Leitsatz (amtlich)

Die von einer GmbH ausgeführten Bauarbeiten sind nicht schon deshalb nicht gewerbsmäßige, weil die GmbH nicht in die Handwerksrolle eingetragen ist (Abgrenzung von BSG 1969-12-18 2 RU 314/67 = BSGE 30, 230 = SozR Nr 3 zu § 729 RVO).

 

Normenkette

RVO § 729 Abs 2 Fassung: 1963-04-30; HwO §§ 7, 10, 16

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 11.09.1980; Aktenzeichen L 7 U 1390/79)

SG Reutlingen (Entscheidung vom 17.03.1980; Aktenzeichen S 4 U 374/79)

SG Reutlingen (Entscheidung vom 16.07.1979; Aktenzeichen S 4 U 374/79)

 

Tatbestand

Die Klägerin nimmt den Beklagten als Bauherrn für rückständige Beiträge der Firma E. S., Import und Vertriebs-GmbH in D., in Anspruch. Die GmbH hatte für den Beklagten in der Zeit vom 3. Mai 1976 bis zum 26. Juli 1976 ab dem Untergeschoß ein Fertighaus zusammengesetzt. Daneben war sie in wechselndem Umfang auch für andere Bauherren tätig geworden. Die Firma E. war nach ihrer Gründung zunächst eine Einzelfirma, wurde dann aber in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) umgewandelt - 24. September 1975 -, die ins Handelsregister beim Amtsgericht G. eingetragen wurde. Im September 1976 wurde der Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der Firma mangels Masse abgelehnt.

Die Klägerin hat durch den bindend gewordenen Bescheid vom 22. Februar 1977 die Aufnahme der Firma in das Unternehmerverzeichnis der Berufsgenossenschaft (BG) abgelehnt, weil die handwerksrechtlichen Voraussetzungen für die Ausübung eines selbständigen Handwerksbetriebes nicht bestünden. Eine Eintragung in die Handwerksrolle der zuständigen Handwerkskammer liegt nicht vor. Der Beitragsbescheid vom 4. August 1977 wurde nicht bezahlt und konnte auch wegen Zahlungsunfähigkeit der GmbH nicht beigetrieben werden.

Nachdem der Beklagte die mit Schreiben vom 30. März 1978 verlangte Zahlung eines einmaligen Betrages an die Klägerin abgelehnt hatte, erhob diese Leistungsklage vor dem Sozialgericht (SG) mit dem Antrag, den Beklagten zur Zahlung von 1.371,67 DM nebst Säumniszuschlägen zu verurteilen. Diese Summe errechnete sie, indem sie die Gesamtlohnsumme der GmbH im Verhältnis der Kosten der einzelnen Bauvorhaben aufteilte. Das SG gab der Klage statt. Die Berufung des Beklagten war erfolglos. Das Landessozialgericht (LSG) hat dazu ausgeführt: Die Klage sei nach § 729 Abs 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) begründet, weil die Firma E. nichtgewerbsmäßige Bauarbeiten ausgeführt habe. Die Firma sei zwar in das Handelsregister jedoch nicht in die Handwerksrolle eingetragen gewesen, weshalb die jederzeitige Schließung gedroht habe. Solche Unternehmen seien in ihrem Bestand unsicher, so daß sie den Finanzbedarf der Versicherungsträger nicht dauernd mitbestreiten könnten. Für sie müßte der Bauherr deshalb eintreten, weil bei ihm durch die Ausführung der Bauarbeiten regelmäßig Werte geschaffen worden seien.

Der Beklagte hat die durch das Bundessozialgericht (BSG) zugelassene Revision eingelegt. Er führt zur Begründung aus: Eine GmbH, die in das Handelsregister ordnungsgemäß eingetragen sei, müsse als "gewerbsmäßig" iS der gesetzlichen Unfallversicherung angesehen werden. Das Urteil des BSG in BSGE 30, 230 = SozR Nr 3 zu § 729 RVO könne auf juristische Personen, die zudem noch im Handelsregister verzeichnet seien, nicht angewendet werden. Sie gelten nach § 13 Abs 3 GmbH-Gesetz als Handelsgesellschaften iS des Handelsgesetzbuchs, seien also Vollkaufleute. Es sei deshalb nicht einzusehen, warum sie nicht gewerbsmäßig tätig sein sollten. Nach § 23 der Handelsregister-Verordnung müsse vor der Eintragung in das Handelsregister ein Gutachten der zuständigen Handwerkskammer eingeholt werden. Der Beklagte habe also davon ausgehen müssen, daß es sich um ein gewerbliches Unternehmen handele.

Der Beklagte beantragt, unter Aufhebung der Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 11. September 1980 und des Sozialgerichts Reutlingen vom 16. Juli 1979 die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Parteien sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision ist begründet. Der Beklagte ist als Bauherr nicht verpflichtet, der Bau-BG den ausgefallenen Beitrag zu bezahlen.

Die Vorinstanzen haben zu Recht die Leistungsklage nach § 54 Abs 5 SGG als zulässig angesehen. Wie das BSG (BSGE 30, 230, 232f) entschieden hat, kann der Versicherungsträger sein Rechtsverhältnis zu dem Bauherrn mangels eines Über- und Unterordnungsverhältnisses nicht durch Verwaltungsakt regeln, ist also auf den Rechtsweg angewiesen und hat somit ein Rechtsschutzbedürfnis. Ob daran der durch das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz vom 7. August 1972 (BGBl I 1993) in § 729 RVO neu aufgenommene Abs 4 eine Änderung gebracht hat (ablehnend Noak in SozVers 1973, 43), kann offenbleiben. Danach sollen rückständige Beiträge wie Gemeindeabgaben beigetrieben werden (so Peters, Handbuch der Krankenversicherung, 17. Aufl 1982, § 393 Anm 3b), was den Erlaß eines Verwaltungsakts nahelegt. Trotzdem besteht das Rechtsschutzbedürfnis für eine Leistungsklage des Versicherungsträgers, weil dieser die Möglichkeit haben muß, die umstrittene Frage durch das Gericht klären zu lassen (so BVerwGE 28, 153; 29, 310, 312; Redeker/von Oertzen, Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung, 7. Aufl 1981, § 42 Anm 77 und 154).

Die Klage der Bau-BG ist jedoch nicht begründet. Nach § 729 Abs 2 RVO haftet der Bauherr bei nichtgewerbsmäßigen Bauarbeiten für die Beiträge und die übrigen Leistungen zahlungsunfähiger Unternehmer innerhalb eines näher bezeichneten Zeitraumes wie ein Bürge, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat (vgl § 729 Abs 4 iVm § 393 Abs 3 RVO). Diese Vorschrift geht auf § 27 des Gesetzes betreffend die Unfallversicherung der bei Bauten beschäftigten Personen vom 11. Juli 1887, RGBl 287, zurück, das nach erheblichem Streit im Reichstag angenommen wurde (vgl die Materialien dieses Gesetzes S 25, 29 und RT-Drucks der 10. Sitzung vom 17. März 1887, 163 ff).

Diese Haftung ist für das Recht der gesetzlichen Unfallversicherung untypisch. Schuldner der BGen ist im allgemeinen der Unternehmer, dem unmittelbar der Arbeitserfolg zufließt. Er beschafft sich die erforderlichen Mittel für die Beiträge zur Unfallversicherung aus seinen Werkslohnforderungen von den Auftraggebern, den Bauherren. Der Bauherr wird also zweimal in Anspruch genommen, wenn er nach § 729 Abs 2 RVO einzutreten hat: Einmal ist der Versicherungsbeitrag des Unternehmers eine Komponente des vom Bauherrn zu zahlenden Baupreises, zum anderen haftet der Bauherr direkt gegenüber der BG. Diese doppelte Inanspruchnahme wird nicht dadurch gerechtfertigt, daß dem Bauherrn durch Ausführung der Bauarbeiten Werte geschaffen werden. Sie übersteigen im allgemeinen nicht den dafür entrichteten Preis. Auch ein Vergleich mit der Haftung des Entleihers eines Arbeitnehmers (vgl § 393 Abs 3 RVO) und des Auftraggebers einer Schaustellung oder Vorführung künstlerischer oder artistischer Leistungen (vgl § 539 Abs 1 Nr 3 RVO) ist nicht ohne weiteres angebracht, da diesen Verpflichteten ähnlich dem Arbeitgeber im allgemeinen unmittelbar das Arbeitsergebnis zufließt und sie nicht nur wie der Käufer oder Besteller eines Produkts Anlaß für dessen Erarbeitung gegeben haben. Dennoch kann dahinstehen, ob § 729 Abs 2 RVO noch rechtsstaatlichem Denken entspricht oder vielmehr ein Ausdruck obrigkeitsstaatlichen Geistes ist und dem Schutz des Bürgers nicht entspricht (so Schultz in MDR 1971, 22 f, der empfiehlt, das Gesetz zu revidieren), weil hier die Entscheidung davon nicht abhängt.

Für den Anspruch der Klägerin fehlt es bereits daran, daß die von der Firma E. ausgeführten Arbeiten nichtgewerbsmäßige waren. Die Arbeiten können nicht schon deshalb als nichtgewerbsmäßige angesehen werden, weil die Eintragung der Firma in das Unternehmensverzeichnis der BG bindend abgelehnt worden ist. Eine Bindung tritt nur im Verhältnis der Firma zu der BG, nicht aber zu dem Beklagten als Bauherrn ein (vgl dazu auch Reichsversicherungsamt -RVA in EuM 21, 205). Als nichtgewerbsmäßige Bauarbeiten hat der 2. Senat des BSG im Urteil vom 18. Dezember 1969 (BSGE 30, 230 = SozR Nr 3 zu § 729 RVO) solche angesehen, die von einem Unternehmer ausgeführt wurden, dessen Eintragung in die Handwerksrolle wegen fehlender Fachkenntnisse abgelehnt worden war, obwohl die Arbeiten ihrer Art nach unbeschränkt und auf längere Zeit angelegt waren. Der 2. Senat ging davon aus, daß ein derartiges Unternehmen in seinem Bestand unsicher sei, weil ihm jederzeit die Schließung des Betriebes wegen mangelnder Eintragung in die Handwerksrolle drohe. Ein solcher Betrieb könne den Finanzbedarf des Versicherungsträgers nicht dauernd mitbestreiten. Das BSG stand mit dieser Entscheidung in der Tradition des RVA, das in einem Beschluß vom 12. Januar 1899 (AN 1899, 470 Nr 1749) ausgeführt hatte, die Haftung des Bauherrn träte nicht nur bei Baubetrieben ein, die nur auf die Ausführung eines Baues oder einzelner Bauten gerichtet seien, sondern betreffe auch Betriebe, die zwar ohne Beschränkung auf bestimmte Arbeiten, aber vom Unternehmer ohne eigentliche baugewerbliche Ausbildung und ohne eigenes Betriebskapital angefangen würden, wie es namentlich in den Großstädten infolge der Bauspekulation vielfach geschehe, und bei denen es meist über einen bloßen Versuch zur Begründung der Selbständigkeit nicht hinauskomme. Zu diesen Betrieben gehörte die Firma E. GmbH jedoch nicht. Sie war als GmbH eine eigenständige juristische Person, die bei ihrer Eintragung ein Mindeststammkapital von 20.000,- DM nachweisen mußte (§ 5 Abs 1 Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung; seit der Neufassung durch Gesetz vom 4. Juli 1980 -BGBl I S 836- beträgt das Stammkapital mindestens 50.000,- DM). Auch die Schließung des Handwerksbetriebes einer GmbH wegen fehlender Eintragung in die Handwerksrolle ist nicht von der gleichen Bedeutung wie bei einem Einzelhandwerker. Fehlt diesem zu der Eintragung die fachliche Voraussetzung, so ist das nicht ohne weiteres auszugleichen. Eine juristische Person wird jedoch in die Handwerksrolle eingetragen, wenn der Betriebsleiter die Voraussetzungen für die Eintragung erfüllt (§ 7 Abs 4 Gesetz zur Ordnung des Handwerks -Handwerksordnung idF vom 28. Dezember 1965-), es genügt also, wenn die GmbH zu diesem Zwecke einen Betriebsleiter einstellt, der die Meisterprüfung in dem zu betreibenden Handwerk bestanden hat (§ 7 Abs 1 Handwerksordnung). Die zuständige Behörde wäre im übrigen verpflichtet gewesen, die Firma E. GmbH vor oder bei Androhung der Schließung des Betriebs (§ 16 Abs 3 Handwerksordnung) zu veranlassen, die Voraussetzungen für eine Eintragung in die Handwerksrolle zu schaffen oder, falls diese durch Beschäftigung eines Handwerksmeisters als Betriebsleiters bereits bestanden, die Eintragung in die Handwerksrolle von Amts wegen zu veranlassen (§ 10 Abs 1 Handwerksordnung). Dieses Vorgehen wäre angezeigt gewesen, um nicht gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und gegen das Übermaßverbot zu verstoßen (vgl SozR Nr 2 zu § 728 RVO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1663055

Breith. 1984, 480

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