Leitsatz (redaktionell)
Auch das von einer Ersatzkasse auf Grund freiwilliger Versicherung gezahlte Krankengeld ist nach RKG § 74 (idF vom 1957-01-01 - 1961-07-31) auf die Knappschaftsrente anzurechnen.
Normenkette
RKG § 74 Fassung: 1957-05-21
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 18. Februar 1960 und das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 8. März 1962 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Gründe
I
Streitig ist, ob auf die dem Kläger gewährte Gesamtleistung wegen Erwerbsunfähigkeit (§§ 47 des Reichsknappschaftsgesetzes - RKG -, 1246 der Reichsversicherungsordnung - RVO -, 24 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG -) das ihm von seiner Ersatzkasse gezahlte Krankengeld nach § 74 RKG in der vom 1. Januar 1957 bis zum 31. Juli 1961 geltenden Fassung (aF) angerechnet werden kann.
Auf Antrag gewährte die Beklagte dem Kläger, der seit 1954 selbständiger Handelsvertreter ist, mit Bescheid vom 14. Mai 1959 die Gesamtleistung wegen Erwerbsunfähigkeit ab 1. September 1957. Für die Zeit vom 18. September 1957 bis zum 19. Januar 1958 sowie vom 3. Februar bis zum 1. Oktober 1958 zahlte sie die Rente nicht aus, weil der Kläger für diese Zeiten Kranken- bzw. Hausgeld von der Deutschen Angestellten-Krankenkasse (Ersatzkasse) erhalten hatte, das pro Tag höher war als die Rente.
Mit Bescheid vom 19. Juni 1959 wurde der Widerspruch zurückgewiesen.
Hiergegen richtet sich die Klage. Der Kläger machte geltend, der Anspruch auf Krankengeld sei unabhängig von seiner Rentenberechtigung, weil auch beschäftigte Rentner versicherungspflichtig wären. Insbesondere müsse dies für freiwillige Krankenversicherungen gelten.
Er beantragte,
den Bescheid vom 14. Mai 1959 und den Widerspruchsbescheid vom 19. Juni 1959 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, die bewilligte Rente ohne Anrechnung von Krankengeld zu gewähren.
Die Beklagte beantragte,
die Klage abzuweisen.
Mit dem Urteil vom 18. Februar 1960 hat das Sozialgericht (SG) Dortmund unter Abänderung der angefochtenen Bescheide die Beklagte verurteilt, dem Kläger die Rente für die Zeiten vom 18. September 1957 bis zum 19. Januar 1958 und vom 3. Februar bis zum 1. Oktober 1958 ungekürzt zu gewähren. Es hat die Berufung zugelassen.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt.
Da der Kläger nach einer Auskunft der Deutschen Angestellten-Krankenkasse (DAK) vom 18. September bis zum 8. Oktober 1957 kein Krankengeld erhalten hat, hat die Beklagte den Anspruch des Klägers für diese Zeit anerkannt.
Im übrigen hat sie beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
Der Kläger hat das Teilanerkenntnis angenommen und beantragt im übrigen, die Berufung zurückzuweisen.
Durch Urteil vom 8. März 1962 hat das Landessozialgericht (LSG) die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und hat die Revision zugelassen. Es hat in den Urteilsgründen im wesentlichen ausgeführt, daß es § 74 RKG aF zwar nicht für grundgesetzwidrig, aber auf den vorliegenden Fall nicht für anwendbar hält. Nach Satz 1 dieser Vorschrift werde beim Zusammentreffen einer Knappschaftsrente mit Krankengeld die Rente nur insoweit gewährt, als sie das Krankengeld übersteigt. Dies könne aber nur für das auf Grund einer Pflichtversicherung gewährte Krankengeld gelten. Diese Einschränkung ergebe sich aus dem zweiten Satz dieser Vorschrift. Hiernach gelte Satz 1 nicht, wenn das Krankengeld auf Grund einer nach Eintritt der Berufsunfähigkeit verrichteten versicherungspflichtigen Beschäftigung gewährt werde. Diese Einschränkung der Anrechenbarkeit betreffe ausdrücklich nur versicherungspflichtig Beschäftigte, nicht auch freiwillig Versicherte. Da es aber nun ganz offensichtlich der sozialen Interessenlage widersprechen würde, wenn Leistungen auf Grund freiwilliger Beiträge zugunsten der Versicherungsträger auf andere Leistungen angerechnet werden könnten, während Leistungen auf Grund von Pflichtbeiträgen von der Anrechnung frei blieben, sei anzunehmen, daß diese Vorschrift im ganzen nur versicherungspflichtig Beschäftigte betreffe. Da der Kläger das Krankengeld nicht auf Grund einer versicherungspflichtigen Beschäftigung, sondern auf Grund freiwilliger Beitragsleistung bezogen hat, könne es auf seine Rente nicht angerechnet werden. Aber auch davon unabhängig sei im vorliegenden Fall die Anrechnung des Krankengeldes auf die Rente mit Rücksicht auf die Besonderheit des Versicherungsverhältnisses zwischen Kläger und Ersatzkasse abzulehnen. Wenn auch die Krankengeldzahlung einer Ersatzkasse an freiwillig Versicherte eine Leistung aus der Sozialversicherung sei, so trage doch das Versicherungsverhältnis so wesentliche privatrechtliche Züge, daß es im Sinne von § 74 Satz 1 RKG unter besonderen Umständen doch einem privatrechtlichen Versicherungsverhältnis gleichzubehandeln sei. Ein solcher besonderer Fall liege hier vor. Nach den Versicherungsbedingungen der DAK würden Selbständige, die, wie der Kläger, ihre Versicherung fortsetzen, an sich ohne Krankengeldanspruch versichert. Nur auf besonderen Antrag und mit Zustimmung der Kasse könnten sie einen Anspruch auf Krankengeld vom 22. Tage der Arbeitsunfähigkeit ab gegen höhere Beiträge erwerben. Dieses zusätzlich begründete Versicherungsverhältnis eines Selbständigen mit festen, vom Einkommen unabhängigen Beiträgen und Leistungen unterscheide sich von einem privaten Versicherungsverhältnis nur dadurch, daß es nicht mit einem privaten Versicherungsunternehmen, sondern mit einer Ersatzkasse, also einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung, eingegangen worden sei. Im vorliegenden Falle habe die Krankengeldversicherung des Klägers, wirtschaftlich und sozial gesehen, aber mehr den Charakter einer Privatversicherung als den einer gesetzlichen Sozialversicherung. Auf das Krankengeld aus einer solchen Versicherung dürfe die Ruhensbestimmung des § 74 Satz 1 RKG nicht angewandt werden.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte durch Schriftsatz vom 14. April 1962, eingegangen beim Bundessozialgericht (BSG) am 16. April 1962, Revision eingelegt und diese, nachdem die Revisionsbegründungsfrist bis zum 28. Juni 1962 verlängert worden ist, mit Schriftsatz vom 22. Juni 1962, eingegangen beim BSG am 23. Juni 1962, begründet.
Sie rügt eine Verletzung des § 74 RKG aF durch das Berufungsgericht und beruft sich hierbei auf das Urteil des erkennenden Senats vom 14. April 1964 - 5 RKn 59/62 - (SozR RKG aF Nr. 1 zu § 74). Danach müsse auch das von einer Ersatzkasse auf Grund freiwilliger Versicherung gezahlte Krankengeld auf die Knappschaftsrente angerechnet werden.
Sie beantragt,
das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 8. März 1962 sowie das Urteil des SG Dortmund vom 18. Februar 1960 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen und die Beklagte zu verurteilen, ihm die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
II
Die zulässige Revision hatte Erfolg.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist auch das von einer Ersatzkasse auf Grund freiwilliger Versicherung gezahlte Krankengeld nach § 74 RKG in der vom 1. Januar 1957 bis zum 31. Juli 1961 geltenden Fassung auf die Knappschaftsrente anzurechnen, wie der erkennende Senat bereits durch Urteil vom 14. April 1964 entschieden hat (SozR RKG aF Nr. 1 zu § 74).
Nach dieser Vorschrift wird eine Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 oder eine Knappschaftsrente, die mit Krankengeld zusammentrifft, nur insoweit gewährt, als sie das Krankengeld übersteigt.
Diese Vorschrift ist nach § 103 Abs. 2 RKG auch auf Wanderversicherte, die eine Leistung aus der knappschaftlichen Rentenversicherung erhalten und bei denen die Wartezeit für die Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 RKG erfüllt ist, anzuwenden. Diese Voraussetzungen des § 103 Abs. 2 RKG sind bei dem Kläger, der eine knappschaftliche Versicherungszeit von mehr als 60 Kalendermonaten zurückgelegt hat und in dessen Gesamtleistung auch Leistungen aus der knappschaftlichen Rentenversicherung enthalten sind, erfüllt.
Zu Unrecht hat das Berufungsgericht angenommen, daß das dem Kläger von der DAK auf Grund einer Weiterversicherung gewährte Krankengeld nicht auf dessen Rente anzurechnen ist. Das dem Kläger von der DAK während der streitigen Zeit gezahlte Krankengeld ist Krankengeld im Sinne des § 74 Satz 1 RKG aF. Richtig ist zwar, daß unter Krankengeld im Sinne dieser Vorschrift nur ein solches zu verstehen ist, das auf Grund öffentlich-rechtlicher Vorschriften von öffentlich-rechtlichen Krankenkassen gezahlt wird. Die Weiterversicherung bei einer Ersatzkasse ist aber nicht eine solche bei einer privaten Krankenversicherung, sondern ist eine Weiterversicherung nach den Vorschriften der RVO (ESG 12, 161). Denn es handelt sich um Leistungen, die ein gesetzlicher Versicherungsträger der Krankenversicherung für den Fall der Krankheit im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Systems der Sozialversicherung gewährt, die daher nicht dem Bereich der privaten Versicherung zuzurechnen sind. Auch die Ersatzkassen sind in den Aufbau der gesetzlichen Krankenversicherung einbezogen und in die Beziehungen der verschiedenen Versicherungsträger zueinander eingefügt worden. Durch das Gesetz über den Aufbau der Sozialversicherung vom 5. Juli 1934 (RGBl I 577) und die 12. Aufbau-Verordnung vom 24. Dezember 1935 (RGBl I 1537) idF vom 1. April 1937 (RGBl I 439) sind die Ersatzkassen ausdrücklich als Träger der Krankenversicherung aufgeführt und haben die Rechtsstellung von Körperschaften des öffentlichen Rechts erhalten; sie sind der Aufsicht des Bundesversicherungsamts unterworfen, ihr Geschäftsbereich ist auf die nach der RVO zum Kreis der Versicherten zählenden Personen beschränkt worden. Die Ersatzkassen sind hiernach ebenso Versicherungsträger der gesetzlichen Krankenversicherung wie die anderen gesetzlichen Krankenkassen, so daß ihre Krankengeldzahlungen Krankengeld im Sinne der RVO sind. Auch hat das BSG in seinem Urteil vom 19. Juni 1963 (BSG 19, 179) entschieden, daß ein bei einer Ersatzkasse Weiterversicherter nicht etwa ein zusätzliches privates Rechtsverhältnis eingeht. Denn für die Gestaltung der Versicherungsverhältnisse sind nach dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht - um ein solches handelt es sich bei dem Kläger - gemäß § 4 Abs. 2 der 12. Aufbau-Verordnung vom 24. Dezember 1935 (RGBl I 1537) die Bestimmungen der Satzung maßgebend. Es macht auch keinen Unterschied, ob der Kläger die Möglichkeit hatte, seine Weiterversicherung bei einer Ersatzkasse mit oder ohne Krankengeldberechtigung abzuschließen. Denn auch dieser Teil der Versicherung ist eine Versicherung nach den Vorschriften der RVO und keine private Krankenversicherung. Die Leistungen der Ersatzkassen sind also auch in diesen Fällen als Krankengeld im Sinne der RVO anzusehen. Die entgegenstehenden Entscheidungen des Reichsversicherungsamts Nr. 4834 (AN 1935, 42) und GE 5159 (AN 1938, 17) betreffen Verhältnisse früheren Rechts, die durch das Aufbaugesetz überholt sind.
§ 74 Satz 1 RKG aF läßt keine Beschränkung auf dasjenige Krankengeld zu, das auf Grund einer Pflichtversicherung gezahlt wird. Denn dieser Satz spricht ohne jede Einschränkung von "Krankengeld". Auch aus Satz 2 kann nicht geschlossen werden, daß in Satz 1 nur Krankengeld gemeint sei, das auf Grund einer Pflichtversicherung gezahlt werde. Es ist zwar richtig, daß Satz 2 entgegen Satz 1 die Einschränkung enthält, daß das Krankengeld nicht angerechnet wird, das auf Grund einer nach Eintritt der verminderten bergmännischen Berufsfähigkeit oder der Berufsunfähigkeit verrichteten versicherungspflichtigen Beschäftigung gezahlt wird. Dieser Satz stellt aber nur eine Ausnahme für bestimmte Gruppen von Rentnern dar, die trotz Eintritts der genannten Versicherungsfälle noch versicherungspflichtig tätig sind. Diese Ausnahmeregelung des Satzes 2 kann aber nicht zu einer einschränkenden Auslegung des die Normalfälle regelnden Satzes 1 führen, da sie eben nur eine Ausnahme zu der allgemeinen Regelung des Satzes 1 ist.
Die Voraussetzungen des Satzes 2 dieser Vorschrift liegen schon deshalb nicht vor, weil im vorliegenden Fall das Krankengeld nicht auf Grund pflichtversicherter Beschäftigung, sondern auf Grund freiwilliger Versicherung während der Tätigkeit als selbständiger Handelsvertreter, die der Kläger schon seit 1954 ausübt, gewährt wird.
Nun ist eingewendet worden, daß ein Versicherter, der volle Beiträge geleistet hat, auch Anspruch auf volle Leistungen haben müsse. Es ist aber zu bedenken, daß in Fällen, in welchen zwei Leistungen von verschiedenen Versicherungszweigen zu gewähren sind, zwei Grundsätze in Frage stehen, einmal der, daß die Beiträge zu mehreren Versicherungszweigen auch mehrere Leistungen begründen, zum anderen aber auch der, daß möglichst nicht mehrere Leistungen gleichzeitig erbracht werden sollen. Der Gesetzgeber hat sich in § 74 RKG aF für den letzten Grundsatz entschieden. Es ist richtig, daß der Kläger die Beiträge zur Krankenkasse in vollem Umfang selbst, und zwar freiwillig, aufgebracht hat. Die Leistungen aus der Krankenversicherung werden ihm aber auch im vollen Umfang gewährt, werden also nicht gekürzt, so daß er für seine Beiträge zur Krankenkasse auch die diesen entsprechenden Leistungen voll erhält. Gekürzt wird nur die Knappschaftsrente. Diese beruht aber nur zu einem geringen Teil auf den eigenen Beitragsleistungen des Versicherten. Zum weitaus größten Teil werden die Leistungen der knappschaftlichen Rentenversicherung nämlich durch Beiträge des Arbeitgebers und durch Zuschüsse der Bundesrepublik Deutschland finanziert.
Es ist auch kein Verstoß gegen Art. 3 GG darin zu erblicken, daß die Regelung des § 74 RKG aF von der in den sonstigen Sozialversicherungszweigen erfolgten Regelung abweicht. Denn die Verhältnisse der knappschaftlichen Rentenversicherung unterscheiden sich von den der sonstigen Rentenversicherungszweige nicht unerheblich. Auf der einen Seite werden die Leistungen der knappschaftlichen Rentenversicherung zu einem größeren Teil von der Bundesrepublik Deutschland finanziert, als das bei den übrigen Rentenversicherungszweigen der Fall ist, und zum anderen sind die Leistungen der knappschaftlichen Rentenversicherung in der Regel höher als die der übrigen Rentenversicherungszweige. Es ist daher nicht willkürlich oder sachfremd, wenn in der knappschaftlichen Rentenversicherung auch in stärkerem Maße als in den übrigen Rentenversicherungszweigen Doppelleistungen gesetzlich ausgeschlossen werden.
Da das dem Kläger gezahlte Krankengeld während der nach dem angenommenen Anerkenntnis noch streitigen Zeit höher war als die entsprechenden Rentenanteile, überstieg die Rente das Krankengeld nicht. Rente war daher nicht auszuzahlen.
Auf die Revision der Beklagten war deshalb die Klage unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und des Urteils des SG abzuweisen.
Nach § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ist mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden worden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen