Leitsatz (redaktionell)
1. Die Prüfungs- und Beschwerdeausschüsse dürfen nach dem ZÄBMV von Amts wegen (ohne Antrag einer KK oder eines Verbandes) die Wirtschaftlichkeitsprüfung auf Zeiträume ausdehnen, die bis zu 2 Jahren zurückliegen; bei Unwirtschaftlichkeit der Behandlungsweise können insoweit auch Honorarkürzungen vorgenommen werden.
2. Die Bindungswirkung der den Kassen(zahn)ärzten erteilten Honorarbescheide ist entsprechend eingeschränkt; es können also insoweit Kürzungen an Honorarzahlungen, die bis zu zwei Jahren zurückliegen, vorgenommen werden.
Normenkette
RVO § 368n Abs. 5 Fassung: 1955-08-17; BMV-Z Anl 4; SGG § 75 Abs. 4 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Auf die Revisionen der Beigeladenen zu 1) und 2) wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 29. November 1972, soweit es der Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt vom 19. Januar 1972 stattgegeben hat, aufgehoben. Insoweit wird der Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten noch um die Berechtigung des Prüfungsausschusses der beigeladenen Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZÄV), Honorare zu kürzen, über die schon länger als ein Jahr vorher ein entsprechender Bescheid der Abrechnungsstelle der KZÄV ergangen ist.
Hinsichtlich des Abrechnungsquartals I/1967 kam der RVO-Prüfungsausschuß anläßlich der Mitte dieses Jahres durchgeführten Prüfung zu dem Ergebnis, der Kläger habe bei Röntgendiagnostik, Zahnentfernungen und Beratungen unwirtschaftlich gehandelt, was hinsichtlich der Beratungen von dem Kläger inzwischen anerkannt wurde. Der Prüfungsausschuß dehnte ohne Antrag einer Krankenkasse oder eines Kassenverbandes die Prüfung auf das Jahr 1966 aus. Ferner erstreckte er die Prüfung auch auf die inzwischen vorgelegten Abrechnungen des Quartals II/1967. Auch hinsichtlich dieser neu hinzugezogenen Quartale stellte der Prüfungsausschuß Unwirtschaftlichkeit in den genannten Sparten fest. Der Kürzungsbetrag belief sich - einschließlich der anerkannten Korrektur der Ansätze für Beratungen - auf DM 1.269,- (Beschluß vom 23. Oktober 1967, Bescheid vom 10. Januar 1968). Der beklagte RVO-Beschwerdeausschuß bestätigte diese Entscheidung nach Überprüfung weiterer Einzelfälle (Beschluß vom 24. Juli 1968).
Das Sozialgericht hat die gegen diese Beschlüsse gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 19. Januar 1972). Das Landessozialgericht (LSG) hat der Berufung hinsichtlich der Quartale I und II/1966 stattgegeben und die angefochtenen Entscheidungen im übrigen bestätigt: Da die Honorarfestsetzungen der Quartale I und II/1966 den Beteiligten (Kläger und beteiligte Krankenkassen) Ende 1966 bereits zugegangen seien, seien sie nach Jahresfrist (§ 66 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) bindend geworden (§ 77 SGG) und hätten mit dem Anfang 1968 zugestellten Beschluß des Prüfungsausschusses nicht mehr abgeändert werden können. Die in § 3 Abs. 2 der Prüfungsordnung vorgesehene Möglichkeit, acht zurückliegende Quartalsabrechnungen in die Prüfung mit einzubeziehen, finde ihre Grenze an der Bindungswirkung des einzelnen Honorarabrechnungsbescheides. Hinsichtlich der Kürzung der Honorarbescheide für die Quartale III/1966 bis II/1967 seien die von dem Bundessozialgericht herausgearbeiteten Grundsätze beachtet worden. Etwaigen Praxisbesonderheiten sei durch die Belastung überdurchschnittlicher Honorare in den beanstandeten Sparten Rechnung getragen worden. Dem Kläger könne - als Praxisbesonderheit - auch nicht die behauptete Unerfahrenheit in Abrechnungsfragen zugute gehalten werden, denn er sei immerhin, gerechnet von dem Quartal III/1966, eineinhalb Jahre Kassenzahnarzt gewesen.
Die Beigeladenen zu 1) und 2) haben die zugelassene Revision eingelegt. Sie beantragen, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des LSG zurückzuweisen.
Sie sind der Auffassung, die Prüfungsordnung sei Gesetz im Sinne des § 77 SGG, durch das der Eintritt der Bindungswirkung wirksam hinausgeschoben werde.
Die beigeladene KZÄV hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Kläger und Beklagte sowie die Beigeladene zu 3) haben sich nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
Die Revisionen sind begründet.
Der Prüfungsausschuß war berechtigt, auch die Abrechnungszeiträume mit in die Prüfung einzubeziehen, über die die beigeladene KZÄV Honorarbescheide erteilt hat, die möglicherweise nicht mehr angefochten werden könnten. In dem Rechtsstreit 6 RKa 4/73, der außer dem Kläger dieselben Beteiligten betraf, hat der Senat durch Urteil von heute - das zur Veröffentlichung vorgesehen ist - entschieden, daß die Prüfungskommission auf Antrag einer Kasse oder eines bevollmächtigten Kassenverbandes Prüfungen auf Zeiträume, die bis zu zwei Jahren zurückliegen, ausdehnen kann. Zu dieser Ausdehnung der Prüfung ist die Prüfungskommission auch ohne einen entsprechenden Antrag befugt.
Nach § 3 Abs. 2 der - gemäß § 22 Abs. 6 des Bundesmantelvertrags-Zahnärzte als dessen Anlage 4 von den Vertragsparteien vereinbarten - Verfahrensordnung für die Prüfungseinrichtungen (PrüfO) können Prüfungsanträge der Krankenkassen oder ihrer bevollmächtigten Verbände höchstens für die jeweils letzten acht den Krankenkassen vorliegenden Quartalsabrechnungen gestellt werden.
Wie der Senat in dem o.a. Urteil im einzelnen dargelegt hat, besteht für diese Regelung eine ausreichende gesetzliche Grundlage jedenfalls in § 368 n Abs. 5 der Reichsversicherungsordnung (RVO), wonach bei Einzelleistungsvergütung - wie hier - das Verfahren hinsichtlich des Nachweises und der Prüfung der einzelnen Leistungen der Ärzte einer Vereinbarung zwischen den Vertragsparteien vorbehalten ist. Aus der somit für die Mitglieder der Vertragspartner verbindlichen PrüfO ergibt sich einerseits, daß die Kassen an die von der KZÄV erlassenen Honorarbescheide gebunden sind, was ohne eine derartige Regelung nicht der Fall wäre. Andererseits ergibt sich aus derselben Regelung, daß diese Bindung nicht sofort mit Erlaß des Honorarbescheides eintritt, sondern erst nach Ablauf von acht Quartalen (gerechnet jeweils von dem Eingang der Quartalsabrechnungen bei den Krankenkassen). Soweit die Antragsbefugnis zeitlich reicht, reicht auch die Befugnis der Prüfungskommission, die Honorarbescheide nachträglich zu kürzen, denn nur auf diese Weise kann das Interesse der zahlungspflichtigen Kassen gewahrt werden.
Das bedeutet aber nicht, daß die Überprüfung der Behandlungsweise eines Kassenzahnarztes von einem dahingehenden Antrag einer Kasse oder eines Kassenverbandes abhängig wäre. Entsprechend der grundsätzlich den KZÄV'en - nicht in erster Linie den Krankenkassen - kraft Gesetzes (§ 368 n Abs. 4 und 5 RVO) obliegenden Aufgabe der Überwachung der Wirtschaftlichkeit der kassenzahnärztlichen Versorgung legt § 3 Abs. 1 der PrüfO die Verpflichtung der Prüfungsausschüsse fest, ohne Rücksicht auf die Zahl der beantragten Überprüfungen regelmäßig 15 % der Kassenzahnärzte in jedem Quartal zu überprüfen. Auf welche Zeit sich die somit auch von Amts wegen einzuleitenden Prüfungen zu erstrecken haben, ist in § 3 Abs. 1 der PrüfO nicht ausdrücklich gesagt. Die Technische Kommission, die nach der Anlage 5 zum Bundesmantelvertrag-Zahnärzte (Vereinbarung vom 18. November 1963) zur verbindlichen Auslegung des Bundesmantelvertrages-Zahnärzte und seiner Anlagen berufen ist, hat in dem Beschluß Nr. 2 zu § 3 Abs. 1 der PrüfO festgelegt, daß der Prüfungsausschuß in entsprechender Anwendung des § 3 Abs. 2 der PrüfO auch zurückliegende Quartale zu prüfen hat, wenn bei der Prüfung erhebliche Mängel festgestellt werden und begründeter Anlaß zu der Vermutung besteht, daß solche Mängel auch in früheren Abrechnungen vorgekommen sind.
Mit diesem Beschluß hat sich die Technische Kommission im Rahmen der ihr obliegenden Auslegung der PrüfO gehalten: Es entspricht dem erkennbaren Sinn der PrüfO, daß der Umfang der Überprüfungsbefugnis der Prüfungsausschüsse weder sachlich noch zeitlich enger ist als der Umfang der Antragsbefugnis der Krankenkassen. Daß der Antrag den sachlichen Umfang der Prüfung nicht beschränken kann, zeigt § 6 der PrüfO, wonach bei Prüfung der Wirtschaftlichkeit die gesamte Tätigkeit des Zahnarztes zu berücksichtigen ist und die Prüfung nicht etwa auf die Honorarforderungen beschränkt ist, durch die die antragstellende Kasse belastet ist. Es besteht kein Grund, den zeitlichen Umfang der Überprüfungsbefugnis der Prüfungsausschüsse nach § 3 Abs. 1 PrüfO weiter zu beschränken als den zeitlichen Umfang der Antragsbefugnis der Krankenkassen nach § 3 Abs. 2 PrüfO. Die Möglichkeit, acht Quartale in die Prüfung einzubeziehen, ist vielmehr im Hinblick darauf geboten, daß in einem Quartal insgesamt nur 15 v.H. aller Kassenzahnärzte überprüft werden sollen. Mit der grundsätzlich unbeschränkten Überwachungspflicht der Prüfungsausschüsse ist eine solche zahlenmäßige Beschränkung nur vereinbar, wenn jedenfalls die Möglichkeit offen gelassen wird, daß im Laufe von acht Quartalen die gesamte Tätigkeit sämtlicher Kassenzahnärzte überprüft werden könnte. Die erkennbar unter dem Vorbehalt der Wirtschaftlichkeitsprüfung erteilten Honorarbescheide der Abrechnungsstellen der KZÄV'en stehen nicht entgegen.
Eine Wirtschaftlichkeitsprüfung kann somit auch noch nachträglich in dem durch § 3 Abs. 2 PrüfO iVm mit dem Beschluß Nr. 2 der Technischen Kommission abgesteckten zeitlichen Rahmen und ohne Rücksicht auf bereits erteilte Honorarbescheide durchgeführt werden. Das ist im Falle des Klägers mit der Einbeziehung der streitigen Quartale (I und II/1966) in das im zweiten Halbjahr 1967 eingeleitete Prüfungsverfahren geschehen.
Ob die in diesem Verfahren für die genannten Quartale ausgesprochenen Honorarkürzungen sachlich begründet sind, hat das LSG von seinem abweichenden rechtlichen Ausgangspunkt nicht geprüft. Der Senat kann diese Prüfung nicht nachholen, weil insoweit die notwendigen tatsächlichen Feststellungen fehlen. Der Senat hat deshalb das angefochtene Urteil aufgehoben, soweit es der Berufung stattgegeben hat, und hat den Rechtsstreit insoweit an das LSG zurückverwiesen. Dieses wird auch die abschließende Kostenentscheidung treffen.
Fundstellen