Entscheidungsstichwort (Thema)
Politische Diskriminierung. richterliche Rechtsfortbildung
Leitsatz (amtlich)
Berufliche Diskriminierungen als Folge eines politischen Gewahrsams im Gebiet der DDR können keinen Schädigungstatbestand gemäß oder analog § 4 iVm § 1 HHG begründen.
Leitsatz (redaktionell)
Über § 12 HHG kann nicht generell jede politische Verfolgungsmaßnahme einem Gewahrsam iS des § 1 Abs 1 HHG gleichgestellt werden. Solch ein Härteausgleich setzt wie im Versorgungsrecht (§ 89 BVG) eine den gesetzlichen Tatbeständen ähnliche Opferlage voraus. Sie ist ausgeschlossen, wenn eine derartige Sonderleistung mit dem System des Entschädigungsrechts nicht vereinbar wäre.
Orientierungssatz
1. Bei der politischen Problematik der Sozialleistungen aufgrund des HHG, die nicht eindeutig auf dem Aufopferungsgedanken wie die Kriegsopferversorgung beruhen, verstößt die Differenzierung zwischen inhaftiert gewesenen und andersartig politisch unterdrückten Bewohnern der DDR nicht gegen den Gleichheitssatz.
2. Zur gesetzlichen Beschränkung der richterlichen Rechtsfortbildung.
Normenkette
HHG § 1 Abs. 1, § 4 Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 1; HHG § 4 Abs. 3 S. 1, § 12
Verfahrensgang
Tatbestand
Der 1924 geborene Kläger hat eine Bescheinigung nach § 10 Abs 4 Häftlingshilfegesetz (HHG) über einen politischen Gewahrsam in dem in § 1 Abs 1 Nr 1 HHG aufgeführten Gebiet vom 24. September 1965 bis zum 23. Juni 1967. Er war nach seinen Angaben ab 1954 in führenden Stellungen in den Chemie-Werken in L. tätig und verließ die DDR 1977. Im Februar 1978 beantragte er Versorgung nach dem HHG wegen Störungen der Psyche und der Gehirndurchblutung. Er führt diese auf Belastungen während des Gewahrsams und auf extreme Diskriminierungen zurück, denen er, vor allem im Beruf, wegen der politischen Haft bis zu seiner Invalidisierung im Jahre 1973 ausgesetzt gewesen sei. Der Antrag wurde abgelehnt (Bescheid vom 27. April 1979, Widerspruchsbescheid vom 8. November 1979). Das Sozialgericht (SG) hat ein Gutachten nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und ein weiteres von Amts wegen eingeholt und die Klage abgewiesen (Urteil vom 19. November 1982). Der Kläger hat im Berufungsverfahren schriftlich eine weitere Beweiserhebung von Amts wegen und in der mündlichen Verhandlung hilfsweise nach § 109 SGG beantragt. Das Landessozialgericht (LSG) hat seine Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 13. Dezember 1983): Wie schon das SG entschieden habe, seien die der Haft folgenden Diskriminierungen keine Ereignisse, die einen Versorgungsanspruch nach § 4 HHG begründen könnten. Nach den Gutachten seien durch den Gewahrsam iS des § 1 HHG Gesundheitsstörungen beim Kläger (hirnorganisches Psychosyndrom, reaktive Depression und seelische Störung) nicht wahrscheinlich ursächlich beeinflußt worden. Obgleich die Sachverständigen auch nach Folgen der Diskriminierungen in der Zeit nach der Haft gefragt worden seien, hätten sie in ihren Gutachten zwischen Auswirkungen solcher Belastungen und Schädigungen durch den Gewahrsam hinreichend unterschieden. Ein weiteres Gutachten sei weder von Amts wegen noch nach § 109 SGG einzuholen. Für eine zweite Beweiserhebung nach § 109 SGG gäbe es keine neuen Tatsachen. Außerdem sei dieser Antrag nach § 109 Abs 2 SGG zurückzuweisen, weil eine solche Begutachtung die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und weil der Kläger sie aus grober Nachlässigkeit zu spät beantragt habe. Seit der Ladung hätte sein Prozeßbevollmächtigter erkennen müssen, daß keine weitere Beweisaufnahme vorgesehen sei.
Der Kläger rügt mit der - vom LSG zugelassenen - Revision eine Verletzung der §§ 62, 103, 109 und 128 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 SGG. Dem LSG hätte sich aus verschiedenen Gründen eine weitere Beweiserhebung aufdrängen müssen. Es habe außerdem die Grenzen seines Beweiswürdigungsrechts verletzt. Schließlich hätte es ein Gutachten nach § 109 SGG einholen müssen. In sachlich-rechtlicher Hinsicht seien die Diskriminierungen als Folgen der politischen Haft den Gewahrsamseinwirkungen gleichzuachten, notfalls kraft einer Analogie.
Der Kläger beantragt, das Urteil des LSG aufzuheben.
Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers hat insoweit Erfolg, als das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen ist.
Die Rüge des Klägers, das Berufungsgericht habe gegen den § 109 SGG, der auch in zweiter Instanz anwendbar ist (§ 153 Abs 1 SGG), verstoßen, greift durch. Ein weiteres Gutachten hätte nach dieser Vorschrift von der sachlich-rechtlichen Rechtsauffassung des LSG aus eingeholt werden müssen. Das Berufungsurteil, das auf dem Unterlassen einer solchen Beweiserhebung beruht, muß allein wegen dieses Verfahrensfehlers aufgehoben werden.
Eine erneute Begutachtung nach § 109 Abs 1 Satz 1 SGG war deshalb geboten, weil besondere Umstände sie rechtfertigen (BSG SozR Nr 14 zu § 109 SGG). Das gilt auch im zweiten Rechtszug, falls ein Arzt nach dieser Vorschrift schon in der ersten Instanz gehört worden war (BSG SozR Nr 18 zu § 109 SGG). Der Kläger hat in der gebotenen Weise solche besonderen Umstände mit der Revision dargelegt (§ 164 Abs 2 Satz 3 SGG; BSG SozR Nrn 14 und 37 zu § 109 SGG).
Allerdings erscheint die Auffassung des Klägers bedenklich, nach diesem Rechtsmaßstab sei in jedem Fall ein weiterer Antrag gemäß § 109 SGG immer schon dann begründet, wenn nach einer solchen Begutachtung ein Gutachten von Amts wegen mit anderem Ergebnis eingeholt worden war. Jedenfalls waren aber im gegenwärtigen Fall zwei verschiedene Gesichtspunkte eingetreten, die dem Kläger nochmals das Recht aus § 109 Abs 1 Satz 1 SGG verschafften.
Zum einen war der nach dieser Vorschrift benannte und bestellte Sachverständige Prof. Dr. G. gefragt worden, ob bei dem Kläger seit seinem Versorgungsantrag bestehende Gesundheitsstörungen durch die Haft in der DDR und außerdem durch anschließende fünfjährige "Haftfolgediskriminierungen" verursacht wurden; hingegen hat später das LSG, das SG bestätigend, allein Gewahrsamsfolgen für rechtserheblich gehalten. Dem Gutachten durfte das Berufungsgericht nicht ungeachtet dessen mit Sicherheit entnehmen, daß der Sachverständige nicht den geringsten Anteil der festgestellten Gesundheitsstörungen mit Wahrscheinlichkeit allein auf die Haft ursächlich zurückführt, wonach er nicht gefragt worden war (§ 164 Abs 2 Satz 3, § 128 Abs 1 Satz 1 SGG; BSGE 4, 112). Ausgehend von der später maßgeblich gewordenen Rechtsauffassung hätte in medizinischer Hinsicht geklärt werden müssen, ob wahrscheinlich allein schädigende Einwirkungen des Gewahrsams die Gesundheitsstörungen des Klägers im Zustand seit dem Versorgungsantrag haben entstehen lassen oder verschlimmert haben, soweit sie im übrigen schicksalhaft eingetreten oder durch anschließende Diskriminierungen verursacht worden sind. Diese Sachaufklärung ist unterblieben.
Zum anderen soll nachträglich Prof. Dr. G., den der Kläger "zwischenzeitlich" konsultiert hat, eine Reihe von eingehenden Untersuchungen für erforderlich erklärt haben, die bisher nicht vorgenommen wurden. Falls dem LSG dieses Vorbringen für einen weiteren Antrag nach § 109 SGG nicht genügend substantiiert erschienen wäre, hätte es den Prozeßbevollmächtigten des Klägers ergänzend über die Art der für geboten gehaltenen Untersuchungen befragen müssen (§ 106 Abs 1 und 2, § 112 Abs 2 Satz 2 SGG).
Das Berufungsgericht durfte den Beweisantrag auch nicht nach § 109 Abs 2 SGG ablehnen. Nach dieser Vorschrift kann eine gemäß dem Abs 1 beantragte Beweiserhebung verweigert werden, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert würde und wenn der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist. Wie die Revision genügend dargetan hat (BSG SozR Nr 4 zu § 109 SGG), hat das LSG bei seiner Entscheidung, diese Ablehnungsgründe seien gegeben, die seiner Überzeugungsbildung gesetzten Grenzen überschritten (BSGE 2, 258, 261; BSG SozR 1500 § 109 Nr 1). Diese Annahme des Berufungsgerichts wird nicht durch rechtserhebliche Tatsachen gestützt. Eine Verzögerung wäre auch dann eingetreten, falls der Klägers, was das LSG von ihm als ordnungsmäßiges Verhalten erwartete, schon im Schriftsatz vom 10. Oktober 1983, sonst alsbald nach der am 31. Oktober 1983 empfangenen Ladung zum Termin vom 22. November 1983, nicht aber erst in der Verhandlung vom 13. Dezember 1983 eine Beweiserhebung nach § 109 SGG beantragt hätte. Die Prozeßführung des Rechtsanwalts, die der Kläger sich zurechnen lassen muß (§ 73 Abs 3 Satz 2 SGG; BSGE 2, 258, 261), kann außerdem nicht als grob nachlässig gewertet werden. Grundsätzlich mag ein solcher Antrag noch in der mündlichen Verhandlung, dem Kernstück des Sozialgerichtsverfahrens, gestellt werden dürfen (BSGE 2, 255, 258; 7, 218, 221). Allerdings kann es geboten sein, den Antrag vorher schriftlich anzubringen, um eine Verzögerung zu vermeiden, die mit einem solchen Begehren normalerweise verbunden ist (BSG SozR Nrn 17, 24, 29, 40 zu § 109 SGG). Ein im letzten Augenblick vor der Entscheidung erhobener Antrag muß durch einen besonderen Grund gerechtfertigt sein (BSG SozR Nr 40 zu § 109 SGG). Wenn ein Gericht einem Beteiligten zu verstehen gibt, daß es nicht von Amts wegen weitere Beweise erheben wird, muß ein Gutachten nach § 109 SGG in angemessener Zeit beantragt werden, wobei in der Zwischenzeit dem Beteiligten eine medizinische und juristische Beratung ermöglicht sein muß (BSGE 7, 218, 221 f; SozR Nrn 24 und 40 zu § 109 SGG; Kriegsopferversorgung -KOV- 1966, 194 und 195). Im gegenwärtigen Fall hatten vor der mündlichen Verhandlung der Vorsitzende und der Berichterstatter dem Kläger weder auf seine ausführliche Berufungsbegründung noch mit den beiden Ladungen noch auf seinen Schriftsatz vom 11. November 1983 ausdrücklich mitgeteilt, von Amts wegen sollten keine Beweise mehr im vorbereitenden Verfahren erhoben werden. Schon gar nicht hatten sie ihm eine Frist für einen Antrag nach § 109 SGG gesetzt, was in Sozialgerichtsprozessen weithin üblich ist. Der Kläger konnte abwarten, ob der Senat in voller Besetzung der ausführlich begründeten Anregung, ein weiteres Gutachten nach § 103 SGG einzuholen, folgen werde. Zuvor hatte das Gericht darüber zu entscheiden, ob allein Gewahrsamseinwirkungen rechtserheblich sein können, für welche das zutrifft und ob in den vorliegenden Gutachten ein Ursachenzusammenhang mit ihnen hinreichend beurteilt worden war. Dem LSG ist einzuräumen, daß der Rechtsanwalt sich im Zusammenhang mit seinem Schriftsatz vom 11. November 1983 die Frage hätte stellen können, ob er eine Begutachtung durch Prof. Dr. G. wenigstens hilfsweise nach § 109 SGG beantragen solle. Dies mag sich ihm auch aufgedrängt haben. Aber er verletzte nicht gröblich seine prozessuale Sorgfaltspflicht, wenn er bis zu der in der mündlichen Verhandlung über die Beweisfragen zu treffenden Entscheidung wartete (BSG SozR Nr 40 zu § 109 SGG; KOV 1968, 146).
In materiell-rechtlicher Hinsicht haben - entgegen der Ansicht des Klägers - die Vorinstanzen zutreffend allein Schädigungen, die dem politischen Gewahrsam iS des § 1 Abs 1 HHG zuzurechnen sind, als rechtserhebliche Ursachen anspruchsbegründender Gesundheitsstörungen in Betracht gezogen (BVerwGE 60, 343, 348; vgl auch BVerwGE 42, 279, 284 ff, bes 291 ff).
Nach der klaren Regelung des § 4 Abs 1 und 3 Satz 1 HHG (in der hier maßgebenden Fassung seit der Bekanntmachung vom 29. September 1969 -BGBl I 1793-/29. Juli 1971 -BGBl I 1173-) erhält Versorgung gemäß dem Leistungssystem des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) der nach § 1 Abs 1 HHG Berechtigte, der wahrscheinlich infolge eines Gewahrsams der dort bezeichneten Art gesundheitlich geschädigt worden ist. Daß der Kläger zu dem Personenkreis des § 1 Abs 1 HHG gehört, steht aufgrund der nach § 10 Abs 4 Satz 1 ausgestellten Bescheinigung fest (vgl dazu Bundessozialgericht -BSG- 2. März 1983 - 9a RVh 1/82 -; BVerwG Buchholz 412.6 § 10 HHG Nr 12). Unabhängig davon bleiben nach § 10 Abs 4 Satz 2 die Anspruchsvoraussetzungen des § 4 zu prüfen, dh ausschließlich, ob Folgen einer Schädigung durch gewahrsamseigentümliche Verhältnisse (Urteil vom 2. März 1983) beim Kläger bestehen.
Diskriminierungen nach der Haft, die ebenfalls einen politischen Charakter iS des § 1 HHG hatten (vgl dazu BSG SozR 2200 § 1251 Nr 77; BSGE 32, 31, 35 f = SozR Nr 1 zu § 2 HHG), können auch nicht kraft einer Analogie als rechtserhebliche Schadensursachen berücksichtigt werden. Dafür fehlt es an einer Gesetzeslücke, die die Rechtsprechung schließen dürfte und müßte (vgl zu einem anderen Sachverhalt: BVerwGE 12, 220, 224). Eine solche Lücke bestände, falls das Gesetz abweichend von dem ihm zugrunde liegenden Plan die Entschädigungstatbestände unvollständig formuliert hätte. Das ist nicht der Fall. Es ist nicht zu erkennen, daß der Gesetzgeber andere politische Verfolgungs- und Unterdrückungsmaßnahmen als einen Gewahrsam als Entschädigungsursachen ernsthaft in Betracht gezogen, dies jedoch im Gesetzeswortlaut unzureichend zum Ausdruck gebracht hätte.
Schon die volle Bezeichnung des Gesetzes als "Gesetz über Hilfsmaßnahmen für Personen, die aus politischen Gründen außerhalb der Bundesrepublik Deutschland in Gewahrsam genommen wurden" verdeutlicht den Entschädigungsbereich. 1957 stellte der Gesetzgeber einschränkend klar, daß unter "Gewahrsam" in diesem Sinn lediglich "ein Festgehaltenwerden auf engbegrenztem Raum unter dauernder Bewachung" zu verstehen ist (§ 1 Abs 2 Satz 1 idF des Art I Nr 2 des Ersten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des HHG vom 13. März 1957 -BGBl I 165-; § 1 Abs 4 Satz 1 HHG 1969; BSGE 14, 50, 53 = SozR Nr 1 zu § 1 HHG). Die gesetzliche Definition wurde bloß auf einen begrenzten Zustand ohne Gewahrsam ausgedehnt: Ein Festgenommener müßte gegen seinen Willen in ein ausländisches Staatsgebiet verbracht worden sein (§ 1 Abs 2 Satz 2 HHG 1957; § 1 Abs 4 Satz 2 HHG 1969). Dann wird für diesen weiteren Aufenthalt keine fortdauernde Haft gefordert; es genügt, daß - nach einer Festnahme - die Rückkehr in die Heimat verwehrt wird (dazu BVerwG Buchholz 412.6 § 1 HHG Nrn 22 und 24). Die politische Benachteiligung, die im Zwangsaufenthalt in einem anderen Staat liegt, wird kraft einer Fiktion dem Gewahrsam gleichgeachtet. Dann kann ohne solche fiktive Regelung ein anderer Zwangszustand nicht einer anspruchsbegründenden Haft gleichgeachtet werden. Andererseits hat das Gesetz einschränkend eine lagermäßige Unterbringung als Folge einer Arbeitsverpflichtung oder zwecks Abtransports von Vertriebenen und Aussiedlern vom Gewahrsam ausgenommen (§ 1 Abs 3 HHG 1957; § 1 Abs 5 HHG 1969; dazu BVerwG Buchholz 412.6 § 1 HHG Nr 18).
Ein weiterer Punkt in der Gesetzessystematik bestätigt diesen begrenzten Entschädigungsplan. § 3 Buchstabe b HHG ermächtigt die Bundesregierung, über den durch § 1 geschützten Personenkreis hinaus durch eine Rechtsverordnung weitere Gruppen diesen Berechtigten gleichzustellen, soweit die betroffenen Personen aus den in § 1 Abs 1 genannten politischen Gründen durch andere Maßnahmen als einen Gewahrsam gesundheitlich geschädigt worden sind. Damit wird klargestellt, daß sonstige Maßnahmen lediglich dann einen versorgungsrechtlichen Schädigungstatbestand bilden können, wenn dies eine Verordnung ausdrücklich vorschreibt. Durch diese Regelung und durch § 12, worauf am Ende eingegangen wird, wollte der Gesetzgeber den ihm vertrauten Unzulänglichkeiten des HHG Rechnung tragen (BVerwGE 42, 279, 287). Kraft jener gesetzlichen Ermächtigung ist bisher ein Versorgungsanspruch aus § 4 HHG zusätzlich für diejenigen geschaffen worden, die aus politischen Gründen iS des § 1 Abs 1 aus der DDR geflüchtet sind und - allein - "infolge von Maßnahmen zur Verhinderung der Flucht" einen gesundheitlichen Schaden erlitten haben (§ 1 der Verordnung über die Gleichstellung von Personen nach § 3 HHG vom 1. August 1962 -BGBl I 545-; dazu BR-Drucks 104/62). Der Entwurf einer weiteren Verordnung, der nicht die Zustimmung des Bundesrates gefunden hat, sah lediglich eine Gleichstellung für Fluchthelfer vor, soweit sie durch fluchthindernde Maßnahmen gesundheitlich geschädigt wurden (BR-Drucks 421/64), bezog also auch keine beruflichen Diskriminierungen ein. Mit dieser Delegation an zwei üblicherweise am Gesetzgebungsverfahren beteiligte Organe, die Bundesregierung und den Bundesrat, hat der Bundestag eine Ausdehnung von Ansprüchen in einem politisch sehr empfindlichen Bereich verfassungsrechtlich in solcher Weise beschränkt, daß die Gerichte, die einem anderen Bereich der Staatsgewalt angehören, nicht befugt sind, darüber hinaus eine Gesetzeslücke anzunehmen und zu schließen. Dazu können sie wohl aufgrund des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art 3 Abs 1 Grundgesetz -GG-) nach der Art einer Ermächtigung zur gesetzesergänzenden Rechtssetzung wie im Fall der Berufskrankheiten nach § 551 Abs 2 Reichsversicherungsordnung -RVO- (vgl dazu BVerfGE 58, 369, 377 ff = SozR 2200 § 551 Nr 19) als berechtigt und verpflichtet angesehen werden. Dies trifft aber im gegenwärtigen Fall nicht zu. Bei der politischen Problematik der Sozialleistungen aufgrund des HHG, die nicht eindeutig auf dem Aufopferungsgedanken wie die Kriegsopferversorgung beruhen (BSGE 37, 206, 211 = SozR 7190 § 2 Nr 1), verstößt die vom Kläger beanstandete Differenzierung zwischen inhaftiert gewesenen und andersartig politisch unterdrückten Bewohnern der DDR nicht gegen den Gleichheitssatz.
Durch alle diese Regelungen hat das Gesetz die Grenzen des Entschädigungstatbestandes deutlich abgesteckt.
Aus der Entstehungsgeschichte läßt sich nicht entnehmen, daß der Gesetzesplan doch umfassender iS des Klagebegehrens sein könnte.
Weder im Entwurf des Änderungsgesetzes 1957, der zu den zitierten Definitionen des "Gewahrsams" führte (BT-Drucks II/2637), noch im Bericht des Berichterstatters Hermsdorf für den Bundestags-Ausschuß für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen (BT-Drucks II/2888; Bericht in der 177. Sitzung des Bundestages vom 6. Dezember 1956 - S 9851 A bis C, 9852 A), noch in der Aussprache des Bundestages (bes Bundesminister Dr. Dr. Oberländer in der 164. Sitzung vom 11. Oktober 1956 - S 9065 C/D; Abg Petersen, S 9069 D/9070 A; Abg Dr. Maxsein, S 9096 C/D, S 9068 A) klang die Erwägung an, auch für Folgen von politischen Unterdrückungsmaßnahmen außerhalb eines Gewahrsams komme eine Entschädigung in Betracht.
Vielmehr läßt gerade die Entstehungsgeschichte die Einschränkung, die einer Analogie entgegensteht, erklären. Sie läßt den begrenzten Entschädigungsbereich deutlich erkennen. Ungeachtet des allgemeinen politischen Bestrebens, den ins Bundesgebiet kommenden Opfern der kommunistischen Herrschaft in der DDR durch besondere Leistungen zu helfen (Schröcker, Die öffentliche Verwaltung 1963, 455 f), knüpft das HHG rechtlich mit der auf Haftfolgen beschränkten Entschädigung an Vorläufer an, die Sozialleistungen ebenfalls allein wegen eines Gewahrsams in diesem Sinn gewähren, und zwar an das Gesetz über die Unterhaltsbeihilfe für Angehörige von Kriegsgefangenen vom 16. Juni 1950 (BGBl I 204)/30. April 1952 (BGBl I 262), an das Heimkehrergesetz vom 19. Juni 1950 (BGBl I 221)/17. August 1953 (BGBl I 931) und an das Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz vom 30. Januar 1954 (BGBl I 5; vgl dazu BVerwGE 13, 228, 231 ff; 42, 279, 285, 291; Buchholz 451.29, Schornsteinfeger Nr 19; Recht in Ost und West 1960, 203; Zeitschrift für Beamtenrecht 1962, 86). Diese Gesetze sollten für Fälle, die jetzt im HHG geregelt sind und für die sie nicht passen, abgelöst werden (BSG, BVBl 1961, 134). Das ist aus der Begründung, auf die sich der Kläger bezieht (Gesetzesbegründung, BT-Drucks II/1450, Anlage 9 S 5 f und 8), ebenso ersichtlich wie aus dem Bericht der Berichterstatterin Korspeter (98. Sitzung des Bundestages vom 14. Juli 1955 - S 5512 C -). In der Begründung zu § 4 ist ausdrücklich klargestellt, daß die einen Anspruch begründenden Gesundheitsstörungen durch einen "Gewahrsam" verursacht sein müssen (aaO, S 9). Allein die Folgen eines solchen Verlustes der persönlichen Freiheit sind auszugleichen. Dem Gesetzgeber war natürlich die "Diktatur des Proletariats" in der DDR als totalitäre Staatsform bekannt (vgl dazu Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft der DDR -Hg-, Staatsrecht der DDR, 1978, S 34 ff, 69 ff, 107 ff, 137 ff, 165 ff, 181 ff, 190 ff, 203, 255 f, 259 f, 179; Mampel, Das Recht in Mitteldeutschland, 1966, S 52 ff, 92 ff). Er wußte, daß in diesem System viele Bürger auch durch andere Maßnahmen als eine Haft politisch diskriminiert werden. Aber er hat allein den Gewahrsam als eine der möglichen Formen der politischen Unterdrückung zur anspruchsbegründenden Ursache erhoben.
Die Gesetzgebungsorgane, die sich von den Erfahrungen mit nationalsozialistischen Verfolgungen und vom gesetzlichen Ausgleich der durch diese verursachten Schäden leiten ließen (Schröcker, aaO), haben angesichts dieser politischen Lage das Bundesentschädigungsgesetz (vom 18. September 1953 -BGBl I 1387-/ 24. November 1954 -BGBl I 356-/10. August 1955 -BGBl I 506) im Auge gehabt (vgl BSGE 32, 31, 33 f). Indes haben sie aus diesem System keinen der Tatbestände, die politische Nachteile im Beruf entschädigen sollen (§§ 1, 25 ff), erkennbar für das HHG in Erwägung gezogen (BVerwGE 42, 279, 291 f).
Schließlich können berufliche und sonstige Diskriminierungen nach der Haft entgegen der Ansicht des Klägers nicht deshalb als von den §§ 4 und 1 HHG erfaßte Schadensursachen anerkannt werden, weil sie als rechtserhebliche Folgen des Gewahrsams zu werten wären. Nach § 4 Abs 1 sind allein die "gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen" einer durch die Haft erlittenen "gesundheitlichen Schädigung" auszugleichen. Davon werden nicht die Folgen anderer Verfolgungsmaßnahmen, die durch eine vorausgegangene Haft verursacht wurden, erfaßt. Dann kann auch nicht ein Anteil der späteren Gesundheitsstörungen, der wesentlich durch solche berufliche und sonstige diskriminierende Belastungen, jedoch nicht durch einen Gewahrsam herbeigeführt wurde, der Haft gemäß § 4 iVm § 1 zugerechnet werden. Nach der allgemeinen versorgungsrechtlichen Kausalitätsnorm der wesentlichen Bedingung, die auch im Recht der Häftlingshilfe-Entschädigung gilt (BSG SozR 7190 § 4 Nr 1), müssen im Gesetz benannte Gewahrsamseinwirkungen und durch sie bedingte Gesundheitsschädigungen die Ursache sein, dh mindestens eine gleichwertige Mitursache der auszugleichenden Gesundheitsstörungen neben anderen Bedingungen.
Ob dem Kläger ein Ausgleich wegen einer besonderen Härte im Einzelfall nach § 12 HHG gewährt werden kann, ist in diesem Verfahren noch nicht zu entscheiden. Ein solcher Tatbestand ist nicht unabweisbar und eindeutig gegeben und nicht deswegen bereits in diesem Rechtsstreit zu berücksichtigen. Über § 12 HHG kann nicht generell jede politische Verfolgungsmaßnahme einem Gewahrsam iS des § 1 Abs 1 gleichgestellt werden. Solch ein Härteausgleich setzt im Versorgungsrecht gemäß § 89 BVG, woran § 12 HHG anknüpft (Gesetzesbegründung, aaO, S 11), eine den gesetzlichen Tatbeständen ähnliche Opferlage voraus (BSGE 40, 216, 218 = SozR 3100 § 89 Nr 3). Sie ist ausgeschlossen, wenn eine derartige Sonderleistung mit dem System des Entschädigungsrechts nicht vereinbar wäre (BSGE 47,/23,/25 f = SozR 3100 § 89 Nr 7; BSGE 54, 202, 205 = SozR 3850 § 54 Nr 2; SozR 3100 § 89 Nr 8). Das gilt gleichermaßen für eine soziale Entschädigung (§ 5 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil -) nach dem HHG (BVerwGE 42, 279, 290, 292 f; BVerwG Buchholz 412.6 § 12 HHG Nr 3). Der Verwaltung darf nicht das Recht genommen werden, für den Fall des Klägers zu prüfen, ob berufliche Diskriminierungen als eine dem Gewahrsam gleichwertige Opferlage zu beurteilen sind.
Das Berufungsgericht hat auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden.
Fundstellen