Leitsatz (amtlich)
Eine Leistung lediglich aus der Höherversicherung ist keine "Rente iS des RVO § 165 Abs 1 Nr 3; sie begründet keine Mitgliedschaft in der KVdR.
Leitsatz (redaktionell)
Zu den "Voraussetzungen für den Bezug einer Rente" iS des RVO § 165 Abs 1 Nr 3 aF - ebenso wie zu den "Voraussetzungen für den Bezug einer Rente" iS des RVO § 381 Abs 4 S 1 aF - gehört die versicherungsrechtliche Bedingung der erfüllten Wartezeit.
Normenkette
RVO § 165 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1967-12-21, § 1261 Fassung: 1957-02-23, § 381 Abs. 4 S. 1
Verfahrensgang
Hessisches LSG (Entscheidung vom 12.08.1976; Aktenzeichen L 6 J 198/76) |
SG Kassel (Entscheidung vom 27.01.1976; Aktenzeichen S 8 J 130/75) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Hessischen Landessozialgerichts vom 12. August 1976 und des Sozialgerichts Kassel vom 27. Januar 1976 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger zu dem in § 165 Abs. 1 Nr. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) genannten Personenkreis gehört.
Der Kläger entrichtete in den Jahren 1961 bis 1964 rentenversicherungspflichtige Beiträge für insgesamt 42 Monate und außerdem 30 Beiträge zur Höherversicherung (HV). Die Beklagte gewährte ihm mit Bescheid vom 30. April 1975 wegen Erwerbsunfähigkeit ab 1. Januar 1974 Rente allein aus den HV-Beiträgen. Gleichzeitig teilte sie mit, daß aus den Pflichtbeiträgen mangels Erfüllung der Wartezeit keine Rente gezahlt werde und die Rente aus den HV-Beiträgen keine Mitgliedschaft in der Rentnerkrankenversicherung (KVdR) begründe. Das Sozialgericht (SG) hat den Bescheid der Beklagten geändert und festgestellt, der Kläger gehöre zum Personenkreis des § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO (Urteil vom 27. Januar 1976). Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg (Urteil vom 12. August 1976). Das Landessozialgericht (LSG) hat ausgeführt: Auch eine nur auf HV-Beiträgen beruhende Rente begründe die Versicherungspflicht in der KVdR nach § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO. Das Krankenversicherungsrecht spreche von "einer Rente aus der Rentenversicherung der Arbeiter oder der Rentenversicherung der Angestellten" (§ 165 Abs. 1 Nr. 3, § 381 Abs. 4 RVO). Eine Differenzierung nach Rentenberechnungsgrundlagen finde sich in den maßgebenden Vorschriften nicht.
Mit der - zugelassenen - Revision rügt die Beklagte Verletzung des § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO. Sie verweist auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) und meint, es wäre systemwidrig, die reine HV-Rente als Rente i. S. dieser Vorschrift anzusehen.
Die Beklagte beantragt,
die vorinstanzlichen Urteile aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Beigeladene schließt sich diesem Antrag an.
Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet.
Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen gehört der Kläger nicht zu dem von § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO erfaßten Personenkreis; denn dieser umfaßt lediglich Personen, welche die Voraussetzungen für den Bezug einer "Rente" aus der Rentenversicherung der Arbeiter oder der Rentenversicherung der Angestellten erfüllen und diese "Rente" beantragt haben. Die von der Beklagten mit dem vom Kläger angefochtenen Bescheid vom 30. April 1975 festgestellte Leistung aus der HV ist jedoch nicht als "Rente" i. S. dieser Vorschrift anzusehen.
Der erkennende Senat hat bereits in mehreren am 29. September 1976 verkündeten Urteilen (- 3 RK 54/74 - SozR 2200 § 381 RVO Nr. 11 -, 3 RK 74/74, 3 RK 5/75, 3 RK 57/75 -) im einzelnen dargelegt, daß nach der Entstehungsgeschichte der HV deutlich zwischen der eigentlichen Rente - die auf Beiträgen nach den Grundversicherungsarten beruht, die Erfüllung versicherungstechnischer Voraussetzungen erfordert und sich aus einem für alle Versicherten gleichen Grundbetrag und dem nach der individuellen Beitragsleistung bemessenen Steigerungsbetrag errechnet - und der bloßen HV-Leistung zu unterscheiden ist. Letztere ist an sich lediglich eine Zusatzzahlung, die sich aus den Steigerungsbeträgen für die einzelnen entrichteten HV-Beiträge zusammensetzt. Als Rentner i. S. der KVdR kommen aber nur Personen in Betracht, die die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllen.
Weder aus dem Gesetzentwurf zur Neuregelung der KVdR noch aus den Begründungen dazu läßt sich entnehmen, daß die Bezieher eines bloßen Steigerungsbetrages aus der HV dem Kreis der eigentlichen Rentenbezieher gleichgestellt werden sollten. Ein Wesensmerkmal der gesetzlichen Rentenversicherung aber ist es, die wichtigste Leistung aus diesem Versicherungszweig - die Rente - nur den Versicherten zu gewähren, die zuvor ein Versicherungsrisiko erfüllt haben; denn diese Sozialversicherungsleistung ist sowohl ihrer Entstehung als auch ihrer Berechnung nach dazu bestimmt, dem sozialen Ausgleich zu dienen. Das Versicherungsrisiko findet seinen versicherungstechnischen Ausdruck neben anderem aber in der Bedingung der Wartezeit. Zur Erfüllung dieser Bedingung taugen jedoch nur Grundbeiträge; denn nur sie sind sozial adäquat, weil sie auf das Beschäftigungsverhältnis zurückgehen und sich auch der Höhe nach an dem Arbeitsentgelt orientieren. Dasselbe galt für die freiwilligen Beiträge, weil auch sie entsprechend der Höhe des Einkommens entrichtet werden mußten. Im Gegensatz dazu standen die Beiträge zur HV. Sie waren weder an ein Beschäftigungsverhältnis noch an eine Einkommenshöhe gebunden, sondern konnten völlig frei gewählt werden. Da sie ohne das Versicherungsrisiko der Wartezeiterfüllung zu einer Leistung führten, die nach rein versicherungsmathematischen Grundsätzen bemessen war, boten sie für das Prinzip des sozialen Ausgleichs keinen Anwendungsraum; die Zahlung aus den Steigerungsbeträgen hatte demgemäß nicht den Charakter einer sozialadäquaten Leistung. Sie konnte mithin auch nicht dieselben Rechtsfolgen wie eine solche Leistung auslösen. Der Gesetzgeber der KVdR beabsichtigte, der Gruppe der (damals) Pflichtversicherten eine kostenfreie Rentnerkrankenversicherung zu verschaffen, und er gewährte den Nichtpflichtversicherten den Beitragszuschuß aus Gründen der Gleichbehandlung (vgl. Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 2. Wahlperiode 1953, 141. Sitzung, Seite 7277 D, 7278 A). Diese Vergünstigungen fanden ihre Rechtfertigung in der wirtschaftlich ungünstigen Lage der Rentner. Sie waren mithin sozial begründet und konnten demgemäß nur für diejenigen in Betracht kommen, bei denen die sozial adäquaten Leistungsvoraussetzungen - Grundbeiträge, Wartezeit - erfüllt waren (vgl. dazu auch BSG, Urteil vom 29.4.1976 - 4 RJ 165/75, SozR 2200 § 1262 RVO Nr. 8 - über die Frage des Kinderzuschusses zur HV-Leistung).
An dieser Rechtslage hat sich durch den Erlaß der Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze im Prinzip nichts geändert. Auch danach konnten HV-Beiträge nicht für sich allein entrichtet werden (§ 1234 Abs. 1 RVO), Leistungen aus der HV hingegen waren selbst bei Nichterfüllung der Wartezeit zu gewähren. Das Gesetz hat zwar für diese Leistungen aus der HV auch die Bezeichnung "Rente" verwendet - § 1246 Abs. 4, § 1247 Abs. 4, § 1263 Abs. 3 RVO -, jedoch war mit dieser Textfassung kein Funktionswandel der Leistung verbunden. Für die eigentliche Rente blieb auch nach der Rentenreform 1957 die Erfüllung der Wartezeit als Anspruchsvoraussetzung bestehen.
Schließlich zeigt die für die HV-Leistung vorgesehene Berechnungsmethode (§ 1261 RVO schreibt lediglich die Gewährung von Steigerungsbeträgen auf die gezahlten HV-Beiträge vor), die im Gegensatz zur Berechnungsweise der auf Grundbeiträgen beruhenden Rente (vgl. §§ 1253 bis 1960 b, 1272 RVO), steht, daß die bloße Leistung aus der HV einen anderen Rechtscharakter hat als die Rente i. S. der §§ 1245, 1263 Abs. 1 RVO (vgl. dazu BSG SozR Nr. 19 zu § 183 RVO). In diesem Zusammenhang erlangt die Vorschrift des § 1272 Abs. 3 RVO besondere Bedeutung, denn sie schließt Leistungen aus der HV von den gerade für das neue Rentensystem typischen Maßnahmen der Rentendynamik aus.
Spätere Änderungen des Rentenversicherungsrechts haben an der rechtlichen Verschiedenheit zwischen reiner HV-Leistung und eigentlicher Rente nichts geändert. Auch aus der durch das Rentenreformgesetz (RRG) vom 16. Oktober 1972 (BGBl I 1965) erfolgten Neufassung des § 1295 RVO läßt sich nur eine Bestätigung der bisherigen Rechtslage ableiten; denn der Gesetzgeber hat damit die rechtliche Differenzierung zwischen der HV-Leistung und der Rente aus Grundbeiträgen für die Zukunft noch deutlicher herausgestellt.
Nach alledem gehört zu den "Voraussetzungen für den Bezug einer Rente" i. S. des § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO - ebenso wie zu den "Voraussetzungen für den Bezug einer Rente" i. S. des § 381 Abs. 4 Satz 1 RVO (vgl. die eingangs genannten Urteile des Senats vom 29.9.1976) - auch die versicherungsrechtliche Bedingung der erfüllten Wartezeit. Der Kläger hat aber vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit nur eine Versicherungszeit von 42 Monaten zurückgelegt. Damit war die Wartezeit für eine Rente aus der Grundversicherung (§ 1246 Abs. 3, § 1247 Abs. 3 RVO) nicht erfüllt. Es sind auch keine Tatsachen ersichtlich, nach denen sie als erfüllt gelten könnte. Der Kläger gehört deshalb nicht zu dem in § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO bezeichneten Personenkreis; die ihm von der Beklagten lediglich aus HV-Beiträgen gewährte Leistung begründet also keine Mitgliedschaft in der KVdR. Die Revision der Beklagten mußte mithin Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen