Beteiligte
Klägerin und Revisionsklägerin |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I
Mit der vom Sozialgericht - SG - (Urteil vom 22. März 1984) zugelassenen Sprungrevision wendet die Klägerin sich gegen den Beitragsbescheid der Beklagten vom 7. April 1982 für das Umlagejahr 1981.
Die Klägerin ist als Inhaberin eines Taxiunternehmens Mitglied der Beklagten. Mit Veranlagungsbescheid vom 30. November 1981 wurde der kaufmännische Teil des Unternehmens in die Gefahrklasse 1, das sonstige Unternehmen in die Gefahrklasse 10 eingestuft. In derselben Gefahrklasse sind nach dem 18. Gefahrtarif vom 9. Oktober 1981, genehmigt am 28. Oktober 1981, ferner Mietwagenunternehmen und private Kraftfahrzeughaltungen. Der bis zum 31. Dezember 1980 geltende 17. Gefahrtarif faßte den gesamten Personenverkehr in der günstigeren Gefahrklasse 8 zusammen; er wurde nur für die Jahre 1979 und 1980 genehmigt.
Für das Jahr 1981 verlangte die Beklagte eine um 37,9% höhere Jahresumlage. Dem hiergegen erhobenen Widerspruch der Klägerin vom 10. Mai 1982 half sie nicht ab (Widerspruchsbescheid vom 24. November 1982).
In seinem klagabweisenden Urteil hat das SG ausgeführt: Der 18. Gefahrtarif der Beklagten sei ordnungsgemäß zustande gekommen und verstoße nicht gegen höherrangiges Recht. Etwaige rechtswidrige Eingriffe des Bundesversicherungsamts bei der Gestaltung des 18. Gefahrtarifs der Beklagten könne nur die Beklagte, nicht dagegen die Klägerin geltend machen. Die Überprüfung selbst sei eine gesetzliche Verpflichtung der Aufsichtsbehörde. Die in der Gefahrklasse 10 zusammengefaßten Gewerbezweige trügen ein etwa gleichhohes Unfallrisiko. Die Berücksichtigung von nur 20 v.H. der Altlast bei der Errechnung der Belastungsziffern der einzelnen Gewerbezweige wirke sich nicht nennenswert aus. Dafür, daß die sog. Mischbetriebe ihre Beiträge manipulierten, fehlt es nach den Feststellungen des SG an jeglichem Anhaltspunkt. Der 18. Gefahrtarif verstößt nach Meinung des SG weder gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -) noch gegen das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG. Die Beitragsfestsetzung sei der Sache nach ein Akt mit unechter Rückwirkung, so daß nicht rechtserheblich sei, daß der 18. Gefahrtarif erst am 9. Oktober 1981 beschlossen und am 28. Oktober 1981 genehmigt wurde.
Nach der Überzeugung der Klägerin gehören das Taxigewerbe und die Mietwagenunternehmen, da diese häufig Mischbetriebe seien, nicht zusammen in eine Gefahrklasse. Die Berücksichtigung von nur 20 v.H. der Altlast habe zu einer unzulässigen Umverteilung derselben zugunsten der Luftfahrtunternehmen geführt. Der 18. Gefahrtarif widerspreche dem Grundsatz der Beitragskontinuität, zumal da die Mehrbelastung rückwirkend in Kraft gesetzt worden sei. Zudem habe die Aufsichtsbehörde in unzulässiger Weise eingegriffen. Die Veranlagung zum 18. Gefahrtarif sei in dem anhängigen Verfahren nachprüfbar, da mit der Beklagten vereinbart worden sei, diesen Gefahrtarif im Rechtswege überprüfen zu lassen und sich die Rechtspflicht zur Aufhebung des Veranlagungsbescheides aus § 44 SGB X ergebe.
Die Klägerin beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils des Sozialgerichts Dortmund vom 22. März 1984 den Veranlagungsbescheid der Beklagten vom 30. November 1981 sowie den Beitragbescheid der Beklagten vom 7. April 1982 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24. November 1982 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt, die Sprungrevision der Klägerin zurückzuweisen.
Sie weist darauf hin, daß der 18. Gefahrtarif der Beklagten im Hinblick auf die erheblich niedrigere Belastungsziffer der Omnibusunternehmen zu einer Neugruppierung auch für die Klägerin und damit zu ihrer höheren Belastung geführt habe. Diese entspreche jedoch der Unfallgefahr. Der neue Tarif entspreche einem Vorschlag des Bundesversicherungsamts. Sie hält die Errechnung der Belastungsziffern für die einzelnen Gewerbezweige auch im Hinblick auf den berücksichtigten Anteil der Altlast für ermessensgerecht und meint, daß der 18. Gefahrtarif rechtzeitig wirksam geworden sei. Ein unzulässiger Eingriff in die Satzungsautonomie der Beklagten habe nicht stattgefunden.
II
Die Revision der Klägerin richtet sich gegen den Gefahrtarif der Beklagten, der objektives revisibles Recht ist, da er sich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt (s. § 162 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Sie ist insoweit nicht begründet. Im Ergebnis zutreffend hat das SG nämlich entschieden, daß der Bescheid der Beklagten vom 7. April 1982 rechtmäßig ist. Soweit die Klägerin im Revisionsverfahren erstmalig den Veranlagungsbescheid der Beklagten vom 30. November 1981 anficht, kann offen bleiben, ob insoweit eine unzulässige Klageerweiterung vorliegt (s. § 168 SGG); denn auch eine an sich zulässige Klageerweiterung durch die Einbeziehung des Veranlagungsbescheides der Beklagten vom 30. November 1981 in das sozialgerichtliche Verfahren ist wegen des inzwischen eingetretenen Ablaufs der Klagefrist (§ 87 SGG) nicht mehr möglich und die im Revisionsverfahren erhobene Klage daher unzulässig.
Das SG ist zutreffend von der Vorschrift des § 725 Abs. 1 RVO ausgegangen. Danach richtet sich die Höhe der Beiträge nach dem Entgelt der Versicherten und nach dem Grade der Unfallgefahr in dem Unternehmen. Im vorliegenden Falle ist zu Recht unstreitig, daß die Beklagte die im Betrieb der Klägerin erzielten Entgelte richtig in Ansatz brachte; insoweit ist der angefochtene Bescheid nicht zu beanstanden. Das SG hat folgerichtig ausschließlich dargelegt, ob der angefochtene Bescheid auch insoweit rechtmäßig ist, als bei der Beitragsberechnung der Grad der Unfallgefahr in dem Unternehmen der Klägerin richtig berücksichtigt ist. Es ist zu dem Ergebnis gekommen, daß insoweit von dem 18. Gefahrtarif der Beklagten auszugehen ist, weil dieser weder hinsichtlich seines Zustandekommens noch bezüglich der darin vorgenommenen Bildung von Gefahrklassen zu beanstanden ist. Bezüglich der Berücksichtigung der Unfallgefahr im Betriebe der Klägerin ist jedoch bereits die rechtsverbindliche Festlegung in dem Veranlagungsbescheid vom 30. November 1981 zu beachten.
Zur Abstufung der Beiträge nach dem Grad der Unfallgefahr haben die Träger der gewerblichen Unfallversicherung nach § 730 RVO durch einen Gefahrtarif Gefahrklassen zu bilden. Der Gefahrtarif wird nicht für einzelne Betriebe, sondern für ganze Gewerbezweige oder für bestimmte Tätigkeiten aufgestellt. Auf diese Weise kommt es zur Bildung von Risikogemeinschaften mit etwa gleicher Unfallgefahr (BSGE 55, 26, 27/28 m.w.N.). Mindestens alle fünf Jahre muß die BG nachprüfen, ob die so erfolgte Bildung von Gefahrklassen mit Rücksicht auf die zwischenzeitlich eingetretenen Unfälle noch aufrechterhalten werden kann (§ 731 Abs. 1 RVO). Damit wird einerseits erreicht, daß die Beitragsbelastung der Unternehmen den in ihnen tatsächlich vorhandenen Gefahren in etwa entspricht (BSGE 43, 289, 290; Bereiter-Hahn/Schieke/Mehrtens, Unfallversicherung, 4. Aufl., § 730 Anm. 1, jeweils m.w.N.), und andererseits, daß die vorhandene Unfallgefahr der in dem Gefahrtarif gebildeten Risikogemeinschaften nicht bei jeder Beitragsberechnung neu überprüft und festgestellt werden muß. Vielmehr werden die Unternehmer für die gesamte Dauer einer sog. Tarifzeit mit der einmal festgestellten und in dem Gefahrtarif ausgewiesenen Gefahrklasse belastet. Dies entspricht einer nunmehr hundertjährigen Regelung in der gesetzlichen Unfallversicherung (s. § 26 Abs. 4 und 5 des Unfallversicherungsgesetzes vom 6. Juli1884 - RGBl. I S. 69 ff.). Daher ist seit je anerkannt, daß durch "die Einschätzung der Betriebe in die Klassen des Gefahrtarifs …, welches für die Dauer der Tarifperiode formales Recht zwischen Genossenschaft und Unternehmer schafft" (v. Woedtke/Caspar, Unfallversicherungsgesetz, 5. Aufl. 1901, § 49 Anm. 8), das eine Element für die Beitragsberechnung, nämlich die Unfallgefahr, für die Dauer einer Tarifzeit konstant bleibt und während dieser Zeit nur unter den besonderen Voraussetzungen des § 734 Abs. 2 RVO geändert werden darf (s. auch BSG Urteil vom 12. Dezember 1985 - 2 RU 49/84 -).
Die so durch Satzung - Gefahrtarif - der Träger der gewerblichen Unfallversicherung geschaffene Konstante für die Beitragsberechnung wird zwischen der BG und dem einzelnen Unternehmen nicht schon infolge der Beschlußfassung in der Vertreterversammlung (§ 730 RVO), sondern vielmehr erst infolge der in § 734 Abs. 1 RVO vorgeschriebenen Veranlagung zur Gefahrklasse wirksam. Das bedeutet, daß die im Gefahrtarif für die Tarifzeit enthaltene abstrakte Regelung durch den Veranlagungsbescheid, der dem einzelnen Unternehmen erteilt wird, seine konkrete Gestalt erhält. Dieser Veranlagungsbescheid regelt folglich, wenn er unangefochten bleibt und solange er nicht zurückgenommen ist, für den gesamten Zeitraum der Gültigkeit des Gefahrtarifs denjenigen Faktor der Beitragsberechnung, welcher in § 725 Abs. 1 RVO als "Grad der Unfallgefahr" bezeichnet ist. Den Eintritt der Wirksamkeit und Verbindlichkeit des Veranlagungsbescheides können die Beteiligten nicht durch eine Vereinbarung hindern, wie die Klägerin dies annimmt. Vielmehr bestimmt § 77 SGG, unter welchen Voraussetzungen ein Bescheid unter den Betroffenen Bindungswirkung erlangt. Diese Verfahrensvorschrift ist nicht zur Disposition der Beteiligten gestellt, d.h. der Eintritt der Verbindlichkeit wird nur durch die Einlegung des gegebenen Rechtsbehelfs gehindert.
Damit ist gesagt, daß die verbindliche Veranlagung zur Gefahrklasse bei der Beitragsberechnung einerseits von der BG berücksichtigt werden muß und andererseits von dem Unternehmer nicht mehr in Frage gestellt werden kann; denn insoweit wird durch die Veranlagung auf Zeit - Tarifzeit - Klarheit geschaffen.
Diese Zusammenhänge sind bisher nicht ausreichend berücksichtigt und der Veranlagungsbescheid vom 30. November 1981 nicht genügend beachtet worden. Dieser Bescheid wurde, da er unangefochten blieb, zwischen den Beteiligten verbindlich (§ 77 SGG). Die in ihm erfolgte Veranlagung zur Gefahrklasse kann daher für die gesamte Dauer der Tarifzeit nicht mehr unter dem Gesichtspunkt überprüft werden, ob der Gefahrtarif der Beklagten überhaupt oder in seiner einzelnen Ausformung (Bildung von Gefahrklassen) rechtens ist. Diese Nachprüfung ist hier nur noch durch eine Rücknahme des Veranlagungsbescheides statthaft.
Da die in dem Bescheid vom 30. November 1981 festgesetzten Gefahrklassen in dem angefochtenen Beitragsbescheid berücksichtigt sind, ist der Beitrag der Klägerin für das Jahr 1981 folglich auch bezüglich des Grades der Unfallgefahr richtig errechnet.
Die Revision der Klägerin war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.2 RU 45/84
Bundessozialgericht
Verkündet am
12. Dezember 1985
Fundstellen