Leitsatz (amtlich)

Eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit im Sinne RVO § 1248 Abs 3 liegt nicht vor, wenn eine Versicherte in der Schweiz Arbeiten verrichtet hat, für die sie in der Bundesrepublik nach RVO § 1227 arbeiterrentenversicherungspflichtig gewesen wäre.

Dies gilt auch dann, wenn für sie auf Grund jener Tätigkeit Pflichtversicherungsbeiträge nach dem AHK Schweiz vom 1946-12-20 entrichtet worden sind.

 

Normenkette

RVO § 1248 Abs. 3 Fassung: 1957-02-23, § 1227 Fassung: 1960-09-08; AHG CHE Fassung: 1946-12-20; SVAbk CHE Fassung: 1950-10-24

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg von 17. Februar 1959 aufgehoben.

Unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Konstanz vom 30. September 1958 wird die Klage abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Tatbestand

Die am 19. Mai 1897 geborene ledige Klägerin war von 1922 bis 1945 als Hausgehilfin beschäftigt und während dieser Zeit in der Invalidenversicherung pflichtversichert; anschließend versicherte sie sich freiwillig weiter. Da eine in den Jahren 1955/56 angestellte Überprüfung ergeben hatte, daß die von ihr zuletzt gezahlten freiwilligen Beiträge. für die Zeit von 1951 bis 1953 in au niedrigen Beitragsklassen geleistet waren, erklärte die Klägerin sich zunächst zu einer "Aufwertung" bereit; nachdem jedoch geklärt war, daß die Anwartschaft der Klägerin durch Halbdeckung ohnehin noch auf Jahre hinaus erhalten war, wurden jene 78 Beiträge der Klasse IV auf Antrag der Klägerin in 26 Beiträge der Klasse VII zusammengelegt.

Von August 1947 bis zum 20. April 1957 war die Klägerin als Arbeiterin (Grenzgängerin) in einer Teigwarenfabrik in St./Rh. (Sch.) beschäftigt. Seit dem 1. Januar 1948 (Inkrafttreten des Schweizerischen Bundesgesetzes über Alters-und Hinterlassenenversicherung - AHG - vom 20. 12. 1946) wurden für sie an die Schweizerische Versicherungsanstalt Pflichtversicherungsbeiträge gezahlt.

Am 20. Mai 1957 beantragte die Klägerin die Gewährung des Altersruhegeldes nach § 1248 Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Die Beklagte lehnte diesen Antrag ab, da die Klägerin, bei der die übrigen Voraussetzungen allerdings erfüllt seien, in den letzten 20 Jahren nur 6 Jahre und 10 Monate, also nicht überwiegend, rentenversicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei; die Beschäftigungszeiten in der Schweiz könnten dabei nicht berücksichtigt werden.

Demgegenüber verurteilte das Sozialgericht (SG) Konstanz die Beklagte am 30. September 1958 zur Gewährung des Altersruhegeldes gemäß § 1248 Abs, 3 RVO vom 1. Mai 1957 an.

Es ist der Ansicht, daß der besondere Versicherungsfall des § 1248 Abs. 3 RVO eine "Sonderbegünstigung" für weibliche berufstätige Versicherte wegen ihrer doppelten Beanspruchung (Erwerbstätigkeit und Haushaltsführung) darstelle; es komme daher nur auf die Art dieser der Tätigkeit an, so daß auch die Schweizer Beschäftigung der Klägerin als rentenversicherungspflichtige Tätigkeit im Sinne jener Bestimmung anzusehen Sei. Dann jedoch seien mit insgesamt 182 Monaten in den letzen 20 Jahren überwiegend rentenversicherungspflichtige Beschäftigungen ausgeübt worden. Die entgegengesetzte Auffassung würde nach Ansicht des SG zu dem absurden Ergebnis führen, daß umgekehrt eine Versicherte im Bundesgebiet bereits vom 60. Lebensjahr an eine Rente nach § 1248 Abs. 3 RVO beziehen könnte, obwohl sie noch weiter in der Schweiz rentenpflichtversichert tätig sei. Die Bestimmungen des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über Sozialversicherung vom 24. Oktober 1950 (Gesetz vom 16. Juli 1951, BGBl II, 145) fänden auf die Klägerin keine Anwendung.

Auf die Berufung der Beklagten bestätigte das Landessozialgericht (LSG) Stuttgart durch Urteil vom 17. Februar 1959 das Urteil des SG.

Es geht gleichfalls davon aus, daß das Deutsch-schweizerische Abkommen keine Anwendung finde. Mit dem SG schließt jedoch auch das LSG aus dem Sinn des § 1248 Abs. 3 RVO, daß es sich dort "bei der Bezeichnung rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit nicht um einen Rechtsbegriff, sondern um die vereinfachte Bezeichnung einer bestimmten Art von Beschäftigung oder Tätigkeit in tatsächlicher Hinsicht" handele. Der Gesetzgeber sei bei dieser Bestimmung, abgesehen von einer Empfehlung der internationalen Arbeitsorganisation über die Festlegung der Altersgrenze für Frauen auf das 60. Lebensjahr, davon ausgegangen, daß die Kräfte der arbeitenden Frau sich insbesondere dann vorzeitig abnützten, wenn sie neben ihrer Berufstätigkeit gleichzeitig einen Haushalt zu versorgen habe. Auf diesen stärkeren Kräfteverbrauch sei jedoch ohne Einfluß, nach welcher im Inland geltenden Vorschrift etwa eine Rentenversicherungspflicht bestehe; entscheidend sei vielmehr allein die Art der ausgeübten Berufstätigkeit. Diese Art der Berufstätigkeit solle im § 1248 Abs. 3 RVO in vereinfachter Form bezeichnet werden, so daß es sich dabei nicht um einen Rechtsbegriff, der nur im Bereich der deutschen Sozialversicherungsgesetze gelte, sondern um die tatsächliche Bezeichnung einer bestimmten Art von Arbeiten handele.

Hilfsweise erwägt das LSG noch, daß auch dann, wenn man die strittige Bezeichnung als Rechtsbegriff auffassen wolle, darunter nicht nur auf Grund deutscher Vorschriften versicherungspflichtige Beschäftigungen, sondern zB auch alle nach § 4 Abs. 1 des Fremdrentengesetzes (FRG) anzurechnenden ausländischen Versicherungszeiten und darüber hinaus diejenigen ausländischen Pflichtversicherungszeiten zu rechnen seien, deren Anrechnung im Sozialversicherungsabkommen vorgesehen sei. Dabei komme es auf die Art der wechselweisen Berücksichtigung jener Zeiten in dem Abkommen nicht an. Es müßten deshalb auch die hier fraglichen Schweizer Zeiten, die nach dem genannten Abkommen jedenfalls für die Anrechnung der Wartezeit in den in Frage kommenden Fällen anzurechnen wären, berücksichtigt werden.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 12. März 1959 zugestellte Urteil am 8. April 1959 unter Antragstellung die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und diese am 30. April 1959 begründet. Sie hält § 1248 Abs. 3 RVO für verletzt; als rentenversicherungspflichtige Beschäftigung könne nur eine in der deutschen Rentenversicherung versicherte Beschäftigung anerkannt werden. Gehe man nicht von einem Rechtsbegriff, sondern von einer vereinfachten Bezeichnung tatsächlicher Verhältnisse aus, so hätte dies zur Folge, daß sämtliche Tätigkeiten irgendwo im Ausland, die nach den dort herrschenden Sondergesetzen rentenversicherungspflichtig seien, bei der Errechnung der für den § 1248 Abs. 3 RVO maßgebenden Frist einbezogen werden müßten. Eine derartig weite Anwendung widerspräche jedoch dem Sinn jener Bestimmung und könne vom deutschen Gesetzgeber nicht gewollt sein.

Versicherungsrechtliche Folgerungen aus dem Deutsch-schweizerischen Abkommen dürften über seinen Bereich hinaus auch nicht mittelbar gezogen werden. Das Abkommen beschränke sich jedoch darauf, nur für die Fälle des Alters und des Todes die Berücksichtigung der Schweizer Zeiten bei der Frage der Wartezeiterfüllung und der Anwartschaftserhaltung, nicht jedoch bei der Rentenhöhe zu berücksichtigen. Irgendeine andere Anrechnung sei nicht vorgesehen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt Zurückweisung der Revision. Sie beruft sich auf die Gründe des angefochtenen Urteils, die sie für zutreffend hält.

Durch Bescheid vom 7. Mai 1962 hat die Beklagte der Klägerin wegen Vollendung des 65. Lebensjahres vom 1. Mai 1962 an das Altersruhegeld gewährt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist frist- und formgerecht unter Antragstellung eingelegt und begründet worden; sie ist vom LSG zugelassen und daher statthaft.

Die Revision ist auch begründet.

Da alle sonstigen im § 1248 Abs. 3 RVO geforderten Voraussetzungen für die Gewährung des vorgezogenen Altersruhegelds erfüllt sind, hängt die Entscheidung allein davon ab, ob die Zeiten, in denen die Klägerin in der Schweiz als Arbeitnehmerin gearbeitet hat, als "rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit" im Sinne der genannten Vorschrift zu berücksichtigen sind.

Mit dem LSG ist zunächst die Frage nach der Anwendbarkeit der Bestimmungen des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über Sozialversicherung vom 24. Oktober 1950 (BGBl 1951 II, 145) auf den vorliegenden Fall zu verneinen. Vorschriften, die eine von einem deutschen Rentenversicherungsträger wegen Alters zu gewährende Rente betreffen, enthält allein Art. 7 des Abkommens. Hiernach werden Schweizer Versicherungszeiten - unter weiteren einschränkenden Voraussetzungen - jedoch nur berücksichtigt, soweit es sich um die Erfüllung der Wartezeit oder die Erhaltung der Anwartschaft handelt. Beide Vergünstigungen spielen für die Klägerin keine Rolle, da die Wartezeit von ihr mit den deutschen Beiträgen allein ohnehin erfüllt ist und die Anwartschaftserhaltung nach dem hier anzuwendenden neuen Recht der RVO nicht mehr nötig ist. Bei der offenbar auf den sehr erheblichen Verschiedenheiten beider sozialen Rentenversicherungssysteme beruhenden, bewußt in nur ganz geringem Umfang vorgesehenen wechselseitigen Anrechnung von Beitragszeiten, wie sie aus dem gesamten Abschnitt II des Abkommens deutlich ersichtlich ist, kann auch nicht angenommen werden, daß die Bestimmungen des Art. 7 etwa ausweitend auch auf Fälle des § 1248 Abs. 3 RVO für die Erfüllung der dort vorgeschriebenen besonderen Beitragsfrist angewandt werden dürften. Falls das Abkommen schließlich wegen der erst durch die Rentenreform im Bundesgebiet eingetretenen gesetzlichen Änderungen in seinem Anwendungsbereich ausgeweitet werden sollte, muß dies dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben.

Ebensowenig kann das Fremdrentengesetz auf die Klägerin angewandt werden; abgesehen davon, daß die Klägerin nicht zu dem Personenkreis des § 1 aaO gehört und auch keine Beiträge an einen im § 17 Abs. 1 aaO genannten Versicherungsträger entrichtet hat, gilt jenes Gesetz nach § 2 Buchst. b für die Schweizer Versicherungszeiten der Klägerin ohnehin nicht.

Soweit das LSG aus dem Wortlaut des § 1248 Abs. 3 RVO selbst die Rentenberechtigung der Klägerin entnimmt, vermochte der Senat ihm nicht zu folgen.

In erster Linie will das LSG die hier maßgeblichen Wörter jener Vorschrift "rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit" überhaupt nicht als Rechtsbegriff verstanden wissen, sondern erblickt darin nur eine vereinfachte Bezeichnung der Art der Tätigkeit, die die Versicherte ausgeübt haben müßte. Hilfsweise erwägt es, selbst wenn jene Wörter als Rechtsbegriff aufzufassen seien, so dürfe dieser Rechtsbegriff nach dem Wesen der Vorschrift nicht eng ausgelegt werden; er umfasse dann auch jede versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit im Ausland, soweit diese nur irgendwie als solche von der deutschen Sozialversicherung - zB in zwischenstaatlichen Abkommen - anerkannt werde.

Diese Auffassungen sind nicht frei von Rechtsirrtum. Bei der "rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit" handelt es sich um einen der grundlegenden rechtstechnischen Begriffe des deutschen Rentenversicherungsrechts. Der durch diesen Begriff umrissene Personenkreis wird für die Arbeiterrentenversicherung eindeutig festgelegt im § 1227 RVO. Es ist schlechthin undenkbar, daß dieser Begriff in der hier zu betrachtenden Vorschrift des § 1248 Abs. 3 RVO eine andere Bedeutung haben könnte als in den zahlreichen Bestimmungen, in denen er sonst angewandt, wird (vgl. zB schon Abs. 2 desselben Paragraphen und den darauf verweisenden letzten Satz des Abs. 3; weiter zB §§ 1233 Abs. 1, 1244 a Abs. 2, 1251 Abs. 2, 1259 Abs. 1, 1260 und 1318 RVO; Art, 2 § 52 ArVNG ua; vgl. hierzu weiter Urteil des BSG, 1. Senat, vom 29.3.1962, SozR § 1248 RVO Aa 13-14 Nr. 11). Zwar können auch einmal im Ausland zurückgelegte Beitragszeiten dortiger Pflichtversicherung zugunsten deutscher Versicherter so behandelt werden wie inländische, dann jedoch beruht dies stets auf einer vom Gesetzgeber ausdrücklich vorgeschriebenen Gleichstellung jener Beitragszeiten mit deutschen Beitragszeiten (vgl. dazu insbesondere die Regelung im Fremdrentenrecht); zu einer darüber hinausgehenden Gleichstellung aus Billigkeitsgründen in Fällen wie den vorliegenden ist der Richter nicht befugt.

An diesem Ergebnis vermag auch der Hinweis nichts zu ändern, daß § 1248 Abs. 3 RVO dem stärkeren Kräfteverbrauch der arbeitenden Frau durch deren gleichzeitige Berufstätigkeit und Haushaltsversorgung mit der von ihm vorgesehenen vorzeitigen Rentengewährung Rechnung tragen wollte. Hätte der Gesetzgeber nur diesen Gesichtspunkt berücksichtigen wollen, so hätte es nahegelegen, durch eine auch nicht umständlichere Fassung als Voraussetzung dieses vorgezogenen Altersruhegelds auf die vorherige Arbeitsleistung als solche abzustellen. Aus der Verwendung des Gesetz gewordenen Wortlauts ist dem entgegen zu schließen, daß gerade auch die Tatsache der Beitragszahlung zur deutschen Rentenversicherung als Pflichtversicherte während eines längeren, noch nicht allzu weit zurückliegenden Zeitraums und die daraus zu entnehmende fortbestehende enge Bindung an die Sozialversicherung in ihrem Kerngebiet für die gesetzliche Regelung bedeutsam war (vgl. dazu das erwähnte Urteil des 1. Senats).

Das Urteil des LSG war daher aufzuheben. Da die Klägerin die Voraussetzungen für die Gewährung des Altersruhegelds nach § 1248 Abs. 3 RVO hiernach nicht erfüllt hat, war auf die Berufung der Beklagten hin das Urteil des LSG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2291014

BSGE, 110

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