Entscheidungsstichwort (Thema)
Herstellung von Obstschnaps
Leitsatz (redaktionell)
Die an das Ernten anschließende Verarbeitung von Obst zu Schnaps, der hauptsächlich vom Landwirt und seiner Familie verbraucht und nur gelegentlich an Bekannte flaschenweise verkauft wird, dient nicht dem landwirtschaftlichen Unternehmen. Ein für den privaten Gebrauch bestimmtes Brennen von Schnaps ist auch kein landwirtschaftliches Nebenunternehmen iS des RVO § 779.
Normenkette
RVO § 776 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1963-04-30, § 777 Nr. 1 Fassung: 1963-04-30, § 779 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1963-04-30
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 19. September 1975 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Vater des Klägers - Karl S (St.) - ist Friseur. Er bewirtschaftet eine landwirtschaftliche Grundfläche von 27,56 ar und ist bei der Beklagten mit 9 ar veranlagt. Am 2. März 1970 brannte der Kläger, der in diesem Zeitpunkt als Friseur tätig war und in der Nachbarschaft seines Vaters einen eigenen Haushalt führte, Schnaps aus der in der Landwirtschaft seines Vaters gewonnenen Obstmaische in der Brennerei eines Landwirts in H. Auf der Rückfahrt stürzte er mit seinem Moped und erlitt eine Impressionsfraktur im linken Kniegelenk.
St. gab am 21. August 1970 an, am Unfalltage seien aus einer Kernobstmaische von 375 1 etwa 15 1 reiner Alkohol gebrannt worden. Das Obst sei bereits am 6. und 20. Oktober 1969 eingeschlagen worden. Der Branntwein sei für das Monopol und für den Eigenbedarf bestimmt gewesen. Die Einkünfte aus seiner Landwirtschaft würden jährlich ungefähr 200,- DM betragen.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 9. Oktober 1970 Entschädigungsansprüche ab, da die sich an das Ernten anschließende Verarbeitung des Obstes eine hauswirtschaftliche Tätigkeit sei und der Haushalt des St. dem landwirtschaftlichen Unternehmen nicht wesentlich diene.
Der Kläger hat Klage erhoben.
Das Sozialgericht (SG) hat durch Urteil vom 25. Mai 1972 die Beklagte verurteilt, den Kläger wegen der Folgen des Unfalles vom 2. März 1970 zu entschädigen. Es hat zur Begründung ausgeführt: Zu den Arbeiten, die in einem inneren Zusammenhang mit der Bodenbewirtschaftung stünden, gehöre auch die in einem landwirtschaftlichen Unternehmen übliche Be- und Verarbeitung der Erzeugnisse. Auch das Brennen von Obst falle darunter. Der Vater des Klägers habe einen wesentlichen Teil des Weingeistes verkaufen wollen und auch verkauft.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 19. September 1975 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage u. a. mit folgender Begründung abgewiesen: Der Senat habe es nicht als erwiesen angesehen, daß der Schnaps überwiegend zum Verkauf bestimmt gewesen sei. Nach dem amtlichen Ausbeutesatz sei die Verwertung zum Eigenbedarf noch rentabel gewesen; die Familie selbst habe aus vier Personen, darunter zwei erwachsenen Männern, bestanden, wobei der im Nachbarhaus wohnhafte Kläger noch nicht einmal berücksichtigt sei. Diese Menge sei jedoch zu klein gewesen, um eine gewerbliche Auswertung anzunehmen, zumal da St. nicht einmal jedes Jahr brannte. Selbst wenn die Bekannten gelegentlich eine Flasche Schnaps gegen Bezahlung erhalten haben sollten, könne nicht von einer gewerblichen Auswertung gesprochen werden. Das Brennen von Schnaps sei nicht dem landwirtschaftlichen Unternehmen zuzurechnen. Es handele sich nicht um eine in der Landwirtschaft allgemein übliche Verwertungsweise des Obstes. Dies könne nicht einmal für das Bodenseegebiet bejaht werden; denn nach der Auskunft des Landwirtschaftsamtes Tettnang würden im Kreis Tettnang jährlich nur 15 % der Obsterzeugung als Brennobst in den Abfindungsbrennereien verwertet. Die umstrittene Tätigkeit sei auch nicht im Rahmen eines Nebenunternehmens im Sinne von § 779 der Reichsversicherungsordnung (RVO) betrieben worden. Das Bestehen eines Nebenunternehmens sei vor allem an die Voraussetzung geknüpft, daß die Landwirtschaft die sichere und dauernde Grundlage des wirtschaftlichen Daseins des Unternehmens bilde. Bereits an dieser Voraussetzung fehle es jedoch. Schließlich sei auch der Haushalt des Vaters des Klägers nicht Teil der Landwirtschaft, denn die Haushaltung diene nicht wesentlich dem landwirtschaftlichen Unternehmen.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Der Kläger hat dieses Rechtsmittel eingelegt. Er trägt vor: Das LSG sei unzutreffend davon ausgegangen, daß die Ablieferung eines Teils des Weingeistes an die Bundesmonopolverwaltung Voraussetzung für die Steuerfreiheit der sog. Überausbeute gewesen sei. Die Überausbeute sei vielmehr stets steuerfrei; nur der amtliche Ausbeutesatz wäre sonst steuerpflichtig gewesen. Das Wahlrecht (Ablehnung oder Versteuerung) bestehe nur bei Kernobst. Das hänge damit zusammen, daß der Ankauf von Weingeist aus Kernobst durch die Bundesmonopolverwaltung geschehe, um diesen Weingeist steuerfrei medizinischen Zwecken zuzuführen. Auch daraus sei im Gegensatz zur Annahme des LSG bewiesen, daß im Falle St. ein echter Verkauf des Produktes an die Bundesmonopolverwaltung erfolgt sei. Auch die Verwertung des Obstes zähle zu den Arbeiten des landwirtschaftlichen Unternehmens. Das LSG habe auch zu Unrecht hinsichtlich des Brennens ein Nebenunternehmen verneint. Die Auffassung des LSG würde dazu führen, daß in kleinen landwirtschaftlichen Betrieben beim Brennen kein Versicherungsschutz bestehe, die gleiche Tätigkeit in großen landwirtschaftlichen Betrieben dagegen den Versicherungsschutz begründen könne.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des LSG die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen,
hilfsweise,
das Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Brennereien könnten landwirtschaftliche Nebenunternehmen im Sinne des § 779 RVO sein; sie gehörten jedoch nicht zur Landwirtschaft im Sinne des § 776 RVO. Das Brennen von Schnaps sei auch kein Nebenunternehmen der Landwirtschaft des St. gewesen. Kennzeichnend für Brauereien und Brennereien als landwirtschaftliche Nebenbetriebe sei es, daß landwirtschaftliche Erzeugnisse dort verarbeitet und die entstehenden Abfälle in dem landwirtschaftlichen Betrieb als Viehfutter verwertet würden. Der Zwergbetrieb des St. sei als Grundlage für ein landwirtschaftliches Nebenunternehmen nicht geeignet. Das Herstellen von Weingeist sei eine Tätigkeit für den Haushalt des St. gewesen, der nicht gemäß § 777 Nr. 1 RVO Teil der Landwirtschaft sei.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist nicht begründet.
Das LSG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, daß das Brennen von Schnaps aus eigenen Früchten nicht mehr dem landwirtschaftlichen Unternehmen des St. zuzurechnen gewesen ist.
Zu der das Unternehmen der Landwirtschaft kennzeichnenden Bodenbewirtschaftung gehört allerdings neben der Bodenbearbeitung und dem Ernten der Früchte auch die sich üblicherweise unmittelbar anschließende Be- und Verarbeitung der eigenen Erzeugnisse (vgl. BSG 27, 233, 236; BSG SozR 2200 § 776 Nr. 1; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1.-8. Aufl., S. 494 a, 496; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., § 776 Anm. 5 Buchst. a, 8; Noell/Breitbach, Landwirtschaftliche Unfallversicherung, 1963, § 776 Anm. 4 Buchst. a). Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob jede mögliche Verarbeitung von Früchten noch dem landwirtschaftlichen Unternehmen zuzurechnen ist oder ob es sich vielmehr um eine Verarbeitung handeln muß, die dem Betrieb seiner Art nach oder den Früchten eigentümlich ist (vgl. BSG SozR Nr. 1 zu § 915 RVO aF; BSG Urteil vom 27. Januar 1976 - 8 RU 106/75; RVA AN 95, 125).
Auch bei einer Tätigkeit, die in den Rahmen eines landwirtschaftlichen Unternehmens fallen kann, ist zu prüfen, ob sie im Einzelfall dem Unternehmen zuzurechnen ist oder ob sie privaten Zwecken dient (BSG SozR 2200 § 776 Nr. 1; Brackmann aaO S. 494). Dies bestimmt sich - mit den sich aus § 777 RVO ergebenden Besonderheiten - nach den allgemeinen Grundsätzen der §§ 548 bis 555 RVO (Brackmann aaO). Diese Vorschriften setzen für die Zurechnung einer Tätigkeit zum landwirtschaftlichen Unternehmen voraus, daß sie diesem Unternehmen und nicht privaten Zwecken dient. Das LSG hat festgestellt, daß der Schnaps, den der Kläger vor dem Unfall aus den Erzeugnissen der Landwirtschaft seines Vaters gebrannt hat, für den privaten Verbrauch durch die Familienangehörigen bestimmt gewesen ist. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens hat das Berufungsgericht die Überzeugung gewonnen, daß St. nur gelegentlich eine Flasche selbstgebrannten Schnaps an Bekannte weitergegeben hat. Das LSG ist zu diesem Ergebnis nicht, wie die Revision meint, allein aufgrund der von ihm wohl mißverstandenen Auskunft des Hauptzollamtes Friedrichshafen vom 9. Mai 1975 gelangt. Den Ausführungen des LSG hierzu ist allerdings zu entnehmen, daß es zu Unrecht davon ausgegangen ist, die Steuerfreiheit der Überausbeute sei von einer Ablieferung der Ausbeute bei der Bundesmonopolverwaltung abhängig. Nach dem Schreiben des Hauptzollamtes Friedrichshafen ist die Überausbeute stets steuerfrei. Lediglich die Ausbeute ist entweder abzuliefern oder zu versteuern. Die Feststellung des LSG, daß St. den Schnaps nicht brannte, um ihn zu verkaufen, wird jedoch im gleichen Maße gedeckt, wenn die Abführung an die Bundesmonopolverwaltung nur erfolgt, um für die Ausbeute keine Steuern zahlen zu müssen und den im wesentlichen für den Hausgebrauch verwendeten Schnaps nicht durch die Steuer für die Ausbeute zu belasten. Das LSG ist außerdem zu der Überzeugung, daß St. den Schnaps im wesentlichen für den privaten Verbrauch gebrannt hat, auch noch aufgrund anderer Umstände gelangt. Das LSG hat insbesondere festgestellt, daß St. nicht jährlich Schnaps gebrannt und nur gelegentlich Bekannten eine Flasche verkauft hat. Diese Feststellungen hat die Revision nicht mit Verfahrensrügen angegriffen.
Aufgrund der Feststellung, daß der Schnaps zum privaten Verbrauch bestimmt war, scheidet bereits auch eine Zurechnung des Schnapsbrennens zum landwirtschaftlichen Unternehmen nach § 777 Nr. 1 RVO aus. Der Senat hat allerdings darüber hinaus keine Bedenken, der Auffassung des LSG beizutreten, daß die Haushaltung des St. nicht Teil des landwirtschaftlichen Unternehmens ist. § 777 Nr. 1 RVO setzt voraus, daß die Haushaltung des St. dessen landwirtschaftlichem Unternehmen wesentlich dient. Das ist jedoch nicht der Fall. Die Größe des landwirtschaftlichen Unternehmens ist hierfür allerdings allein nicht maßgebend; auch bei Kleinbetrieben kann die Haushaltung dem Unternehmen dienen (vgl. Hessisches LSG SGb 1955, 18 mit zustimmender Anm. von Lauterbach; LSG Baden-Württemberg Breithaupt 1956, 254, 255; Brackmann aaO S. 496 c; Lauterbach aao § 777 Anm. 7; Albrecht WzS 1959, 292, 293; Boller Sozialversicherung 1967, 107, 110 und 1969, 212, 217). Bei Kleinstbetrieben ist jedoch besonders sorgfältig zu prüfen, ob die Haushaltung dem Betrieb nicht nur unwesentlich dient (Brackmann aaO; Boller aaO). Nach den Angaben des St. in den Akten der Beklagten, auf die das LSG Bezug genommen hat, setzt sich der selbst bewirtschaftete Grundbesitz aus einem Gemüsegarten von 9 ar, einer Wiese von 5 ar und einer Streuwiese von 19,56 ar zusammen. Den Viehbestand bilden 8 Stück Geflügel. Es werden keine fremden Arbeitskräfte beschäftigt. Der Kläger hilft an etwa 20 Tagen im Jahr aus. Bei dieser Größe und Art der Landwirtschaft dient die Haushaltung der Familie St. nicht wesentlich dem landwirtschaftlichen Unternehmen.
Der selbstgebrannte Schnaps ist, wie bereits dargelegt, für den privaten Verbrauch durch St. und seine Familie und nur zum gelegentlichen Verkauf einer Flasche an Bekannte bestimmt gewesen. Deshalb scheidet nicht nur eine Zurechnung des Schnapsbrennens zum landwirtschaftlichen Unternehmen des St., sondern auch zu einem landwirtschaftlichen Nebenunternehmen im Sinne des § 779 Abs. 1 Satz 1 RVO aus. Abgesehen davon wäre der Schnaps auch nicht im Rahmen eines landwirtschaftlichen Unternehmens gebrannt worden, das St. neben seiner Landwirtschaft, aber in wirtschaftlicher Abhängigkeit von ihr unterhält. Neben der Personengleichheit des Unternehmens des landwirtschaftlichen und des anderen Betriebes (vgl. BSG 17, 22, 24; BSG SozR Nr. 3 zu § 235 RVO; BSG SozR 2200 § 776 Nr. 1; Brackmann aaO S. 497; Lauterbach aaO § 779 Anm. 4 Buchst. a; Noell/Breitbach aaO § 779 Anm. 2 - jeweils mit weiteren Nachweisen) muß außerdem eine wirtschaftliche Abhängigkeit des - neben der Landwirtschaft bestehenden - anderen Betriebes von dem landwirtschaftlichen Betrieb bestehen. Es bedarf keiner Entscheidung, ob hier ein Nebenunternehmen schon deshalb nicht gegeben ist, weil St. nur alle zwei Jahre Schnaps gebrannt und dazu nur für kurze Zeit die Einrichtungen eines Dritten benutzt hat. Jedenfalls liegt ein Nebenunternehmen nicht vor, weil das Schnapsbrennen des St. nicht in wirtschaftlicher Abhängigkeit zu dessen landwirtschaftlichem Unternehmen steht. Die wirtschaftliche Bedeutung des landwirtschaftlichen Unternehmens, insbesondere seine Betriebsweise, ist dabei u. a. ein maßgebendes Kriterium (Brackmann aaO S. 498). Das Reichsversicherungsamt hat eine Brennerei als landwirtschaftliches Nebenunternehmen einer Landwirtschaft angesehen, zu der ein Obstgarten von 2 Tagwerken (insgesamt rund 60 ar) gehörte (EuM 40, 14). Es hat dabei aber außerdem auf die Bienenhaltung hingewiesen, die mit zur Landwirtschaft zählte. Der Obstgarten des St. ist mit 3 ar jedoch nur etwa 1/20 so groß. Unter Beachtung aller Umstände ist deshalb auch der Auffassung des LSG zuzustimmen, daß das Schnapsbrennen nicht als Nebenunternehmen der Landwirtschaft des St. durchgeführt wurde.
Es bedarf nach allem keiner Prüfung, ob der Kläger, wovon das LSG ausgegangen ist, wie ein nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO Versicherter tätig geworden ist (s. § 539 Abs. 2 RVO). Die Ausführungen, es sei nicht umstritten, daß der Kläger im Auftrag des St. tätig geworden ist, tragen diese Auffassung nicht. Es fehlen tatsächliche Feststellungen, nach denen der Kläger für seinen Vater wie ein Beschäftigter gearbeitet und - z. B. - nicht gemeinsam mit ihm als Unternehmer den Schnaps gebrannt hat. Dafür könnte z. B. erheblich sein, ob und ggf. in welcher Form der Kläger an der Ausbeute beteiligt gewesen ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen