Leitsatz (amtlich)
1. Ein körperbehinderter Jugendlicher ist Berufsanwärter iS der AVAVG §§ 39, 46, wenn er sich Ausbildungs- und Förderungsmaßnahmen unterzieht, die mit Aussicht auf Erfolg dahin zielen, ihn für den Eintritt in das Erwerbsleben zu befähigen.
2. Der Verpflichtung der Bundesanstalt für Arbeit, die Kosten für die notwendigen Maßnahmen der Arbeits- und Berufsförderung bei einem Berufsanwärter zu übernehmen, steht nicht entgegen, daß der körperbehinderte Jugendliche zum Zwecke seiner Ausbildung für den späteren Eintritt in das Erwerbsleben in einer Anstalt oder in einem Heim untergebracht ist.
(Weiterentwicklung von BSG 1967-03-15 7 RAr 19/65 = BSGE 26, 155 und SozR Nr 2 zu § 39 AVAVG).
Normenkette
AVAVG § 39 Abs. 2 Fassung: 1957-04-03, Abs. 3 Fassung: 1957-04-03, Abs. 4 Fassung: 1957-04-03, § 46 Abs. 2 Fassung: 1957-04-03
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 31. Mai 1968 und das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 21. Februar 1966 sowie der Bescheid der Beklagten vom 21. Mai 1964 und deren Widerspruchsbescheid vom 23. März 1965 werden aufgehoben, soweit der Kläger für die Zeit vom 1. April 1965 bis 30. September 1967 die Erstattung der notwendigen Ausbildungskosten für den Jugendlichen K-J P begehrt.
Insoweit wird die Beklagte verurteilt, dem Kläger einen neuen Bescheid unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu erteilen.
Im übrigen wird die Revision des Klägers zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Das klagende Land beansprucht von der beklagten Bundesanstalt (BA) die Erstattung der Kosten, die es für die Ausbildung des Jugendlichen K-J P (P.) in der Orthopädischen Heil- und Lehranstalt A.-stift e.V. in H aufgewendet hat.
K-J P. ist am 31. Mai 1947 unehelich geboren. Er leidet an den Folgen frühkindlicher Hirnschädigungen, die sich hauptsächlich in einer Verlangsamung der Motorik der Hände äußern. Überdies ist er leicht gehbehindert. Er hatte die neunte Klasse der Sonderschule in B zu Ostern 1963 mit einem guten Zeugnis abgeschlossen. Seine Beteiligung am Unterricht war gut, jedoch mehr passiv als aktiv. Das A.-stift H empfahl im Mai 1963 eine Ausbildung des Jugendlichen in der Industriewerkstatt der Anstalt und stützte sich hierbei auf eine Beurteilung des Abteilungsarztes Dr. med. K (stellvertretender Landesarzt für Körperbehinderte), der zur Vorbereitung eine intensive beschäftigungstherapeutische Beübung und Behandlung für notwendig erachtete, weil nach der Art der Körperbehinderungen in der freien Wirtschaft keine Chance für den erfolgreichen Abschluß einer Ausbildung bestehe. Nachdem die Dienststellen der Beklagten die Übernahme einer Beteiligung an den Ausbildungskosten abgelehnt hatten, übernahm der Kläger durch das Landessozialhilfeamt B die Kosten der Anstaltshilfe für P., der vom 1. Oktober 1963 an im A.-stift untergebracht und im ersten Halbjahr versuchsweise in der Tischlerei mit Übungs- und kleinen Anfängerarbeiten beschäftigt wurde. Die Leistungen reichten damals für den Abschluß eines Lehrvertrages nicht aus. Eine zweijährige Teilausbildung wurde indessen für möglich gehalten. In diesem Rahmen zeigte P. zunächst ausreichende Leistungen und Fortschritte. Nach einem Motorradunfall, wegen dessen Folgen er die Ausbildung vom 14. September 1964 bis zum 2. Januar 1965 unterbrechen mußte, waren die theoretischen Arbeitsleistungen jedoch mangelhaft, die Fortschritte gering, die praktischen Arbeitsleistungen ausreichend. Bei der Schularbeit bedurfte P. ständiger Aufsicht; er war phlegmatisch und mußte ständig angehalten werden. Am 1. April 1965 wurde ein regelrechtes Lehrverhältnis begründet. Die Leistungen des Jugendlichen lagen dann weiterhin unter dem Durchschnitt. Nach einer Verlängerung der Lehrzeit um ein halbes Jahr legte P. im September 1967 die Gesellenprüfung als Tischler mit der Note "befriedigend" im theoretischen und mit "ausreichend" im praktischen Teil ab. Er wurde am 30. September 1967 aus dem A.-stift entlassen. Vom 9. bis zum 13. Oktober 1967 war P. als Tischler bei einem Arbeitgeber in S beschäftigt. Er wurde entlassen, weil seine Leistungen nicht ausreichten. Fortan war er arbeitslos.
Am 18. Februar 1964 hatte P. durch seine Mutter auf Veranlassung des Landessozialhilfeamtes B die Gewährung einer Berufsausbildungsbeihilfe bei der Beklagten beantragt. Diese lehnte den Antrag ab; sie sei nach den Richtlinien ihres Verwaltungsrates für die Gewährung der Berufsausbildungsbeihilfen dann nicht zuständig, wenn der Auszubildende nach den Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) in einer Anstalt untergebracht worden sei (Bescheid vom 21. Mai 1964). Der Widerspruch hiergegen wurde zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 23. März 1965). Der Sozialhilfeträger ließ der Beklagten am 25. März 1965 eine Überleitungsanzeige nach § 90 BSHG zugehen.
Gegen den Widerspruchsbescheid hat P., gesetzlich vertreten durch seine Mutter B T, Klage vor dem Sozialgericht (SG) Braunschweig erhoben und sein Beihilfebegehren auf § 39 Abs. 3 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) und auf die Richtlinien des Verwaltungsrates der Bundesanstalt über die Gewährung von Berufsausbildungsbeihilfen gestützt. Auf Anregung des SG ist das zunächst beigeladene Land Niedersachsen, vertreten durch den Präsidenten des Verwaltungsbezirks B - Landessozialhilfeamt -, unter Ausscheiden des Klägers P. als neuer Kläger in den Rechtsstreit eingetreten.
Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 21. Februar 1966). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 31. Mai 1968). Nach seiner Auffassung war P. zur Zeit seiner Einweisung in das Annastift weder Arbeitsuchender noch Berufsanwärter im Sinne des § 39 AVAVG. Er sollte - so hat das LSG ausgeführt - wegen seiner aus den Hirnschädigungen herrührenden körperlichen Behinderung zunächst durch eine intensive beschäftigungstherapeutische Beübung und Behandlung für eine Arbeit oder ein Lehrverhältnis erst einmal vorbereitet werden. Diese medizinisch bedingten und bestimmten Maßnahmen stellten aber grundsätzlich keine Vermittlungsaufgabe der BA dar, sondern sollten die Möglichkeit einer späteren Arbeitsvermittlung vorbereiten. Aber auch nach Begründung eines regulären Lehrverhältnisses in der Anstalt vom 1. April 1965 an habe die medizinische Betreuung den wesentlichen Faktor bei dem Aufenthalt des Jugendlichen im A-stift gebildet, der seinem Leistungsvermögen nach überhaupt nicht vermittlungsfähig gewesen sei. Deswegen habe P., für den überdies niemals ein Arbeitsgesuch vorgelegen habe, keinen Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfen oder Förderungsmaßnahmen nach dem AVAVG. Im übrigen liege kein Ermessensfehler vor, wenn sich die Arbeitsverwaltung an die in den §§ 131 bis 135 AVAVG erlassenen Richtlinien des Verwaltungsrates der BA (Fassung vom 9. März 1956 - BABl 1957, 276) gehalten habe, in denen unter Ziffer 4 Buchst. c bestimmt sei, daß eine Berufsausbildungsbeihilfe nicht gewährt wird, wenn der Auszubildende auf Grund von Bestimmungen des BSHG in einer Anstalt, in einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung untergebracht ist.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Der Kläger hat form- und fristgerecht Revision eingelegt und beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des LSG vom 31. Mai 1968 und des Urteils des SG vom 21. Februar 1966 sowie des Bescheides vom 21. Mai 1964 und des Widerspruchsbescheides vom 23. März 1965 die Beklagte zu verurteilen, einen neuen Bescheid unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu erteilen.
Zur Begründung führt der Kläger im wesentlichen aus: Das LSG habe verkannt, wer als "Arbeitsuchender" und "Berufsanwärter" im Sinne des § 39 Abs. 3 und 4 AVAVG anzusehen sei. Hierzu müßten auch Personen gerechnet werden, die vor den Ausbildungsmaßnahmen nicht im Erwerbsleben gestanden hätten und bei denen die Unterbringung auf dem Ausbildungsstellenmarkt wie auch die spätere Arbeitsvermittlung wegen ihrer körperlichen Behinderung Schwierigkeiten bereite. Ob jemand für Förderungsmaßnahmen im Sinne des § 39 AVAVG in Frage komme, richte sich danach, ob eine Rehabilitationsmaßnahme voraussichtlich Erfolg haben werde. Dies sei bei P. zu bejahen gewesen. Überdies sei er nicht nur rehabilitationsfähig, sondern auch rehabilitationsbereit gewesen. Daß für diesen Jugendlichen kein förmliches Arbeitsgesuch gestellt worden sei, schließe den Anspruch auf berufliche Förderung nicht aus; denn jedenfalls habe seine Mutter mit ihrem Antrag auf Übernahme der Berufsausbildungskosten vom 18. Februar 1964 deutlich gemacht, daß er ernsthaft die Ausbildung für einen Arbeitsplatz angestrebt habe.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für zutreffend. Ihre Pflicht zur Kostentragung beschränke sich gemäß § 39 Abs. 3 AVAVG - so meint sie - bei Berufsanwärtern auf Maßnahmen, die den Ausbildungswilligen an ein marktübliches Ausbildungsverhältnis heranführen. Bei P. sei indessen nur eine heimgebundene Ausbildung in Betracht gekommen, weil durch seine schwere Körperbehinderung die Fähigkeit, eine Ausbildung unter den Bedingungen des Ausbildungsstellenmarktes zu durchlaufen, dauernd aufgehoben gewesen sei. Die bei ihm während seines Heimaufenthaltes angewendeten Ausbildungs- und Förderungsmaßnahmen hätten überwiegend seiner Rehabilitation mit medizinischen Merkmalen und Zielen gedient. Folglich sei er nicht Berufsanwärter im Sinne des § 39 Abs. 3 AVAVG gewesen. Wolle man den Förderungsanspruch aber nach der mutmaßlichen Arbeitsuchenden-Eigenschaft des Behinderten nach Abschluß der heimgebundenen Berufsausbildung beurteilen, so könnte als Indiz für dieses Ausbildungsergebnis keinesfalls die ärztliche Befürwortung der Ausbildung ausreichen.
II
Die Revision des Klägers ist zulässig und statthaft. Sie ist auch zu einem großen Teil begründet.
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, gemäß § 39 Abs. 3 i.V.m. § 139 AVAVG und den hierzu ergangenen Vorschriften des Verwaltungsrates der BA vom 27. März 1958 (BABl 1958, 609) die Kosten für die Ausbildungsmaßnahmen des Jugendlichen P. im A.-stift in H zu tragen. Es handelt sich hierbei um einen Erstattungsanspruch des Sozialhilfeträgers gegen den Träger der Arbeitslosenversicherung, also um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit im Sinne des § 51 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), für deren Geltendmachung, wie das Bundessozialgericht (BSG) in ständiger Rechtsprechung entschieden hat (vgl. BSG 26, 155; SozR zu § 39 AVAVG Nr. 2), der Rechtsweg vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gegeben ist.
Ausgangspunkt der Rechtsfindung ist § 39 AVAVG. Nach Abs. 3 dieser Vorschrift hat die Beklagte, soweit zur Eingliederung von Arbeitsuchenden und Berufsanwärtern Maßnahmen zur Erhaltung, Besserung und Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit geistig oder körperlich behinderter Personen erforderlich werden, die notwendigen Maßnahmen der Arbeits- und Berufsförderung zu veranlassen. Die Beklagte kann derartige Maßnahmen selbst durchführen; sie kann ferner Einrichtungen, die Maßnahmen zur Erhaltung, Besserung und Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit durchführen, durch Darlehen und Zuschüsse fördern. § 39 Abs. 4 AVAVG regelt hierbei das Zusammenwirken mit anderen Leistungsträgern. Somit bestimmt das Gesetz einmal den Personenkreis (Arbeitsuchende und Berufsanwärter), der von der Beklagten betreut werden soll, zum anderen die Aufgaben, die ihr im Rahmen der beruflichen Rehabilitation zufallen. Die Absätze 3 und 4 des § 39 AVAVG ziehen die Folgerungen aus Abs. 2, der das Gebot enthält: "Bei der Arbeitsvermittlung hat die Bundesanstalt die besonderen Verhältnisse der Arbeitsuchenden, deren Unterbringung unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes erschwert ist, gebührend zu berücksichtigen." Der erkennende Senat hat bereits in seinem Urteil vom 15. März 1967 (BSG 26, 155 ff) entschieden, daß die notwendigen Maßnahmen der Arbeits- und Berufsförderung bei geistig oder körperlich behinderten Arbeitsuchenden Pflichtleistungen der Beklagten sind (§ 39 Abs. 3 und 4 AVAVG), sofern auf Grund gesetzlicher Vorschriften nicht anderweit hierfür ein Kostenträger vorrangig zuständig ist. Diese Pflichtleistungen können deshalb auch nicht durch Richtlinien oder Durchführungsvorschriften des Verwaltungsrates der beklagten Bundesanstalt außer Kraft gesetzt oder abgeändert werden, wie der erkennende Senat ebenfalls schon entschieden hat, und zwar in seinem Urteil vom 17. April 1969 - 7 RAr 37/68 -. Gemäß § 46 Abs. 2 AVAVG gilt § 39 Abs. 2 und 4 AVAVG entsprechend für jede Tätigkeit, die auf das Zustandekommen von beruflichen Ausbildungsverhältnissen gerichtet ist. Insoweit sind daher Berufsanwärter den Arbeitsuchenden gleichgestellt, ohne daß es darauf ankommt, ob ein typisches Lehr- oder Anlernverhältnis vorliegt. Mithin ist im vorliegenden Fall von entscheidender Bedeutung, ob P. als Berufsanwärter zu gelten hat. Berufsanwärter im Sinne des AVAVG (§ 39 Abs. 3, § 46 Abs. 1 Satz 2) ist grundsätzlich jede Person, die einen Beruf ernsthaft anstrebt. Ein körperbehinderter Jugendlicher ist Berufsanwärter i.S. der §§ 39 und 46 AVAVG, wenn er sich Ausbildungs- und Förderungsmaßnahmen unterzieht, die mit Aussicht auf Erfolg dahin zielen, ihn für den Eintritt in das Erwerbsleben zu befähigen (BSG SozR Nr. 2 zu § 39 AVAVG).
Nach den im Berufungsurteil enthaltenen Feststellungen, daß P. nach seiner Einberufung in das A-stift am 1. Oktober 1963 zur beschäftigungstherapeutischen Beübung und Behandlung im Wege der Anstaltshilfe zunächst für mindestens ein halbes Jahr versuchsweise in der Tischlerei mit Übungs- und kleinen Anfängerarbeiten beschäftigt wurde, daß seine Leistungen für den Abschluß eines Lehrvertrages nicht ausreichten und daß weiterhin die theoretischen und praktischen Arbeitsleistungen mangelhaft bis ausreichend sowie die Fortschritte gering waren, wobei er bei der Schularbeit ständiger Aufsicht bedurfte, kann der Jugendliche für die Dauer seines Anstaltsaufenthalts bis einschließlich 31. März 1965 nicht als Berufsanwärter im Sinne des AVAVG gelten. Vielmehr handelt es sich für diesen Zeitabschnitt sachlich und rechtlich um ein medizinisch und heilpädagogisch gestaltetes Pflege-, Erziehungs- und Schulungsverhältnis im Sinne der Eingliederungshilfe für Behinderte nach §§ 39 und 40 BSHG. Hierfür ist die Beklagte - jedenfalls unter der Geltung der Vorschriften des AVAVG - nicht leistungspflichtig.
Anders ist die Rechtslage für die folgende Zeit zu beurteilen. Nach den unangegriffenen und daher bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG wurde am 1. April 1965 für P. ein regelrechtes Lehrverhältnis begründet, das er - wenn auch nach einer Verlängerung der Lehrzeit um ein halbes Jahr - im September 1967 mit der Gesellenprüfung abschloß, wobei er im theoretischen Teil die Note "befriedigend", im praktischen Teil die Note "ausreichend" erhielt. Nach seiner Entlassung aus dem A-stift am 30. September 1967 hat P. tatsächlich auch in einem privaten Betrieb eine Arbeitsstelle als Tischler angetreten, von der er allerdings wegen unzulänglicher Leistungen bald wieder entlassen worden ist.
Durch seinen Eintritt in das mehrjährige Lehrverhältnis und durch dessen Abschluß mit dem Bestehen der Gesellenprüfung ist erwiesen, daß P. ernsthaft gewillt war, den Zugang zu einer angemessenen Arbeitsstelle zu erlangen. Der spätere Verlust seines ersten Arbeitsplatzes als Tischler widerlegt auch nicht etwa, daß er nach seinem vorhandenen oder zu erwartenden Leistungsvermögen geeignet war, in eine berufliche Arbeitstätigkeit eingegliedert zu werden. Abgesehen von dem Beruf eines Handwerkers, der gesteigerten Ansprüchen ausgesetzt ist, gibt es in der gewerblichen Wirtschaft nämlich noch vielfältige Arbeitsgelegenheiten mit geringeren Anforderungen, (z.B. als ungelernter oder angelernter Arbeiter), für die ein solcher Jugendlicher der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht. Jedenfalls hat P. für die Dauer seiner Lehrzeit die vom Senat als entscheidend für die Arbeits- und Berufsförderung nach dem AVAVG bewertete Voraussetzung (vgl. BSG SozR Nr. 2 zu § 39 AVAVG) erfüllt: Er hat sich Ausbildungs- und Förderungsmaßnahmen unterzogen, die mit Aussicht auf Erfolg dahin zielten, ihn für den Eintritt in das Erwerbsleben (allgemeiner Arbeitsmarkt) zu befähigen. Folglich ist er Berufsanwärter im Sinne der §§ 39 und 46 AVAVG. Das entspricht überdies den in den Vorschriften des Verwaltungsrates der beklagten Bundesanstalt vom 27. März 1958 (BABl. 1958, 609) zur Durchführung von Maßnahmen der Arbeits- und Berufsförderung behinderter Personen enthaltenen Grundsätzen (vgl. Abschnitte I bis III). Da die Beklagte über die in Aussicht genommene Berufsausbildung des Jugendlichen durch das Beihilfegesuch seiner Mutter vom 18. Februar 1964 unterrichtet war, ist sie nicht etwa bewußt oder gewollt bei den Ausbildungs- und Förderungsmaßnahmen ausgeschaltet worden. Eines förmlichen Gesuchs um Vermittlung einer Lehr- oder Ausbildungsstelle gegenüber dem Arbeitsamt bedarf es nach der Rechtsprechung des Senats hierbei nicht (vgl. Urteil vom 17. April 1969 aaO). Das Unvermögen des Jugendlichen P. und seiner Mutter, die Kosten der während seiner Lehrzeit anfallenden Ausbildungs- und Förderungsmaßnahmen selbst zu tragen, ergibt sich bedenkenfrei aus der Tatsache, daß der Träger der Sozialhilfe nach Prüfung und Bejahung der Bedürftigkeit jene Kosten übernommen hat.
Nach alledem hat die Beklagte die notwendigen Kosten für die Berufsausbildung des körperbehinderten P. während seiner Lehrzeit vom 1. April 1965 bis zum 30. September 1967 als Pflichtleistung nach §§ 39 und 46 AVAVG zu tragen. Dieser gesetzlichen Verpflichtung steht nicht entgegen, daß der Jugendliche für jene Zeitdauer zum Zwecke seiner Ausbildung für den späteren Eintritt in das Erwerbsleben in einer Anstalt - hier dem A.-stift - untergebracht war. Die Vorschriften der §§ 39 und 46 AVAVG setzen nicht voraus, daß die Ausbildung eines Berufsanwärters auf marktüblichen Ausbildungsplätzen geschieht. Sie enthalten andererseits auch nicht den Tatbestand einer Anstalts- und Heimausbildung. § 46 Abs. 2 AVAVG bestimmt aber ausdrücklich, daß für Berufsanwärter u.a. § 39 Abs. 2 AVAVG entsprechend gilt. Dessen Grundsatz, daß die Bundesanstalt die besonderen Verhältnisse von Personen gebührend zu berücksichtigen hat, deren Unterbringung unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes erschwert ist, ist folglich so anzuwenden, daß auch durch Ausbildung in einer geschlossenen Anstalt die gesetzlichen Voraussetzungen für Beihilfen erfüllt werden. Der Verwaltungsrat der Beklagten konnte und kann das Gesetz nicht durch Verwaltungsvorschriften (hier: Richtlinien für die Gewährung von Berufsausbildungsbeihilfen idF vom 9. März 1956 - BABl 1957 S. 276 ff -) dahin einengen, daß eine Ausbildungs- und Berufsförderung bei Anstaltsunterbringung entfällt. Dafür, daß eine solche Tendenz zum Ausschluß einer Arbeits- und Berufsförderung Behinderter bei Anstalts- oder Heimunterbringung auch für die Zukunft vom Gesetzgeber abgelehnt wird, ist bemerkenswert, daß eine inhaltsgleiche Bestimmung im Entwurf eines Arbeitsförderungsgesetzes (damals: § 36 Abs. 2 AFG-Entwurf-Bundestags-Drucks. V/1410) bereits bei den Ausschußberatungen gestrichen wurde und in die geltende Fassung des neuen AFG (jetzt: § 57 AFG vom 25. Juni 1969 - BGBl I, 582 ff -) nicht aufgenommen worden ist.
Art und Umfang der notwendigen Maßnahmen bei der Ausbildungs- und Berufsförderung liegen allerdings im pflichtgemäßen Ermessen der beklagten Bundesanstalt (§ 39 Abs. 3 AVAVG). Es ist deshalb ausgeschlossen, daß die Beklagte unmittelbar zu einer bestimmten Leistung verurteilt wird. Sie hat im Rahmen ihres Ermessens, aber unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats, neuerdings zu prüfen, in welchem Ausmaß die Förderung des Jugendlichen P. als Berufsanwärter für die Dauer seiner Lehrzeit geboten war. Die Beklagte muß hierüber dem Kläger einen neuen Bescheid erteilen, da dieser den Anspruch des Jugendlichen nach § 90 BSHG auf sich übergeleitet hat.
Hinsichtlich der Zeit vor dem 1. April 1965 war die Revision des Klägers zurückzuweisen, weil dem Jugendlichen P. insoweit ein Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfen oder Förderungsmaßnahmen nach dem AVAVG nicht zusteht.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 Abs. 4 SGG.
Fundstellen