Orientierungssatz
Zur Frage, ob die 1. juristische Staatsprüfung als Abschluß einer Berufsausbildung iS des AFG § 41 Abs 1 angesehen werden kann.
Normenkette
AFG § 41 Abs. 1 Hs. 2 Alt. 1 Fassung: 1969-06-25
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 23. Juli 1974 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger war seit November 1970 Referendar im Justizdienst des Landes Nordrhein-Westfalen. Vom 1. Mai 1971 bis zum 30. September 1971 war er außerdem halbtags als wissenschaftliche Hilfskraft an der Universität K versicherungspflichtig beschäftigt. Er nahm in der Zeit vom 5. Juli bis 14. August 1971 an dem im Ganztagsunterricht stattfindenden Lehrgang des Instituts für Steuerrecht der Rechtsanwaltschaft e. V. in D teil. Als Maßnahmeziel gab der Kläger an: Fortbildung zum Fachanwalt für Steuerrecht. Der Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen gewährte ihm einen Zuschuß zu den Lehrgangsgebühren, der Oberlandesgerichtspräsident in Köln Trennungsentschädigung für die Dauer der Teilnahme sowie Reisekostenvergütung unter Fortzahlung des vollen Referendargehalts; er rechnete die Zeit des Lehrgangs im Rahmen der Wahlstation auf den Vorbereitungsdienst an.
Bereits am 20. Juli 1971 hatte der Kläger beantragt, die Maßnahme als berufliche Fortbildung zu fördern. Das Arbeitsamt D lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 3. November 1971, Widerspruchsbescheid vom 27. April 1972). Die dagegen gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) Köln mit Urteil vom 20. März 1973 abgewiesen und die Berufung zugelassen.
Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat mit Urteil vom 23. Juli 1974 die Berufung des Klägers zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt:
Der Lehrgang sei nicht als Maßnahme der beruflichen Fortbildung im Sinne des § 41 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) zu fördern. Zugelassen worden seien nämlich u. a. auch Referendare. Diese besäßen aber keine abgeschlossene Berufsausbildung oder angemessene Berufserfahrung im Sinne des § 41 AFG. Sie seien allerdings durchaus in der Lage, eine Reihe von Berufsfunktionen in Verwaltung und Wirtschaft zu übernehmen, in denen auch die während des Studiums erworbenen Kenntnisse förderlich, ggf. aber nicht unabdingbar seien. Jedenfalls führe die erste juristische Staatsprüfung noch nicht zu "juristen-typischen Berufen". Im übrigen wechsele erfahrungsgemäß lediglich ein geringer Teil von Absolventen der ersten juristischen Staatsprüfung sogleich ins Berufsleben über. Der Stand der erreichten Berufsausbildung sei allein an dem mit dem Ausbildungsgang regelmäßig und objektiv verfolgten Berufsziel und an den Qualifikationsmaßstäben zu messen, die hierfür von den jeweils in Frage kommenden förmlichen Ausbildungsordnungen gesetzt seien. Das Ende eines danach erreichten Ausbildungsabschnittes könnte zwar im Rahmen des § 41 AFG ausnahmsweise dann Bedeutung erlangen, wenn die zu diesem Zeitpunkt erreichte fachliche Einsatzfähigkeit bereits eine auf dem Arbeitsmarkt ins Gewicht fallende Berufsqualifikation erschlösse. Das treffe für Personen mit der ersten juristischen Staatsprüfung nicht zu. Für sie bestehe grundsätzlich nur die Möglichkeit zu einer Verwertung des Erlernten in einer im Hinblick auf das absolvierte Studium unspezifischen Berufstätigkeit, für die die erste juristische Staatsprüfung nützlich aber auch verzichtbar sei. Ein auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bedeutsamer Berufsbereich, für den das Referendarexamen die Ausbildung abschlösse, sei hingegen nicht gegeben.
Mit der zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, das LSG habe zu Unrecht die erste juristische Staatsprüfung nicht als Abschluß einer Berufsausbildung angesehen und § 41 AFG fehlerhaft ausgelegt.
Der Kläger beantragt,
die angefochtenen Urteile und Bescheide aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Leistungen nach dem AFG für die Teilnahme an dem vom 5. Juli bis zum 14. August 1971 durchgeführten Lehrgang in der beantragten Form zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers als unbegründet zurückzuweisen.
Sie hält an dem Standpunkt fest, Referendare hätten noch keine abgeschlossene Berufsausbildung im Sinne des § 41 AFG.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Das LSG hat die Revision zugelassen (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG - aF). Daran ist das Revisionsgericht gebunden; insbesondere ist die Zulassung nicht offenbar gesetzwidrig erfolgt (vgl. BSG SozR 1500 § 162 SGG Nr. 7). Die vom LSG entschiedene Frage, ob die erste juristische Staatsprüfung eine "abgeschlossene Berufsausbildung" im Sinne des § 41 AFG nachweist, hängt von der Auslegung dieses gesetzlichen Tatbestandsmerkmals ab, die grundsätzliche Bedeutung hat.
Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet.
Der Kläger rügt mit der Revision eine Verletzung des § 41 AFG. Im Vergleich zum Stand seiner bisherigen Berufskenntnisse und zum zunächst angestrebten Beruf eines angestellten Rechtsanwalts ist die Tätigkeit eines Fachanwalts für Steuerrecht keine "andere" berufliche Tätigkeit im Sinne des § 47 AFG. Die Teilnahme an dem streitigen Lehrgang kann auch nicht als Maßnahme der beruflichen Ausbildung gefördert werden, denn der Lehrgang fand nicht in einem Betrieb oder in einer überbetrieblichen Einrichtung im Sinne des § 40 AFG statt. Der Lehrgangsbesuch stellt sich vielmehr inhaltlich als Maßnahme der beruflichen Fortbildung dar (§ 41 AFG). Da der Oberlandesgerichtspräsident die Zeit der Teilnahme im Rahmen der Wahlstation auf den Vorbereitungsdienst angerechnet und den Lehrgangsbesuch auch finanziell gefördert hat, ist sie als Teil des Vorbereitungsdienstes anzusehen. Mit dem Vorbereitungsdienst sollten aber berufliche Kenntnisse erweitert oder ein beruflicher Aufstieg ermöglicht werden.
Der Besuch des Steuerlehrgangs durch den Kläger ist als Maßnahme der beruflichen Fortbildung gem. § 41 AFG dennoch nicht zu fördern, weil er weder eine abgeschlossene Berufsausbildung noch eine angemessene Berufserfahrung vorausgesetzt hat. Mit der ersten juristischen Staatsprüfung besitzt der Referendar nach den Feststellungen des LSG keine abgeschlossene Berufsausbildung.
Das LSG hat unangegriffen festgestellt, ein für den allgemeinen Arbeitsmarkt bedeutsamer Berufsbereich, für den das Referendarexamen die Ausbildung abschließe, sei nicht gegeben. Damit hat das LSG eine tatsächliche Feststellung getroffen und das gesetzliche Tatbestandsmerkmal der abgeschlossenen Berufsausbildung verneint. Die Einschränkung, daß der Berufsbereich, für den eine Ausbildung abgeschlossen wird, für den allgemeinen Arbeitsmarkt bedeutsam sein muß, entspricht dem Gesetz.
Bedeutsam kann allerdings auch ein Berufsbereich sein, in dem nur sehr wenige Spezialisten tätig sind. Es kommt nicht auf die absolute Zahl der Arbeitsplätze an. Der vorliegende Fall liegt aber anders. Nach Ansicht des Klägers durchläuft der Jurist eine Stufenausbildung. Sie eröffne ihm schon nach der ersten Stufe einen gewissen Berufsbereich, der aber auch dem Volljuristen "unterwertig" offenstehe. Zumindest in solchen Fällen ist für die Frage, ob eine Berufsausbildung abgeschlossen ist (hier durch die erste juristische Staatsprüfung), die Bedeutung des offenstehenden Berufsbereichs erheblich. Die zweite Stufe der Ausbildung (hier der Vorbereitungsdienst) kann nicht allein deshalb als Fortbildung angesehen werden, weil die erste Stufe in einem unbedeutenden Bereich bereits zu einer verwertbaren Berufsqualifikation führt. Sonst könnte der Charakter der regelmäßig mit der zweiten Stufe fortgesetzten Ausbildung durch die ausnahmsweise gegebene Möglichkeit, bereits den ersten Bildungsabschnitt beruflich zu verwerten, bestimmt werden. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ist eine mit einem Bildungsabschnitt erreichte Qualifikation nicht verwertbar und eine berufliche Ausbildung im Sinne des § 41 AFG nicht abgeschlossen, wenn entsprechende Berufstätigkeiten nur ausnahmsweise oder vereinzelt vorhanden sind. Der Senat hat deshalb für die berufliche Umschulung entschieden, daß ein Bildungsabschnitt nicht den Übergang in eine andere berufliche Tätigkeit ermöglicht, wenn er nur für eine ausnahmsweise oder vereinzelt vorhandene Tätigkeit qualifiziert (BSG SozR 4100 § 47 Nr. 2). Für die berufliche Fortbildung kann nichts anderes gelten. Das Merkmal der abgeschlossenen Berufsausbildung hat zumindest hinsichtlich der Verwertbarkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt die gleiche Bedeutung wie der für den Übergang in eine andere berufliche Tätigkeit im Sinne des § 47 AFG verlangte berufliche Abschluß.
An die tatsächliche Feststellung des LSG, einen für den allgemeinen Arbeitsmarkt bedeutsamen Berufsbereich, für den das Referendarexamen die Ausbildung abschließe, sei nicht gegeben, ist der Senat gemäß § 163 SGG gebunden. Der Kläger hat dagegen keine zulässigen und begründeten Revisionsgründe vorgebracht. Sein Hinweis auf die Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (vgl. BFH vom 25.11.1966 - Az.: VI 72/65 -) stellt keine derartige Rüge dar, vielmehr nimmt der Kläger damit nur eine andere rechtliche Wertung des Begriffs der abgeschlossenen Berufsausbildung i. S. des § 41 AFG vor.
Die Revision ist deshalb mit der Kostenfolge aus § 193 SGG als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen