Leitsatz (amtlich)
Stößt eine Kreissäge bei der Bearbeitung eines Baumstammes auf einen in diesem verborgenen Granatsplitter aus dem Kriege und wird hierdurch eine Körperverletzung verursacht, so liegt darin keine nachträgliche Auswirkung kriegerischer Vorgänge, die einen kriegseigentümlichen Gefahrenbereich hinterlassen haben (BVG § 5 Abs 1 Buchst e).
Normenkette
BVG § 1 Abs. 2 Buchst. a Fassung: 1960-06-27, § 5 Abs. 1 Buchst. e Fassung: 1960-06-27
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 11. März 1965 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der Ehemann der Klägerin, R M. (M.), erlitt am 19. September 1946 einen Unfall, an dessen Folgen er am 20. September 1946 verstarb. Als Arbeiter eines Sägewerks hatte er auf der Kreissäge Bohlen auf bestimmte Längen zu schneiden; eine dieser Bohlen wurde von der Säge zurückgeschleudert, als diese auf Granatsplitter traf, die sich in der Bohle befanden, und verursachte bei M. einen Riß der Milz. Die Klägerin erhält Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung.
Mit Bescheid vom 30. März 1962 lehnte das Versorgungsamt (VersorgA) den Antrag auf Hinterbliebenenversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) ab, weil eine Schädigung im Sinne der §§ 1, 5 Abs. 1 Buchst. e BVG nicht vorliege. Der Widerspruch war erfolglos. Das Sozialgericht (SG) wies mit Urteil vom 21. Juni 1963 die Klage ab; das Landessozialgericht (LSG) wies mit Urteil vom 11. März 1965 die Berufung der Klägerin zurück und ließ die Revision zu. Einer der in § 5 Abs. 1 Buchst. a - d BVG aufgeführten Tatbestände komme nicht in Betracht, weil der eng auszulegende Begriff der unmittelbaren Kriegseinwirkung nicht zutreffe. Der Unfall sei auch nicht im Sinne des § 5 Abs. 1 Buchst. e BVG auf eine nachträgliche Auswirkung eines kriegerischen Vorganges zurückzuführen, der einen kriegseigentümlichen Gefahrenbereich hinterlassen habe. Der Gefahrenbereich müsse nach seiner Entstehung fortwirkend kriegseigentümlich geblieben sein. Sprengkörper, Geschosse und dergleichen, die im Kriege Verwendung fanden, bildeten nur solange einen kriegseigentümlichen Gefahrenbereich wie sie die ihnen durch die Explosionsmöglichkeit innewohnende Gefährlichkeit behielten. Von einem kriegseigentümlichen Gefahrenbereich könne daher nicht gesprochen werden, wenn das schädigende Ereignis einer Gefahrenquelle entspringe, der eine Verbindung mit typischem Kriegsgeschehen nicht mehr eigen sei. Nach diesen Grundsätzen könne in der versteckten Lage des in einem Baumstamm oder in einer Bohle befindlichen Granatsplitters kein kriegseigentümlicher Gefahrenbereich erblickt werden. Mit der Explosion des Sprengkörpers sei die mit dem Kriegsgeschehen verbundene Gefahrenquelle beseitigt gewesen. Darüber hinaus könne in dem Vorhandensein von Splittern in Bäumen, Bohlen und dgl. in der Regel wie auch für den vorliegenden Fall überhaupt kein Gefahrenbereich gesehen werden. Ein von Holz umgebener Splitter stelle eine Gefahr nicht dar. Im Wald explodierende Sprengkörper hinterließen vielfach Splitter in den Bäumen, ohne daß sie zu irgendeiner Zeit eine Gefahr für ihre Umgebung bildeten. Daher fehle es bereits an dem Tatbestandsmerkmal eines Gefahrenbereichs im Sinne des § 5 Abs. 1 Buchst. e BVG. Aber selbst wenn eine unmittelbare Kriegseinwirkung im Sinne dieser Vorschrift bejaht werden könnte, ließe sich der tödliche Unfall des M. nicht auf sie zurückführen, weil es insoweit an einem ursächlichen Zusammenhang fehle. Nach der für das Versorgungsrecht geltenden Kausalitätsnorm sei das Zerschneiden der Bohle auf der Kreissäge, insbesondere die darauf beruhende Schleuderwirkung, als die wesentliche Bedingung des Unfalls anzusehen. Gegenüber der mit dem Betrieb der Kreissäge verbundenen hohen Betriebsgefahr, die erfahrungsgemäß eine hohe Zahl von Unfällen nach sich ziehe, könne dem Vorhandensein eines im Holz ruhenden Splitters eine wesentliche Bedeutung für den Eintritt des Unfalls nicht beigemessen werden. Der Tod des M. sei daher nicht auf eine Schädigung im Sinne des BVG zurückzuführen.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 5 Abs. 1 Buchst. e BVG und der Kausalitätsnorm. Die Explosion eines Sprengkörpers im Kriege habe Granatsplitter im Holze hinterlassen, die nicht erkennbar waren. Hierdurch sei ein kriegseigentümlicher Gefahrenbereich im Zeitpunkt der maschinellen Bearbeitung des Holzes geschaffen worden, da das Vorhandensein von Teilen eines explodierten Sprengkörpers in Baumteilen nicht zu den normalerweise vorauszusetzenden Eigenschaften des Holzes gehöre. Daß der Splitter seine schädigende Wirkung erst bei der maschinellen Bearbeitung des Holzes geäußert habe, ändere nichts an dem Schädigungstatbestand. Das LSG habe auch die Kausalitätsnorm nicht richtig angewendet. Der von der Kreissäge ausgehenden Betriebsgefahr komme nicht die überragende Bedeutung zu, weil hier nicht die Gefahr in der Maschine sondern in dem bearbeiteten Holzstück mit den darin verborgenen Granatsplittern gelauert habe. Es habe sich also nicht um einen der üblichen Betriebsunfälle bei Benutzung einer Kreissäge gehandelt, die allein nach versicherungsrechtlichen Gesichtspunkten zu entschädigen seien. Die im Holz verborgenen Granatsplitter hätten im Verhältnis zu der maschinellen Bearbeitung eine annähernd gleichwertige Bedingung und damit eine Mitursache für den Unfall gesetzt. Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und des Urteils des SG Aachen vom 21. Juni 1963 sowie des Bescheides vom 30. März 1962 und des Widerspruchsbescheides vom 21. September 1962 festzustellen, daß der Tod des Ehemannes der Klägerin die Folge einer Schädigung im Sinne des BVG ist.
Der Beklagte beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die durch Zulassung statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 162 Abs. 1 Nr. 1,164, 166 SGG) und daher zulässig. Sachlich ist sie nicht begründet.
Das LSG hat den Begriff der unmittelbaren Kriegseinwirkung im Sinne des § 1 Abs. 2 Buchst. a BVG und des § 5 Abs. 1 BVG zutreffend ausgelegt und ohne Rechtsirrtum zunächst festgestellt, daß der tödliche Unfall nicht einen der Tatbestände des § 5 Abs. 1 Buchst. a - d BVG erfüllt. Der Milzriß, den M. dadurch erlitt, daß eine Bohle zurückgeschleudert wurde, als die Kreissäge in dem Holz auf Granatsplitter stieß, stellt insbesondere keine "unmittelbare" Einwirkung von Kampfhandlungen und damit zusammenhängenden militärischen Maßnahmen dar, die in § 5 Abs. 1 Buchst. a BVG nach dem Zweck dieser Vorschrift vorausgesetzt ist (BSG 2, 33). Die Kampfmaßnahmen und die Einwirkung von Kampfmitteln waren mit der Explosion des Sprengkörpers abgeschlossen. Da M. hierdurch nicht verletzt worden war, waren spätere Ereignisse nicht geeignet, den Schädigungstatbestand dieser Vorschrift zu erfüllen, weil das Erfordernis der Unmittelbarkeit der Einwirkung zum Schädigungstatbestand gehört (BSG 2, 34; BSG in SozR Ca 8 R Nr. 19 zu § 5 BVG). Daß die Verletzung des M. auch nicht auf einem der in § 5 Abs. 1 Buchst. b - d BVG genannten Tatbestände beruht, bedarf keiner weiteren Begründung. Da die Fälle der unmittelbaren Kriegseinwirkung in § 5 BVG abschließend aufgeführt sind (BSG 2, 31), war nur noch zu prüfen, ob die Verletzung und der Tod des M. im Sinne des § 5 Abs. 1 Buchst. e BVG einer nachträglichen Auswirkung kriegerischer Vorgänge, die einen kriegseigentümlichen Gefahrenbereich hinterlassen haben, zugeschrieben werden können. Bei dieser Vorschrift genügt es, daß es sich um eine Spätfolge kriegerischer Vorgänge handelt; es ist aber erforderlich, daß die kriegerischen Vorgänge einen besonders gearteten, dem Kriegsgeschehen eigentümlichen Gefahrenbereich hinterlassen haben. Die Gefahren müssen nicht nur in kriegseigentümlicher Weise entstanden, sondern auch nach ihrer Entstehung fortwirkend kriegseigentümlich gewesen sein (BSG 4, 232). Es ist somit im Einzelfall abzugrenzen, ob die durch kriegerische Ereignisse entstandene Gefahrenquelle einem kriegseigentümlichen oder einem anderen Gefahrenbereich zugeordnet werden muß. Von einem kriegseigentümlichen Gefahrenbereich kann jedenfalls dann nicht gesprochen werden, wenn das schädigende Ereignis einer Gefahrenquelle entspringt, die keine Verbindung mit dem typischen Kriegsgeschehen mehr hat (BSG 6, 103, 104). Die Gefahren haben die Verbindung mit dem typischen Kriegsgeschehen dann verloren, wenn sie sich in dem Zeitpunkt ihrer Verwirklichung von anderen, nicht durch kriegerische Vorgänge entstandenen Gefahren nicht mehr unterscheiden (BSG 7, 184, 185). Das trifft, wie das LSG mit Recht angenommen hat, auf den vorliegenden Sachverhalt zu. Die mit der Verwendung des Sprengkörpers im Kriege begründete kriegseigentümliche Gefahr hatte sich mit der Explosion des Sprengkörpers erschöpft. Die in dem Baumstamm stecken gebliebenen Granatsplitter konnten aus sich heraus eine nennenswerte Gefahr nicht entfalten. Das Gesetz verlangt zwar nicht, daß die kriegseigentümlichen Gefahren, die ein kriegerischer Vorgang hinterlassen hat, von den hierbei verwendeten Kampfmitteln ausgehen müssen (BSG 8, 277). Handelt es sich aber um eine ausschließlich durch Sprengwirkung hervorgerufene Gefahr, so muß diese, um dem Merkmal der Kriegseigentümlichkeit zu genügen, einen engen Zusammenhang mit dem Zustand aufweisen, den die Verwendung von Sprengkörpern allgemein im Kriege herbeizuführen pflegt und der darum für dieses Kriegsgeschehen typisch ist. Für die mit dem Sprengkörper bezweckte Zerstörung stellte das Zurückbleiben von Granatsplittern in einem Baumstamm eine nur unbedeutende, relativ ungefährliche Nebenwirkung dar, die darum keinen kriegseigentümlichen, d. h. typischen Gefahrenzustand im Sinne des Gesetzes hinterlassen konnte. Erst durch eine Verkettung besonders unglücklicher Umstände bei der maschinellen Bearbeitung des Holzes war dieser durch kriegerische Ereignisse geschaffene Zustand geeignet, eine schwerwiegende Gefahrenlage zu schaffen und dadurch eine Bedingung für den Unfall zu setzen. Dadurch wurde die ursprüngliche belanglose Gefahrenquelle nicht nur verschärft sondern auch entscheidend verändert. Durch die Benutzung der Kreissäge ist eine Gefahr entstanden, wie sie auch sonst dadurch hervorgerufen werden kann, daß sich etwa in einem Baum oder in bereits vorbenutztem Holz Nägel oder andere metallene Gegenstände befinden, die dann ein Hindernis bei der Verarbeitung bilden. Auch ein im Boden stecken gebliebener, nicht explodierter Sprengkörper bildet, solange er nur ein Verkehrshindernis ist, keine kriegseigentümliche Gefahr, sondern nur eine gewöhnliche Gefahr wie jeder andere Gegenstand in gleicher Lage (vgl. BSG 4, 232). Ähnlich wie ein Holzsplitter kann der im Baum zurückgebliebene Granatsplitter - auch ohne das Hinzutreten der Schleuderwirkung einer Kreissäge - schon durch seine Scharfkantigkeit zu Verletzungen führen, wobei dahingestellt bleiben kann, ob diese auch anderen Gegenständen eigene Gefahr schon als kriegseigentümlich in Betracht gezogen werden könnte; denn hier ist die Verletzung des M. nicht durch Berührung mit scharfkantigen Granatsplittern herbeigeführt worden. Der Revision ist zwar zuzugeben, daß die von dem LSG festgestellte versteckte Lage des Granatsplitters in dem Holz, da dort ein solcher Gegenstand nicht vermutet werden konnte, eine erhöhte Gefahr begründet hat. Die Verborgenheit der Gefahr ist auch vielfach mit der Kriegseigentümlichkeit einer Gefahr verschwistert, z. B. bei einem Blindgänger; eine solche Gefahr ist aber nicht schon wegen ihrer Verborgenheit kriegseigentümlich. Verborgene Gefahren sind, von noch nicht explodierten Sprengkörpern abgesehen, nicht typisch für das Kriegsgeschehen; sie haben jedenfalls eine außerordentlich große Bedeutung auch bei Unfällen, die nicht durch kriegerische Vorgänge entstanden sind. Die verborgene Gefahr wurde hier auch nicht dadurch kriegseigentümlich, daß der kriegerische Vorgang der Explosion eine Verbindung der Splitter mit dem Holz herbeigeführt hatte, wodurch die Erkennbarkeit der Gefahr erschwert wurde. Hierdurch erhöhte sich zwar die Gefahr, ein kriegseigentümlicher Gefahrenbereich wurde aber nicht begründet, weil der Zustand, der durch die Explosion des Sprengkörpers hervorgerufen worden war, nicht mehr die Merkmale einer für das Kriegsgeschehen typischen Gefahrenquelle hatte. Der Unfall des M. läßt sich daher nicht in die Grenzen einordnen, die das BVG den kriegsbedingten Schädigungsfolgen gezogen hat. Der Unfall entspricht dem durch die gesetzliche Unfallversicherung bei Arbeitsunfällen geschützten Risiko.
Da die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Buchst. a - e BVG nicht erfüllt sind, kann dahingestellt bleiben, ob nur die mit dem Betrieb der Kreissäge verbundene Schleuderwirkung als die wesentliche Ursache des Unfalls im Sinne der im Recht der Kriegsopferversorgung geltenden Kausalitätsnorm anzusehen ist und ob dem Vorhandensein eines im Holz ruhenden Granatsplitters keine wesentliche Bedeutung für den Eintritt des Unfalls beigemessen werden kann, wie das LSG angenommen hat. Auf die Entscheidung dieser Frage kam es nicht mehr an.
Das LSG hat somit die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG, mit dem die Klage abgewiesen wurde, mit Recht zurückgewiesen. Die hiernach unbegründete Revision war nach § 170 Abs. 1 Satz 1 SGG zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen