Entscheidungsstichwort (Thema)
Beginn der Arbeitslosigkeit an einem Sonn- oder Feiertag und die dreitägige Wartezeit des § 92 AVAVG
Leitsatz (redaktionell)
Der Beginn der Arbeitslosigkeit an einem Sonn- oder Feiertag und die dreitägige Wartezeit des § 92 AVAVG können nicht verhindern, die Arbeitslosigkeit schon vom ersten Tag an als Ausfallzeit (jetzt Anrechnungszeit) zu werten.
Tatbestand
I
Der Kläger erstrebt die Vormerkung der Zeit seiner Arbeitslosigkeit vom 1. bis zum 31. Januar 1950 als Ausfallzeit nach § 36 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Angestelltenversicherungsgesetz - AVG -.
Er war zuvor vom 5. Mai bis zum 31. Dezember 1949 in Berlin versicherungspflichtig beschäftigt. Zum 1. Januar 1950 wurde er arbeitslos, am 2. Januar meldete er sich arbeitslos und bezog für die Zeit vom 5. bis zum 31. Januar 1950 Arbeitslosenunterstützung. Anschließend war er vom 1. Februar 1950 bis zum 29. Februar 1952 wiederum in Berlin versicherungspflichtig beschäftigt.
Anläßlich eines Kontenklärungsverfahrens lehnte die Beklagte die Berücksichtigung der Zeit vom 5. Januar 1950 bis zum 31. Januar 1950 als Ausfallzeit mit der Begründung ab, sie umfasse keinen Kalendermonat; die dreitägige Wartezeit bis zum Unterstützungsbeginn i.S. des § 92 Abs. 1 Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) zähle zwar als Zeit der Arbeitslosigkeit, könne jedoch keine Ausfallzeit sein, weil während dieser Zeit keine der in § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG genannten Unterstützungsbezüge gewährt worden seien (Bescheid vom 23. Oktober 1975 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 7. April 1976).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 10. August 1977). Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) Berlin die Beklagte verurteilt, den Kalendermonat Januar 1950 als Ausfallzeit nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG vorzumerken (Urteil vom 10. Februar 1978). Das LSG meint: Nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG könne zwar grundsätzlich eine Arbeitslosigkeit als Ausfallzeit nur dann angerechnet werden, wenn nicht nur die Arbeitslosigkeit, sondern der gesamte Ausfallzeittatbestand mindestens einen ganzen Kalendermonat vorgelegen habe. Das folge aus Sinn und Zweck des Gesetzes. Mit der Mindestdauer von einem Kalendermonat sei beabsichtigt, einen versicherungsrechtlichen Ausgleich für kürzere Beitragsausfälle auszuschließen; auch solle damit dem Grundsatz des Vorrangs der Beitragszeiten Rechnung getragen werden. Der Kläger habe zwar nach den §§ 4 und 5 des Gesetzes über die Regelung der Arbeitslosenunterstützung in Groß-Berlin vom 25. April 1949 erst ab 5. Januar 1950 Arbeitslosenunterstützung beziehen können. Die Wartezeit habe mit dem Tag der Arbeitslosmeldung begonnen, eine dem § 92 Abs. 1 Satz 3 AVAVG a.F. ähnliche Bestimmung, wonach die Wartezeit an einem Sonn- oder Feiertag beginnt, wenn der Arbeitslose sich am folgenden Werktag arbeitslos gemeldet habe, habe das Gesetz vom 25. April 1949 nicht enthalten. Die Wartezeitregelung müsse jedoch bei der Ermittlung der Mindestbezugsdauer nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG nach dessen Sinn und Zweck unberücksichtigt bleiben. Es wäre wenig verständlich, wenn bei der Berechnung der Rente ein ganzer Monat der Arbeitslosigkeit nur deshalb nicht berücksichtigt werden könnte, weil es der Gesetzgeber auf dem Gebiet der Arbeitslosenversicherung vor dem Inkrafttreten des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) aus mehr oder weniger praktischen bzw. verwaltungstechnischen Erwägungen für sinnvoll gehalten habe, dem Arbeitslosen den Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung bzw. Arbeitslosengeld grundsätzlich erst nach Ablauf einer Wartezeit von drei Tagen nach der Meldung beim Arbeitsamt zu geben.
Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt.
Sie beantragt ,unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. August 1977 zurückzuweisen.
Zur Begründung rügt die Beklagte Verletzung des § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG. Diese Vorschrift lasse entgegen der Ansicht des LSG auch für Fälle der vorliegenden Art keine Ausnahme von dem Grundsatz zu, daß für die Voraussetzung "mindestens einen Kalendermonat" nur die Zeiten einer Arbeitslosigkeit zählen, die auch selbst Ausfallzeit sein können. Der Kläger hat sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.
II
Die Revision der Beklagten ist unbegründet.
Das LSG hat die Beklagte zu Recht verurteilt, den Kalendermonat Januar 1950 als Ausfallzeit vorzumerken.
Der Anspruch auf Vormerkung des Kalendermonats Januar 1950 setzt voraus, daß der Ausfallzeittatbestand des § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG , der hier allein in Betracht kommt, vom 1. bis zum 31. des Monats vorgelegen hat. Denn insoweit ist es ohne Bedeutung, daß nach Abs. 4 des § 36 AVG bei der späteren Rentenberechnung Kalendermonate voll angerechnet werden, die nur teilweise mit Ausfallzeiten belegt sind. Die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage auf Vormerkung einer Ausfallzeit (vgl. hierzu BSGE 42, 159, 160; 44, 242; BSG Urteil vom 24. November 1978 - 11 RA 9/78 -) betrifft nur die Feststellung der strittigen Zeit als Ausfallzeit nach Abs. 1 des § 36 AVG , nicht aber deren Anrechnung auf die Versicherungszeit nach Maßgabe der folgenden Absätze 3 und 4.
Nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG in der Fassung des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes (RVÄndg) vom 9. Juni 1965 (BGBl. I S. 476) sind Ausfallzeiten, Zeiten, in denen eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit durch eine mindestens einen Kalendermonat andauernde Arbeitslosigkeit unterbrochen worden ist, wenn der bei einem deutschen Arbeitsamt als Arbeitsuchender gemeldete Arbeitslose bestimmte Leistungen bezogen oder aus bestimmten Gründen nicht bezogen hat. Nach der zuvor gültigen Fassung konnten als Ausfallzeit nur Zeiten anerkannt werden, in denen eine Beschäftigung durch eine länger als sechs Wochen andauernde Arbeitslosigkeit unterbrochen worden ist, vom Ablauf der sechsten Woche an, wenn die zuvor genannten zusätzlichen Voraussetzungen hinsichtlich der Meldung beim Arbeitsamt und des Leistungsbezuges vorlagen.
In beiden Fassungen des Gesetzes bezieht sich die Fristbestimmung nur auf die Arbeitslosigkeit, nicht aber auch auf die im folgenden Bedingungssatz verlangten zusätzlichen Voraussetzungen; die Frist gilt also nicht für die sogenannte "qualifizierte Arbeitslosigkeit" oder den gesamten "Ausfallzeittatbestand". Zu § 36 AVG a.F. hat der Senat bereits entschieden, daß die Sechs-Wochenfrist, die die Arbeitslosigkeit erreichen mußte, ab Beginn der Arbeitslosigkeit laufe, auch wenn sich der Arbeitslose erst später beim Arbeitsamt gemeldet habe; die verspätete Meldung sei nur insofern erheblich, als Zeiten vor der Meldung nicht als Ausfallzeiten berücksichtigt werden dürften (BSGE 21, 21 = SozR Nr. 12 zu § 1259 RVO; diese Auffassung liegt auch dem Urteil des Senats SozR Nr. 50 zu § 1259 RVO zur Neufassung zugrunde).
Der Gesetzgeber des RVÄndG hat - zeitlich nach dieser Rechtsprechung - zwar die Fristbestimmung inhaltlich geändert; er hat aber die Formulierung, nach der sich die Fristbestimmung nur auf die Arbeitslosigkeit bezieht, beibehalten. Zu Unrecht meint das LSG, Sinn und Zweck der Vorschrift geböten eine vom Wortlaut abweichende Auslegung; mit der Mindestdauer von einem Kalendermonat sei beabsichtigt, einen versicherungsrechtlichen Ausgleich für kürzere Beitragsausfälle auszuschließen (so auch BSG SozR 2200 § 1259 Nr. 7). Diese Überlegung spricht indes nicht für, sondern gegen die Ansicht des LSG . Denn gerade Im Hinblick auf diese Zielsetzung muß es genügen, daß der Versicherte mindestens einen Kalendermonat arbeitslos war und infolgedessen in dem Kalendermonat keine Beiträge entrichtet worden sind. Der Ausfallzeittatbestand im übrigen ist dabei ohne Bedeutung; auch bleibt in diesem Fall der Grundsatz des Vorrangs der Beitragszeiten unberührt, weil wegen der den ganzen Kalendermonat andauernden Arbeitslosigkeit keine Beitragszeit mit der Ausfallzeit zusammentrifft.
Danach ist von der Beklagten jedenfalls die Zeit vom 5. bis zum 31. Januar 1950 als Ausfallzeit vorzumerken, da der Kläger während des ganzen Kalendermonats Januar 1950 arbeitslos war und die übrigen Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG ab 5. Januar 1950 erfüllt waren.
Mit dem LSG ist darüber hinaus in erweiternder Auslegung des § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG aber auch die Zeit vom 1. bis zum 5. Januar 1950 als Ausfallzeit anzusehen, obwohl der Kläger für diese Zeit keine der in § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG angeführten Leistungen bezogen hat.
Der Gesetzgeber hat zwar Zeiten, für die diese Leistungen aus anderen als den dort genannten Gründen nicht bezogen wurden, bewußt nicht als Ausfallzeit berücksichtigen wollen; die im Recht der Arbeitslosenversicherung aus guten Gründen aufgestellten Ausschlußtatbestände sollten auch eine Rentensteigerung ausschließen (vgl. BT StenBer. 48. Sitzung vom 7. Oktober 1977 S. 3702 A).
Andererseits bezweckt die Neufassung dieser Vorschrift durch das RVÄndG, daß Zeiten der Arbeitslosigkeit von mindestens einem Kalendermonat nicht mehr erst ab Beginn der siebenten Woche, sondern vom "ersten Tage an" berücksichtigt werden (BT-Drucks. IV 3233 auf S. 5 zu § 1259 RVO). Dieses Ziel würde in nicht wenigen Fällen verfehlt, wenn Tatbestände, die allgemein einen Leistungsbezug ab dem ersten Tag der Arbeitslosigkeit ausschließen, ohne daß der Arbeitslose dies vermeiden kam, immer erst mit dem Beginn des Leistungsbezugs die Ausfallzeit entstehen ließen. Der Beginn der Arbeitslosigkeit an einem Sonn- oder Feiertag und die dreitägige Wartezeit des § 92 AVAVG (oder einer entsprechenden Regelung) können damit angesichts des Sinnes und Zweckes der Neufassung des § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG nicht verhindern, die Arbeitslosigkeit hier schon vom ersten Tage an als Ausfallzeit zu werten.
Der Kläger war ab 1. Januar 1950 arbeitslos, er hat sich bei erster Gelegenheit am ersten Werktag der Arbeitslosigkeit beim Arbeitsamt gemeldet. Nach dem damals in Berlin geltenden Recht konnte er Leistungen erst ab dem 5. Januar 1950 beziehen, wie das LSG unangegriffen festgestellt hat.
Die Revision der Beklagten war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.11 RA 28/78
Bundessozialgericht
Verkündet am 15. März 1979
Fundstellen