Entscheidungsstichwort (Thema)
Kürzung des Honorars eines zur Kassenpraxis zugelassenen Zahnarztes
Normenkette
SGG § 123; RVO § 368g Abs. 2, § 368n Abs. 4-5
Tenor
Auf die Revisionen der Beigeladenen zu 1) und zu 2) wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 29. November 1972 aufgehoben, soweit es der Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Main) vom 2. Februar 1972 stattgegeben hat. Insoweit wird der Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten in diesem Rechtszuge noch darüber, ob das Honorar des Klägers, eines zur Kassenpraxis zugelassenen Zahnarztes, im Jahre 1968 für vier 1966 abgerechnete Quartale (IV/65 bis III/66) gekürzt werden durfte.
Mit Bescheid vom 3. April 1968 kürzte ein Prüfungsausschuß der beigeladenen Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZÄV) das Honorar des Klägers in den Leistungssparten Mundbehandlung und Zahnsteinentfernung, soweit die abgerechneten Leistungen 120 bzw. 150 v.H. des Landesdurchschnitts überstiegen, insgesamt um 3.462,00 DM. Er bezog dabei auf Antrag der beigeladenen Landesverbände der Krankenkassen nicht nur das gerade abgerechnete Quartal, sondern auch die vorangegangenen - bis zurück zum Quartal IV/65 - in die Wirtschaftlichkeitsprüfung ein. Der Widerspruch des Klägers wurde mit Bescheid vom 3. Februar 1969 zurückgewiesen.
Seine Klage hatte insofern Erfolg, als das Sozialgericht (SG) die Kürzung bei den Mundbehandlungen auf den Betrag beschränkte, der 160 v.H. des Landesdurchschnitts überstieg; im übrigen wurde die Klage abgewiesen (Urteil vom 2. Februar 1972). Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) die Einbeziehung der streitigen Quartale in das Prüfungsverfahren für rechtswidrig erklärt: Soweit § 3 Abs. 2 der Prüfungsordnung die Ausdehnung der Wirtschaftlichkeitsprüfung auf die jeweils letzten acht Quartalsabrechnungen gestatte, gelte dies nur für solche Quartale, für die die dem Kassenzahnarzt erteilten Honorarbescheide noch nicht bindend geworden seien; eine Einbeziehung früherer Quartale (hier: der vor IV/66 liegenden) würde gegen § 77 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) verstoßen, den die Prüfungsordnung - als eine später erlassene Verwaltungsregelung - nicht habe außer Kraft setzen können (Urteil vom 29. November 1972).
Die beigeladenen Landesverbände der Orts- und der Betriebskrankenkassen haben die zugelassene Revision eingelegt. Sie rügen, das LSG habe den Normcharakter der genannten Bestimmung der Prüfungsordnung verkannt; soweit diese die nachträgliche Einbeziehung früherer Abrechnungsquartale in das Prüfungsverfahren zulasse, trete eine Bindung der Beteiligten im Sinne des § 77 SGG an die Honorarbescheide nicht ein; die Bescheide ergingen insoweit unter dem stillschweigenden Vorbehalt ihrer Überprüfbarkeit. Die Beigeladenen beantragen, die Berufung des Klägers unter entsprechender Änderung des Berufungsurteils in vollem Umfange zurückzuweisen.
Die beigeladene KZÄV beantragt, die Revisionen als unbegründet zurückzuweisen. Ihrer Ansicht nach richtet sich die fragliche Bestimmung der Prüfungsordnung nur an die KZÄV und die Krankenkassen; sie könne deshalb nicht eine im Verhältnis zwischen der KZÄV und dem Kassenzahnarzt eingetretene Bindung aufheben. Außerdem ermächtige sie nicht "unmißverständlich" , wie es nach dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung erforderlich wäre, zu einer rückwirkenden Änderung von Honorarbescheiden.
Die anderen Beteiligten haben sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.
II
Die Revisionen der beigeladenen Krankenkassenverbände sind zulässig und begründet.
Die Beigeladenen zu 1) bis 3) hatten für Krankenkassen, deren wirtschaftliche Interessen berührt waren, Anträge auf Überprüfung der Behandlungsweise des Klägers gestellt; sie waren deshalb an dem Prüfungsverfahren beteiligt (§§ 20 Abs. 6, 22 Abs. 6 des Bundesmantelvertrags für Zahnärzte - BMV-Z - vom 2. Mai 1962, in Kraft seit 1. Juni 1962; § 9 Abs. 1 der Verfahrensordnung gemäß § 22 Abs. 6 BMV-Z, Anlage 4 zum BMV-Z). Als Beteiligte des Prüfungsverfahrens und "Interessenvertreter" der Krankenkassen sind sie zum gerichtlichen Verfahren beigeladen worden (§ 75 SGG). Soweit das angefochtene Urteil die von ihnen vertretenen Krankenkassen beschwert, sind auch sie zur Anfechtung des Urteils berechtigt (vgl. BSG 26, 170, 171, wo in einem Ersatzkassenfall außer den einzelnen betroffenen Kassen auch ihr Verband, obwohl "als solcher" nicht beschwert, für anfechtungsberechtigt gehalten worden ist).
Das LSG hat auf die Berufung des Klägers das Urteil des SG und die Bescheide der Prüfungsinstanzen "abgeändert, soweit eine Honorarkürzung für die Quartale IV/65 bis III/66 ausgesprochen worden ist" . Das LSG hat damit, wie sich zwar nicht aus dem Tenor, aber aus den Gründen seines Urteils ergibt, die in den Prüfungsbescheiden erfolgte Honorarkürzung für die genannten Quartale in vollem Umfange aufgehoben. Dies war nach den vom Kläger gestellten Berufungsanträgen - er hatte nur beantragt, ihm "für die Quartale IV/65 bis III/66 auf die beanstandeten Leistungen ... Toleranzen von je 100 % auf den Landesdurchschnitt zu gewähren" - nicht unbedenklich, da auch im sozialgerichtlichen Verfahren die Gerichte grundsätzlich nur über die erhobenen Ansprüche zu entscheiden haben, wobei sie an die Fassung der Anträge allerdings nicht gebunden sind (§ 123 SGG). Diese Bedenken können hier jedoch auf sich beruhen, wie auch die weiteren Fragen, ob das LSG insofern das sachliche Recht oder das Verfahrensrecht verletzt hat und ob ein etwaiger Verfahrensfehler vom Senat nur auf Rüge oder von Amts wegen zu beachten wäre (vgl. dazu SozR Nr. 15 zu § 123 SGG). Die Entscheidung des LSG kann schon aus anderen Gründen nicht bestehen bleiben. Entgegen seiner Ansicht durften auch die Honorarabrechnungen für die streitigen Quartale noch in die 1968 beim Kläger durchgeführte Wirtschaftlichkeitsprüfung eingezogen werden.
Das ist geschehen aufgrund § 3 Abs. 2 der - gemäß § 22 Abs. 6 des BMV-Z als dessen Anlage 4 von den Vertragspartnern vereinbarten - Verfahrens Ordnung für die Wirtschaftlichkeitsprüfung (Prüfungsordnung). Danach können Prüfungsanträge der Krankenkassen oder ihrer bevollmächtigten Verbände höchstens für die jeweils letzten acht den Krankenkassen vorliegenden Quartalsabrechnungen gestellt werden. Ob die Vertragspartner des BMV-Z, die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) und die Bundesverbände der gesetzlichen Krankenkassen, diese Regelung schon aufgrund der Ermächtigung in § 368 g Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) haben treffen können - danach haben die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Krankenkassen Gesamtverträge "über die kassenärztliche Versorgung" zu schließen (Satz 1) und die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen mit den Bundesverbänden der Krankenkassen den "allgemeinen Inhalt" der Gesamtverträge in Bundesmantelverträgen zu vereinbaren (Satz 2) -, kann offenbleiben. Eine ausreichende Ermächtigung enthält jedenfalls § 368 n Abs. 5 RVO: Wird die Gesamtvergütung gemäß § 368 f Abs. 3 RVO nach Einzelleistungen berechnet, so bleiben die Zusammensetzung der Ausschüsse und das Verfahren hinsichtlich des Nachweises und der Prüfung der einzelnen Leistungen der Ärzte einer Vereinbarung zwischen den Vertragspartnern vorbehalten.
Im Bereich der kassenzahnärztlichen Versorgung wird die Gesamtvergütung schon seit Jahren nach Einzelleistungen berechnet, so daß die Regelung des Prüfungsverfahrens - unabhängig von der gesetzlichen Ordnung in § 368 n Abs. 4 RVO - allein Sache der Beteiligten ist. Zur Regelung des Prüfungsverfahrens gehört es auch, wenn den Krankenkassen besondere, in § 368 n Abs. 4 RVO nicht vorgesehene Mitwirkungsrechte eingeräumt werden, sei es hinsichtlich der Beschlußfassung in den Prüfungsinstanzen (vgl. dazu BSG 21, 237 und 26, 16), sei es, wie hier, hinsichtlich der Stellung von eigenen Prüfungsanträgen (§ 20 Abs. 6 BMV-Z) und der dabei einzuhaltenden Fristen (§ 3 Abs. 2 der Prüfungsordnung). Mit diesen aufgrund der gesetzlichen Ermächtigung in § 368 n Abs. 5 RVO getroffenen Regelungen setzen die Vertragspartner für die ihrer Rechtsetzungsmacht unterworfenen verbindliche Normen; das gilt auch für die in den Bundesmantelverträgen der Spitzenverbände - einschließlich ihrer Anlagen - enthaltenen Bestimmungen (vgl. dazu BSG 29, 254 mit näherer Begründung).
Soweit § 3 Abs. 2 der Prüfungsordnung Prüfungsanträge der Krankenkassen auf die letzten acht ihnen vorliegenden Quartalsabrechnungen beschränkt ( "höchstens" ), bezweckt er offenbar, die Krankenkassen im übrigen, d.h. für weiter als acht Quartale zurückliegende Abrechnungen, an die den, Kassenzahnärzten erteilten und, wie das LSG festgestellt hat, auch den Krankenkassen mitgeteilten Honorarbescheide zu binden. Daß dies keineswegs selbstverständlich ist, hat der Senat im Urteil vom 18. Februar 1970 (BSG 31, 23) näher ausgeführt. Danach ist nämlich zu unterscheiden zwischen dem Rechtsverhältnis der Krankenkassen zur K(Z)ÄV - Entrichtung der Gesamtvergütung - auf der einen Seite und dem der K(Z)ÄV zu ihren Mitgliedern - Verteilung der Gesamtvergütung - auf der anderen Seite. Wegen dieser Trennung der beiden Rechtskreise sind die Krankenkassen an die von der K(Z)ÄV erteilten Honorarbescheide grundsätzlich nicht gebunden. Das gilt indessen, wie der Senat in dem genannten Urteil betont hat, nur "vorbehaltlich anderweitiger vertraglicher Regelungen" (vgl. Leitsatz 1). Solche Hegelungen sind insbesondere deswegen zweckmäßig, weil bei einer Vergütung nach Einzelleistungen die K(Z)ÄV wirtschaftlich nur noch Zahlstelle für die von den Krankenkassen zu vergütenden Leistungen der Kassen(zahn)ärzte ist, das von ihr zu verteilende Honorar sich daher mit der von den Krankenkassen an sie zu entrichtenden Gesamt Vergütung decken muß. Diese Kongruenz ist letztlich nur zu erreichen, wenn auch die Krankenkassen an die Honorarbescheide gebunden sind, soweit sie den Kassen(zahn)ärzten gegenüber nicht mehr geändert werden können (vgl. dazu BSG 31, 23, 28 f).
Auf der anderen Seite erfordert das Interesse der Krankenkassen an einer möglichst gründlichen Vorbereitung der Wirtschaftlichkeitsprüfung, daß die Frist für die Stellung von Prüfungsanträgen nicht zu kurz bemessen ist. Wenig sachgemäß wäre es allerdings, wenn diesem Interesse nur dadurch Rechnung getragen würde, daß den Honorarbescheiden keine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt würde, um so die "Anfechtungsfrist" und damit den Eintritt der Bindungswirkung zeitlich hinauszuschieben (vgl. § 66 Abs. 2 SGG). Angemessener ist eine Vorschrift, die - wie § 3 Abs. 2 der fraglichen Prüfungsordnung - die Antragsfrist ausdrücklich regelt (zu einer ähnlichen "autonomen Sonderregelung" für die Frist zur Einlegung des Widerspruchs gegen einen Prüfungsbescheid nach dem Arzt-Ersatzkassenvertrag vgl. BSG 17, 89, 94).
Soweit hiernach die Krankenkassen für zurückliegende Abrechnungsquartale noch eine Wirtschaftlichkeitsprüfung beantragen können, muß, wenn die Bestimmung einen Sinn haben soll, auch eine nachträgliche Kürzung des Honorars, das die KZÄV dem betroffenen Kassenzahnarzt im Honorarbescheid zugebilligt hat, zulässig sein. Andernfalls hätte die Kürzung, wie die Revisionskläger mit Recht ausführen, entweder für die Zahlungspflichtigen Krankenkassen überhaupt keine Bedeutung oder der Kürzungsbetrag müßte auf alle an der Honorarverteilung beteiligten Kassenzahnärzte umgelegt werden, ein Ergebnis, das die Vertragspartner kaum gewollt haben können. Nicht zu übersehen ist dabei allerdings, daß eine nachträgliche, u.U. auf acht Abrechnungsquartale ausgedehnte Wirtschaftlichkeitsprüfung zu Honorarkürzungen führen kann, mit denen die Betroffenen nicht mehr gerechnet haben, die im Einzelfall sogar eine gewisse Härte für sie bedeuten mögen. Diese Nachteile haben die Partner des BMV-Z indessen bei der Reglung des Prüfungsverfahrens in Kauf genommen, offenbar um den Krankenkassen ausreichend Zeit zur sachgemäßen Vorbereitung von Prüfungsanträgen zu geben und sie insbesondere - im Interesse aller Beteiligten, auch der Kassenzahnärzte selbst - nicht zu nötigen, lediglich vorsorglich Prüfungsanträge zu stellen. Im übrigen sind die in den Gesamt- und den Mantelverträgen getroffenen vertraglichen Bestimmungen über die kassenärztliche Versorgung für den einzelnen Kassenarzt ohne weiteres "verbindlich" (§ 368 a Abs. 4 RVO); ihnen unterwirft sich der Kassenarzt mit der von ihm beantragten Zulassung zur Kassenpraxis, sie sind die Grundlage und Voraussetzung seiner gesamten Tätigkeit. § 3 Abs. 2 der Prüfungsordnung gilt deshalb nicht nur für die Krankenkassen im Verhältnis zur KZÄV, sondern - wegen der von den Vertragspartnern ersichtlich gewollten Gleichschaltung beider Rechtskreise - auch für die Kassenzahnärzte.
Eine Wirtschaftlichkeitsprüfung kann somit auch noch nachträglich - in dem durch § 3 Abs. 2 der Prüfungsordnung abgesteckten zeitlichen Rahmen und ohne Rücksicht auf bereits erteilte Honorarbescheide - durchgeführt worden. Das ist im Falle des Klägers mit der Einbeziehung der streitigen Quartale (IV/65 bis III/66) in das 1968 eingeleitete Prüfungsverfahren geschehen.
Ob die in diesem Verfahren für die genannten Quartale ausgesprochenen Honorarkürzungen sachlich begründet sind, hat das LSG von seinem abweichenden rechtlichen Ausgangspunkt nicht geprüft. Der Senat kann diese Prüfung nicht nachholen, weil insoweit die notwendigen tatsächlichen Feststellungen fehlen, mag auch vieles, insbesondere der Umstand, daß der Kläger sich mit der Honorarkürzung für die späteren Quartale abgefunden hat, dafür sprechen, daß die Kürzungen zu Recht erfolgt sind. Der Senat hat deshalb das angefochtene Urteil aufgehoben, soweit es der Berufung stattgegeben hat, und hat den Rechtsstreit insoweit an das LSG zurückverwiesen. Dieses wird auch die abschließende Kostenentscheidung treffen.
Unterschriften
Dr. Langkeit, Vorsitzender Richter
Dr. Heinze, Richter
Spielmeyer, Richter
Fundstellen