Leitsatz (amtlich)
Auch Krankengeld aus einer freiwilligen Weiterversicherung bei einer Ersatzkasse ist solches im Sinne von RKG § 74 in der vom 1.1.1957 bis 31.7.1961 geltenden Fassung.
Normenkette
RKG § 74 Fassung: 1957-05-21
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 22. Mai 1962 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beklagte bewilligte dem Kläger vom 1. Januar 1959 an Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit als Gesamtleistung nach § 101 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG), gewährte aber diese Rente nach § 74 RKG vom 18. Mai 1959 bis zum 25. Januar 1960 nicht, weil der Kläger für diese Zeit als freiwillig Weiterversicherter von der Deutschen Angestellten-Krankenkasse ein Krankengeld von täglich 21 DM erhalten hatte; er war dort nach Beitragsklasse 31 mit Krankengeldanspruch eingestuft worden und zahlte einen monatlichen Beitrag von 33 DM und ab 1. Januar 1959 von 38 DM, während der Beitrag in der Beitragsklasse ohne Anspruch auf Krankengeld zunächst 25 DM und später 33 DM betragen hätte. Der Widerspruch blieb erfolglos. Das Sozialgericht (SG) verurteilte die Beklagte, dem Kläger die Rente ohne Einschränkung zu zahlen, weil § 74 RKG nicht auf das Krankengeld aus freiwilliger Weiterversicherung zu beziehen sei. Auf die zugelassene Berufung der Beklagten wies das Landessozialgericht (LSG) die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, § 74 RKG gelte auch, wenn es sich um Leistungen für Wanderversicherte handele (§§ 101, 103 Abs. 2 RKG). Die gesetzliche Regelung lasse nicht erkennen, ob zwischen dem Krankengeld auf Grund einer Pflichtversicherung und dem auf Grund freiwilliger Weiterversicherung zu unterscheiden sei. Nach seinem Wortlaut gelte jedoch § 74 RKG für jedes Krankengeld. In Satz 2 sei zwar eine Einschränkung dieses Grundsatzes enthalten; wenn der Gesetzgeber jedoch beabsichtigt hätte, eine entsprechende Einschränkung auch bei Bezug von Krankengeld aus freiwilliger Weiterversicherung anzuordnen, so hätte es eines eindeutigen Ausspruchs im Gesetz bedurft. Das Bundessozialgericht (BSG) habe im Urteil vom 24. Mai 1960 (BSG 12, 161) im Unfallrecht ausgesprochen, daß Krankengeld einer Ersatzkasse an freiwillig Weiterversicherte echte Sozialversicherungsleistungen seien. Es sei zwar zuzugeben, daß diese Regelung unbefriedigend sei, jedoch seien die Gerichte nicht befugt, sich im Wege richterlichen Billigkeitsrechts über eindeutige gesetzliche Vorschriften hinwegzusetzen. Diese Regelung sei auch kein Verstoß gegen Art. 3 des Grundgesetzes (GG), da zwischen Renten aus der knappschaftlichen Pflichtversicherung einerseits und denen aus der Arbeiter- und Angestellten-Rentenversicherung andererseits ein tatsächlicher Unterschied bestehe, weil die Höhe der zu gewährenden Leistungen wesentliche Unterschiede aufweise. Revision wurde zugelassen.
Der Kläger legte gegen das Urteil Revision ein. Er trägt vor, das Reichsversicherungsamt habe am 2. November 1934 (AN 1935, 42) ausgesprochen, daß nach dem damals geltenden Recht die nicht einer reichsgesetzlichen Krankenkasse angehörenden Mitglieder eines als Ersatzkasse zugelassenen Versicherungs-Vereins a. G. nur insoweit und so lange auf Grund der Reichsversicherungsordnung (RVO) gegen Krankheit versichert seien, als sie in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis standen. In einer weiteren Entscheidung vom 23. Oktober 1937 (AN 1938, 17) habe es entschieden, daß das Krankengeld einer Ersatzkasse auf Grund freiwilliger Zusatzversicherung ohne Einfluß auf den Beginn der Invalidenrente sei, da die Zusatzversicherung im wesentlichen privatrechtliche Züge aufweise. Eine andere Lösung lasse sich auch im vorliegenden Falle nicht mit dem Versicherungsprinzip vereinbaren. Hinzu komme, daß der Kläger sich hier freiwillig mit erhöhten Beiträgen für eine Beitragsklasse mit Krankengeldanspruch versichert habe, obwohl er es bei einer geringeren Beitragsleistung bei einer Versicherung ohne Anspruch auf Krankengeld hätte belassen können. Diese Krankengeldleistungen dürften daher im Gegensatz zu BSG 12, 161 nicht als echte Sozialversicherungsleistungen angesehen werden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG Niedersachsen vom 22. Mai 1962 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Gießen vom 28. Juni 1961 mit der Maßgabe zurückzuweisen, daß der letzte Halbsatz des ersten Absatzes der Urteilsformel entfällt.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II.
Die nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Revision ist zulässig, konnte aber keinen Erfolg haben.
Nach dem für den Fall noch anzuwendenden, inzwischen aufgehobenen § 74 RKG wird eine Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 oder eine Knappschaftsrente, die mit Krankengeld zusammentrifft, nur insoweit gewährt, als sie das Krankengeld übersteigt. Dies gilt nach § 103 Abs. 2 RKG auch für Wanderversicherte, die, wie der Kläger, eine Gesamtleistung erhalten.
Das LSG hat mit Recht angenommen, daß das dem Kläger aus der freiwilligen Weiterversicherung gewährte Krankengeld auf die Rente anzurechnen ist. Unter Krankengeld ist dabei nur solches Krankengeld zu verstehen, das auf Grund öffentlich-rechtlicher Vorschriften von öffentlich-rechtlichen Krankenkassen gezahlt wird, nicht aber ein solches, das auf einem privaten Versicherungsvertrag beruht. Die Weiterversicherung bei einer Ersatzkasse ist aber nicht eine solche bei einer privaten Krankenversicherung, sondern eine nach den Vorschriften der RVO. Wie in BSG 12, 161 zu § 559 Abs. 2 RVO aF bereits ausgesprochen ist, sind Krankengeldzahlungen einer Ersatzkasse an freiwillig Weiterversicherte Krankengeld aus einer gesetzlichen Krankenversicherung. Denn es handelt sich um Leistungen, die ein gesetzlicher Versicherungsträger der Krankenversicherung für den Fall der Krankheit im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Systems der Sozialversicherung gewährt und die nicht dem Bereich der privaten Versicherung zuzurechnen sind. Auch die Ersatzkassen sind in den Aufbau der gesetzlichen Krankenversicherung einbezogen und in die Beziehungen der verschiedenen Versicherungsträger zueinander eingefügt worden. Durch das Gesetz über den Aufbau der Sozialversicherung vom 5. Juli 1934 (RGBl I 577) und die 12. Aufbau-Verordnung vom 24. Dezember 1935 (RGBl I 1537) idF vom 1. April 1937 (RGBl I 439) sind die Ersatzkassen ausdrücklich als Träger der Krankenversicherung aufgeführt und haben die Rechtsstellung von Körperschaften des öffentlichen Rechts erhalten; sie sind der Aufsicht des Reichs- bezw. Bundesversicherungsamts unterworfen, ihr Geschäftsbereich ist auf die nach der RVO zur Versicherung verpflichteten Berechtigten beschränkt worden. Die Ersatzkassen sind hiernach ebenso Versicherungsträger der gesetzlichen Krankenversicherung wie die anderen gesetzlichen Krankenkassen, so daß ihre Krankengeldzahlungen Krankengeld im Sinne der RVO sind.
Insbesondere hat das BSG in einem Urteil vom 19. Juni 1963 (BSG 19, 179) entschieden, daß ein freiwillig Weiterversicherter bei einer Ersatzkasse kein zusätzliches privates Rechtsverhältnis eingeht, weil für die Gestaltung der Versicherungsverhältnisse nach dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht - um ein solches handelt es sich bei dem Kläger - nach § 4 Abs. 2 der 12. Aufbau-Verordnung vom 24. Dezember 1935 (RGBl I 1537) die Bestimmungen der Satzung maßgebend sind. Es macht auch keinen Unterschied, daß der Kläger die Möglichkeit hatte, seine freiwillige Weiterversicherung bei einer Ersatzkasse mit oder ohne Krankengeld abzuschließen. Denn auch dieser Teil der Versicherung ist eine Versicherung nach den Vorschriften der RVO und keine private Krankenversicherung, so daß die Leistungen als Krankengeld im Sinne der RVO anzusehen sind. Die entgegenstehenden Entscheidungen des Reichsversicherungsamts Nr. 4834 (AN 1935, 42) und GE 5159 (AN 1938, 17) betreffen Verhältnisse früheren Rechts, die durch das Aufbaugesetz überholt sind.
Es ist auch noch folgendes zu beachten: Wenn zwei Leistungen für den gleichen Versicherungsfall von verschiedenen Versicherungszweigen zu gewähren sind, so stehen zwei Grundsätze in Frage, einmal, daß die Beiträge zu mehreren Versicherungszweigen auch mehrere Leistungen begründen, zum anderen, daß bei demselben sozialen Tatbestand nicht mehrere Leistungen gleichzeitig erbracht werden sollen. Der Gesetzgeber hat sich bei § 74 RKG für den letzten Grundsatz entschieden. Der Kläger beruft sich nun darauf, daß er die Beiträge in vollem Umfang selbst, und zwar freiwillig, aufgebracht habe. Er übersieht hierbei aber, daß er die Leistungen aus der Krankenversicherung im vollen Umfang erhält, diese werden nicht gekürzt, so daß er für seine Beiträge zur Krankenkasse auch die diesen entsprechenden Sozialversicherungsleistungen erhält. Gekürzt wird nur die Knappschaftsrente. Diese beruht aber nur zu einem geringen Teil auf seinen eigenen Beitragsleistungen. Zum weitaus größten Teil beruhen die Leistungen der knappschaftlichen Rentenversicherung nämlich auf Beiträgen des Arbeitgebers und Zuschüssen der Bundesrepublik Deutschland. Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall von dem durch den 9. Senat entschiedenen (Urteil vom 10. März 1964 - 9 RV 14/63). Der 9. Senat hat ausgesprochen, daß das Sterbegeld nach § 277 des Lastenausgleichsgesetzes nicht auf das Bestattungsgeld nach § 36 des Bundesversorgungsgesetzes anzurechnen ist. Dort beruhen beide Leistungen aber im Endergebnis auf einem Opfer des Berechtigten bezw. überwiegend auf der privaten Vorsorge; letzteres ist hier aber nur zu einem geringen Teil der Fall.
Es ist auch kein Verstoß gegen Art. 3 GG darin zu erblicken, daß die Regelung des § 74 RKG nF von der in den sonstigen Sozialversicherungszweigen erfolgten Regelung abweicht. Denn die Verhältnisse der knappschaftlichen Rentenversicherung unterscheiden sich von den der sonstigen Rentenversicherungszweige nicht unerheblich. Auf der einen Seite werden die Leistungen der knappschaftlichen Rentenversicherung zu einem größeren Teil vom Bund finanziert als das bei den übrigen Rentenversicherungszweigen der Fall ist und zum anderen sind die Leistungen der knappschaftlichen Rentenversicherung höher als die der übrigen Rentenversicherungszweige. Es ist daher nicht willkürlich oder sachfremd, wenn auf der anderen Seite auch in stärkerem Maße als in den übrigen Rentenversicherungszweigen Doppelleistungen gesetzlich ausgeschlossen werden.
Die Revision muß daher zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG.
Fundstellen