Leitsatz (amtlich)
1. Das Herumliegen eines Sprengkörpers im Walde bleibt auch dann noch ein kriegseigentümlicher Gefahrenbereich, (BVG § 5 Abs 1 Buchst e), wenn ein Jugendlicher den Sprengkörper findet, seine Gefährlichkeit nicht erkennt und so mit ihm umgeht, daß er explodiert und einen anderen verletzt.
2. Bei der Beurteilung der Rechtserheblichkeit dieses kriegseigentümlichen Gefahrenbereichs als Ursache des schädigenden Ereignisses sind alle Umstände des Einzelfalles abzuwägen. Die Rechtserheblichkeit wird durch Fahrlässigkeit des Handelnden nicht ohne weiteres ausgeschlossen.
Normenkette
BVG § 5 Abs. 1 Buchst. e Fassung: 1953-08-07
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 21. Juni 1955 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat den Klägern die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Die Kläger beziehen Elternrente nach vier gefallenen Söhnen. Sie beantragten eine Erhöhung der Elternrente ab 1. August 1953 (Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes - BVG - vom 7.8.1953, BGBl. I S. 866) für den Verlust ihres fünften Sohnes, B. Dieser Sohn, geboren am 6. April 1928, ist am 16. Mai 1946 infolge der Verletzungen durch eine Sprengkörperexplosion, an welcher der Kaufmannslehrling P. T. beteiligt war, gestorben. Die Versorgungsbehörden lehnten die Erhöhung der Elternrente durch Bescheid ab. Das Sozialgericht (SG.) Trier wies die Klage mit Urteil vom 3. November 1954 ab. Auf die Berufung der Kläger hob das Landessozialgericht (LSG.) Rheinland-Pfalz durch Urteil vom 21. Juni 1955 das Urteil des SG. auf und verurteilte den Beklagten, auch für den Sohn B. Elternrentenerhöhung im Monatsbetrage von DM 10,- den Klägern zu gewähren.
Das LSG. hat folgenden Sachverhalt festgestellt: Am 16. Mai 1946 hütete der achtzehn Jahre alte Sohn B auf der Weide das Vieh, während der sechzehn Jahre alte P. T. im nahegelegenen Wald Holz holte. T fand ein granatähnliches Geschoß, das in dem vorderen Teil bereits durchlöchert war. Er hielt es deshalb für ungefährlich und legte es auf einen Baumstumpf. Nach den weiteren Feststellungen des LSG. hatte B. H. inzwischen eine teilweise zersplitterte Panzerfaust aufgenommen. Auf die Warnung des T. legte er sie wieder hin. T. hob alsdann das granatähnliche Geschoß vom Baumstumpf auf und warf es einige Meter in Richtung des P. H. von sich, wobei er der Überzeugung war, daß der granatähnliche Gegenstand wegen seiner Beschädigung ungefährlich sei. Dieser explodierte jedoch und verletzte den B. H. so schwer, daß er wenige Stunden später starb T. ist wegen seines Verhaltens durch Urteil der Jugendstrafkammer Trier vom 18. Oktober 1946 der fahrlässigen Tötung für schuldig befunden und unter Abstandnahme von einer Bestrafung verwarnt worden. Das LSG. entnahm den Gründen des Strafurteils, daß die Fahrlässigkeit des T. nur gering gewesen sei, weil er infolge einer Belehrung durch seinen Vater glaubte, es handele sich um ein völlig gefahrloses Geschoß.
Auf Grund dieses Sachverhalts kam das LSG. zu der Auffassung, daß der Sohn der Kläger an den Folgen einer unmittelbaren Kriegseinwirkung im Sinne des § 1 Abs. 2, § 5 Abs. 1 Buchst. e BVG gestorben ist. Es führte aus, daß zu seinem Tod zwei Bedingungen mitgewirkt haben: das Herumliegen des Sprengkörpers infolge des Krieges und das Verhalten des T. Das Herumliegen des Sprengkörpers, der sich infolge des Krieges an der Stelle befand, an welcher er von T. gefunden wurde, stelle einen kriegseigentümlichen Gefahrenbereich dar, der durch einen kriegerischen Vorgang geschaffen worden sei. Dieser für den Eintritt des Schadens wesentliche Ursachenzusammenhang sei durch das leichtfahrlässige Handeln des jugendlichen T. nicht unterbrochen worden. Das kriegsbedingte Herumliegen des Sprengkörpers sei eine für die tödliche Verletzung wesentliche Bedingung geblieben, hinter der das nur zeitlich später liegende - unvorsichtige - Handeln des Täters zurücktrat. - Das LSG. hat die Revision zugelassen.
Der Beklagte hat gegen das am 26. Juli 1955 zugestellte Urteil am 22. August 1955 die Revision eingelegt und begründet. Er beantragt, das Urteil des LSG. Rheinland-Pfalz vom 21. Juni 1955 aufzuheben.
Der Beklagte rügt die Verletzung materiellen Rechts (§§ 1, 5, 49, 51 BVG). Nach Auffassung des Beklagten wird der ursächliche Zusammenhang nicht nur durch vorsätzliches oder grobfahrlässiges Handeln unterbrochen, sondern auch durch leichtfahrlässiges Verhalten eines Dritten. Dies habe das LSG. verkannt. Auch wäre es richtiger gewesen, wenn das LSG. das Verhalten des T. als grobfahrlässig bewertet hätte. Die wesentliche Ursache für den Tod des Sohnes der Kläger sei darin zu sehen, daß T. mit dem Geschoß hantiert und es (in der Richtung auf den Sohn der Kläger) weggeworfen habe.
Die Kläger haben beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Revision des Beklagten ist infolge Zulassung durch das LSG. (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) statthaft. Da sie auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden ist (§ 164 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), ist sie zulässig. Die Revision ist jedoch nicht begründet.
Der erkennende Senat hatte von den tatsächlichen Feststellungen des LSG. auszugehen, da in Bezug auf sie Revisionsgründe nicht vorgebracht sind. An diese Feststellungen ist das BSG. nach § 163 SGG gebunden (SozR. SGG § 163 Bl. Da 1 Nr. 1).
Als unmittelbare Kriegseinwirkung gelten nach § 5 Abs. 1 Buchst. e BVG nachträgliche Auswirkungen kriegerischer Vorgänge, die einen kriegseigentümlichen Gefahrenbereich hinterlassen haben, wenn diese Auswirkungen im Zusammenhang mit einem der beiden Weltkriege stehen. Für die Annahme einer unmittelbaren Kriegseinwirkung ist hiernach erforderlich, daß zwischen dem kriegerischen Vorgang, der einen kriegseigentümlichen Gefahrenbereich hinterlassen hat, und der nachträglichen schädigenden Auswirkung dieses Gefahrenbereichs ein ursächlicher Zusammenhang besteht (BSG. 4, 230, (231/232)). Das LSG. hat das Vorliegen dieser Voraussetzungen für die Anwendung des § 5 Abs. 1 Buchst. e BVG mit Recht bejaht.
Die Begründung des angefochtenen Urteils schließt die von der Revision nicht angegriffene Feststellung ein, die allerdings nicht ausdrücklich ausgesprochen ist, daß das Geschoß, auf dessen Explosion der tödliche Unfall zurückzuführen ist, aus Beständen herrührt, die bei Kampfhandlungen im letzten Weltkrieg verwendet und nach Einstellung der Kampfhandlungen auf dem Waldgrundstück zurückgeblieben sind. Ob sie deutschen oder fremden Ursprungs waren, ist versorgungsrechtlich unerheblich. Wie der Senat in einer Entscheidung vom 10. Juni 1955 (BSG. 1, 72 (75)) ausgeführt hat, bewirkt das Herumliegen derartiger Sprengkörper in einem frei zugänglichen Gelände im allgemeinen einen kriegseigentümlichen Gefahrenzustand für die Besucher dieses Geländes. Das am Unfalltag explodierte Geschoß bildete jedenfalls solange, wie es auf dem Waldboden lag, einen derartigen Gefahrenbereich. Die Fortdauer der Kriegseigentümlichkeit des Gefahrenbereichs hängt aber davon ab, ob und wie im Laufe der Zeit die enge Beziehung des Gefahrenzustandes zu den kriegerischen Vorgängen, aus denen er entstanden ist, etwa durch menschliches Tun oder Unterlassen gelockert und schließlich aufgehoben worden ist. So ist nach der Rechtsprechung des BSG. die Einsturzgefahr einer Gebäuderuine nicht mehr kriegseigentümlich, wenn seit der Zerstörung des Gebäudes durch Kampfmittel soviel Zeit vergangen ist, daß unter den obwaltenden Umständen die drohende Gefahr abgewendet werden konnte (BSG. 4, 230, (233)). Ebensowenig kann die Gefährlichkeit eines Sprengkörpers, der im letzten Weltkrieg für militärische Zwecke bestimmt war, noch als "kriegseigentümlich" angesehen werden, wenn außerhalb des Kampfgeschehens eine verantwortliche Person einen solchen Sprengkörper an sich bringt und ihn in Kenntnis seiner Gefährlichkeit und in der Absicht verwendet, durch seine Sprengwirkung Schaden anzurichten.
Auch im vorliegenden Falle könnte angenommen werden, daß T. nachdem er den Sprengkörper aufgehoben hatte, eine selbständige, nicht mehr kriegseigentümliche Ursache für das Wirksamwerden der Explosionsgefahr gesetzt hätte, wenn er gewusst hätte, daß der von ihm gefundene Gegenstand durch ein Aufprallen auf den Boden explodieren kann, und wenn er in Kenntnis der Gefahr ihn von sich geworfen hätte. T. hat sich jedoch nicht so verhalten, daß dadurch die Kriegseigentümlichkeit der dem Sprengkörper innewohnenden Gefahr beseitigt wurde. Das LSG. hat mit Recht dem kriegseigentümlichen Gefahrenbereich auch die Begleitumstände zugerechnet, unter denen der Sprengkörper von T. unabsichtlich und für den Verletzten unvorhersehbar zur Explosion gebracht wurde. Es gehört mit zu den besonderen Gefahren, die aus den kriegerischen Vorgängen des zweiten Weltkrieges herrühren und kriegseigentümlich sind, daß ein Jugendlicher einen frei herumliegenden Sprengkörper findet, seine Gefährlichkeit nicht erkennt und so mit ihm umgeht, daß er explodiert.
Nach den Feststellungen des LSG. hat T. die Gefährlichkeit des gefundenen Gegenstandes nicht erkannt, weil dieser durch Witterungseinflüsse beschädigt und in seinem Aussehen verändert war. Er verfolgte mit dem Wegwerfen des Fundstückes an Ort und Stelle keinen anderen Zweck als den, sich sogleich dieses von ihm für ungefährlich gehaltenen Gegenstandes wieder zu entledigen. Der Verletzte selbst hat in keiner Weise den Unfall mit verursacht. Die Rechtsauffassung des LSG., daß die Kriegseigentümlichkeit des Gefahrenbereichs, dem der Verletzte zum Opfer fiel, im Zeitpunkt des Unfalls fortbestanden hat, ist daher nicht zu beanstanden.
Dem LSG. ist weiterhin darin beizupflichten, daß der kriegseigentümliche Gefahrenbereich als rechtlich wesentliche Mitursache für die Explosion des Sprengkörpers anzusehen ist und daß ihm diese Bedeutung nicht deshalb abgesprochen werden kann, weil auch die Tätigkeit des T. zum Eintritt des schädigenden Ereignisses mitgewirkt hat. Ob das LSG. mit Recht das Verhalten des T. als leichtfahrlässig beurteilt und in welchem Sinn es den von ihm angewendeten Begriff der leichten Fahrlässigkeit verstanden hat, kann dahingestellt bleiben; denn bei der Beurteilung der Rechtserheblichkeit der Ursachen, die für die Annahme einer unmittelbaren Kriegseinwirkung im Sinne des § 5 Abs. 1 Buchst. e BVG in Betracht kommen oder ihr entgegenstehen, sind alle Umstände des Einzelfalles abzuwägen. Wenn fahrlässiges und deshalb strafbares Handeln eines Dritten in die übrige, zum Schaden führende Ursachenkette mit einzureihen ist, so wird dadurch die Rechtserheblichkeit eines kriegseigentümlichen Gefahrenbereichs als wesentliche Mitursache im Sinne des § 5 BVG nicht ohne weiteres ausgeschlossen. Im vorliegenden Falle muß bei der rechtlichen Bewertung der mehreren Ursachen, die zu dem schädigenden Ereignis geführt haben, das Handeln des Dritten im Verhältnis zu der Ursächlichkeit des kriegseigentümlichen Gefahrenbereichs versorgungsrechtlich als unerheblich außer Betracht bleiben. Auch wenn dem Dritten ein gewisses Maß von Schuld an dem von ihm mitverursachten Vorgang vorzuwerfen ist, war seine Schuld nur gering. Seine Verhaltensweise ist hauptsächlich durch kriegseigentümliche Verhältnisse - das Herumliegen eines Sprengkörpers im Walde - bestimmt worden und dadurch begreiflich, daß er der für einen Jugendlichen naheliegenden Versuchung, einen ungefährlich erscheinenden Gegenstand vom Boden aufzuheben, nachgegeben hat. Der Beklagte ist daher mit Recht verurteilt worden, den Klägern die beantragte Versorgungsleistung zu gewähren.
Da das angefochtene Urteil weder auf der gerügten noch auf einer anderen Gesetzesverletzung beruht, war die Revision des Beklagten als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 SGG).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen