Entscheidungsstichwort (Thema)
Konkursausfallversicherung. Säumniszuschläge. Ermessen der Einzugsstelle
Orientierungssatz
1. Die Bundesanstalt für Arbeit hat auch nach § 141n AFG neben den rückständigen Beiträgen auch Säumniszuschläge bis zur endgültigen Zahlung der Beiträge zu entrichten.
2. Die Erhebung von Säumniszuschlägen unterliegt dem pflichtgemäßen Ermessen der Einzugsstelle (§ 24 SGB 4).
Normenkette
AFG § 141n Abs 1; SGB 4 § 24 Abs 1 Fassung: 1976-12-23
Verfahrensgang
LSG Hamburg (Entscheidung vom 20.01.1983; Aktenzeichen V ARBf 38/82) |
SG Hamburg (Entscheidung vom 14.05.1982; Aktenzeichen 6 AR 543/81) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte im Rahmen ihrer Leistungspflicht gemäß § 141n des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) der Klägerin auch Säumniszuschläge zu zahlen hat.
Zwischen den Beteiligten bestand zunächst Streit darüber, wann die Firma G. in Hamburg ihre Betriebstätigkeit eingestellt hatte. Deshalb hatte die Beklagte der Klägerin zunächst nur die Beiträge für die Zeit vom 15. Januar bis 2. Februar 1979 gezahlt; die von der Klägerin weiter für die Zeit bis zum 14. April 1979 beanspruchten Beiträge hat die Beklagte erst aufgrund des von ihr in dem beim Sozialgericht (SG) Hamburg unter dem Aktenzeichen 6 AR 512/80 anhängig gewesenen Rechtsstreit abgegebenen Anerkenntnisses am 16. Juli 1981 entrichtet.
Die Klägerin fordert von der Beklagten jetzt noch Säumniszuschläge für die Zeit vom 16. Mai 1979 bis 16. Juli 1981 in Höhe von 1.606,20 DM und hilfsweise die Zahlung von Verzugszinsen für die Zeit vom 1. November 1980 bis zum 30. Juli 1981 in Höhe von 162,05 DM. Das SG hat die Beklagte mit Urteil vom 14. Mai 1982 entsprechend dem Hauptantrag verurteilt. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten mit Urteil vom 20. Januar 1983 zurückgewiesen: Die in § 141n Satz 1 AFG normierte Leistungspflicht der Beklagten umfasse auch die Säumniszuschläge. Der Sicherungszweck der Konkursausfallversicherung gebiete es, auch die Nebenforderungen zu den Beitragsansprüchen, zu denen auch die Säumniszuschläge gehörten, in die Verpflichtung der Beklagten einzubeziehen. Für die Richtigkeit dieser Abgrenzung spreche auch die Privilegierung der Säumniszuschläge im Konkursverfahren. Die Klägerin habe bei der Anmeldung ihrer Forderung auch ihr Ermessen sachgerecht ausgeübt. Die Beklagte trägt zur Begründung ihrer - vom LSG zugelassenen - Revision vor, zwar seien neben den zu entrichtenden Beiträgen ua auch Säumniszuschläge zu zahlen; dies jedoch nur, soweit sie bis zur Antragstellung entstanden seien, weil der mit der Antragstellung kraft Gesetzes eintretende Forderungsübergang auf die Beklagte zur Folge habe, daß der Einzugsstelle Ansprüche gegen den Arbeitgeber nicht mehr zustünden, für die die Beklagte einzutreten habe.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Hamburg vom 20. Januar 1983 und des Sozialgerichts Hamburg vom 14. Mai 1982 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Der Klägerin stehen weder Säumniszuschläge noch die hilfsweise geltend gemachten Verzugszinsen zu.
Der Zulässigkeit der Klage steht nicht entgegen, daß die Klägerin zunächst nur Verzugszinsen gefordert und erst im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens den Anspruch auf Säumniszuschläge als Hauptbegehren erhoben und die Verzugszinsen nur noch hilfsweise geltend gemacht hat. Denn insoweit liegt, wie das LSG zutreffend entschieden hat, eine rechtswirksame Klageänderung iS des § 99 SGG vor.
Die Beklagte hat zutreffend entschieden, daß der Klägerin der geltend gemachte Anspruch auf Säumniszuschläge nicht zusteht. Die Klägerin dürfte an sich zwar im Rahmen des § 141n AFG auch von der Beklagten Säumniszuschläge auf die gesamten rückständig gebliebenen Beiträge fordern, sie hat jedoch hierfür ihr Ermessen nicht sachgerecht ausgeübt.
Nach § 24 des Sozialgesetzbuches - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV) kann die Einzugsstelle nach ihrem Ermessen von dem mit der Zahlung der fälligen Beiträge im Verzug befindlichen Beitragsschuldner einen Säumniszuschlag nach näherer Maßgabe dieser Vorschrift fordern. Wie das LSG unwidersprochen festgestellt hat, sind die von der Klägerin geltend gemachten Säumniszuschläge der Höhe nach schlüssig.
Das LSG hat den Säumniszuschlag zutreffend auch als Teil des Beitragsanspruches iS des § 141n AFG beurteilt. Der erkennende Senat hat bereits in seinem Urteil vom 2. Februar 1984 - 10 RAr 8/83 - (zur Veröffentlichung bestimmt) entschieden und im einzelnen begründet, daß die Vorschrift des § 141n AFG, obwohl in ihr ausdrücklich nur die Beiträge genannt sind, auch die auf die Beitragsansprüche entfallenden Nebenforderungen erfaßt und daß diese Abgrenzung aus dem Sicherungszweck der Konkursausfallversicherung, insbesondere ihrem Regelungszusammenhang mit dem Konkursrecht abzuleiten ist. Danach zählen zu den in den Rang von Masseschulden erhobenen Beitragsrückständen auch die darauf entfallenden Säumniszuschläge und zwar auch, soweit sie erst nach der Konkurseröffnung angefallen sind. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) in bereits ständiger Rechtsprechung zu § 28 Abs 3 Reichsversicherungsordnung (RVO) - idF des Gesetzes über Konkursausfallgeld vom 17. Juli 1974 (BGBl I 1481) - entschieden (siehe im einzelnen die Nachweise in dem Urteil vom 2. Februar 1984 aaO). Insbesondere hat der erkennende Senat darauf hingewiesen, daß diese Rechtslage durch die Streichung des § 28 Abs 3 RVO und die Übernahme des Normgehalts dieser Vorschrift in die Konkursordnung -KO- (§ 59 Abs 1 Nr 3 Buchst e KO, angefügt durch Art II § 10 Nr 1 Buchst a SGB IV) bestätigt worden ist; durch den Wortlaut dieser Vorschrift ist nunmehr deutlicher als bisher durch § 28 Abs 3 RVO klargestellt, daß mit der Bezeichnung der "Rückstände" für die letzten sechs Monate vor der Konkurseröffnung nur die Hauptforderung der Einzugsstelle zeitlich begrenzt wird, während die auf Beitragsrückstände entfallenden Nebenforderungen zu den Masseschulden gehören, auch soweit sie für Zeiten nach der Konkurseröffnung angefallen sind, weil mit der Konkurseröffnung der Verzug des Gemeinschuldners nicht beseitigt worden ist. Da der Gesetzgeber die Ansprüche der Versicherungsträger ausdrücklich zu Masseschulden erklärt hat und nicht ersichtlich ist, daß die damit verbundene Besserstellung nicht auf die Nebenforderungen erstreckt werden soll, ist für die entsprechende Anwendung der für Konkursforderungen geltenden Vorschriften der §§ 62, 63 KO kein Raum.
Sind mithin die Nebenforderungen uneingeschränkt von § 59 Abs 1 Nr 3 Buchst e KO erfaßt, so erstreckt sich auch die Konkursausfallversicherung uneingeschränkt auf die Nebenforderungen. Denn die Konkursausfallversicherung knüpft hinsichtlich des Umfanges der Versicherung an die konkursrechtlichen Regelungen an. Das ist zwar für die Beitragsansprüche in § 141n AFG nicht ausdrücklich bestimmt, weil in dieser Vorschrift keine Verweisung auf § 59 Abs 1 Nr 3 Buchst e KO erfolgt ist. In § 141n AFG sind auch die Säumniszuschläge, die in § 59 Abs 1 Nr 3 Buchst e KO ausdrücklich genannt sind, nicht erwähnt. Gleichwohl rechtfertigen die Gründe, die vor der Übernahme des Normgehalts des § 28 Abs 3 RVO in § 59 Abs 1 Nr 3 Buchst e KO dafür maßgeblich waren, Säumniszuschläge ohne ausdrückliche Erwähnung im Gesetz den Masseschulden zuzurechnen (BSGE 38, 213), sie auch im Rahmen von § 141n AFG zu berücksichtigen. Der Gesetzgeber wollte mit der Privilegierung der Beitragsforderungen im Konkurs erreichen, daß die Einzugsstellen die ihnen für ihre Zwecke nach Gesetz und Satzung geschuldeten Leistungen möglichst ungeschmälert erhalten. Die Säumniszuschläge dienen neben dem Zweck, der Säumnis bei der Erfüllung von Beitragspflichten entgegenzuwirken, vornehmlich dazu, daß die Träger der Sozialversicherung einen gesetzlich standardisierten Mindestschadensausgleich erhalten (vgl BSGE 35, 78, 81). Wegen ihrer engen Verbindung mit dem Beitrag erscheint es gerechtfertigt, die Säumniszuschläge uneingeschränkt den konkursausfallrechtlich gesicherten Beitragsansprüchen des § 141n AFG zuzurechnen (erkennender Senat aaO mwN). Die Richtigkeit dieser Auslegung ergibt sich, wie der erkennende Senat ebenfalls schon ausführlich begründet hat (aaO), auch aus den Motiven des Gesetzgebers und der gesetzlichen Konstruktion des § 141n Abs 1 AFG. Mit dieser Vorschrift soll erreicht werden, daß den Versichertengemeinschaften, deren Mittel aus Beiträgen der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber aufgebracht werden, durch den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers "keine Nachteile entstehen" (BT-Drucks 7/1750 S 15 zu § 141n AFG). Durch § 141n Abs 1 AFG sollen die Versicherungsträger daher wirtschaftlich so gestellt werden, als stünde ihnen weiterhin ein zwar im Verzug befindlicher, jedoch solventer Arbeitgeber gegenüber. In diese Position tritt die Beklagte ein. Sie hat deshalb aus Mitteln der Konkursausfallversicherung nicht nur die rückständigen Beiträge, sondern auch die hierauf entfallenden Säumniszuschläge zu leisten.
Diese rechtliche Ausgestaltung der Eintrittspflicht der Beklagten hat zur Folge, daß sie nicht nur die bis zum Zeitpunkt der Antragstellung rückständig gewordenen Beiträge und Säumniszuschläge in dem in § 141n Satz 1 AFG (in der bis zum 31. Juli 1979 geltenden Fassung durch Art 1 Nr 5 des Gesetzes vom 17. Juli 1974 - BGBl I 1481 -) -aF-/§ 141 Abs 1 Satz 1 AFG geregelten Umfange, zu zahlen hat, sondern hinsichtlich der Säumniszuschläge gegenüber der Einzugsstelle von der Antragstellung an in gleicher Weise wie der säumig gebliebene und insolvent gewordene Arbeitgeber leistungspflichtig ist. Die Beklagte hat über den Beitragsanspruch gemäß § 141n AFG zwar aufgrund des Antrages der Einzugsstelle von Amts wegen zu entscheiden und im Zusammenhang damit alle Leistungsvoraussetzungen sorgfältig zu prüfen. Zahlt sie aber gleichwohl die Beiträge nicht innerhalb angemessener Zeit nach der Anmeldung, so wird sie in gleicher Weise säumig wie der säumig gebliebene Arbeitgeber.
Entgegen der von der Revision vertretenen Auffassung ist auch nicht entscheidungserheblich, daß gemäß § 141n Satz 3 AFG aF iVm § 141m AFG in der Zeit bis Juli 1979 der Beitragsanspruch einschließlich der Nebenforderungen auf die Beklagte überging (erkennender Senat aa0). In dem zur Entscheidung stehenden Fall sind keine übergegangenen Ansprüche oder Säumniszuschläge, sondern nur Säumniszuschläge für einen nach der Antragstellung liegenden Zeitraum streitig. Die bis zum 31. Juli 1979 in Kraft gewesene Regelung über den Übergang des Anspruches gegen den Arbeitgeber hat auch nicht, wie die Revision meint, generell oder bezüglich der Säumnis der Beklagten für die auf sie übergegangenen Ansprüche zur Folge, daß die Beklagte in der Zeit nach der Antragstellung nicht in gleicher Weise säumig werden oder bis zur Entrichtung der Beiträge bleiben konnte, wie der im Zahlungsverzug befindliche Arbeitgeber. Der Übergang rückständiger Beiträge und rückständiger Beitragsnebenforderungen diente lediglich Sicherungszwecken (s dazu ausführlich erkennender Senat aaO) und schloß die zukünftige eigene Säumnis der Beklagten nicht aus.
Die Beklagte hat mithin grundsätzlich Säumniszuschläge für die Zeit nach der Antragstellung durch die Einzugsstelle zu zahlen. Die Einzugsstelle kann jedoch - wie im Regelfalle gegenüber dem säumigen Arbeitgeber - auch gegenüber der Beklagten Säumniszuschläge nur nach Ausübung eines dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Ermessens fordern (§ 24 Abs 1 SGB IV). Eine sachgerechte Ausübung dieses Ermessens ist hier jedoch nicht erfolgt. Denn es entspricht nicht der - zuvor bereits dargelegten - Zielsetzung der Säumniszuschläge, wenn die Einzugsstelle nach Ablauf des dritten Monats der Nichtzahlung der Beiträge ohne Rücksicht auf den Einzelfall Säumniszuschläge fordert. Vielmehr hat sie die Umstände des Einzelfalles zu prüfen und bei Inanspruchnahme der Beklagten auch die Besonderheiten des Leistungsverhältnisses iS des § 141n AFG zu beachten. Entscheidungserheblich ist deshalb nicht allein der Zahlungsverzug der Beklagten, sondern auch der Grund, weshalb die Beklagte die Forderung nicht in angemessener Frist befriedigt hat. Die Einzugsstelle hat deshalb abzuwägen, ob die Beklagte die Entrichtung der geforderten Beiträge schuldhaft verzögert hat. Das ist erst dann der Fall, wenn die Beklagte entweder trotz substantiierter Darlegung der tatsächlichen Anspruchsgrundlagen durch die Einzugsstelle oder infolge schuldhafter Verzögerung der eigenen Ermittlungen hinsichtlich der Leistungsvoraussetzungen und bei nicht ernstlich zweifelhafter Rechtslage nicht leistet. Die Beklagte darf zwar das Risiko einer zweifelhaften Sach- und Rechtslage nicht der Einzugsstelle zuschieben (vgl entsprechend zu § 1436 Abs 2 RVO: Erkennender Senat, Urteil vom 25. April 1984 - 8 RK 30/83 - zur Veröffentlichung bestimmt). Die Einzugsstelle muß aber im Rahmen ihrer Ermessenserwägungen berücksichtigen, ob die Beklagte bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt mit einer weiteren Klärung des Sachverhalts oder mit einer abweichenden Beurteilung der Rechtslage durch die Gerichte rechnen durfte.
Ermessenserwägungen dieser Art hat die Klägerin nicht angestellt. Sie hat vielmehr fehlerhaft gemeint, aufgrund einer entsprechenden Regelung in ihrer Satzung generell für die Zeit ab dem dritten Monat nach dem Eintritt des Zahlungsverzuges zur Erhebung der Säumniszuschläge iS des § 24 SGB IV berechtigt zu sein. Da die im Verwaltungsverfahren - bis zum Erlaß des Widerspruchsbescheides - unterbliebenen Ermessenserwägungen im gerichtlichen Verfahren nicht nachgeholt werden dürfen, ist der angefochtene Bescheid bezüglich des Hauptanspruches rechtmäßig.
Der Klägerin steht auch der hilfsweise geltend gemachte Zinsanspruch, über den der erkennende Senat nunmehr zu entscheiden hat, nicht zu. Der Verzinsung gemäß § 44 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil - (SGB I) unterliegen nur Geldleistungen aus der Sozialversicherung. Eine solche Leistung beansprucht die Klägerin hier nicht. Zwar leistet die Beklagte aus der Konkursausfallversicherung. § 44 SGB I bezieht sich aber nach seiner Zielsetzung nur auf Ansprüche auf Sozialleistungen iS des § 11 SGB I, die dem Bürger gegen einen Sozialleistungsträger zustehen (Hauck/Haines, SGB I, K § 44, RdNr 3). Rückständige Beiträge sind seit dem Inkrafttreten des § 24 SGB IV am 1. Juli 1977 und der gleichzeitigen Außerkraftsetzung der bisherigen Verzinsungsregelung in § 397a Abs 2 RVO aF (durch Art II § 1 Nr 1 Buchst b des Gesetzes vom 23. Dezember 1976 -BGBl I 3845-) nicht mehr zu verzinsen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 4 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1659926 |
ZIP 1984, 1513 |