VI KRBf 7/85) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 22. Januar 1987 – VI KRBf 7/85 – wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Umstritten ist eine zeitliche Begrenzung des Krankengeldbezugs bei erneuter Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit.
Der Kläger bezog Krankengeld vom 1. Oktober 1981 bis zum 28. Februar 1982. In dieser Zeit war er wegen eines Wirbelsäulensyndroms arbeitsunfähig. Ab 15. Juli 1982 lag erneut Arbeitsunfähigkeit vor. Die vertrauensärztliche Untersuchung ergab ein rezidivierendes Brust- und Lendenwirbelsäulen-Syndrom, eine beginnende Spondylose, Scheuermann-Residuen und eine Intercostalneuralgie. Die Beklagte stellte die Krankengeldzahlung am 13. August 1983 ein, weil der Kläger ab 1. Oktober 1981 wegen derselben Krankheit arbeitsunfähig gewesen und deshalb die Anspruchszeit iS des § 183 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) erschöpft sei. Dem widerspach der Kläger. Er begehrt die Fortzahlung des Krankengelds für weitere 151 Tage. Klage und Berufung hatten keinen Erfolg.
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Zur Begründung führt er aus: Die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) verstehe als Krankheit jeden regelwidrigen Körperzustand, der ärztlicher Behandlung bedürfe, und als regelwidrig jede Abweichung von der durch das Leitbild des gesunden Menschen geprägten Norm. Der degenerative Wirbelsäulenverschleiß könne nicht als Krankheit in diesem Sinne angesehen werden. Diese altersbedingte Veränderung trete bei jedem Menschen in mehr oder weniger ausgeprägter Form auf. Sie sei zwar aus medizinischer Sicht Ursache der Beschwerden, sie stelle aber im juristischen Sinne keine Krankheit dar. Krankheit in diesem Sinne seien erst die in Erscheinung tretenden und lokalisierten Beschwerden. Diese Beschwerden seien aber in den fraglichen Zeiträumen unterschiedlich aufgetreten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 22. Januar 1987 – VI KRBf 7/85 –, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 14. Dezember 1984 – 22 KR 153/83 – und den Bescheid der Beklagten vom 9. März 1983 sowie deren Widerspruchsbescheid vom 1. Juli 1983 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 14. August 1983 Krankengeld für die Dauer von 151 Tagen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Berufungsurteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist unbegründet.
Die gerichtlichen Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen. Dem Kläger stand, wie von der Beklagten zuerkannt, Krankengeld nur bis zum 13. August 1983 zu. Die zeitliche Begrenzung des Krankengeldanspruchs ergibt sich aus § 183 Abs 2 Satz 1 RVO. Danach wird bei Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit Krankengeld für höchstens 78 Wochen innerhalb von je 3 Jahren gewährt. In dem hier maßgeblichen 3-Jahres-Zeitraum war der Kläger vom 1. Oktober 1981 bis zum 28. Februar 1982 und ab 15. Juli 1982 arbeitsunfähig krank. Nach den Tatsachenfeststellungen des Landessozialgerichts (LSG), an die der Senat mangels zulässiger und begründeter Revisionsrügen gebunden ist (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-), lagen der Arbeitsunfähigkeit in beiden Zeiten degenerative Veränderungen der Wirbelsäule zugrunde. Bei den auf degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule beruhenden Beschwerdezuständen, die Behandlungsbedürftigkeit oder bzw und Arbeitsunfähigkeit bedingen, handelt es sich jedenfalls dann um dieselbe Krankheit, wenn die Wirbelsäulenveränderungen in kürzeren Zeitabständen zu solchen Beschwerdezuständen führen. Das LSG ist deshalb mit dem Sozialgericht (SG) und der Beklagten zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, daß die Arbeitsunfähigkeit des Klägers in den beiden hier fraglichen Zeiträumen auf derselben Krankheit beruhte.
Krankheit als Versicherungsfall iS der gesetzlichen Krankenversicherung ist ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder bzw und Arbeitsunfähigkeit bedingt. Davon sind auch nicht solche Regelwidrigkeiten ausgeschlossen, die auf einen Alterungsprozeß zurückzuführen sind. Wenn diese Regelwidrigkeiten behandlungsbedürftig werden oder bzw und Arbeitsunfähigkeit bedingen, begründen sie den Versicherungsfall der Krankheit, der zu Krankenhilfeleistungen die Krankenkasse verpflichtet und den Versicherten berechtigt.
Der § 183 Abs 2 Satz 1 RVO stellt bei der Begrenzung des Krankengeldbezugs nicht auf eine ohne Unterbrechung fortdauernde Arbeitsunfähigkeit, also nicht auf ein Fortbestehen des Leistungsfalls ab, sondern auf ein Fortbestehen der dem Leistungsfall zugrundeliegenden Krankheit. Der Senat hat dementsprechend schon früher die Auffassung vertreten, daß dieselbe Krankheit iS der genannten Vorschrift auch dann noch fortbestehen kann, wenn Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit (vorübergehend) entfallen sind, also der alte Versicherungsfall abgeschlossen ist (Urteil vom 24. Juni 1969 – 3 RK 60/66 – SGb 1970, 97, 98). Für die Frage, ob die erneute Arbeitsunfähigkeit auf derselben Krankheit wie die vorangegangene Arbeitsunfähigkeit beruht, kommt es daher allein auf das Krankheitsgeschehen selbst an. Dieselbe Krankheit liegt vor, wenn es sich um ein im ursächlichen Sinne einheitliches Krankheitsgeschehen handelt. Das ist der Fall, solange die Krankheit nicht ausgeheilt ist und immer wieder zu behandlungsbedürftigen oder bzw und Arbeitsunfähigkeit bedingenden Krankheitserscheinungen (Krankheitsbeschwerden) führt. Es kommt dagegen nicht darauf an, ob die Krankheitserscheinungen in gleicher Weise und ohne zeitliche Unterbrechung fortbestehen. Mit dieser Auslegung sieht sich der Senat in Übereinstimmung mit dem Bundesarbeitsgericht (BAG), das unter „derselben Krankheit” iS des § 1 des Lohnfortzahlungsgesetzes (LFZG) dasselbe medizinisch nicht ausgeheilte Grundleiden versteht (AP Nr 42 zu § 63 HGB mwN). Es kann hier dahingestellt bleiben, ob dem BAG auch insoweit zu folgen ist, als es stets eine neue Krankheit annimmt, wenn der Arbeitnehmer mindestens 6 Monate nicht infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig war (AP Nr 50 zu § 1 LFZG). Im vorliegenden Rechtsstreit war die Arbeitsunfähigkeit des Klägers nicht 6 Monate unterbrochen. Die Auffassung des Senats wird im wesentlichen auch im Schrifttum vertreten (Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Stand: 31. Januar 1988, Seite 17/341; Krauskopf/Schroeder- Printzen, Soziale Krankenversicherung, Stand: Mai 1988, § 183 RVO Anm 3.1.).
Daraus folgt: Degenerative Wirbelsäulenveränderungen stellen eine Krankheit iS der gesetzlichen Krankenversicherung dar, sobald sie der Behandlung bedürfen oder bzw und Arbeitsunfähigkeit bedingen. Sie bestehen als dieselbe Krankheit iS des § 183 Abs 2 Satz 1 RVO jedenfalls so lange fort, als Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit nicht für eine längere Zeit behoben sind und deshalb noch nicht von einem beschwerdefreien Zustand von gewisser Dauer gesprochen werden kann. Degenerative Veränderungen an der gesamten Wirbelsäule, die sich in gleichartigen Beschwerden in mehreren Wirbelsäulenabschnitten äußern, stellen ein einheitliches Grundleiden dar. Es liegt demzufolge auch dann dieselbe Krankheit vor, wenn von den in kürzeren Zeitabständen auftretenden Beschwerden die einzelnen Wirbelsäulenabschnitte unterschiedlich stark betroffen sind.
Wie das LSG bindend festgestellt hat, beruhte die Arbeitsunfähigkeit des Klägers in den beiden hier infrage stehenden Zeiträumen auf der Erkrankung des Achsenorgans (der Wirbelsäule). Diese Feststellung bestätigt die Richtigkeit der Entscheidung der Beklagten. Es kommt nicht mehr darauf an, in welchen Wirbelsäulenabschnitten sich die Beschwerden zeitweise stärker oder schwächer bemerkbar machten. Davon abgesehen ist den im Berufungsurteil wiedergegebenen ärztlichen Diagnosen zu entnehmen, daß jedenfalls die Bereiche der Brust- und Lendenwirbelsäule in beiden Arbeitsunfähigkeitszeiten betroffen waren.
Die Revision war aus diesen Gründen zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen