Leitsatz (redaktionell)
Die Tätigkeit als Mitglied des Betriebsrates ist gemäß HaVO § 7 Nr 2 den Hauerarbeiten unter Tage grundsätzlich nur für die Dauer der Betriebsratstätigkeit gleichgestellt, während der der Versicherte, ohne Betriebsratsmitglied zu sein, seine frühere Tätigkeit ausgeübt hätte. Wäre dem Versicherten zB wegen langer Krankheit eine Ausübung der früheren Tätigkeit nicht mehr möglich gewesen oder hätte er wegen inzwischen erfolgter Änderung der betrieblichen Verhältnisse (zB infolge Zuweisung einer anderen Tätigkeit oder Umorganisation) nach Beendigung der Betriebsratstätigkeit nicht mehr seine frühere Arbeit verrichten können, ist HaVO § 7 Nr 2 nicht anzuwenden. Ein vor der Betriebsratstätigkeit als Wettersteiger (HaVO § 5 Nr 4) tätig gewesener Versicherter verrichtet nach der während der Zugehörigkeit zum Betriebsrat erfolgten Ernennung zum Wetterfahrsteiger dann eine gemäß HaVO § 7 Nr 2 den Hauerarbeiten unter Tage gleichgestellte Tätigkeit, wenn er - ohne Betriebsratsmitglied geworden zu sein - auch weiterhin die Tätigkeit eines Wettersteigers ausgeübt hätte.
Orientierungssatz
Eine Anwendung des HaVO § 7 Nr 2 kann bei sinngemäßer Auslegung nur in der Form erfolgen, daß der Leistungszuschlag lediglich für die Dauer der Betriebsratstätigkeit gewährt wird, während deren der Versicherte, ohne Betriebsratsmitglied zu sein, auch seine frühere Tätigkeit ausgeübt hätte.
Normenkette
RKG § 59 Abs. 1 Fassung: 1957-05-21; HaVO § 7 Nr. 2 Fassung: 1958-03-04, § 5 Nr. 4 Fassung: 1958-03-04
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 2. November 1961 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Der Kläger ist seit 1950 Mitglied des Betriebsrates der Schachtanlage Ewald Fortsetzung. Als solcher ist er seit Oktober 1950 von der Arbeit freigestellt. Vorher war er zuletzt Wettersteiger; zum 1. August 1954 wurde er zum Wetterfahrsteiger ernannt. Auf seinen Antrag hin bewilligte ihm die Beklagte Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG), rechnete aber nur die Zeit bis zum 31. Juli 1954 auf den Leistungszuschlag nach § 59 RKG an. Demgegenüber begehrt der Kläger Anrechnung auch der Zeit vom 1. August 1954 bis zum 30. Juli 1959, weil es auf seiner Schachtanlage keine Wettersteiger mehr gäbe, sondern die Wettersteiger als Fahrsteiger besoldet würden. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück, da der Wetterfahrsteiger nicht zu dem Personenkreis gezählt werde, der den Hauerarbeiten gleichgestellte Arbeiten verrichte. Auf Klage hin verurteilte das Sozialgericht (SG) die Beklagte, dem Kläger auch für die Zeit vom 1. August 1954 bis 30. Juli 1959 den Leistungszuschlag zu zahlen. Das Landessozialgericht (LSG) wies die Berufung der Beklagten zurück. Zur Begründung führte es aus, bei streng grammatischer Auslegung des § 7 Nr. 2 der Hauerarbeiten-Verordnung (HaVO) dürfe es bei der Gewährung des Leistungszuschlages nur auf die Tätigkeit zur Zeit der Freistellung ankommen, deren Fortsetzung für die ganze Dauer der Betriebsratstätigkeit unterstellt werde. Doch dürfe niemand aus seiner Betriebsratstätigkeit materiellen Vorteil ziehen (§ 37 Abs. 1 des Betriebsverfassungsgesetzes - BetriebsVerfG -). Daher dürfe die Gleichstellung mit Hauerarbeit nur so lange gelten, als der Versicherte von einer solchen privilegierten Arbeit freigestellt sei. Es käme also jeweils darauf an, welche Arbeit das freigestellte Betriebsratsmitglied verrichten würde, wenn die Freistellung entfiele. Der Fortfall der Voraussetzungen des § 7 Nr. 2 HaVO könne aber nur dann angenommen werden, wenn eindeutig festgestellt werde, daß der Versicherte bei Wegfall der Freistellung keine der in §§ 1 bis 6 HaVO genannten Arbeiten mehr aufnehmen würde. Dies sei aber hier nicht der Fall. Zwar werde in § 5 Nr. 4 HaVO nur der Wettersteiger, nicht auch der Wetterfahrsteiger genannt, jedoch komme es nicht auf die Berufsbezeichnung, sondern auf die Art der verrichteten Tätigkeit an. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere nach den glaubhaften Bekundungen des Zeugen Dr. F, habe es sich aber nicht um eine Funktionsänderung gehandelt; vielmehr sei die "Beförderung" der Wettersteiger zu Wetterfahrsteigern aus Anlaß der Tieferlegung der Grube erfolgt, ohne daß sich der Geschäftskreis und die Aufgabe dadurch geändert hätten. Revision wurde zugelassen.
Die Beklagte legte gegen das Urteil Revision ein und trägt vor, bei Anwendung der HaVO sei nicht die Art der verrichteten Tätigkeit entscheidend, sondern die Berufsbezeichnung. Das LSG habe gegen die §§ 103, 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) verstoßen, wenn es aus den Bekundungen des Zeugen Dr. F gefolgert habe, der Kläger hätte als Wetterfahrsteiger auch weiterhin die Funktion eines Wettersteigers ausgeübt, wenn er nicht als Betriebsratsmitglied freigestellt gewesen wäre. Denn der Zeuge habe sich über die Verhältnisse auf der Schachtanlage nur allgemein geäußert, ohne jedoch nähere Angaben machen zu können. Deshalb habe das LSG auf Grund dieser Aussage des Zeugen nicht annehmen dürfen, der Kläger hätte auch nach seiner Ernennung zum Wetterfahrsteiger noch seine frühere Tätigkeit als Wettersteiger verrichtet; vielmehr hätte es darüber noch Ermittlungen anstellen müssen.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des LSG Nordrhein-Westfalen vom 2. November 1961 und des SG Gelsenkirchen vom 30. März 1961 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
II
Die nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthafte Revision ist zulässig, konnte aber keinen Erfolg haben.
Nach § 59 RKG erhöht sich die Bergmannsrente um den Leistungszuschlag, der für jedes Jahr Hauerarbeit unter Tage oder eine dieser gleichgestellten Arbeit gewährt wird. Nach § 59 Abs. 2 in Verbindung mit § 49 Abs. 6 RKG bestimmt der Bundesminister für Arbeit durch Rechtsverordnung den Begriff der Hauerarbeiten unter Tage und der diesen gleichgestellten Arbeiten. Von dieser Ermächtigung hat er durch die HaVO vom 4. März 1958 (BGBl. I, 137) Gebrauch gemacht. Nach § 7 Nr. 2 der Verordnung wird den Hauarbeiten unter Tage die Tätigkeit als Mitglied des Betriebsrates gleichgestellt, wenn der Versicherte bisher eine der in §§ 1 bis 6 HaVO bezeichneten Arbeiten ausgeübt hat und wenn er im Anschluß daran wegen der Betriebsratstätigkeit von diesen Arbeiten freigestellt worden ist. Den Hauarbeiten unter Tage ist nach § 5 Nr. 4 HaVO die Tätigkeit des Wettersteigers, nicht aber die des Wetterfahrsteigers gleichgestellt. Wie das LSG zutreffend bemerkt, könnte bei einer wörtlichen Auslegung des § 7 Nr. 2 HaVO der Leistungszuschlag immer dann gewährt werden, wenn zur Zeit der Freistellung - wie hier - eine der in §§ 1 bis 6 HaVO genannten Tätigkeiten ausgeübt wird, ohne daß es auf die weitere Entwicklung ankäme, insbesondere darauf, ob der Betreffende bei Beendigung seiner Mitgliedschaft im Betriebsrat auch diese Tätigkeit wieder ausüben würde. Dies ist aber nicht mit dem Grundgedanken des § 7 Nr. 2 der HaVO und des § 37 des BetriebsVerfG zu vereinbaren. Denn ein Betriebsratsmitglied soll durch diese Tätigkeit weder benachteiligt werden noch Vorteile ziehen. Deshalb kann eine Anwendung des § 7 Nr. 2 HaVO bei sinngemäßer Auslegung nur in der Form erfolgen, daß der Leistungszuschlag lediglich für die Dauer der Betriebsratstätigkeit gewährt wird, während deren er, ohne Betriebsratsmitglied zu sein, auch seine frühere Tätigkeit ausgeübt hätte. Dagegen kommt die Vorschrift nicht zum Zuge, wenn der Betreffende seine frühere Tätigkeit, z.B. wegen langer Krankheit, überhaupt nicht mehr ausüben könnte. Das gleiche gilt, wenn inzwischen eine Änderung der Verhältnisse eingetreten ist, wenn z.B. infolge Zuweisung einer anderen Tätigkeit oder wegen Umorganisation in dem Betrieb feststände, daß der Betreffende nach Beendigung der Betriebsratstätigkeit nicht mehr seine frühere Arbeit verrichten würde. Hierfür müssen aber konkrete Anhaltspunkte gegeben sein, aus denen sich eindeutig der Schluß ziehen läßt, daß der Betreffende bei Beendigung seiner Tätigkeit nicht mehr seine vor Berufung zum Betriebsrat ausgeübte Beschäftigung verrichten würde.
Dies ist aber nach den Feststellungen des LSG nicht der Fall. Der Zeuge Dr. F hat, worauf das LSG sich stützt, ausgesagt, daß es auf der Zeche Ewald Fortsetzung keine Wettersteiger, sondern nur Wetterfahrsteiger gibt, wobei sich der Aufgabenkreis dieser beiden nicht wesentlich unterscheidet. Diese Wetterfahrsteiger übten aber die bergebehördlich vorgeschriebenen Funktionen des Wettersteigers aus. Es sei allgemein vorherrschende Regel, daß Wettersteiger grundsätzlich im Range eines Wetterfahrsteigers beschäftigt würden. Auch wenn der Zeuge auf die Frage, welche Tätigkeiten der Kläger heute ausüben würde, falls er nicht mehr Mitglied des Betriebsrates wäre, keine genauen Angaben machen konnte, so hat er andererseits doch bekundet, daß der Kläger jederzeit seine frühere Tätigkeit wieder aufnehmen könne. Diese Aussagen des Zeugen werden auch noch erhärtet durch die Abgrenzung des Geschäftskreises des Klägers vom 21. September 1960 und die Auskunft der Arbeitgeberin vom 5. Januar 1961. Unter diesen Umständen konnte das LSG den Sachverhalt für genügend geklärt ansehen; des weiteren liegt seine Schlußfolgerung, der Kläger habe auch bei Wegfall seiner Betriebsratstätigkeit die frühere Tätigkeit wieder aufgenommen, im Rahmen des § 128 SGG.
Weil somit die Angriffe der Beklagten gegen die tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht durchgreifen, ist der Senat nach § 163 SGG an die Feststellungen gebunden, daß der Kläger auch weiterhin seine Tätigkeit als Wettersteiger wieder habe ausführen können. Nach dem Urteil des Senats vom 13. Dezember 1962 - 5 RKn 11/61 - ist zwar zu vermuten, daß ein Versicherter, der eine bestimmte Berufsbezeichnung hat, auch entsprechende Arbeiten verrichtet. Hier ergibt sich aber aus den Feststellungen des LSG, daß der Kläger trotz der Ernennung zum Wetterfahrsteiger auch weiterhin die Tätigkeit eines Wettersteigers ausgeübt hätte, wenn er nicht Betriebsratsmitglied gewesen wäre. Es kommt daher nicht auf die Berufsbezeichnung, sondern auf die tatsächliche Tätigkeit an. Das LSG hat daher dem Kläger zu Recht auch den Leistungszuschlag für die Zeit vom 1. August 1954 bis 30. Juli 1959 zugebilligt.
Die Revision muß deshalb zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 193 SGG.
Fundstellen