Leitsatz (amtlich)
Zum Erstattungsstreit zwischen Sozialhilfeträger und Rentenversicherungsträger ist der Versicherte nach § 75 Abs 2 SGG notwendig beizuladen (Anschluß an BSG vom 12.6.1986 8 RK 61/84 = SozR 1500 § 75 Nr 60).
Normenkette
SGG § 75 Abs 2; SGB 10 §§ 102ff, 102, 104, 107 Abs 1
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 07.04.1989; Aktenzeichen L 14 J 89/88) |
SG Münster (Entscheidung vom 09.03.1988; Aktenzeichen S 8 J 147/86) |
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Erstattung von Kosten, die er für die Unterbringung des Versicherten D. K. (früher Sch. ) vom 1. September 1986 bis 4. Mai 1987 im Psychosozialen Therapie- und Rehabilitationszentrum B. -H. in B. S. übernahm.
Der Versicherte unterzog sich wegen Alkoholabhängigkeit vom 25. Oktober bis 5. November 1985 im Evangelischen Krankenhaus Sch. einer Entgiftungsbehandlung (Kostenträger Allgemeine Ortskrankenkasse -AOK- R. ). Vom 14. November 1985 bis 5. März 1986 hielt er sich auf Kosten des Klägers zur Vorbereitung auf eine Entwöhnungsbehandlung im B. -H. in B. S. auf. Die anschließende Entwöhnungsbehandlung in der Fachklinik C. -v. -K. -H. in Ra. finanzierte die Beklagte als Maßnahme der medizinischen Rehabilitation.
Einen von der Fachklinik noch während der Entwöhnungsbehandlung im Juni 1986 zugunsten des Versicherten gestellten Antrag, die Kosten für eine Weiterbehandlung des Versicherten zur sozialen Rehabilitation im B. -H. zu übernehmen, lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 7. Juli 1986 ab, da für die Übernahme der Kosten einer sozialen Wiedereingliederung nicht der Rentenversicherungsträger zuständig sei. Nach einer Kostenzusage des Klägers wurde der Versicherte am 1. September 1986 in das B. -H. aufgenommen und dort bis zum 4. Mai 1987 betreut. Am 3. November 1986 nahm er wieder eine Erwerbstätigkeit auf.
Den Antrag des Klägers, die Kosten der an die Entwöhnungsbehandlung anschließenden Weiterbehandlung im B. -H. zu übernehmen, lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 29. Oktober 1986 ab.
Die Klage auf Kostenerstattung hatte vor dem Sozialgericht (SG) Erfolg (Urteil vom 9. März 1988). Das Landessozialgericht (LSG) hob auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG auf und wies die Klage ab (Urteil vom 7. April 1989). Zur Begründung führte es aus, die Unterbringung des Versicherten im B. -H. sei keine Maßnahme der medizinischen Rehabilitation gewesen. Abweichend vom Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 12. August 1982 (BSGE 54, 54) setze eine Maßnahme der medizinischen Rehabilitation ärztliche Anordnung und Überwachung voraus. Diese Auslegung entspreche der dem Rehabilitations-Angleichungsgesetz (Reha-AnglG) zugrundeliegenden Absicht, die Leistungen der unterschiedlichen Rehabilitationsträger aneinander anzugleichen. Im übrigen habe die Maßnahme der sozialen Wiedereingliederung gedient.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung der §§ 1236 ff der Reichsversicherungsordnung (RVO), §§ 1, 5 und 10 Reha-AnglG , § 29 des Sozialgesetzbuchs - Allgemeiner Teil - (SGB 1), § 2 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) und der Art 3 und 20 Abs 3 des Grundgesetzes (GG) sowie einer Abweichung von der Rechtsprechung des BSG, eine Überschreitung der Grenzen der freien Beweiswürdigung und einen Verstoß gegen § 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 7. April 1989 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die kraft Zulassung durch das LSG statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und damit zulässige Revision ist iS der Zurückverweisung an das LSG begründet. Das Verfahren des Berufungsgerichts ist insofern fehlerhaft gewesen, als das Gericht nicht den Versicherten D. K. beigeladen hat, obwohl ein Fall des § 75 Abs 2 1. Alternative SGG vorliegt.
Nach § 75 Abs 2 1. Alternative SGG sind Dritte zum Verfahren notwendig beizuladen, wenn sie an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, daß die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG ist dies zu bejahen, wenn die im Rechtsstreit zu erwartende Entscheidung über das streitige Rechtsverhältnis zugleich in die Rechtssphäre eines Dritten unmittelbar eingreift (s BSG SozR 1500 § 75 Nrn 49, 60 mwN).
Bei dem Erstattungsstreit zwischen einem Sozialhilfeträger und einem Sozialversicherungsträger aufgrund der §§ 102 ff des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - (SGB 10) ist ein derartiger enger rechtlicher Zusammenhang zwischen Zahlungsanspruch des ersten gegen den zweiten Sozialleistungsträger und ursprünglichem Naturalleistungsanspruch des Versicherten gegen den beklagten Sozialversicherungsträger gegeben. Dies hat bereits der 8. Senat des BSG in seinem Urteil vom 12. Juni 1986 - 8 RK 61/84, SozR 1500 § 75 Nr 60 - für den Fall des Erstattungsstreits zwischen Sozialhilfeträger und Krankenkasse entschieden. Dabei ist zum einen deutlich gemacht worden, daß es nicht darauf ankommt, ob der Erstattungsanspruch auf § 102 SGB 10 oder § 104 SGB 10 gestützt wird, und daß die rechtliche Eigenständigkeit der Ansprüche aus §§ 102 - 105 SGB 10 der Anwendung des § 75 Abs 2 SGG nicht entgegensteht. Zum anderen ist herausgestellt worden, daß es insbesondere die Fiktionsregelung des § 107 Abs 1 SGB 10 ist, aus der der enge rechtliche Zusammenhang zwischen Erstattungs- und ursprünglichem Sozialleistungsanspruch abzuleiten ist. Der erkennende Senat schließt sich diesen Überlegungen des 8. Senats an und sieht keine Gründe, den vorliegenden Erstattungsstreit zwischen Sozialhilfeträger und Rentenversicherungsträger nicht auch nach diesen Gesichtspunkten zu beurteilen. Die Entscheidung über den Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Erstattung der Kosten, die der Kläger aufgrund seiner Kostenzusage für die Weiterbehandlung des Versicherten K. im B. -H. in B. S. aufgebracht hat, greift gehaltlich, da einerseits eine Stellungnahme zum ursprünglichen Sozialleistungsanspruch des Versicherten mitumfassend, andererseits diesen möglicherweise aufgrund von § 107 Abs 1 SGB 10 als erfüllt ausschließend, rechtlich unmittelbar in die Rechtssphäre des Versicherten ein. Die vom LSG zur Verneinung eines Falles notwendiger Beiladung gegebene Begründung, der Versicherte habe ja bereits die entsprechende Sachleistung erhalten, steht dieser Einschätzung nicht entgegen. Denn der Umstand, daß der Versicherte eine bestimmte Sachleistung auf Kosten eines Sozialleistungsträgers faktisch bereits erhalten hat, besagt noch nichts darüber, ob er diese Leistung auch zu Recht erhalten hat und, wenn ja, welcher Sozialleistungsträger letzten Endes für die Leistung zuständig ist, dh deren Kosten abschließend zu tragen hat. Um die letzte Frage geht es aber allein im anhängigen Erstattungsstreit.
Das Unterlassen einer notwendigen Beiladung nach § 75 Abs 2 SGG ist bei einer zulässigen Revision von Amts wegen als Verfahrensmangel zu beachten (s BSG SozR 1500 § 75 Nrn 1, 20, 60 sowie Urteil des erkennenden Senats vom 22. Februar 1989 - 5/5b RJ 56/87 -). Da die Beiladung gemäß § 168 SGG in der Revisionsinstanz nicht nachgeholt werden kann, ist eine Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG geboten (§ 170 Abs 2 SGG).
Die Kostenentscheidung bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen