Leitsatz (amtlich)
Hat das Revisionsgericht in einem zurückverweisenden Urteil über eine Rechtsfrage entschieden, so hat diese ungeachtet der gegen die Entscheidung vorgebrachten Einwendungen mangels Klärungsfähigkeit keine grundsätzliche Bedeutung, wenn bei erneuter Befassung mit derselben Streitsache das Revisionsgericht an seine frühere Rechtsauffassung gebunden ist.
Normenkette
SGG § 160 Abs 2 Nr 1 Fassung: 1974-07-30, § 160a Abs 2 S 3 Fassung: 1974-07-30, § 170 Abs 2 S 2 Fassung: 1953-09-03, § 170 Abs 5 Fassung: 1974-07-30
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 13.01.1984; Aktenzeichen L 3 J 34/82) |
SG Duisburg (Entscheidung vom 24.10.1978; Aktenzeichen S 6 (9) J 275/76) |
Gründe
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen vom 13. Januar 1984 ist zulässig, aber nicht begründet.
Auf die Beschwerde ist die Revision ua zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-). In der Begründung der Beschwerde muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt werden (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten entspricht diesen Erfordernissen. Sie hat formgerecht eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt. Hierfür ist erforderlich, daß der Beschwerdeführer die vom Revisionsgericht nach einer Zulassung der Revision zu entscheidende Rechtsfrage klar bezeichnet. Außerdem muß die Beschwerdebegründung erkennen lassen, aus welchen Gründen der Klärung dieser Rechtsfrage eine grundsätzliche Bedeutung zukommt. Dazu sind Ausführungen des Beschwerdeführers erforderlich, aus denen sich ergibt, daß die angestrebte Entscheidung über den Einzelfall hinaus allgemeine Bedeutung besitzt, von ihr also erwartet werden kann, daß sie in einer bisher nicht geschehenen, jedoch die Interessen der Allgemeinheit berührenden Weise das Recht oder die Rechtsanwendung fortentwickeln oder vereinheitlichen wird (vgl BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11 S 14; BSG SozR aaO Nr 7 S 10; Nr 17 S 24; Nr 39 S 58; Nr 47 S 64). Ist eine Rechtsfrage vom Revisionsgericht bereits geklärt worden, so ist sie im Regelfall nicht mehr klärungsbedürftig. Abweichend von diesem Regelfall kann die Klärungsbedürftigkeit ausnahmsweise bejaht werden, wenn der Rechtsprechung in nicht geringfügigem Umfange widersprochen worden ist und gegen sie nicht von vornherein abwegige Einwendungen vorgebracht worden sind. Das hat der Beschwerdeführer im einzelnen darzulegen (BSG SozR aaO Nr 13 S 19 f).
Dem genügt die Beschwerdebegründung der Beklagten. Der Rechtsstreit wird um die Gewährung einer Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit (BU-Rente) und insoweit speziell um die Frage geführt, ob der Kläger mit dem bisherigen Beruf eines Facharbeiters auf die von ihm tatsächlich ausgeübten ungelernten Tätigkeiten des zweiten Abfertigers an der Torwaage (jetzige Bezeichnung: 2. Verwieger) bzw des Schreibpförtners im Hinblick auf eine ihm zugebilligte tarifliche Lohnabsicherung von 90 vH seines früheren Facharbeiterlohns zumutbar verwiesen werden darf. Diese Frage hat das LSG unter Bezugnahme auf die Urteile des 5. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 11. September 1979 (BSGE 49, 34 = SozR 2200 § 1246 Nr 49) und des beschließenden Senats vom 12. November 1980 (BSG SozR aaO Nr 69) verneint. Demgegenüber macht die Beklagte unter Hinweis auf die Urteile des 4. Senats des BSG vom 19. März 1980 und vom 24. Juni 1982 (BSG SozR aaO Nrn 60 und 93) sowie auf die Ausführungen von Heinze (DAngVers 1982, 437 ff) geltend, die Frage, ob ein Versicherter, der aus gesundheitlichen Gründen eine Facharbeitertätigkeit habe aufgeben müssen und eine ungelernte Tätigkeit verrichte, jedoch einen tariflichen Anspruch auf Verdienstsicherung - wenn auch nur zu 90 % - habe, berufsunfähig sei, wenn eine Rente auf den Verdienstsicherungsanteil des Lohnes anzurechnen sei, sei bisher nicht geklärt und deswegen klärungsbedürftig. Sie habe nach wie vor allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung, weil für eine große Anzahl von Arbeitnehmern eine - meist volle - Verdienstsicherung tariflich vereinbart sei. Mit diesem Vorbringen ist eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt worden.
Die Rechtssache hat jedoch eine solche Bedeutung nicht. Hierfür reicht nicht aus, daß die nach Meinung des Beschwerdeführers grundsätzliche Rechtsfrage klärungsbedürftig ist. Hinzukommen muß ihre Klärungsfähigkeit. Das Revisionsgericht muß nach und aufgrund der Zulassung der Revision in der Lage sein, über die klärungsbedürftige Rechtsfrage auch sachlich entscheiden zu können. Nur unter dieser Voraussetzung ist die angestrebte Entscheidung geeignet, bezüglich der klärungsbedürftigen Rechtsfrage die Rechtseinheit zu wahren oder zu sichern oder die Fortbildung des Rechts zu fördern (vgl Beschluß des Senats in BSG SozR 1500 § 160 Nr 39 S 36).
Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt. Die von der Beklagten aufgezeigte Rechtsfrage ist nicht klärungsfähig. Dem steht die Selbstbindung des beschließenden Senats an seine Rechtsauffassung entgegen, die er in dem vorliegenden Rechtsstreit der Beteiligten in seinem zurückverweisenden Urteil vom 9. Dezember 1981 (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 85) geäußert hat. Der Senat hat in diesem Urteil (aaO, S 265) ausgesprochen, der qualitative Wert der Tätigkeit des Klägers als zweiter Abfertiger an der Torwaage und damit zugleich die Frage, ob diese Tätigkeit eine Anlerntätigkeit und deswegen einem bisherigen Facharbeiter beruflich zumutbar sei, ließen sich nicht aufgrund des dem Kläger gewährten Effektivlohnes und dessen Verhältnisses zum tariflichen Facharbeiterlohn beurteilen. Deswegen sei die Frage, ob bei dem Effektivlohn des Klägers aus seiner gegenwärtigen Tätigkeit auch der aufgrund einer tariflichen Lohnabsicherung gezahlte Teil des Lohnes zu berücksichtigen sei, für die Entscheidung des Rechtsstreits unerheblich.
An diese Rechtsauffassung wäre der Senat in einem erneuten Revisionsverfahren (zweiter Rechtsgang) zwischen den Beteiligten gebunden. Im Falle einer Zurückverweisung des Rechtsstreits zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Tatsachengericht (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG) hat nicht nur dieses seiner Entscheidung die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts zugrundezulegen (§ 170 Abs 5 SGG). Vielmehr ist im zweiten Rechtsgang desselben Rechtsstreits auch das Revisionsgericht selbst an seine in einem zurückverweisenden ersten Urteil geäußerte Rechtsauffassung gebunden (vgl BSGE 47, 194, 195 = SozR 2200 § 1399 Nr 11 S 15). Allerdings gilt dieser Grundsatz der Selbstbindung des Revisionsgerichts nicht ausnahmslos. Das Revisionsgericht ist an seine bisherige Rechtsauffassung nicht gebunden, wenn die maßgebende Rechtsfrage inzwischen vom Großen Senat anders entschieden worden ist (BSGE 17, 50, 56; 21, 292, 295) oder wenn der zur Entscheidung berufene Senat seine der Zurückverweisung zugrundeliegende Rechtsauffassung vor der erneuten Befassung mit derselben Streitsache zwischenzeitlich in einem anderen Rechtsstreit aufgegeben bzw geändert und diese Aufgabe bzw Änderung bekanntgemacht hat (BSG SozR Nr 12 zu § 170 SGG; Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes - GemSOGB - in BSGE 35, 293, 295 ff = SozR Nr 15 zu § 170 SGG; BGH BG 1979, 462; BFH DB 1984, 702). Hingegen ist es dem Revisionsgericht verwehrt, im selben Verfahren seine in der ersten aufhebenden Entscheidung vertretene Rechtsauffassung anläßlich der erneuten Befassung mit der Sache zu ändern (so für das Verfahren der Rechtsbeschwerde nach § 92 des Arbeitsgerichtsgesetzes (BAGE 36, 1, 7 f; vorher offen gelassen vom GemSOGB in BSGE 35, 293, 298 = SozR Nr 15 zu § 170 SGG und von BSG SozR 1500 § 170 Nr 3 S 8).
Das muß auch im vorliegenden Fall gelten. Eine der Ausnahmevoraussetzungen, unter denen der Senat an seine im Urteil vom 9. Dezember 1981 geäußerte Rechtsauffassung zur Erheblichkeit des aufgrund tariflicher Lohnabsicherung gezahlten Effektivlohns nicht gebunden wäre, liegt nicht vor. Weder hat zwischenzeitlich der Große Senat des BSG die Rechtsfrage anders entschieden, noch hat der beschließende Senat selbst seine Rechtsauffassung inzwischen in einem anderen Rechtsstreit geändert oder aufgegeben. Schon aus diesem Grunde könnte er nach und aufgrund einer Zulassung der Revision über die nach Meinung der Beklagten grundsätzliche Rechtsfrage nicht erneut sachlich und gegebenenfalls abweichend entscheiden. Bereits und allein deswegen hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Angesichts dessen kann auf sich beruhen und bleibt ausdrücklich offen, ob die von der Beklagten aufgezeigte Rechtsfrage klärungsbedürftig ist.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen