Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufhebung eines Rückforderungsbescheides. Beschwerdewert bei Rückforderung. Widerspruch zwischen Urteilsform und Urteilsgründen. Pflicht zur Abänderung des Verwaltungsakts während des gerichtlichen Verfahrens
Leitsatz (amtlich)
Schränkt ein Träger der öffentlichen Verwaltung auf Grund eines erst nach Einlegung der Berufung veröffentlichten Urteils des Bundessozialgerichts seinen Berufungsantrag ein, liegt eine willkürliche Einschränkung des Rechtsmittels nicht vor (Fortführung von BSG 1978-09-13 5 RJ 62/77 = SozR 1500 § 146 Nr 9).
Leitsatz (redaktionell)
Wurde vom SG der Bescheid, mit dem die BA frühere Leistungsbescheide aufgehoben und gleichzeitig gezahltes Unterhaltsgeld sowie gezahlte Zuschüsse zu Lehrgangsgebühren zurückgefordert hatte, aufgehoben und fordert die BA mit ihrer Berufung lediglich nur die Leistungen zurück, dann ist dieses Rechtsmittel unbegründet, da für die Rückforderung nach AFG § 152 Abs 1 die notwendige Grundlage entfallen ist.
Orientierungssatz
1. Nach SGG § 149 kommt es nicht auf den Wert des einzelnen Anspruchs an, sondern auf den Beschwerdewert des Rückforderungsanspruchs, der allenfalls durch den angefochtenen Bescheid begrenzt sein kann.
2. Bei einem Widerspruch zwischen Urteilsformel und Urteilsgründen ist die Urteilsformel maßgebend, da das Maß des zuerkannten Anspruchs nur ihr zu entnehmen ist. Die Gründe eines Urteils sind für den Umfang seiner Rechtskraft nur bedeutsam, soweit sie von der Urteilsformel erfaßt werden (vergleiche BSG 1961-03-16 8 RV 93/59 = BSGE 14, 99, 101).
3. Aufgrund des in GG Art 20 Abs 3 normierten Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung ist die jeweilige Behörde verpflichtet, als rechtswidrig erkannte Verwaltungsakte jedenfalls während des gerichtlichen Verfahrens abzuändern.
Normenkette
SGG § 149 Fassung: 1974-07-30, § 136 Fassung: 1953-09-03, § 141 Fassung: 1953-09-03; GG Art. 20 Abs. 3 Fassung: 1949-05-23; AFG § 152 Abs. 1 Fassung: 1969-06-25, § 151 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 6. März 1978 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 13. April 1977 als unbegründet zurückgewiesen wird.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist die Rückforderung geleisteten Unterhaltsgeldes (Uhg).
Mit Bescheid vom 4. September 1975 idF des Widerspruchsbescheides vom 24. November 1975 hat das Arbeitsamt Köln die Bescheide vom 23. Oktober 1974, mit denen dem Kläger für die Teilnahme an einer Fortbildungsmaßnahme Unterhaltsgeld und Zuschüsse für Lehrgangsgebühren und Lernmittel gewährt worden waren, mit Wirkung vom 18. Oktober 1974 aufgehoben. Der Kläger hatte die Maßnahme am 17. Oktober 1974 abgebrochen. Gleichzeitig wurden von ihm 1.178,42 DM zurückgefordert (396,- DM für zu Unrecht gezahltes Uhg und insgesamt 782,42 DM für zu Unrecht gezahlte Zuschüsse zu Lehrgangsgebühren und Lernmitteln sowie zur Aufnahmeprüfung). In Höhe von 119,- DM hat das Arbeitsamt aufgerechnet.
Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 13. April 1977 den Bescheid vom 4. September 1975 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. November 1975 aufgehoben. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, die Aufhebung der Bewilligung für die Zeit ab 18. Oktober 1974 sei rechtmäßig. Die Beklagte könne jedoch die überzahlten Beträge nicht zurückfordern.
Mit der am 25. Mai 1977 eingelegten Berufung hat die Beklagte zunächst lediglich den Antrag angekündigt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen. Diesen Antrag hat sie dann auch im Termin zur mündlichen Verhandlung gestellt. Mit der Berufungsbegründung, die am 8. Dezember 1977 beim Landessozialgericht (LSG) einging, hat die Beklagte vorgebracht, im erstinstanzlichen Verfahren habe das SG ihre Entscheidung bestätigt und entschieden, daß die Voraussetzungen für die Aufhebung der Leistungsbescheide vorlägen ( § 151 Abs 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG-). Soweit die Aufhebung der Entscheidungen in Streit gewesen sei, habe sie im erstinstanzlichen Verfahren obsiegt. Eine Berufung wäre auch insoweit nicht zulässig, da Leistungen für einen Zeitraum von mehr als 13 Wochen nicht in Streit wären. Streitig sei allein noch die Rückforderung der Leistung. Zum Zeitpunkt der Einlegung der Berufung habe der Rückforderungsbetrag noch 1.178,47 DM betragen. Nunmehr fordere sie nur noch 771,- DM zurück, nämlich das für die Zeit vom 18. bis 29. Oktober 1974 gezahlte Uhg in Höhe von 396,- DM und die am 26. November 1974 überwiesenen Lehrgangsgebühren in Höhe von 375,- DM. Unter Beachtung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) im Urteil vom 28. April "1974" - 12 RAr 59/76 - werde eine anteilige Erstattung aus den am 5. November 1974 überwiesenen Sachleistungen nicht mehr geltend gemacht.
Das LSG hat mit Urteil vom 6. März 1978 die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen. Das Rechtsmittel sei nach § 149 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht zulässig, weil der Beschwerdewert 1.000,- DM nicht übersteige. Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, ohne Erfolg verweise die Beklagte darauf, daß sie durch das Urteil des SG zu mehr als 1.000,- DM beschwert worden sei und sie sich mit der Berufung zunächst im Umfang der vollen Beschwer dagegen gewandt habe. In der Regel sei zwar der Zeitpunkt der Berufungseinlegung als maßgeblich für die Zulässigkeit der Berufung anzusehen. Regelmäßig könne die spätere Beschränkung des Berufungsantrags, die soweit gehe, daß nunmehr ein Berufungsausschlußgrund gegeben sei, die Zulässigkeit der Berufung nicht mehr beeinflussen. Eine Ausnahme gelte nach der Rechtsprechung jedoch für den Fall, daß die spätere Einschränkung des Berufungsantrags willkürlich erfolge. Die Voraussetzungen dieser Ausnahme seien erfüllt. Die Beklagte habe ihre Beschwer nach Einlegung des Rechtsmittels soweit gemindert, daß nunmehr ein Berufungsausschlußgrund vorliege, ohne hierzu durch eine Veränderung im Beschwerdegegenstand selbst veranlaßt worden zu sein. Der Beschwerdegegenstand habe sich nicht verändert. Der Grund für die Beschränkung des Berufungsantrags liege in der Rechtslage, wie sie auch schon vor Einlegung der Berufung gegeben gewesen sei. Die Beklagte könne sich nicht mit Erfolg darauf berufen, die Rechtslage erst nach der Einlegung der Berufung erkannt zu haben. Wenn man hierauf abstellen wollte, wäre einer Umgehung "Tür und Tor geöffnet", weil sich der Zeitpunkt einer solchen Einsicht regelmäßig einer Feststellung entziehe.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision trägt die Beklagte vor, die Auffassung des LSG stehe im Widerspruch zur Rechtsprechung des BSG. Der Ausschluß einer die Zulässigkeit des Rechtsmittels beeinflussenden Willkür bei der Beschränkung des Berufungsantrags verlange hiernach, daß die zur Beschränkung führenden Umstände erst nach der Einlegung der Berufung eingetreten oder dem Rechtsmittelkläger erkennbar geworden seien. Diese Voraussetzung sei entgegen der Auffassung des LSG erfüllt. Der maßgebliche Umstand sei die Neubeurteilung der Rechtslage aufgrund des Urteils des BSG vom 28. April 1977 - 12 RAr 59/76 -. Der Zeitpunkt einer Neubeurteilung der Rechtslage möge sich regelmäßig, wie das LSG meine, einer Feststellung entziehen. Im vorliegenden Fall lasse sich jedoch eindeutig feststellen, daß dieser Zeitpunkt dem der Einlegung der Berufung nachfolgte. Die Berufung sei zwar mit Schriftsatz vom 24. Mai 1977 eingelegt worden, die ohne mündliche Verhandlung ergangene Entscheidung des BSG sei jedoch erst durch die Presse-Mitteilung vom 4. August 1977 bekanntgeworden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 6. März 1978 aufzuheben und den Rechtsstreit zu neuer Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist mit der Maßgabe zurückzuweisen, daß die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Koblenz unbegründet ist.
Zu Unrecht ist das LSG zu dem Ergebnis gelangt, das Rechtsmittel sei unzulässig. Der Bescheid vom 4. September 1975 idF des Widerspruchsbescheids vom 24. November 1975 enthält zwei verschiedene Aussprüche: Einmal die Aufhebung der früheren Leistungsbescheide gem § 151 AFG und zum anderen die Entscheidung über die Rückforderung der dem Kläger nach Auffassung der Beklagten zu Unrecht gewährten Leistungen gem § 152 AFG . Wie die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung hervorgehoben hat, hat sie das Urteil des SG lediglich insoweit angegriffen, als dieses ihren Rückforderungsbescheid aufgehoben hat. Insoweit richtet sich die Zulässigkeit der Berufung nach § 149 SGG , dh es kommt darauf an, ob der Beschwerdewert 1.000,- DM übersteigt. Das ist entgegen der Auffassung des LSG der Fall.
Unerheblich ist, daß sich der von der Beklagten geltend gemachte Rückforderungsbetrag aus verschiedenen Einzelbeträgen zusammensetzt, die durch die Aufhebung von Entscheidungen über verschiedene Leistungen entstanden sind und jeder dieser Beträge für sich genommen den Beschwerdewert von 1.000,- DM nicht erreicht. Nach § 149 SGG kommt es nicht auf den Wert des einzelnen Anspruchs an, sondern auf den Beschwerdewert des Rückforderungsanspruchs, der allenfalls durch den angefochtenen Bescheid begrenzt sein kann (Meyer-Ladewig, Komm zum SGG, § 149 Anm 6; Miesbach/Ankenbrank/Hennig/Dankwerts, Komm zum SGG, § 149 Anm 1; Rohwer-Kahlmann, Aufbau und Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit, 4. Aufl 18. Lieferung, § 149 RdNr 4; vgl BSGE 24, 260, 261 ; Peters/Sautter/Wolff, Komm zur Sozialgerichtsbarkeit, 4. Aufl 29. Nachtrag, § 141 Anm 2).
Maßgebender Zeitpunkt für die Rechtsmittelfähigkeit eines Anspruchs, dh im vorliegenden Fall für die Höhe der Beschwer, ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels. Eine spätere Verringerung der Beschwer unter die in § 149 SGG festgelegte Grenze hat keine Bedeutung, es sei denn, die Verringerung ist willkürlich erfolgt ( BSGE 16, 134, 135 ; 37, 64, 65 ; BSG SozR § 146 SGG Nr 9; vgl RGZ 168, 355 ; BGH NJW 1951, 274 ).
Der Senat vermag der Auffassung des LSG nicht zu folgen, im vorliegenden Fall habe die Beklagte willkürlich ihren Berufungsantrag eingeschränkt. Allerdings ist die Beklagte zu der Einschränkung ihres Berufungsantrags nicht durch eine Veränderung im Beschwerdegegenstand selbst veranlaßt worden, sondern aufgrund der Rechtslage, wie sie auch schon vor Einlegung der Berufung bestanden hat. Das LSG hat jedoch verkannt, daß nach der Rechtsprechung des BSG eine willkürliche Einschränkung des Rechtsmittels nicht vorliegt, wenn der Rechtsmittelkläger durch außerhalb seines Willens liegende Umstände während des Verfahrens, zB durch den zwischenzeitlichen Eintritt anspruchsbegründender (BSG SozR § 146 SGG Nr 8) oder anspruchsbeendender Tatsachen ( BSGE 16, 134 ; BSG SozR § 146 SGG Nr 12 = NJW 1964, 691 ), oder infolge pflichtgemäßen Verhaltens (BSG SozR § 146 SGG Nr 9) zu der Einschränkung genötigt worden ist. Eine willkürliche Einschränkung liegt daher nur dann vor, wenn dafür ein vernünftiger Grund nicht zu erkennen ist oder aber schon bei Einlegung der Berufung für den Rechtsmittelkläger bei sachgerechter Prozeßführung Veranlassung bestanden hätte, das Rechtsmittel nur in dem eingeschränkten Umfang einzulegen. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die Beklagte konnte bei sachgerechter Prozeßführung von ihrem Standpunkt aus bei Einlegung der Berufung davon ausgehen, daß sie von dem Kläger den später fallengelassenen Betrag verlangen konnte. Zu dieser Annahme war sie, wie aus den Gründen des von ihr zitierten Urteils des BSG vom 28. April 1977 hervorgeht, um so mehr berechtigt, als das Berufungsgericht in jenem Verfahren ihren Standpunkt, sie sei berechtigt gewesen, die Kosten für Lehrgangsgebühren und Lernmittel auch dann zu entziehen, wenn diese bereits angefallen waren, bestätigt hatte. Wenn sie im Hinblick auf die gegenteilige Auffassung des BSG im Urteil vom 28. April 1977, die ihr erst nach Einlegung der Berufung bekanntgeworden ist, ihr Rechtsmittel eingeschränkt hat, handelte sie nicht willkürlich. Die Beklagte hat damit vielmehr ihrer Pflicht zur gesetzmäßigen Verwaltung, wie sie sich auf Grund des Urteils dargestellt hat, nachkommen wollen. Sie hatte also nicht nur einen vernünftigen Grund für die Einschränkung ihres Rechtsmittels, sondern war dazu sogar verpflichtet. Insoweit unterscheidet sich die Rechtslage entgegen der Auffassung des LSG nicht entscheidend von der in dem Urteil des BSG vom 26. Juni 1963 (SozR § 146 SGG Nr 9). Dort hatte die Beklagte ihre Berufung eingeschränkt, weil sie aufgrund einer erneuten Prüfung zu dem Ergebnis gelangt war, daß sie eine Leistung teilweise zu Unrecht versagt hatte und deshalb gem § 79 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) dem Leistungsbegehren zum Teil entsprochen hatte. Zwar gibt es für den sachlichen Zuständigkeitsbereich der Beklagten keine den §§ 79 AVG , 1300 Reichsversicherungsordnung und 40 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung entsprechende Vorschrift. Indes ist auch die Beklagte verpflichtet, als rechtswidrig erkannte Verwaltungsakte jedenfalls während des gerichtlichen Verfahrens abzuändern; denn für die Beklagte gilt wie für jede Behörde der in Art 20 Abs 3 Grundgesetz (GG) normierte Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, aus dem sich letztlich auch die oben genannten Vorschriften herleiten lassen.
Hiernach hätte das LSG die Berufung der Beklagten nicht durch Prozeßurteil verwerfen dürfen. Es hätte vielmehr in der Sache selbst entscheiden müssen. Insoweit erweist sich mithin die Revision als begründet. Da die tatsächlichen Feststellungen des LSG zur Zulässigkeit der Berufung für eine Entscheidung in der Sache ausreichen, ist der Senat gem § 170 Abs 2 SGG verpflichtet, eine entsprechende Sachentscheidung zu treffen. Dem steht nicht entgegen, daß die Revisionsklägerin lediglich die Aufhebung des Urteils des LSG und die Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz beantragt hat. Zwar gilt in der Revisionsinstanz gem §§ 202 SGG , 559 Zivilprozeßordnung der Grundsatz, daß der Prüfung des Revisionsgerichts nur die von den Beteiligten gestellten Anträge unterliegen. Dies betrifft aber nur die Sachanträge und entbindet das Revisionsgericht auch dann nicht von der Pflicht, eine Entscheidung in der Sache selbst zu treffen, wenn der Revisionskläger lediglich die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz beantragt hat ( BSGE 25, 251, 253 ).
Die sachliche Überprüfung des Begehrens der Beklagten führt zu dem Ergebnis, daß ihre Berufung unbegründet ist.
Der Beklagten steht kein Rückforderungsanspruch gegen den Kläger zu. Dies setzt, da dem Kläger Leistungen aufgrund des AFG gewährt worden sind, voraus, daß die Entscheidungen, durch die diese Leistungen gewährt worden sind, aufgehoben worden sind ( § 152 Abs 1 AFG ). Diese Voraussetzung liegt nicht vor. Das SG hat entschieden, daß der Bescheid vom 4. September 1975 idF des Widerspruchsbescheides vom 24. November 1975 aufgehoben wird. Dieses Urteil ist von der Beklagten nur insoweit angefochten, als die angefochtenen Bescheide hinsichtlich des Rückforderungsanspruchs aufgehoben worden sind. Damit ist das Urteil des SG in dem Umfang rechtskräftig geworden, als es über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung der früheren Leistungsbescheide gem § 151 Abs 1 AFG entschieden hat. Diese Rechtskraft bindet gem § 141 Abs 1 SGG die Beteiligten. Sie ist von Amts wegen zu berücksichtigen (vgl Meyer-Ladewig aaO, § 141 Anm 6).
Zu Unrecht geht allerdings die Beklagte davon aus, sie habe in der ersten Instanz insoweit obsiegt, das SG habe die angefochtenen Verwaltungsakte in diesem Umfang bestätigt und entschieden, daß die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Leistungsbescheide gem § 151 Abs 1 AFG vorlägen. Das Gegenteil ist vielmehr der Fall. Die Urteilsformel des SG ist eindeutig. Sie kann nur dahin verstanden werden, daß die angefochtenen Bescheide in vollem Umfang, dh sowohl hinsichtlich der in ihnen getroffenen Entscheidung über die Aufhebung der früheren Leistungsbescheide als auch hinsichtlich der Rückforderung aufgehoben worden sind. Dem stehen die Ausführungen des SG in den Entscheidungsgründen seines Urteils, wonach die angefochtenen Verwaltungsakte rechtmäßig sind, soweit in ihnen die Leistungsbescheide gem § 151 Abs 1 AFG aufgehoben worden sind, nicht entgegen. Die Entscheidungsgründe sind zwar dann zur Auslegung der Urteilsformel heranzuziehen, wenn diese Anlaß zu Zweifeln über ihren Inhalt gibt (BSG SozR § 136 SGG Nr 1). Das ist jedoch hier nicht der Fall. Bei einem Widerspruch zwischen Urteilsformel und Urteilsgründen ist vielmehr die Urteilsformel maßgebend, da das Maß des zuerkannten Anspruchs nur ihr zu entnehmen ist. Die Gründe eines Urteils sind für den Umfang seiner Rechtskraft nur bedeutsam, soweit sie von der Urteilsformel erfaßt werden (BSG 14, 99, 101 f; Rohwer-Kahlmann aaO § 141 Anm 20 und 21; Meyer-Ladewig aaO, § 141 Anm 7; Peters/Sautter/Wolff aaO, § 141 Anm 3 b anschl bb).
Da die Leistung nur unter bestimmten Voraussetzungen entzogen werden kann - es handelt sich hier nicht um eine Ermessensentscheidung der Beklagten - steht aufgrund der teilweisen Rechtskraft des Urteils des SG fest, daß im Zeitpunkt der Entscheidung überhaupt keine Grundlage für die Entziehung vorlag (vgl Meyer-Ladewig aaO, § 141 Anm 10; Eyermann-Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, 7. Aufl, § 121 Anm 22). Damit kann die Beklagte ihre Rückforderung nicht mehr gem § 152 Abs 1 AFG geltend machen; hierfür ist - was für den vorliegenden Fall relevant ist - ua Voraussetzung, daß die Leistungsbescheide gem § 151 Abs 1 AFG aufgehoben worden sind.
Soweit sich die Beklagte in dem Widerspruchsbescheid darauf beruft, daß die mit Bescheid vom 23. Oktober 1974 bewilligten Leistungen unter dem Vorbehalt der Rückforderung für den Fall gewährt worden seien, daß Beträge für Zeiten im voraus gezahlt worden seien, für die die Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllt sind, kann dahingestellt bleiben, ob ein solcher Vorbehalt überhaupt wirksam ist. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, kann er nicht durchgreifen. Er enthält die Tatbestandsmerkmale des § 151 Abs 1 AFG , setzt also gleichfalls den Entzug der Leistung voraus. Dem steht jedoch ebenfalls die teilweise Rechtskraft des Urteils des SG entgegen.
Nach alledem muß daher die Revision der Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen werden, daß ihre Berufung unbegründet ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG .
Fundstellen